In sozialen Netzwerken verbreiteten sich im April 2023 Beiträge, die vor einer angeblich schädlichen Beschichtung von Lebensmitteln namens Apeel warnen. Die Beschichtung dient dazu, bestimmtes Obst und Gemüse auch ohne Verpackung zu vertreiben. Online wird ein Sicherheitsdatenblatt geteilt, das angeblich die schädlichen Folgen von Apeel aufzeigen soll. Tatsächlich hat das Dokument aber nichts damit zu tun. Es gehört zu einem Reinigungsmittel mit dem gleichen Namen. Die Verbraucherzentrale Berlin, Experten und die Europäische Kommission erklärten gegenüber AFP, die Bestandteile der Apeel-Beschichtung seien unbedenklich.
Tausende Nutzerinnen und Nutzer haben Beiträge zu der Lebensmittelbeschichtung auf Facebook geteilt. Die Postings sind auch auf Twitter zu finden. Auf Telegram sahen diese Hunderttausende. Entsprechende Beiträge wurden auch auf Französisch, Englisch, Tschechisch und Ungarisch geteilt.
Die Behauptung: Online wird davor gewarnt, Lebensmittel mit einer sogenannten Apeel-Beschichtung zu essen. Das Produkt sei nicht abwaschbar und zudem angeblich gefährlich. Dazu ziehen sie ein Sicherheitsdatenblatt heran, in dem von Augenschäden und Hautreaktionen die Rede ist. Das Produkt wird außerdem in Verbindung mit Bill Gates und dem Weltwirtschaftsforum gebracht, die beide oft im Mittelpunkt von Falschbehauptungen stehen.
Apeel-Bestandteile werden online erläutert
Die Apeel-Beschichtung ist ein Produkt des US-Unternehmens Apeel Sciences. Nach eigenen Angaben wurde die Beschichtung entwickelt, um Obst und Gemüse länger frisch zu halten, weniger Lebensmittel zu verschwenden und Abfälle zu verringern.
Anders als in den Beiträgen online behauptet, klärt das Unternehmen auf einer eigenen FAQ-Seite über die Bestandteile und Funktionsweise der Beschichtung auf. Dort heißt es, es handele sich bei Apeel um eine pflanzenbasierte Beschichtung, die von Erzeugern, Lieferanten und Händlern frischer Lebensmittel genutzt wird, um Produkte länger frisch zu halten.
Die Beschichtung bestehe lediglich aus einem Inhaltsstoff: bereinigten Mono- und Diglyceriden, die in vielen Lebensmitteln vorhanden sind. Dabei handelt es sich um Abbauprodukte, die aus Fettsäuren und Glycerin hergestellt werden.
Die Apeel-Beschichtung werde nur aus Stoffen hergestellt, die in Schalen, Samen und dem Fruchtfleisch von Obst und Gemüse zu finden seien, das Menschen bereits verzehren. Durch die Schutzschicht werde Feuchtigkeit innerhalb und Sauerstoff außerhalb des Produkts gehalten, wodurch das Verderben der Lebensmittel verlangsamt werde. Die Schicht sei farb-, geruchs- und geschmacklos.
Einen Hinweis darauf, dass Apeel Sciences vor Inhaltsstoffen seines Produkts warnt, konnte AFP nicht finden. Auf der Website findet sich lediglich ein Hinweis für Menschen mit Allergien, die angewiesen werden, beim Kauf auf mögliche Apeel-Kennzeichnungen zu achten oder Händler zu fragen, ob Produkte mit Apeel beschichtet wurden. Auch Jess Fitzgerald, eine Sprecherin von Apeel Sciences, erklärte auf AFP-Anfrage am 20. April 2023, dass es eine solche Warnung nicht auf der Website des Unternehmens gebe.
Tatsächlich ist das Abwaschen der Beschichtung aber schwierig. Das Unternehmen erklärt online, dass zwar ein Teil der Schicht mithilfe von Wasser und Schrubben gelöst werden könne, allerdings könnten dabei die Lebensmittel beschädigt werden.
