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Dieses Video von Familienministerin Lisa Paus zur „Letzten Generation“ ist manipuliert

Bei einer Bundespressekonferenz zum Demokratieförderungsgesetz antwortete die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Lisa Paus (Die Grünen), am 14. Dezember 2022 lang auf eine Frage des Journalisten Tilo Jung zur „Letzten Generation“. In der Antwort sucht sie einmal etwas länger nach Worten. Auf Facebook kursieren geschnittene Videos, die suggerieren, sie habe die Frage überhaupt nicht beantwortet. Dabei wurde nicht nur die eigentliche Antwort weggelassen, sondern auch Pausen, Füllwörter und die Wortsuch-Szene irreführend zusammengeschnitten. Die Originalaufnahmen aus einem Livestream belegen, Lisa Paus hat auf die Frage geantwortet.

Hunderte User haben das irreführende Video Mitte Dezember 2022 auf Facebook geteilt. Zu den dort am häufigsten geteilten Postings gehört eines der AfD Sachsen. Auf Telegram erreichte das Video Hunderttausende, auf Twitter Dutzende.

Die Behauptung: User teilen die irreführend zusammengeschnittene Antwort von Lisa Paus und schreiben dazu: „Eine stammelnde, grüne Bundesministerin, Lisa Paus, kann die Frage eines Reporters nicht beantworten, ob Klimakleber demokratiefördernd sind.“ In einem anderen Posting heißt es sarkastisch: „Wortgewandt, kompetent und überzeugend: Die Bundes-Familienministerin zur Problematik ‚Demokratieförderung und Klimawandel‘. Lisa Paus (‚Die Grünen‘) zeigt allen, wo die Säge klemmt!“

Screenshot der Behauptung auf Facebook: 28.12.2022

Bei einem genauen Blick in das auf Facebook geteilte Video zeigt sich, dass das langsam Gesprochene von Lisa Paus zwar natürlich wirkt, das Video aber im Bild schon vor ihrem ersten Wort zwei Mal geschnitten wurde. Auch vor der Nachfrage des Journalisten ist ein Schnitt zu sehen. Auch danach wurde mehrfach in ihren Antwortsätzen geschnitten. Zu erkennen ist die Manipulation an Bildsprüngen.

AFP sind solche Videos auch in anderen Kontexten bereits mehrfach aufgefallen. Durch sinnverändernde Schnitte oder Ausschnitte, die aus dem Kontext gerissen werden, sollen Botschaften anders verstanden werden, als sie gemeint sind. Opfer solcher Desinformationsstrategien sind oft Politikerinnen und Politiker, wie etwa Finanzminister Christian Lindner (FDP), Wirtschaftsminister Robert Habeck beim Weltwirtschaftsforum 2022 oder die Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei einem Empfang im Auswärtigen Amt.

Das Video von Paus kursierte Mitte Dezember 2022, also zwei Monate bevor die Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses von 2021 wiederholt werden muss. Grund dafür waren zum Teil fehlende oder falsche Wahlzettel und Stimmabgaben nach Wahlschluss. Die Wahlwiederholung könnte zu einer anderen Machtverteilung im Abgeordnetenhaus und neuen Regierenden führen. Auch die Bundestagswahl von 2021 muss teilweise wiederholt werden. Lisa Paus wurde über die Landesliste Berlin zur Bundestagsabgeordneten gewählt. Ihr Wahlkreis ist Charlottenburg-Wilmersdorf. In vielen Wahlbezirken des Kreises sind ebenfalls Fehler passiert.

Irreführende Schnitte im Video

Ein genauer Blick in das auf Facebook geteilte 57-sekündige Video zeigt, dass insgesamt an acht Stellen im Video geschnitten wurde. Fixiert man den Blick auf Paus Schulter, sind die Schnitte klar zu erkennen.

