Nach dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem darauf folgenden Beschuss des Gazastreifens durch die israelische Armee wurden soziale Netzwerke intensiv für die Dokumentation und Kommentierung des tödlichen Kriegs genutzt. Gleichzeitig wurde eine Welle von Fehlinformationen losgetreten. So wurde zum Beispiel ein Tiktok-Clip auf verschiedenen Plattformen und in verschiedenen Sprachen mit der falschen Behauptung geteilt, dass der Krieg zwischen der Hamas und Israel gestellt sei. Das Video zeigt jedoch Szenen hinter den Kulissen eines palästinensischen Kurzfilms aus dem Jahr 2022. Der Regisseur des Films bestätigt das, außerdem wurde das Video von einem Mitglied der Filmcrew zur Zeit der Produktion des Films in sozialen Medien verbreitet. Der Videoclip wurde bereits in der Vergangenheit verwendet, um falsche Informationen über den Konflikt zu verbreiten.
„SEHEN: Das Video zeigt, dass der Krieg zwischen Palästina und Israel wie ein Film inszeniert wird“, heißt es in einem deutschen Facebook-Posting vom 9. Oktober 2023.
Userinnen und User teilen ein Video von weniger als einer Minute Länge. Der Clip zeigt mehrere Menschen, die einen Film zu drehen scheinen, der von einem jungen Mann handelt. Dieser liegt auf dem Boden und hat ein Bein zur Seite abgewinkelt. Eine rote Flüssigkeit ist auf seinem Kopf sowie dem Ziegelboden zu sehen. Direkt über dem Mann wird eine Filmkamera von einem großen Kran gehalten.
Der Clip wird auf Facebook und Telegram verbreitet. Auch in anderen Sprachen wie Englisch, Spanisch und Niederländisch wird die Behauptung geteilt.
Seit 7. Oktober 2023 wurden beim tödlichsten Angriff seit der Gründung Israels vor 75 Jahren auf israelischer Seite bislang mehr als 1400 Menschen getötet. Die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas hatte zudem rund 150 Menschen als Geiseln verschleppt. Israel reagierte mit Vergeltungsschlägen gegen die Stellungen der Hamas im Gazastreifen. Nach palästinensischen Angaben wurden bisher etwa 2750 Menschen getötet.
Soziale Netzwerke werden aktuell von einer Welle an Falschinformation überrollt. Auch die mit dem Video verbreitete Behauptung ist falsch: Der Krieg ist nicht gestellt. Der aus dem Zusammenhang gerissene Clip zeigt einen Blick hinter die Kulissen eines Filmes, der die Geschichte realer Ereignisse aus dem Jahr 2015 erzählt.
AFP suchte auf verschiedenen Plattformen nach der gleichen Behauptung wie im aktuell geteilten Beitrag und fand mehrere Faktenchecks, die alle aus dem Jahr 2022 stammen (von France24, Reuters, Misbar und Knack) und die Behauptung bewerteten. Diese Artikel lieferten AFP nützliche Informationen, um zu verstehen, woher das ursprüngliche Video stammt und worum es ging.
Aus dem Datum der Veröffentlichung dieser Faktenchecks, die genau denselben Clip zeigen, konnte AFP ableiten, dass der Clip nichts mit den Ereignissen zu tun hat, die seit dem 7. Oktober 2023 zwischen der Hamas und Israel stattfinden.
Rückverfolgung des Videos
Auf dem geteilten Videoclip befindet sich folgendes Tiktok-Wasserzeichen: @mohammadawawdeh938. AFP konnte das Konto auf Tiktok unter genau diesem Namen nicht finden. Mehrere Personen hatten den Clip jedoch auf der Plattform geteilt, darunter das Konto awawdehproduction eines gewissen Mohammad Awawdeh.
AFP griff hierfür auf die Faktenchecks aus dem Jahr 2022 zum Video zurück. Darin finden sich archivierte Links des Originalvideos, die zu dem Account awawdehproduction führten. Der Tiktok-Nutzer hat möglicherweise seinen Benutzernamen geändert, auch wenn AFP dies nicht mit Sicherheit feststellen konnte. Der Clip auf dem Konto stammt vom 21. April 2022 und seine Beschreibung lautet auf Arabisch: „Hinter den Kulissen der Dreharbeiten zur Szene, in der Siedler das Kind Ahmed Manasra angreifen“. Mohammad Awawdeh teilte zwei weitere Videos derselben Szene, die aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen wurden (hier und hier).
