Influenza, gemeinhin als Grippe bekannt, ist eine ansteckende Atemwegserkrankung. In sozialen Medien wird jedoch fälschlicherweise behauptet, Grippe sei keine Krankheit, sondern ein „Heilmittel“ und ein „Entgiftungsprozess“ des Körpers. Expertinnen und Experten erklärten allerdings gegenüber AFP, dass es sich bei Grippe um eine Virusinfektion handelt, die keine Vorteile für den Körper hat und gefährlich sein kann. Schwere Fälle führen manchmal zu einem Krankenhausaufenthalt oder können sogar tödlich sein.
„Es wurde nie ein Heilmittel für die Grippe gefunden, denn die Grippe ist die Heilung“, steht in deutscher Sprache etwa auf einem Bild, das seit Oktober 2023 auf Facebook geteilt wird. Grippe sei „eine der wirksamsten Methoden der Natur zur Wiederherstellung der Gesundheit“, heißt es weiter. Beiträge mit demselben Text werden auch im Januar 2024 verbreitet. Grippe sei ein „Entgiftungsprozess“ des Körpers, wird darin zudem behauptet. Die Postings schreiben die Aussagen „Dr. Herbert Shelton“ zu und stammen angeblich aus einem Artikel aus dem Jahr 1944 mit dem Titel „Influenza“.
Auch auf anderen Plattformen wie Telegram werden die Behauptungen verbreitet. Die Zitate werden zudem in anderen Sprachen wie Ungarisch oder Italienisch geteilt. Häufig werden sie nicht Herbert Shelton, sondern „Herbert Sheldon“ zugeschrieben.
AFP fand heraus, dass der US-Amerikaner Herbert Shelton, der seit den 1920er-Jahren jahrzehntelang für alternative Heilmethoden warb, tatsächlich behauptete, Grippe werde nicht durch ein Virus verursacht und sei nicht ansteckend. Auch Fasten propagierte er als Heilmittel. Shelton sah sich im Laufe seiner Karriere immer wieder mit rechtlichen Schritten wegen der von ihm propagierten Behandlungsmethoden konfrontiert, unter anderem wurde er 1978 wegen des Todes eines Patienten erfolgreich verklagt.
Virologinnen und Virologen erklärten gegenüber AFP, dass Grippe ernst genommen werden sollte.
„Keine Virusinfektion ist vorteilhaft“, schrieb Gábor Kemenesi, Assistenzprofessor an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Pécs in Ungarn und Mitarbeiter des Virologie-Labors des Szentágothai János Forschungszentrums, in einer E-Mail an AFP am 4. Januar 2024. „Virusinfektionen können eine Reihe von unmittelbaren (akuten) und langfristigen (chronischen) Auswirkungen haben“, erklärte er.
Grippe wird durch Viren verursacht
Mehrere Fachleute erklärten gegenüber AFP, dass es sich bei Influenza um eine Krankheit handelt, die durch Viren verursacht wird, und nicht um einen natürlichen Prozess des Körpers.
Kemenesi schrieb etwa, dass viele Einzelheiten über die Viren, die Grippe verursachen, bekannt sind. „Influenzaviren gehören zur Familie der Orthomyxoviridae und werden in vier Gruppen unterteilt: Alpha-, Beta-, Gamma- und Delta-Influenzaviren. Von diesen zeichnen sich die so genannten saisonalen Influenzaviren durch die Anzahl der Fälle und die Anfälligkeit des menschlichen Körpers aus. Sie treten von Jahr zu Jahr auf, wobei je nach Jahreszeit unterschiedliche Stämme vorherrschen“, erklärte er gegenüber AFP. Er fügte hinzu, dass das erste menschliche Influenzavirus 1933 von britischen Wissenschaftlern beschrieben wurde, als es ihnen gelang, einen Influenza-A-Stamm im Labor zu isolieren.
Online sind elektronenmikroskopische Aufnahmen von Influenzaviren verfügbar. Auch der genetische Code bestimmter Grippeviren ist im Internet abrufbar.
Zsolt Boldogkői, Leiter des Instituts für medizinische Biologie an der medizinischen Fakultät der ungarischen Universität Szeged, bezeichnete die Behauptung in sozialen Medien in einer E-Mail an AFP am 4. Januar als „Unsinn“ und fügte hinzu: „Die Grippe wird durch Grippeviren verursacht.“
Die Beschreibung der Krankheit durch die US-amerikanische Gesundheitsbehörde CDC (hier archiviert) besagt, dass Grippe „eine ansteckende Atemwegserkrankung ist, die durch Influenzaviren verursacht wird, die die Nase, den Hals und manchmal die Lungen infizieren. Sie kann leichte bis schwere Erkrankungen verursachen und manchmal zum Tod führen“.
Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München, wies auch darauf hin, dass andere Viren oft fälschlicherweise als „Grippe“ bezeichnet werden, aber dass sich der Begriff eigentlich auf eine bestimmte Gruppe von Viren bezieht. „Eine echte Grippe wird durch das Influenzavirus verursacht“, schrieb sie AFP in einer E-Mail vom 4. Januar 2024. „Davon gibt es auch verschiedene Formen, aber sie gehören alle zur Familie der Influenzaviren“, erläuterte Protzer.
Auch Andreas Bergthaler, Virologe an der Medizinischen Universität Wien, schrieb AFP am 4. Januar 2024 in einer E-Mail: „Unter der sogenannten ‚Echten Grippe‘ versteht man eine akute Infektion der Atemwege, die durch Influenzaviren verursacht wird und teilweise starke und auch lebensbedrohende klinische Verläufe zeigt. Unter ‚Grippalen Infekten‘ versteht man dagegen landläufig Erkältungen, die durch diverse andere Viren hervorgerufen werden und mit meist verhältnismäßig leichteren Symptomen einhergehen.“
Grippefälle in Europa nehmen zu
In einigen europäischen Ländern treten derzeit neben anderen Atemwegserkrankungen vermehrt Fälle von saisonaler Grippe auf, so zum Beispiel in Belgien, wie die US-Nachrichtenseite Politico berichtete, und in Spanien, wie ein Bericht von AFP beschrieb (hier und hier archiviert).
Einem Bericht des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) vom 15. Dezember 2023 ist zu entnehmen, dass die Mehrheit der gemeldeten Atemwegsinfektionen in der letzten Novemberwoche 2023 auf Covid-19 zurückzuführen war, aber in einigen Ländern die Zahl der Grippefälle steigt (hier archiviert).
Nach Schätzungen der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) (hier archiviert) litten in der ersten Kalenderwoche 2024 etwa 2420 von 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern an Grippe oder grippeähnlichen Erkrankungen. In der Grippesaison 2022/2023 gab es in Österreich laut AGES 4020 geschätzte Todesfälle assoziiert mit Influenza.
Grippe ist kein Weg, den Körper zu „entgiften“
Laut den online verbreiteten Falschbehauptungen sei Grippe gut für den Körper. Das ist Expertinnen und Experten zufolge jedoch unzutreffend. Die meisten der auftretenden Symptome sind auf die Immunreaktion des Körpers zurückzuführen. Im Übrigen kann die Krankheit gefährlich sein.
„Influenzaviren befallen die Lunge und andere Organe“, so Protzer. „In einem heftigen Grippe-Jahr sterben an der echten Grippe im deutschsprachigen Raum genauso viele Menschen wie an Verkehrsunfällen“, fügte sie hinzu. Ein Blick auf deutsche Statistiken zeigt, dass beispielsweise nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) die Zahl der geschätzten grippebedingten Todesfälle in der besonders starken Grippesaison 2017/2018 bei über 25.000 lag (hier und hier archiviert), während die Zahl der jährlichen Verkehrstoten im Land seit mehr als einem Jahrzehnt bei unter 5.000 liegt (hier archiviert).
Boldogkői schrieb AFP, dass „die Grippe nicht hilfreich ist, sie sollte vor allem im Alter und bei immungeschwächten Menschen vermieden werden“.
Kemenesi erinnerte daran, dass bei der Grippepandemie von 1918 weltweit zwischen 50 und 100 Millionen Menschen starben, die meisten im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Dabei handelte es sich um die sogenannte „Spanische Grippe“, eine H1N1-Grippepandemie, wie es auf der Website der WHO heißt (hier archiviert). Kemenesi erklärte auch, dass Menschen oft die Tatsache, dass sie eine Immunität gegen eine ganz bestimmte Version eines bestimmten Erregers entwickeln, wenn sie krank werden, mit der Vorstellung verwechseln, dass ihr Immunsystem als Ganzes durch die Krankheit irgendwie stärker wird. „Das ist ein Irrglaube, der die Grundlagen der Biologie und Medizin ignoriert, denn Infektionen können unseren Körper auf vielfältige Weise beeinträchtigen und zu ernsthaften Erkrankungen führen“, schrieb er AFP.
Wie die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC erklärt, kann durch eine Infektion oder eine Impfung Immunität gegen einen bestimmten Krankheitserreger erlangt werden. Um das Immunsystem generell zu stärken, sei zu überlegen, mit dem Rauchen aufzuhören oder körperlich aktiv zu sein (hier archiviert).
