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Dieses Foto eines angeblichen Riesen wurde mittels einer künstlichen Intelligenz generiert

Auf einer Schwarz-Weiß-Aufnahme ist ein riesiger Mensch zu sehen. Nutzerinnen und Nutzer teilten es mit der Behauptung, es sei eine Fotografie aus dem Jahr 1901. Das ist falsch. Das Bild wurde mithilfe von Midjourney erschaffen, einer künstlichen Intelligenz, mit der Benutzerinnen und Benutzer anhand bestimmter Stichwörter Bilder kreieren können. Seit einigen Monaten wimmelt es in sozialen Netzwerken von derartigen „pseudo-historischen“, von der KI erzeugten Bildern, die immer mehr Internetnutzerinnen und –nutzern hinters Licht führen.

Ein riesenhafter Mann steht in einer Menschenmenge, er überragt die Personen um ihn herum um mehrere Meter. Sein strubbeliger Bart verdeckt seinen Gesichtsausdruck, seine Augen scheinen jedoch direkt in die Kamera zu blicken. In der Mitte einer gepflasterten Straße ist er sogar größer als die umliegenden Häuser.

„Dieses Foto wurde 1901 aufgenommen. Es war der letzte bekannte menschliche Riese, der noch am Leben war“, behaupten Userinnen und User auf Französisch, die das sepiagefärbte Bild seit Ende April 2023 auf Facebook teilten. Das Foto kursierte mit gleichen oder ähnlichen Behauptungen auf Facebook auf Russisch, und auf Tiktok insbesondere auf Englisch, und erhielt so mehrere Millionen Aufrufe.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 9. Mai 2023

Dieses Foto ist jedoch nicht echt. Es wurde mithilfe von Midjourney, einer künstlichen Intelligenz, erstellt. Sie und andere KIs, wie Dall-E, Craiyon oder Stable Diffusion, sind in der Lage, aus einer riesigen Datenbank, die ständig durch Nutzeranfragen erweitert wird, anhand weniger Stichwörter eine unendliche Anzahl von Bildern zu erstellen.

Das Foto wurde von AFP bereits auf Arabisch überprüft.

Falsches Archiv-Foto 

Eine umgekehrte Bildsuche auf Google führte zu dem verbreiteten Foto auf der Website „misskey.cloud“ und von dort zu einem Mastodon-Konto mit dem Namen HoaxEye.

Dieses Konto beschäftigt sich mit der Überprüfung visueller Inhalte und wurde bereits von AFP zitiert. HoaxEye erklärt in dem Beitrag, dass dieses Bild nicht authentisch sei. „Viele Menschen scheinen zu glauben, dass es auf der Erde einmal Riesen gegeben habe. Dieses Foto wurde von der künstlichen Intelligenz Midjourney erstellt“, schreibt HoaxEye und gibt die Quellen des Bildes an – einen russischen Telegram-Kanal, der sich mit KI-generierten Bildern beschäftigt.

Tatsächlich findet sich in diesem sozialen Netzwerk das verbreitete Foto in einer Nachricht vom 26. April 2023. In der Beschreibung des Bildes heißt es, dass es sich um „den letzten Riesen“ handele, der „durch die Straßen schlendert“ und dass „das Foto (…) gegen 1890“ aufgenommen worden sei. Doch auf einen User, der dem Beitrag vorwirft, Falschinformationen zu verbreiten, antwortet der Autor mit Sarkasmus: „Ach, tatsächlich?“.

Das Foto wurde wahrscheinlich zum ersten Mal am 26. April 2023 im Internet veröffentlicht und zwar im sozialen Netzwerk Reddit, auf einem Kanal, der mit Midjourney erstellte Bilder teilt. Das stellte die Nachrichtenagentur Reuters fest. Auf der Plattform Reddit kursieren regelmäßig Bilder, die später verfremdet geteilt werden.

Screenshot des Reddit-Beitrags, erstellt am 10. Mai 2023

Beim Heranzoomen auf das hochauflösende Bild auf Reddit fallen außerdem einige Ungereimtheiten und Fehler auf, die auf ein künstlich erzeugtes Bild hindeuten können. Diese Hinweise hat AFP in einem Leitfaden gesammelt.

Die rechte Hand des angeblichen Riesen scheint nur vier Finger zu haben, darunter einen völlig unproportionalen Zeigefinger. Mehrere Gesichter in der Menge sind außerdem verzerrt.