Der erste Schnitt wechselt vom Journalisten zu Lisa Paus (Sekunde 0:01). Dabei wird sie gefragt: „Fördert die ‚Letzte Generation‘ unsere Demokratie?“. Sie bewegt nach einem zweiten Schnitt (0:05) ihren Kopf und antwortet: „Ähm, dass dort mit ähm [atmet tief ein] dass dort eben [dritter Schnitt] ähm Grenzüberschreitungen spielen ähm müssen also…“ [Vierter Schnitt] Dann ist die Stimme des Journalisten zu hören: „Ich habe jetzt nicht verstanden, ob die [fünfter Schnitt wechselt zum Journalisten, 0:25] ‚Letzte Generation‘ aus Ihrer Sicht unsere Demokratie fördert, weil sie die ernst nehmen.“ Der sechste Schnitt wechselt bei Sekunde 0:33 zurück zu Paus. Sie atmet tief aus uns sagt: „Die ‚Letzte Demo- ähm Generation‘ [siebter Schnitt] spielt und ähm, [achter Schnitt] aber richtig ist, ähm, ich verstehe die Ungeduld und ich verstehe, dass die Klimabewegung [etwa acht Sekunden Pause] verzweifelt ist, angesichts der derzeit noch nicht gut erreichten Ziele.“

AFP hat mit einer Video-Rückwärtssuche nach dem Originalvideo der Pressekonferenz gesucht und einen Live-Mitschnitt der gesamten Pressekonferenz am 14. Dezember des Senders Phoenix auf Youtube gefunden.

Antwort im Originalvideo

Darin wird deutlich, dass Paus ausführlich auf die Frage des Journalisten geantwortet hat. Sie begann bei der Konferenz ihre Antwort anders als auf Facebook irreführend behauptet. Sie sagte: „Ich verstehe, dass die ‚Letzte Generation‘ ungeduldig ist, auch ich hätte mir andere Ergebnisse vorstellen können und auch ich weiß, dass wir derzeit mit unseren Maßnahmen noch nicht wirklich die Ziele, die wir haben, gemeinsam erreichen und ich, ähm, ich kann nachvollziehen, dass es da eine gewisse Verzweiflung auch gibt, gerade aus Perspektive der jungen Generation, ähm, die ja nun wissen sozusagen, was es bedeutet für sie 2050, wie alt sie dann sind und wie alt andere Menschen sind oder vielleicht auch nicht mehr auf dem Planeten sind.“

Dann gerät sie tatsächlich ins Straucheln: „Trotzdem ist es richtig, ähm, dass ähm, ähm, dass dort mit, dass dort, [Pause] dass dort eben durchaus Mittel gewählt werden, die jetzt ja zu entsprechenden Durchsuchungen geführt haben in Bezug auf den Fall Schwedt (Anm. d. Red.: Bei dem es um Angriffe auf Öl-Infrastruktur ging) und, ähm, auch die eine oder andere Klebeaktion auf Autobahnen ist ja auch, ähm, strafrechtlich, ordnungswidrigkeitsmäßig unterschiedlich zu bewerten. Mein Eindruck ist, dass die große Zustimmung und Unterstützung, die die Klimabewegung hatte, die Fridays for Futures hat, dass diese solche Aktionen sich jetzt nicht verbessert hat. Das erst mal sozusagen eine politische Einschätzung. Und zu den rechtlichen Einschätzungen, muss ich klar sagen, irgendwelche hysterischen Ausrufe von Klima-RAF sind völlig daneben und völlig überzogen. Auf der anderen Seite sind aber diejenigen, die eben natürlich mit, ähm, Grenzüberschreitung spielen, müssen – also tun das dann ja hoffentlich auch in dem Bewusstsein, dass sie Grenzüberschreitungen machen, die da entsprechend auch geahndet werden. Und die genauen Geschichten in Bezug auf Schwedt und so weiter, die werden wir sicherlich uns alle miteinander jetzt noch mal anschauen. Da hat es jetzt entsprechende Durchsuchungen gegeben und, ähm, jeder einzelne Fall muss natürlich einzeln entsprechend bewertet werden, entsprechend unserer Rechtsordnung.“

Erst dann fragt der Journalist nach: „Ich habe jetzt nicht verstanden, ob die ‚Letzte Genera- [Schnittwechsel zum Journalisten, 38:55] Letzte Generation‘ aus Ihrer Sicht unsere Demokratie fördert, weil sie die ernst nehmen.“ Danach wechselt das Bild wieder zu Paus.

