Die Ukraine wird von mehreren Ländern, darunter Deutschland, mit Waffenlieferungen unterstützt, um sich gegen den Angriffskrieg Russlands zu verteidigen. Glaubt man pro-russischen Profilen und Kanälen in Sozialen Netzwerken, landen diese Waffen immer wieder in den falschen Händen: so sollen Waffen zum Beispiel in Bremen aufgetaucht sein, in Finnland, in Frankreich oder Mexiko. Die Behauptungen, die wir zu dem Thema geprüft haben, haben sich als falsch oder unbelegt herausgestellt. Auch Medienberichte wurden in dem Zusammenhang gefälscht.
Nun ist das Narrativ im Kontext der Terrorangriffe der Hamas auf Israel aufgetaucht: Pro-russische Kanäle verbreiten ein Video, das angeblich einen Bericht des britischen Nachrichtensenders BBC zeigt. Demnach habe das Recherchenetzwerk Bellingcat herausgefunden, dass die Ukraine westliche Waffen an die Hamas geliefert hätte. Teilweise wird die Behauptung auch ohne das Video geteilt. Sie verbreitet sich auf Telegram, X (ehemals Twitter) und Tiktok, unter anderem auf Russisch und Englisch.
Doch den vermeintlichen BBC-Bericht gibt es nicht. Vertreter beider Organisationen bezeichnen das Video als Fälschung.
Vertreter von BBC und Bellingcat bezeichnen Bericht als Fälschung
Das Video nutzt die Logos von BBC und Bellingcat. Es zeigt verschiedene Szenen: Bilder von Kampfhandlungen, Waffen und den Ausschnitt aus einem Interview. Dazu wird Text eingeblendet. Es heißt unter anderem, dass „die Analyse geheimer Daten“ ergeben habe, dass die Hamas den Großteil ihrer Waffen von der Ukraine erhalten habe. Der Waffenschmuggel gehe auf Korruption im ukrainischen Verteidigungsministerium zurück.
Auffällig ist, dass der ehemalige Verteidigungsminister der Ukraine, Oleksij Resnikow, als „Premierminister für Verteidigung“ („Defence Prime Minister“) bezeichnet wird. Eine solche Position existiert nicht – auf der ukrainischen Webseite heißt der Posten „Minister of Defence“, die BBC bezeichnete Resnikow in der Vergangenheit ebenfalls nicht wie im Video. Es ist unwahrscheinlich, dass der BBC ein solcher Fehler unterläuft. Zudem ist weder auf der Webseite der BBC, noch auf der von Bellingcat ein solcher Bericht zu finden.
Eliot Higgins, der Gründer und Kreativdirektor von Bellingcat, bezeichnete das Video am 10. Oktober 2023 auf X als Fälschung. Das offizielle Bellingcat-Profil teilte am selben Tag ebenfalls ein Dementi auf X: „Uns ist bekannt, dass in den sozialen Medien ein gefälschtes BBC-Video verbreitet wird, in dem fälschlicherweise behauptet wird, Bellingcat habe ukrainische Waffenverkäufe an die Hamas bestätigt. Wir sind zu keinen derartigen Schlussfolgerungen gekommen und haben auch keine derartigen Behauptungen aufgestellt. Wir möchten betonen, dass dies eine Fälschung ist und entsprechend behandelt werden sollte.“
Der Journalist Shayan Sardarizadeh, der im BBC-Verify Team arbeitet, bezeichnete das Video und die Behauptungen ebenfalls als Fake. „Das Video ist zu 100 Prozent eine Fälschung. Weder BBC News noch Bellingcat haben das berichtet“, schrieb er am 10. Oktober auf X. Die BBC antwortete nicht auf eine Anfrage von uns.
Narrativ rund um angeblichen Waffenschmuggel wird auch anderweitig verbreitet
Der gefälschte BBC-Clip ist aus verschiedenen Aufnahmen zusammengeschnitten. Ab Sekunde 35 ist eine Aufnahme zu sehen, die sich zuvor bereits einzeln verbreitet hat. Laut Beiträgen in Sozialen Netzwerken ist darin angeblich ein Hamas-Mitglied zu hören, das sich für Waffen aus der Ukraine bedankt. Auch Alina Lipp teilte die Behauptung in einem Beitrag am 8. Oktober auf ihrem Telegram-Kanal. An der Echtheit dieses Videos gibt es nach Berichten des französischen Fernsehsenders France 24 erhebliche Zweifel. Einige der Waffen im Video seien laut Experten etwa gar nicht Teil des Arsenals von Hamas. Das Video sei zudem vor allem von pro-russischen Profilen auf X und Telegram verbreitet worden. Woher das Video stimmt, ist bisher unklar – die BBC nutzte es jedoch nicht für einen Beitrag über angeblichen Waffenschmuggel der Ukraine.