Ein palästinensischer Kurzfilm
Der von Leserinnen und Lesern hinzugefügte Kontext zu einem englischen Beitrag auf X (zuvor Twitter), in dem ähnliche Falschinformationen geteilt wurden, sowie das Video des Faktenchecks von France24 halfen AFP, den Link zu einem Youtube-Video des gesamten Films zu finden. Mohammad Awawdeh war dabei laut Abspann der Kameraassistent.
Der Kurzfilm heißt „Empty place“ (zu Deutsch: Leerer Ort) und wurde von dem Palästinenser Awni Eshtaiwe gedreht, der auf Facebook auch über die Filmcrew schrieb. In der Beschreibung unter dem Video heißt es: „Dieser Film ist ein Fenster, das den Blick auf die leeren Orte freigibt, die all jene zurückgelassen haben, die wegen der Besatzung gegangen sind, nicht nur Ahmad Manasrah, sondern 105.000 andere ‚leere Orte‘ von Märtyrern und Verletzten in Palästina“.
Beim Vergleich einer Aufnahme aus dem aktuell geteilten Tiktok-Video und dem Film ist sichtbar, dass beide Clips dieselbe Szene mit demselben jungen Schauspieler auf dem Boden bei Minute 1:19 zeigen.
Am 12. Oktober 2023 bestätigte Awni Eshtaiwe auf Anfrage von AFP in einer Nachricht, dass der Clip hinter die Kulissen des Films „Empty place“ blickt, bei dem er Regie führte: „Dieses Video zeigt ein Making Off von ‚Empty Place‘.“
Die Geschichte von Ahmad Manasra
Wie von Regisseur und Kameraassistenten erwähnt, handelt der Film von Ahmad Manasra, einem palästinensischen Jungen, der 2017 im Alter von 15 Jahren von einem israelischen Gericht zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Er war des versuchten Mordes an zwei Israelis, einem 20-Jährigen und einem 12-Jährigen, bei einem Messerangriff mit seinem Cousin in einer jüdischen Siedlung in Ostjerusalem für schuldig befunden worden. Zwei Jahre später wurde Manasras Strafe auf neuneinhalb Jahre reduziert.
Manasra war zum Zeitpunkt der Ereignisse erst 13 Jahre alt. Damals erregten Aufnahmen die Wut vieler Palästinenser. Sie zeigten, wie Manasra blutend am Boden lag, nachdem er von einem Auto angefahren worden war, als er versuchte zu fliehen – und wie Israelis ihn nach dem Angriff beschimpften. Dieser Moment wurde in dem Film „Empty place“ nachgestellt und zugleich Aufnahmen hinter den Kulissen gemacht, die aktuell geteilt werden.
Der palästinensische Teenager wurde zum Symbol für eine Welle an israelisch-palästinensischer Gewalt im Jahr 2015.
Großangriff der Hamas auf Israel
Am 7. Oktober 2023 führte die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas einen groß angelegten Angriff auf Israel durch und entführte etwa 150 Personen als Geiseln. Laut offiziellen Angaben wurden auf israelischer Seite in den Kämpfen bisher mehr als 1400 Menschen getötet. Als Reaktion darauf nahm die israelische Armee den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen unter Beschuss. Nach palästinensischen Angaben wurden in diesem Zusammenhang bislang mehr als 2750 Menschen getötet, hieß es am 16. Oktober 2023.
Am 13. Oktober 2023 forderte die israelische Armee alle Zivilistinnen und Zivilisten in Gaza auf, die Stadt in Richtung Süden zu verlassen. Zuvor hatte die israelische Regierung die vollständige Abriegelung des Gazastreifens angeordnet, die Einfuhr von Treibstoff, Lebensmitteln und Trinkwasser wurde eingestellt.
Fazit: Im Netz wird ein Video mit der falschen Behauptung geteilt, dass der Krieg zwischen der Hamas und Israel gestellt sei. Der Clip zeigt jedoch Szenen hinter den Kulissen eines palästinensischen Kurzfilms aus dem Jahr 2022, wie der Regisseur des Films bestätigte. Das Video wurde von einem Mitglied der Filmcrew zur Zeit der Produktion des Films in sozialen Medien verbreitet.