Sie atmet tief ein und antwortet: „Die ‚Letzte Demo- ähm Letzte Generation‘, ich würde nicht sagen, dass sie automatisch die Demokratie fördert, weil sie derzeit Grenzüberschreitungen macht und mit unserem Rechtsstaat spielt. Und, ähm, deswegen bin ich schon der Meinung, unser Rechtsstaat hat andere Möglichkeiten und es gibt auch andere Möglichkeiten der Protestformen, äh, und wie jetzt jede einzelne Protestform zu bewerten ist, wie gesagt, da gibt es eben Unterschiede wie der Fall Schwedt beispielsweise im Verhältnis zu Autobahnklebern zeigt und deswegen würde ich diese pauschale Äußerung, die Sie getan haben, der würde ich mich nicht anschließen. Aber richtig ist, ähm, ich verstehe die Ungeduld und ich verstehe, dass, ähm, die Klimabewegung [etwa acht Sekunden Pause] verzweifelt ist, angesichts der derzeit noch nicht gut erreichten Ziele.“

Die Antwort im Livestream war sowohl wesentlich länger als auch anders angeordnet. Es gab tatsächlich einige Füllwörter und eine längere Pause, bei der sie nach Worten zu suchen schien. Dennoch hat sie, anders als auf Facebook dargestellt, die Frage beantwortet. Das Facebookvideo ist irreführend zurechtgeschnitten.

Der Journalist, der Paus Fragen stellte, ist Tilo Jung der den Youtube-Kanal „Jung und Naiv“ betreibt. Er twitterte am 19. Dezember ebenfalls ein Video des Interviews mit den Worten: „Wollt ihr mal die äußerst schwere Geburt einer Antwort erleben? Bitteschön.“

 

Er macht sich damit ebenfalls über die ausführliche und zum Teil umständliche Antwort lustig, zeigt aber dazu das echte, ungeschnittene und damit unverfälschte Video. Sein Video hat eine Länge von fast vier Minuten.

Positionierung der Grünen zur „Letzten Generation“

Die „Letzte Generation“ ist eine Bewegung, die gegen fossile Treibstoffe demonstriert und mit medienwirksamen Aktionen die Regierung unter anderem zu einem Tempolimit von 100 Stundenkilometer auf Autobahnen und einem 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Personenverkehr bewegen will. Dabei klebten sich Mitglieder der Bewegung unter anderem auf Autobahnen, blockierten Landebahnen am Münchner Flughafen, klebten sich an Kunstwerke und beschmierten Parteizentralen – darunter auch die der Grünen in Berlin.

Dabei überschreitet die Bewegung auch rechtliche Grenzen. So haben Mitglieder immer wieder Öl-Anlagen der Raffinerie Schwedt in Mecklenburg-Vorpommern angegriffen, wobei auch die Ölzufuhr unterbrochen gewesen sei. Deshalb wurden bundesweit Wohnungen von Mitgliedern der „Letzten Generation“ durchsucht.

Die Position der Partei der Grünen zum Aktivismus der „Letzten Generation“ scheint nicht immer übereinstimmend. So nahm Katrin Göring-Eckardt, Bundestagsvizepräsidentin, die Bewegung am 27. Dezember 2022 gegenüber t-online in Schutz, sei aber nicht mit allen Protestformen zufrieden. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, äußerte sich dagegen am 4. November auf Twitter klar gegen die Aktionen der „Letzten Generation“ und schrieb .

 

Lisa Paus positionierte sich in der Bundespressekonferenz in ihrer Antwort nicht ganz eindeutig. Sie verstehe die Verzweiflung der Bewegung, findet RAF-Vergleiche überzogen, aber sie erklärte auch, dass die „Letzte Generation“ mit dem Rechtsstaat spiele. Paus erklärte, dass jede Protestform anders bewertet werden müsse. Eine Sprecherin des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sagte am 2. Januar 2023 gegenüber AFP: „Paus war an dem Tag erkältet und nicht in der besten Verfassung. Sie hatte tatsächlich einen Hänger.“ Sie sagte aber auch: „Wir vertrauen auf die Aufnahme von Phoenix. Auf dieser Grundlage haben wir den Eindruck, dass das Video auf Facebook nachbearbeitet wurde.“

In dem Audio-Mitschnitt von Tilo Jung sowie in der Videoversion, beide vom 14. Dezember 2022, antwortet Paus genau wie im Phoenix-Mitschnitt. Ein Phoenix-Sprecher bestätigte gegenüber AFP am 2. Januar 2023 mit Blick auf den eigenen Youtube-Livestream: „Das Youtube-Video ist nicht geschnitten. Das ist die Originallänge, wie sie im Fernsehen lief.“

Fazit: Das auf Facebook geteilte Video mit einer angeblichen Antwort von Lisa Paus wurde irreführend geschnitten. Die Livestream-Aufnahmen zeigen, dass sie ausführlich auf die Frage eines Journalisten antwortete.

 

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Politik, Umwelt

Autor(en): Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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