Der Kinderarzt und Impfstoffwissenschaftler Peter Hotez erörtete bei einem Kongress im Juli 2024 Möglichkeiten zur Bekämpfung von Falschinformationen. Seine Aussagen wurden online jedoch aus dem Zusammenhang gerissen, um die Behauptung zu untermauern, Bill Gates und die WHO hätten Staaten aufgefordert, „Impfverweigerer“ durch das Militär zwangsweise zu impfen. Aus dem vollständigen Gespräch geht jedoch hervor, dass Hotez nicht über Impfungen oder einen Militäreinsatz gesprochen hat. AFP fand zudem keine Aufzeichnungen, wonach die WHO oder Gates zum Einsatz des Militärs aufgerufen hätten. Die WHO ist nicht befugt, einzelnen Ländern Vorschreibungen zu ihrer jeweiligen Gesundheitsversorgung zu machen.
„Bill Gates hat sich mit der WHO zusammengetan und fordert, dass Impfverweigerer während der nächsten Pandemie vom Militär zusammengetrieben und mit mRNA zwangsgeimpft werden“, heißt es in einem Facebook-Posting vom 4. August 2024.
Die Behauptung scheint auf einem Artikel des Portals The People’s Voice zu beruhen, das bereits mehrfach mit Falschbehauptungen aufgefallen ist. Darauf deuetet ein übereinstimmendes Titelfoto hin.
Die Behauptung verbreitete sich auch auf Telegram. Sie kursierte zudem in anderen Sprachen wie Kroatisch, Englisch und Französisch.
Die geteilte Behauptung ist jedoch falsch. Sie beruht auf einem Interview mit Peter Hotez, einem Kinderarzt und Impfstoffforscher mit Verbindungen zur Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung und zur Weltgesundheitsorganisation (WHO). Seine Antworten wurden jedoch aus dem Zusammenhang gerissen, falsch interpretiert und dann der WHO und Bill Gates zugeschrieben.
Recherchen von AFP ergaben, dass Hotez über Möglichkeiten im Umgang mit Desinformation sprach. Die WHO ist nicht befugt, einzelnen Ländern anzuordnen, wie mit gesundheitlichen Notfällen umzugehen ist.
Ursprung der Behauptung
The People’s Voice ist auf dem US-amerikanischen FactCheck-Portal als Datenbank aufgeführt, die irreführende Inhalte veröffentlicht. Der Artikel von People’s Voice, der online verbreitet wird, stützt seine Behauptungen auf Aussagen von Peter Hotez in einem Interview während eines Pädiatrie-Symposiums in Cartagena in Kolumbien im Juli 2024 (hier archiviert).
In dem Clip, der von The People’s Voice geteilt wird, antwortet Hotez auf eine Frage, die aus dem Clip herausgeschnitten wurde. Im Originalvideo wird er nämlich gefragt, was er über „diesen Antrieb, diese Bewegung, die sogenannte Politik und die Anti-Wissenschaft“ denke und was seiner Meinung nach dagegen getan werden könne. Auch der Anfang seiner Antwort fehlt im geteilten Video. Es ist lediglich zu hören, dass „das jetzt in erster Linie ein politisches Problem“ sei. Der fehlende Kontext macht jedoch unklar, worauf er sich bezieht.
Danach sagt Hotez im geteilten Clip, dass er dasselbe zu Tedros Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO, gesagt habe. „Ich weiß nicht, ob die Weltgesundheitsorganisation das alleine lösen kann. Wir brauchen die anderen Organisationen der Vereinten Nationen, die Nato, das ist ein Sicherheitsproblem.“ Seiner Meinung nach verloren hunderttausende US-Amerikaner aufgrund von Impfverweigerung ihr Leben. „Das ist jetzt eine tödliche Kraft“, sagt Hotez und merkt an, dass es genauso wichtig sei, neue Impfstoffe herzustellen, um Leben zu retten wie „Impfverweigerungs-Aggressionen entgegenzuwirken“.
