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Behauptungen über Internetzensur in Deutschland sind irreführend

„Das steht auf dem Index“, ist ein geläufiger Ausdruck, wenn ein Wort oder Medium verboten zu sein scheint. Online wird nun behauptet, das treffe auf 900 Bücher in Deutschland zu. Zudem seien 6000 Youtube-Videos hierzulande verboten. Damit sei Deutschland in Sachen Internetzensur schlimmer als Nordkorea, heißt es. Das ist jedoch irreführend. Zwar gibt es Medien in Deutschland, die nicht allen zugänglich sind. Die Gründe dafür haben jedoch nichts mit Zensur zu tun. 

Deutschland sei weltweit führend „beim Thema Internetzensur“, heißt es in einem Bild, das ein User am 20. August 2024 auf X postete und das über tausend Mal geteilt wurde. „Sogar vor Nordkorea!“, steht dort weiter. Denn: 6000 Youtube-Videos seien hierzulande gesperrt, hinzu kämen rund 900 Bücher auf dem Index. Auch auf Facebook kursieren immer wieder Beiträge mit dieser Behauptung. Ende August 2024 postete zudem der AfD-Kreisverband Recklinghausen das Bild auf Facebook.

X-Screenshot der Behauptung: 26. August 2024

Dass Deutschland Medien zensieren würde, wie durch den Beitrag suggeriert wird, ist jedoch irreführend.

In Deutschland bestimmt das Grundgesetz durch Artikel 5 zur Meinungs- und Pressefreiheit: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Der Artikel liefert sogleich auch die Grenzen dieser Freiheiten mit: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“

Durch diese Einschränkung ergibt sich eine Praxis, die auf den ersten Blick mit Zensur oder einem Index verwechselt werden könnte, sich jedoch wesentlich davon unterscheidet: Die Indizierung bestimmter Medien. Zuständig für diese Indizierung ist die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ). Der Jugendschutz soll „eine dem Menschenbild des Grundgesetzes entsprechende geistig-seelische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen“ gewährleisten, indem er „der Gefahr einer ’sozial-ethischen Desorientierung‘ durch Medieninhalte oder von Medien ausgehenden Gefährdungen der persönlichen Integrität von Kindern und Jugendlichen wirksam begegnet“, schreibt die BzKJ auf ihrer Website.

Altersnachweis für indizierte Medien notwendig

Um dieser Aufgabe nachzukommen, werden gemäß Paragraph 18 des Jugendschutzgesetzes „unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien“ nach der Entscheidung der Prüfstelle für jugendgefährdende Medien der BzKJ in eine entsprechende Liste aufgenommen. Das bedeutet jedoch nicht, dass indizierte Medien in Deutschland nicht mehr zugänglich wären und somit zensiert würden. Sie dürfen lediglich aus Jugendschutzgründen nicht beworben oder offen in Regalen angeboten werden und sind erst nach einem Altersnachweis erhältlich oder online aufrufbar, wie der Verein Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) erklärt. Handelt es sich um eine Publikation mit strafrechtlich relevantem Inhalt, wird die Werbung und Verbreitung gemäß Strafgesetzbuch meist weitreichend eingeschränkt.

Sogenannte Trägermedien, also beispielsweise Bücher und Hefte, aber auch CDs oder DVDs, werden in einer öffentlichen Liste aufgeführt; sogenannte Telemedien, also in der Regel Internetseiten, werden in einer nicht-öffentlichen Liste geführt, um sie Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich zu machen, erklärt der Verein FSM. Die öffentliche Liste wird im Bundesanzeiger, dem Bekanntmachungsblatt der Bundesrepublik Deutschland, sowie in einem Mitteilungsblatt der BzKJ veröffentlicht. Am 30. August 2024 waren 386 Schriftwerke indiziert – also nicht nur Bücher, sondern auch Flyer oder Comics. Und nicht, wie behauptet, 900 Bücher.

Meiste entfernte Videos auf Youtube aus Indien

Youtube veröffentlicht auf seiner Website Quartalszahlen zu Kanälen und Videos, die die Plattform entfernt. Weltweit wurden demnach im zuletzt erfassten Zeitraum, von April bis Juni 2024, fast 3,3 Millionen Kanäle und fast 8,5 Millionen Videos entfernt. Knapp 60 Prozent der Videos hatten keine Aufrufe. Als Grund für die Entfernung gibt Youtube die eigenen Plattformrichtlinien an: Enthält ein Video Spam, sensible, gewaltverherrlichende oder gefährliche Inhalte oder Fehlinformationen, ist es laut Community-Standards der Plattform „nicht zulässig“.  In den meisten Fällen – fast 60 Prozent – war Schutz von Kindern der Grund zur Entfernung.