Auf Reddit veröffentlichtes Bild, Vergrößerungen von AFP hinzugefügt: 10. Mai 2023

Mehrere Versuche, die AFP mit der fünften Version von Midjourney mit verschiedenen Suchanfragen ausprobierte, führten zu Ergebnissen, die gewisse Ähnlichkeiten mit dem verbreiteten Foto aufweisen: Bildkomposition, Farbtöne und verzerrte und unscharfe Gesichter.

Von AFP mithilfe von Midjourney erstellte Fotos. Wasserzeichen von AFP hinzugefügt: 9. Mai 2023.

Der gleiche User veröffentlichte außerdem ein anderes Bild auf Reddit, das ebenfalls mit der Software Midjourney erstellt wurde, aber nicht so häufig geteilt wurde wie das andere. Das zweite Bild zeigt eine Figur, die weniger aussieht wie ein Mensch, eher wie ein Riese aus einem Märchen. Die Äste oder Seile, die sein Gesicht verdecken, ähneln stark denen, die auch auf den Körpern einiger von AFP generierten Riesen zu sehen sind.

Screenshot eines Reddit-Fotos, erstellt am 10. Mai 2023
Fotos, die AFP per KI generierte, versehen mit einem Wasserzeichen am 9. Mai 2023

Das online verbreitete Foto hat also nichts mit einem authentischen Archivbild zu tun, das den angeblichen „letzten Riesen“ zeigen soll. Den Rekord für den größten jemals erfassten Mann der Welt hält Robert Wadlow. Der US-Amerikaner maß eine Körpergröße von 2,72 Metern, wurde 1918 geboren und starb 1940, wie das Guinness-Buch der Rekorde berichtet. Das ist weit entfernt von den rund fünf Metern, die der angebliche Riese auf dem verbreiteten Foto messen müsste. Ebenfalls laut Guinness-Buch der Rekorde sei der derzeit größte lebende Mann der Welt Sultan Kösen, ein Türke, der 1982 geboren wurde und 2,47 Meter groß ist.

Khagendra Thapa Magar, der kleinste Teenager der Welt, steht am 7. September 2010 in New York (USA) neben einem lebensgroßen Pappaufsteller von Robert Wadlow, der den Rekord des größten Menschen, der je gelebt hat, hält. – EMMANUEL DUNAND / AFP
Sultan Kösen, der größte Mann der Welt, posiert am 26. Januar 2018 neben der kleinsten Frau der Welt, Jyoti Amge, am Fuße einer der drei Pyramiden von Gizeh in Ägypten. – STRINGER / AFP

Geschichte (um)schreiben mit künstlicher Intelligenz 

Über dieses eine Beispiel hinaus gibt es in sozialen Netzwerken seit einigen Monaten eine Vielzahl von historischen Falschinformationen, die sich auf angebliche Fotos und Archivmaterial stützen, das in Wirklichkeit von KIs generiert wurde.

Ein Beispiel stellt eine frei erfundene Naturkatastrophe dar, die 2001 die Pazifikküste Kanadas und der USA verwüstet haben soll: Dafür wurden mit Midjourney Bilder von den Folgen eines angeblichen Erdbebens und Tsunamis generiert und in sozialen Netzwerken als angebliches Archivmaterial präsentiert.

Jo Hedwig Teeuwisse ist historische Beraterin und betreibt das Twitter-Konto FakeHistoryHunter, das auf die Überprüfung von historischen Falschinformationen spezialisiert ist. Sie schätzt, dass diese gefälschten Archivbilder in großer Menge im Jahr 2022 auf verschiedenen Plattformen veröffentlicht wurden. „Aber dass die Leute  immer häufiger auf die Masche hereinfallen, ist neu“, sagte die Expertin am 10. Mai 2023 gegenüber AFP.

Sie führt das Phänomen auf die jüngsten technologischen Verbesserungen der Software für künstliche Intelligenz zurück, die immer leistungsfähiger wird. Ihrer Einschätzung nach können die  von der KI erzeugten angeblich „historischen“ Bilder jedoch aus mehreren spezifischen Gründen in die Irre führen.

„Die Leute rechnen nicht damit, dass jemand gefälschte alte Fotos produziert. Das erwarten sie dagegen eher dann, wenn ein modernes Foto vorliegt“, sagte Jo Hedwig Teeuwisse.