Das ukrainische Verteidigungsministerium veröffentlichte eine Mitteilung, in dem es das Video ebenfalls als Fake bezeichnete. Der Ukraine fehle außerdem ein Motiv, die Hamas mit Waffen zu beliefern, erklärte Michael O’Hanlon, Direktor für außenpolitische Forschung bei der US-Denkfabrik Brookings Institution, gegenüber der Associated Press. „Angefangen bei der Tatsache, dass Kiew damit beschäftigt ist, Waffen zu beschaffen und nicht, sie wegzugeben.“
Hamas-Mitglied: „Verbündete“ würden sie mit Geld und Waffen versorgen
Ali Baraka, ein hochrangiges Mitglied der Hamas, sprach am 8. Oktober in einem Interview mit dem arabischen Ableger des russischen Staatssenders RT (archivierte Video-Datei) über die Ausrüstung der Hamas. Teile des Interviews wurden vom Middle East Media Research Institute auf Englisch übersetzt, ein Muttersprachler hat uns diese Übersetzung bestätigt: „Wir haben uns seit zwei Jahren [auf die Attacke auf Israel] vorbereitet. Wir haben vor Ort Fabriken für alles. Wir haben Raketen mit Reichweiten von 250 km, 160 km, 80 km, 45 km und 10 km.“ Hamas habe außerdem unter anderem Fabriken für Mörser und Granaten, Panzerabwehrwaffen und deren Geschosse, und für die Herstellung von Kalaschnikow-Gewehren und deren Kugeln – dafür gebe es eine russische Lizenz, so Baraka.
Die Verbündeten der Hamas würden sie mit Geld und Waffen versorgen, so Baraka weiter. Das sei in erster Linie der Iran, aber unter anderem auch die Hisbollah. Andere Länder würden sie politisch unterstützen. Russland sympathisiere mit ihnen. „Russland ist froh, dass sich Amerika in Palästina engagiert. Das mildert den Druck auf die Russen in der Ukraine“, meint Baraka. Hinweise auf „direkte russische Waffenlieferungen an die Hamas oder auf die Ausbildung von Hamas-Aktivisten durch das russische Militär“, gebe es bisher nicht, sagte die Russland-Expertin Hanna Notte vom James Martin Center for Nonproliferation Studies der BBC.
Die Ukraine erwähnt Baraka weder als Verbündete noch als ein Land, aus dem die Hamas Waffen beziehen würde. Ähnliche Behauptungen, dass die Hamas öffentlich verkündet habe, von der Ukraine Waffen gekauft zu haben, oder sich für Drohnen bedankt habe, stellten sich laut Berichten von Faktencheck-Redaktionen ebenfalls als falsch heraus.
Nassim Taleb sprach nicht über möglichen Nato-Austritt der USA
Andere Szenen aus dem gefälschten Video haben zwar einen aktuellen Bezug und wurden in der Berichterstattung der BBC verwendet – jedoch nicht im Zusammenhang mit angeblichem Waffenschmuggel aus der Ukraine. Andere Aufnahmen wiederum zeigen zwar Hamas-Mitglieder, sie sind jedoch Jahre alt, oder wurden soweit ersichtlich, nicht von der BBC verwendet. Andere Szenen sind nicht eindeutig zuordbar.
Am Ende des angeblichen BBC-Videos ist außerdem der Autor Nassim Taleb zu sehen, laut dem eingeblendeten Text soll er über ein mögliches Austreten der USA aus der Nato gesprochen haben. Gegenüber der Associated Press sagte Taleb, er habe diese Aussage niemals gemacht.
Die Aufnahme stammt nicht von der BBC. Über eine Stichwortsuche fanden wir das Original: Anfang September sprach Taleb in einem Podcast des Autors Tim Ferris, dabei ging es jedoch um Börsenhandel, das Wort „Nato“ wird im kompletten zweistündigen Gespräch laut einem Transkript kein einziges Mal verwendet. Dass es sich um dieselbe Aufnahme handelt, lässt sich an Talebs Kleidung, dem Studiohintergrund und dem Mikrofon erkennen.
Alle Faktenchecks zu Falschmeldungen und Gerüchten nach dem Terrorangriff der Hamas finden Sie hier.
Redigatur: Viktor Marinov, Sophie Timmermann