Die Website The People’s Voice nutzt die Tatsache, dass Hotez von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung finanziert wurde, sowie dass er den Generaldirektor der WHO erwähnt, um die Aussagen so darzustellen, als kämen sie sowohl von Bill Gates als auch von der WHO direkt. Laut The People’s Voice erkläre Hotez, dass „sie jetzt darauf drängen, die Nato mit ins Boot zu holen, um die nächste mRNA-Impfstoffeinführung auf der ganzen Welt zu militarisieren“. Der Artikel geht sogar noch weiter. Es heißt: „Gates und die WHO haben den Regierungen befohlen, die Grundlagen für die Mobilisierung des Militärs zu schaffen“ und dass sie Impfverweigerung als „einen Akt der Aggression betrachten, der mit Gewalt beantwortet“ werden müsse.
In dem Clip, der von The People’s Voice veröffentlicht wurde, spricht der Kinderarzt zwar über Tedros Ghebreyesus, gibt allerdings keine Aussage oder Meinung des WHO-Chefs wieder. Hotez wendet sich an die Ministerien der US-Regierung und erklärt, er wolle ihre Hilfe, um „zu verstehen, wie man das macht“. Er bittet um Fachwissen, nicht um Arbeitskräfte. Der fehlende Kontext des Clips macht jedoch unklar, was unter „das“ zu verstehen ist.
Keine Aussagen zu Impfzwang
AFP versuchte das Originalvideo des Interviews zu finden, um den Kontext und die Einzelheiten von Hotez‘ Antwort zu verstehen. Das Video war jedoch nicht mehr auf dem Youtube-Kanal der kolumbianischen Vereinigung für Pädiatrie (SCP) verfügbar. Ein Vertreter des Verbandes teilte AFP am 20. August 2024 mit, dass das Video privat gestellt wurde, um mögliche Unannehmlichkeiten für Hotez zu vermeiden.
SCP erteilte AFP jedoch die Erlaubnis, das gesamte 33-minütige Video, das einen klaren Kontext für Hotez‘ Antworten liefert, anzusehen und zu zeigen (hier archiviert). Der größte Teil des Interviews konzentriert sich auf das Thema gesundheitliche Falschinformationen und Hotez‘ Erfahrung im Kampf dagegen. Die online geteilte Antwort bezog sich auf eine Frage zu Anti-Wissenschafts-Bewegungen im Zusammenhang mit Falschinformationen.
Ab Minute 26:57 im Video wird Hotez die Frage gestellt, was er über „diesen Antrieb, diese Bewegung, die sogenannte Politik und die Anti-Wissenschaft“ denke und was seiner Meinung nach dagegen getan werden könne.
Hotez betont, dass dies „die wichtigste Frage“ sei. Das wurde jedoch auch aus der Version des Clips herausgeschnitten, die online geteilt wurde. Er erklärt: „Leider muss ich Ihnen eine sehr lange ‚Ich weiß die Antwort auf Ihre Frage nicht‘-Antwort geben. Denn es ist sehr kompliziert und ganz ehrlich, wissen Sie, der Gesundheitssektor weiß nicht, was er tun soll. Denn das ist jetzt in erster Linie ein politisches Problem, und was ich der Biden-Regierung gesagt habe, ist, dass der Gesundheitssektor das nicht alleine schaffen kann. Wir werden die Heimatschutzbehörde, das Handels- und das Justizministerium einbeziehen müssen, um zu verstehen, wie wir das tun können.“
Nicht in einem einzigen Moment während des Interviews thematisiert Hotez die Impfung von Personen, die sich nicht impfen lassen wollen, oder die Idee, sie mit Gewalt dazu zu zwingen.