Gefahrenhinweise gehören nicht zur Lebensmittelbeschichtung
Das online zu der Beschichtung geteilte Sicherheitsdatenblatt hat allerdings nichts mit der Lebensmittelbeschichtung von Apeel zu tun. Das lässt sich bereits mit einem genauen Blick aus dem Dokument selbst erkennen.
Sowohl das Logo am oberen Rand des Dokuments als auch die Unternehmensangaben zeigen, dass es sich nicht um ein Datenblatt von Apeel Sciences, sondern von Evans Vanodine handelt, einem britischen Hersteller von Reinigungsmitteln. Verschiedene Produkte von Evans Vanodine tragen den Namen Apeel – sowohl ein Allzweckreiniger als auch ein Sprühreiniger mit Orangen- oder Zitrusduft werden mit der Bezeichnung vermarktet.
Die Reinigungsmittel und die Lebensmittelbeschichtung haben allerdings nichts miteinander zu tun. Evans Vanodine selbst schreibt auf seiner Website: „Evans Apeel hat keine Verbindung mit Apeel Sciences und sollte nicht zur Konservierung von Obst und Gemüse genutzt werden.“
Die Gefahrenhinweise zu möglichen Augenschäden oder allergischen Hautreaktionen im Dokument sind echt, aber sie beziehen sich auf Reinigungsmittel.
Auch die Sprecherin von Apeel Sciences bestätigte am 20. April 2023 gegenüber AFP, dass das Sicherheitsdatenblatt nichts mit der Lebensmittelbeschichtung zu tun habe. Die Gefahrenhinweise würden nicht auf Apeel zutreffen. „Es ist vollkommen sicher und dazu gedacht, als Teil der zusätzlichen Schutzschicht verzehrt zu werden.“
Verwendung der Beschichtung ist unbedenklich
In den Online-Beiträgen wurde auch auf den Verkauf von Apeel-Lebensmitteln in den USA und Kanada hingewiesen. Apeel Sciences schreibt selbst auf seiner Website, der Verzehr des Produkts sei sicher. Die Sicherheit Mono- und Diglyceride, aus denen die Beschichtung besteht, sei unter anderem von der US-Behörde für Lebensmittel und Arzneimittel (FDA) bestätigt worden.
Auf AFP-Anfrage erklärte am 19. April 2023 ein Sprecher der kanadischen Gesundheitsbehörde Health Canada, Kanada habe bereits 2019 Apeel zugestimmt, eine Beschichtung für Obst und Gemüse anzubieten. Dabei handele es sich nicht um eine Zulassung durch Health Canada, sondern einen Hinweis, dass die Behörde der Verwendung des Produkts unter bestimmten Voraussetzungen nicht widerspricht.
Die kanadische Behörde habe zuvor die Sicherheit der Beschichtung sowie der Bestandteile bewertet und diese als sicher befunden. Diese stelle „keine Gesundheitsrisiken für Konsumenten dar“. Dabei wurde davon ausgegangen, dass die Beschichtung auch als Teil der Lebensmittel verzehrt wird.
Auch die deutsche Verbraucherzentrale Berlin erklärte auf AFP-Anfrage am 18. April 2023, das Verfahren, welches Apeel zur Ummantelung von Lebensmittel verwendet, sei bereits seit 2019 in der Europäischen Union erlaubt. Zu den Bestandteilen schrieb die Verbraucherzentrale Berlin: „Mono- und Diglyceride aus Speisefettsäuren sind ein in der EU zugelassener Lebensmittelzusatzstoff, der auch bei der Verarbeitung anderer Lebensmittel Anwendung findet.“ Bisher sei die Schicht in der EU aber nur für Lebensmittel zugelassen, deren Schale üblicherweise nicht verzehrt wird, dazu zählen unter anderem Orangen, Avocados oder Mangos.
Weiter erklärte die Verbraucherzentrale: „Auch der Verzehr von Obst, dessen Schale behandelt wurde, gilt als unbedenklich.“ Die angeblichen Gefahren, die online zu Apeel genannt werden, konnte die Verbraucherzentrale nicht nachvollziehen.