Youtube schlüsselt diesen Quartalsbericht nach Ländern auf, in denen die Videos hochgeladen wurden. Weder für Januar bis März 2024 noch für April bis Juni 2024 war Deutschland auf Platz eins, sondern auf Platz neun im ersten Quartal mit etwa 114.000 entfernten Videos und im zweiten Quartal auf Platz 13 mit rund 92.000 entfernten Videos. In beiden Zeiträumen lag Indien auf Platz eins mit jeweils über zwei Millionen entfernter Videos. Im gesamten Zeitraum, der online einsehbar ist und bis Juli 2019 zurückreicht, führte Deutschland diese Liste nie an.

Auch Behörden können Youtube veranlassen, Videos zu löschen. Die Anzahl dieser Ersuche wird online erfasst. Im Jahr 2023 zählte die Plattform 83 Videos, die darunterfielen und gelöscht wurden. Auch gerichtliche Verfügungen sind hier inbegriffen. Zusätzlich können Videos in manchen Ländern nicht verfügbar sein. Das liegt daran, dass Eigentümerinnen und Eigentümer der Videos nur für bestimmte Regionen oder Staaten über Rechte für sie verfügen und sie aus diesem Grund andernorts blockiert werden.

Weitere Gesetze zu Online-Inhalten

In Deutschland gibt es neben dem Jugendschutzgesetz weitere Gesetze, die Auswirkungen auf Inhalte im Internet haben: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und den Digital Services Act (DSA) der Europäischen Union. Das NetzDG „zielt darauf, Hasskriminalität, strafbare Falschnachrichten und andere strafbare Inhalte auf den Plattformen sozialer Netzwerke wirksamer zu bekämpfen“, erklärt das Bundesjustizministerium online. Demnach richte es sich direkt an die Plattformen und verpflichte sie dazu, Bericht über ihren Umgang mit Hasskriminalität und strafbaren Inhalten zu erstatten.

Der DSA ist ein EU-weit einheitliches Regelwerk, das sich ebenfalls in erster Linie an die Anbieter digitaler Dienste wendet. In Deutschland wird er durch das Digitale-Dienste-Gesetz umgesetzt. Für Unternehmen und Plattformen, die ihre Inhalte und Produkte im europäischen Binnenmarkt anbieten, sollen durch den DSA die gleichen Rechte und Pflichten gelten, um fairen Wettbewerb zu ermöglichen. So sollen „der Handel mit illegalen Waren, Aktivitäten und Inhalten sowie die bisher weitestgehend unkontrollierte Datennutzung bekannter Plattform-Giganten“ eingedämmt werden, wie die Verbraucherzentrale online erklärt. Neben diesem Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern sollen sie zusätzlich einfacher illegale Inhalte melden können. Von Zensur spricht der Gesetzgeber sowohl im Zusammenhang mit dem DSA als auch mit dem NetzDG nicht.

Nordkorea beschränkt Internetzugang

Schließlich wird in den irreführenden Beiträgen behauptet, Deutschland liege bei dem Thema Internetzensur auf Platz eins und damit sogar vor Nordkorea. Die südkoreanische Gruppe von Aktivisten namens „Pscore“, die sich für die Wiedervereinigung Nord- und Südkoreas einsetzt, erklärt auf ihrer Website, seit dessen Erfindung sei der Zugang zum weltweiten Internet in Nordkorea verboten. Nur wenige Bürgerinnen und Bürger wie „Regierungsbeamte, spezialisierte Forscher, und Arbeiter im Ausland“ dürften auf das international zugängliche Internet zugreifen. 2016 blockierte die Regierung laut Medienberichten Youtube, Facebook und X (damals noch Twitter). Allein aus diesem Grund kann in Deutschland nicht mehr Internetzensur herrschen als in Nordkorea.

Fazit: Zwar gibt es Bücher und Internetseiten, die in Deutschland nicht für alle frei zugänglich sind – die Einschränkung der Inhalte geschieht aber zumeist aus Jugendschutzgründen oder wenn sie strafrechtlich relevant sind. Youtube-Videos werden in der überwiegenden Zahl der Fälle wegen Verstößen gegen die Plattformrichtlinien vom Unternehmen selbst entfernt. Zudem ist die Internetzensur in Deutschland – anders als in sozialen Medien irreführend behauptet wird– nicht auf einem drastischeren Niveau als in Nordkorea.

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Politik, Gesellschaft

Autor(en): Johanna LEHN / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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