Außerdem seien Bilder, die eine vergangene Zeit zeigen sollen, schwerer kritisch zu betrachten. „Wenn Sie sich heute ein zeitgenössisches Foto ansehen, ist das viel einfacher. Sie erkennen die Dinge, weil Ihr Gehirn und Ihre Augen daran gewöhnt sind, diese Elemente jeden Tag zu sehen, und Ihr Instinkt kann sagen, dass etwas nicht stimmt.“

Schließlich könne die Versuchung groß sein, unveröffentlichte Bilder zu erstellen oder zu teilen, die angeblich eine vergessene oder verschwiegene Geschichte zeigen sollen. Die Expertin bemerkte außerdem, dass sie, wenn sie beispielsweise von Frauen spreche, die von der Geschichte vergessen wurden, stets bedauere, keine Bilder von ihnen zu finden. „Ich denke oft: Wenn ich doch nur ein Foto hätte, ich würde so gerne ein Foto haben. (…) Aber eines künstlich zu erzeugen, ist etwas ganz anderes. Wenn also jemand eines findet, dessen Herkunft nicht angegeben ist und das echt sein könnte, kann es sehr verlockend sein, das zu teilen.“

So teilten im März 2023 Nutzerinnen und Nutzer auf Facebook ein vermeintliches Foto der „Ur-Chinesen“, schwarzer Menschen mit asiatischen Gesichtszügen. Die Userinnen und User glaubten, ein Bild zu teilen, das angeblich die „schwarze Geschichte“ illustrieren würde. In Wirklichkeit brachten sie KI-generierte Bilder in Umlauf, wie der visuelle Faktencheck-Account HoaxEye herausfand.

Dieser Wunsch nach Sichtbarkeit könne die Menschen dazu bringen, „Dinge zu glauben, die historisch falsch sind“: Da die KI es ermögliche, pseudohistorische Beweise zu fabrizieren, stelle sie eine große „Gefahr“ dar, warnte Jo Hedwig Teeuwisse.

Bilder abzuändern oder zu fälschen – ob es sich dabei um Zeichnungen, Malerei  oder Fotografie handelt – ist kein neues Phänomen. 1840 inszenierte der französische Fotopionier Hippolyte Bayard seine eigene angebliche Leiche, die er fotografierte und als Körper eines ertrunkenen Mannes darstellte. Das berühmte Foto der sowjetischen Flagge, die 1945 auf der Spitze der Ruine des Berliner Reichstags gehisst wurde, aufgenommen von Jewgeni Chaldej, wurde zu Propagandazwecken bearbeitet.

Was heute anders ist, ist die allgemeine Verbreitung von Werkzeugen und Fähigkeiten zur Bearbeitung und dem Retuschieren von Bildern. „Früher hatte der Maler nur ein einziges Bild, der Fotograf nur ein einziges Negativ und wenn man etwas nachbessern musste, brauchte man dafür einen oder mehrere Experten über mehrere Stunden“, erinnerte Jo Hedwig Teeuwisse. „Heutzutage ist es etwas, das jeder tun kann und es werden täglich Millionen, wenn nicht sogar Milliarden von Fotos ins Internet hochgeladen.“

Es gibt verschiedene Tipps, um nicht auf historische Falschinformationen hereinzufallen, neben den Indizien, die AFP bereits ausgeführt hat: prüfen, ob das angeblich echte Foto bereits vor über zwei Jahren online veröffentlicht wurde. Wenn das nicht der Fall ist, könnte das Foto von einer KI generiert worden sein, anstatt gerade zufällig entdeckt worden zu sein. Der nächste Schritt wäre, wenn möglich, nach Expertenmeinungen zu der Epoche zu suchen, aus der das Foto angeblich stammen soll.

„Wenn Sie ein gefälschtes Foto aus den 1930er-Jahren fabrizieren wollen, müssen Sie sicherstellen, dass die Haarschnitte denen ähneln, die in den 1930ern in Mode waren, dass die Kleidung aus den 1930er-Jahren stammt und dass die Autos im Hintergrund in den 1930er-Jahren auf den Straßen unterwegs waren. Das ist sehr schwierig“, sagte die Autorin von FakeHistoryHunter und betonte, dass sich die KI bei diesen Elementen – noch – irren könne.

Fazit: Das Foto zeigt nicht den angeblich letzten lebenden Riesen von 1901. Das Foto ist eine Fälschung und wurde mittels einer künstlichen Intelligenz produziert. Das bestätigte eine umgekehrte Bildsuche. Mithilfe derselben Software gelang es AFP, ähnliche Bilder zu generieren.

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Wissenschaft, Gesellschaft

Autor(en): Marin LEFEVRE / AFP Frankreich / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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