„Sollte die Zulassung künftig auf Obst und Gemüse ausgeweitet werden, deren Schale mitgegessen wird, kann auch die Schutzschicht mitverzehrt werden. Die Zulassung steht noch aus; sie wird erst nach umfangreicher Prüfung vergeben werden.“
Ein Vertreter der Europäischen Kommission teilte auf AFP-Anfrage am 27. April 2023 mit, dass Mono- und Diglyceride aus Speisefettsäuren in der EU bereits für mehrere Lebensmittel zugelassen seien. Auf Obst und Gemüse könnten die Stoffe schon seit 2019 verwendet werden, wie per EU-Verordnung festgelegt.
Darin heißt es zur Beschichtung von frischen Lebensmitteln mittels Mono- und Diglyceriden: „Die Behörde kam zu dem Schluss, dass keine Notwendigkeit für eine zahlenmäßige Festlegung der zulässigen Tagesdosis besteht und dass der Lebensmittelzusatzstoff Mono- und Diglyceride von Fettsäuren (E 471) bei den angegebenen Verwendungszwecken und Verwendungsmengen keine Sicherheitsbedenken aufwirft.“ Die Verwendung der Stoffe sei allerdings nur für die äußere Anwendung auf Lebensmitteln vorgesehen. Dass die Stoffe ins Innere von Früchten wandern, sei nicht zu erwarten.
Die Verbraucherzentrale Berlin erklärte weiter, es sei allerdings richtig, dass mit der Schutzschicht überzogene Lebensmittel gekennzeichnet werden müssten. „Das gilt nicht nur für Mono- und Diglyceride, sondern beispielsweise auch für Bienenwachs und weitere Zusatzstoffe.“
Verbraucherinnen und Verbraucher könnten die Schicht anhand eines Aufklebers mit der Aufschrift „gewachst“ erkennen. Bei Orangen im Netz sei die Angabe auch auf der Verpackung zu finden. In anderen Fällen würde auch der Zusatzstoff selbst oder die „E-Nummer“, in diesem Fall E 471 für Mono- und Diglyceride, zu finden sein.
Auch Dominikus Kittemann, Professor an der Fakultät für Gartenbau und Lebensmitteltechnologie der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, schrieb am 17. April 2023 an AFP: „Apeel zählt zu den sogenannten Edible Coatings, also quasi eine ’natürliche essbare Schutzschicht‘. Es geht dabei grundsätzlich darum, die Frucht beziehungsweise das Produkt vor Feuchtigkeitsverlusten durch Transpiration und den physiologischen Abbauprozessen während der Fruchtatmung (Respiration) zu schützen.“
Die von Apeel angegebenen Mono- und Diglyceride würden in der Lebensmittelindustrie breit angewendet, zum Beispiel bei der Herstellung von Backwaren, Schokolade oder Margarine. Daher könne sich Kittemann auch die angeblichen Gefahren durch die Stoffe kaum vorstellen.
Die Beschichtung würde auch bei anderen Herstellern in der Regel aus biologischen Materialien bestehen.
Jürgen König, Professor für Ernährungswissenschaften an der Universität Wien, erklärte auf AFP-Anfrage am 20. April 2023: „Nachdem es sich um Stoffe handelt, die sowohl natürlicherweise vorkommen und auch im Verdauungsprozess von Fetten entstehen, sind sie nachgewiesenermaßen sicher, es gibt auch keinen Grenzwert für die Aufnahme.“
Die Apeel-Angabe, dass die Bestandteile der Beschichtung Samen, Schalen und Fruchtfleisch enthielten, sei zwar nicht falsch, „genau genommen werden sie wohl aber aus Fetten (Trigylceriden) aus verschiedenen fettliefernden Pflanzen gewonnen“, präzisierte König.
Auswirkungen auf Haltbarkeit und Preis
Die Postings führen weiter an, dass die Beschichtung ein Preistreiber für Obst und Gemüse sei. Dazu schrieb die Verbraucherzentrale Berlin, dass die Preisbildung sehr intransparent sei und von vielen Faktoren abhänge, zum Beispiel der Saison und dem Ernteertrag. „Die Ursachen für höhere Preise können vielfältig sein. Daher lässt sich nicht genau ermitteln, ob die höheren Preise ausschließlich auf die Verwendung des Coating-Verfahrens zurückzuführen sind.“ Aktuell werde aber tatsächlich beobachtet, dass Produkte mit einer solchen Beschichtung etwas teurer seien als jene ohne.
