Am frühen Dienstag, 6. Juni 2023, wurde im Süden der Ukraine ein riesiger Staudamm zerstört. Bei der darauf folgenden tödlichen Überschwemmung wurde ein großes Gebiet überflutet und die Umgebung verwüstet. In den sozialen Medien wurde schnell ein Video einer Explosion geteilt, von dem behauptet wurde, es zeige die Zerstörung des Damms. Dies ist jedoch falsch. Das Video zeigt zwar tatsächlich den inzwischen zerstörten Staudamm bei Kachowka, wurde aber im November 2022 aufgenommen.
In einem Schwarz-Weiß-Video, das auf Facebook geteilt wurde, ist eine Brücke zu sehen, die von einer Explosion erschüttert wird. In der dazugehörigen Beschreibung heißt es, „Russen haben Damm gesprengt“, und der Beitrag beschreibt den Vorfall als aktuell. Unmittelbar nach den Schwarz-Weiß-Bildern sind Luftaufnahmen zu sehen, die Überschwemmungen zeigen.
Der Beitrag wurde im Juni in mehreren Sprachen wie Deutsch, Englisch, Spanisch, Griechisch und Serbisch veröffentlicht.
Der Kachowka-Staudamm befindet sich im Süden der Ukraine am Unterlauf des Dnepr, dem größten Flusses des Landes. Er ist von strategischer Bedeutung und versorgt die von Russland annektierte Halbinsel Krim mit Wasser. In den frühen Morgenstunden des 6. Juni 2023 wurde er zerstört. Tausende von Menschen mussten ihre Häuser verlassen.
Die Ukraine hat den russischen Streitkräften, die das Gebiet um den 3,3 Kilometer langen Staudamm und das dazugehörige Wasserkraftwerk kontrollieren, vorgeworfen, den Damm gesprengt zu haben. Dagegen hat Russland die Ukraine beschuldigt, den Damm mit Artillerie beschossen zu haben. Beide Seiten erklärten übereinstimmend, der Dammbruch sei durch eine Explosion ausgelöst worden. Der Betreiber des Kachowka-Staudamms, Ukrhydroenergo, erklärte, der Damm sei höchstwahrscheinlich von innen vermint worden. Einem hochrangigen Beamten der US-Regierung unter Präsident Joe Biden zufolge wurde kurz vor dem Einsturz des Damms eine Explosion festgestellt. Es ist jedoch immer noch unklar, was genau passiert ist.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte am Freitag, 9. Juni 2023, dass „Hunderttausende“ Menschen in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten nur noch begrenzten Zugang zu Trinkwasser haben. Am selben Tag veröffentlichte er auch Luftaufnahmen des zerstörten Bauwerks, die Teil des Videos sind, das derzeit in den sozialen Medien verbreitet wird.
Aufnahme zeigt Kachowka…
Wie eine Prüfung der öffentlich zugänglichen Geodaten zeigt, hat sich die Explosion im Video tatsächlich am Kachowka-Damm ereignet. Auf Google-Street- View-Bildern, die im Juli 2015 auf der Straße am Damm aufgenommen wurden, sind ein Strommast und ein Kran zu erkennen, die auch in dem in den sozialen Medien geteilten Video zu sehen sind.
… aber im November 2022
Das Video ist allerdings alt. Es zeigt nicht den aktuellen Vorfall am Staudamm, sondern eine Explosion im November 2022, die sich ebenfalls am Kachowka-Staudamm ereignete.
Eine Rückwärtssuche nach Ausschnitten des aktuell geteilten Videos genauso wie eine Stichwortsuche führten AFP zu Artikeln aus dem November 2022, die bereits das Video enthielten, das jetzt als vermeintlich aktuell kursiert (hier, hier). Auch internationale Medien verwendeten das Video für die Berichterstattung über den Damm (hier, hier, hier).
Russische Medien hatten das Video am 12. November 2022 veröffentlicht (hier, hier). Darin ist zu sehen, wie eine Explosion den strategisch wichtigen Staudamm erschüttert. Genauso wie im verbreiteten Video sind im Hintergrund ebenfalls weitere Explosionen sichtbar.
Im Herbst 2022 riefen die russischen Behörden die Zivilbevölkerung auf, die Region Cherson aus Angst vor ukrainischen Angriffen zu evakuieren. Am 6. November wurde der Damm laut der russischen Nachrichtenagentur Tass beschädigt. Russischen Berichten zufolge wurde der Damm von ukrainischen Streitkräften mit sechs Himas-Raketen beschossen. Maxar-Satellitenbilder vom 11. November zeigten den Damm mit erheblichen Schäden.
New #satellite images (November 11, 2022, 10:25am local time) show significant damage to the Nova Kakhovka dam, near #Kherson, #Ukraine, with sections of the dam and sluice gates destroyed. https://t.co/msSBBI6h7hpic.twitter.com/yYkXOM1SIf
— Maxar Technologies (@Maxar)
November 11, 2022
Fazit: Das Video, das derzeit geteilt wird, ist alt. Es zeigt zwar den Kachowka-Staudamm, aber das Filmmaterial stammt vom November 2022 und nicht vom aktuellen Vorfall im Juni 2023.