Keine Belege, dass WHO oder Gates zur Militarisierung aufgerufen haben
Mittels erweiterter Websuche fand AFP keine seriösen Berichte oder Aufzeichnungen, in denen Bill Gates oder die WHO jemals dazu aufgerufen hätten, das Militär in die nächste Pandemiebekämpfung einzubeziehen oder Personen zu einer Impfung zu zwingen.
Die WHO empfiehlt die Covid-19-Impfung, die Studien zufolge Millionen von Leben gerettet hat. Ein WHO-Sprecher schrieb AFP in einer E-Mail vom 5. August 2024, die Vorwürfe der Zwangsimpfungen seien „sowohl eklatante Lügen als auch gefährliche Desinformation“. Es handle sich um „souveräne Mitgliedstaaten, die Entscheidungen treffen und Maßnahmen in Bezug auf die Gesundheit ihrer Bevölkerung ergreifen“, hieß es. Außerdem schrieb der Sprecher: „Es ist eine böswillige Lüge und Unwahrheit zu behaupten, dass die WHO eine Beteiligung des Militärs vorgeschlagen hat, wie in diesen haltlosen Anschuldigungen erwähnt.“ Die WHO sei auch nicht in der Lage, Impfvorschriften zu verhängen. Von Seiten der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung hieß es ebenfalls, dass die geteilte Behauptung „falsch“ sei.
AFP hat bereits Behauptungen widerlegt, wonach die in Genf ansässige WHO versuche, die Gesundheitspolitik der Mitgliedstaaten durch einen Pandemievertrag zu kontrollieren. Die Organisation wies diese Vorwürfe aufgrund aktueller Social-Media-Postings erneut zurück. „Die WHO hat keine Macht, jemanden zu verhaften. Behauptungen, dass die WHO mit Regierungen zusammenarbeitet, um dies zu tun, sind falsch und gefährlich“, schrieb Epidemiologin Maria Van Kerkhove, die mit der WHO zusammenarbeitet, in einem Beitrag vom 3. August 2024 auf X. „Entscheidungen über Gesundheitsmaßnahmen, die innerhalb der Länder getroffen werden, liegen bei souveränen Regierungen.“
Nach Angaben der Europäischen Organisation militärischer Verbände und Gewerkschaften (Euromil) haben fast alle europäischen Länder ihre Streitkräfte während der Covid-19-Pandemie in gewissem Umfang eingesetzt. Diese haben logistische und medizinische Unterstützung geleistet, wie etwa den Transport von Impfstoffen und medizinischer Versorgung, die Einrichtung von Feldlazaretten, die Verteilung von Schutzausrüstung und die Bereitstellung von medizinischem Personal. In einigen Ländern wurde Militärpersonal angewiesen, Lockdown-Maßnahmen durchzusetzen oder andere Aufgaben wie die Desinfektion öffentlicher Plätze, die Durchführung von Tests oder die Überführung von Toten zu übernehmen.
In Deutschland hat der Bundesminister der Verteidigung die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte in Friedenszeiten. Dies ist im Grundgesetz festgelegt. Während der Covid-19-Pandemie war die deutsche Bundeswehr etwa in Senioren- und Pflegeeinrichtungen, Testzentren, Krankenhäusern oder Impfzentren im Einsatz.
AFP hat bereits in der Vergangenheit zahlreiche Falschbehauptungen zum Thema Gesundheit oder Impfungen überprüft.
Fazit: Bill Gates und die WHO haben Staaten nicht dazu aufgefordert, „Impfverweigerer“ durch das Militär zwangsweise zu impfen. Aussagen eines Impfstoffforschers wurden online aus dem Zusammenhang gerissen, um diese falsche Behauptung zu stützen. AFP fand keine Aufzeichnungen, wonach die WHO oder Gates jemals zum Einsatz des Militärs aufgerufen hätten. Die WHO kann einzelnen Ländern zudem keine Vorschreibungen zu ihrer jeweiligen Gesundheitsversorgung machen.