Im Gegenteil, der Handel könnte unter Umständen sogar von geringeren Lebensmittelverlusten profitieren. Momentan werde dieser Vorteil aber scheinbar nicht an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben, so die Verbraucherzentrale Berlin. Jürgen König führte an, dass Oberflächenbehandlung bestimmter Obst- und Gemüsesorten schon jetzt üblich sei. Das gelte aber nicht nur für Apeel, sondern auch für andere Produkte.
Apeel Sciences erklärte selbst gegenüber AFP: „Der Preis der Produkte wird vom Einzelhändler festgesetzt und durch verschiedene Faktoren wie Kosten und Marktkräfte bestimmt. Daher kann es sein, dass die Verbraucher einen Preisunterschied zwischen geschützten und ungeschützten Produkten bemerken oder nicht.“ In Deutschland werden die Produkte in Edeka– und Netto-Märkten verkauft.
Zur Frage der Haltbarkeit erklärte Kittemann, dass durch die Beschichtung die Haltbarkeit zunehme. Die beschichteten Früchte würden weniger CO2 verlieren, verschiedene Stoffwechselprozesse würden verlangsamt.
Die Verbraucherzentrale Berlin bestätigte ebenfalls, dass die Beschichtung die Haltbarkeit der Lebensmittel verlängern könne, da der Reifeprozess verlangsamt werde. Wie sich das allerdings auf den Nährstoffgehalt auswirkt, müsse noch weiter untersucht werden.
Zumindest theoretisch könnte durch eine solche Beschichtung Plastik gespart werden. Jürgen König gab aber zu bedenken, dass die Methode nicht überall funktioniere, gegen mechanische Belastung würde sie keinen besonderen Schutz bieten. „Einige Lebensmittel, für die Apeel verwendet wird, kommen zudem ohne Plastikverpackung aus (etwa Bananen), hierdurch wird also kein Plastik eingespart.“
Unterstützung der Gates-Stiftung
In den Online-Beiträgen wird zudem auf eine angebliche Unterstützung von Apeel Sciences durch Bill Gates oder das Weltwirtschaftsforum (WEF) verwiesen. Sowohl Gates als auch das WEF sind in der Vergangenheit immer wieder zum Ziel von Verschwörungserzählungen geworden, bei denen oft die vermeintlich geplante Reduktion der Bevölkerung eine Rolle spielt (hier, hier, hier, hier).
Tatsächlich hat die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung im Jahr 2015 Apeel Sciences mit fast einer Million US-Dollar unterstützt. Auf der betreffenden Website der Stiftung heißt es dazu, es handele sich um eine Förderung im Bereich des globalen Wachstums.
Auch auf der Website des Weltwirtschaftsforums finden sich Einträge zu Apeel Sciences. Dort heißt es unter anderem, James Rogers, Gründer von Apeel Sciences, sei Young Global Leader des WEF im Jahr 2020. Young Global Leader ist ein Programm, das Führungskräfte vernetzt.
Auf der Apeel-Website heißt es zudem, dass das Unternehmen 2018 als sogenannter WEF Technology Pioneer anerkannt worden sei und damit Teil der WEF Global Investors Community sei.
Apeel Sciences erklärte auf Nachfrage: „Apeel erhielt in den Jahren 2012 und 2015 Forschungsgelder von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, um mit der Entwicklung seiner pflanzenbasierten Schutztechnologie zu beginnen. (…) Derzeit ist die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung kein aktiver Investor in Apeel Sciences.“
Apeel Sciences sei Mitgliedsorganisation des Weltwirtschaftsforums, habe aber nie Finanzmittel des WEF erhalten, so das Unternehmen.
Fazit: Die Apeel-Beschichtung ist gesundheitlich unbedenklich. Ein online zu dem Produkt geteiltes Sicherheitsdatenblatt gehört in Wahrheit zu einem Reinigungsmittel des britischen Unternehmens Evans Vanodine, das ein Produkt mit ähnlichem Namen vertreibt. Von AFP kontaktierte Experten, die Berliner Verbraucherzentrale und die Europäische Kommission nannten die Bestandteile der Beschichtung sicher.