Ähnliches schrieb auch Bergthaler an AFP: „Unser Immunsystem und die Widerstandsfähigkeit des Körpers wird von vielen inneren und äußeren Faktoren beeinflusst wie zum Beispiel Vorerkrankungen, einer gesunden Ernährung und unserem Verhalten (etwa Rauchen, Alkoholismus oder körperliche Betätigung). All dies kann eine positive oder negative Auswirkung auf unsere Anfälligkeit für Infektionen und schwere Krankheitsverlauf haben.“
AFP versuchte die ursprüngliche Quelle des Zitats – dass Grippe eine Möglichkeit ist, den Körper zu entgiften –, das in den Postings verwendet wird, ausfindig zu machen. Einige der Beiträge enthalten die Abkürzung „Dott.“, die im Italienischen für Arzt steht. Eine Stichwortsuche nach diesen Begriffen führte zu Behauptungen auf Italienisch, die der Ursprung der aktuell geteilten Beiträge sein könnten.
Einige Beiträge kombinieren die Falschbehauptung, dass Grippe den Körper entgifte, mit der Aussage, dass sie „eine der wirksamsten Methoden der Natur zur Wiederherstellung der Gesundheit“ sei. In manchen Postings wird dabei eine Mischung aus deutscher und ungarischer Sprache verwendet. Bei den verschiedenen Behauptungen werden abwechselnd Zitate von „Herbert Sheldon“ oder „Herbert Shelton“ verwendet, wie in diesem italienischen Faktencheck festgestellt wird.
In einigen Beiträgen wird ein Bild des ähnlichnamigen William Herbert Sheldon, einem US-amerikanischen Psychologen, als Illustration verwendet, wie ein Screenshotvergleich zeigt.
Weitere Beiträge verwenden ein anderes Foto, das tatsächlich Herbert McGolfin Shelton zu zeigen scheint, der ein Verfechter arzneimittelfreier Heilmethoden war. Ein Bild von Herbert Shelton findet sich in einer Ausgabe der amerikanischen Zeitung „Evening Star“ aus dem Jahr 1956, wo er als „Naturheilkundler“ und Präsidentschaftskandidat der „Vegetarian Party“ vorgestellt wird (hier archiviert). Das Bild, das vor allem zur Illustration deutscher Versionen der Falschbehauptung verwendet wird, zeigt einen ähnlich aussehenden Mann. Eine umgekehrte Bildersuche mit diesem Foto führte AFP unter anderem auf eine Website der US-amerikanischen National Health Association (ANHS), auf der Herbert Shelton – neben dem verwendeten Bild – als Gründer der Organisation angeführt wird.
AFP konnte die exakten Zitate, die in den Postings mit den Falschbehauptungen zur Grippe verwendet werden, nicht ausfindig machen, fand aber einen von Herbert M. Shelton verfassten Artikel namens „Influenza“, der in einem Buch mit dem Titel „Getting Well“ enthalten ist (hier archiviert).
In dem Artikel wird die Existenz der Grippe und dass diese durch ein Virus verursacht wird, infrage gestellt. Zudem werden Ärzte beschuldigt, Patienten zu töten, indem sie ihnen zur Förderung ihrer Genesung raten, sich gesund zu ernähren. Shelton wirbt stattdessen für die Idee des Fastens als Mittel zur Genesung von Krankheiten. Er schreibt, dass keine Behandlung zur Bekämpfung von Krankheiten notwendig sei, weil der Körper dafür keine Hilfe von außen brauche: „Sie brauchen keine Behandlung. Das Fieber, die Entzündung, oder etwa der Husten sind der Heilungsprozess. Gehen Sie ihnen einfach aus dem Weg und lassen Sie sie ihre Arbeit verrichten. Versuchen Sie nicht, der Natur zu helfen – sie braucht Ihre mickrige Hilfe nicht – sie bittet nur darum, dass Sie sich nicht mehr einmischen.“
In einem Buch aus dem Jahr 1960 kritisiert Shelton das Impfen und bezeichnete die Wissenschaft dahinter als „Aberglauben“ (hier archiviert). Auf Websites, die Impfungen infrage stellen, wird immer wieder auf ihn verwiesen. Ein englischsprachiger Blog führt zum Beispiel einen Beitrag an, den er angeblich über Grippe geschrieben hat und der in einer von ihm gegründeten Zeitschrift namens Hygienic Review im Jahr 1944 veröffentlicht wurde. AFP konnte nicht überprüfen, ob die Zitate auf dieser Website tatsächlich einem Artikel von Shelton aus dem Jahr 1944 entnommen wurden.
Shelton betrieb eine Klinik namens Shelton’s Health School im US-Bundesstaat Texas, die 1981 geschlossen wurde. Shelton und seine Partnerin wurden zur Zahlung von 837.000 US-Dollar an die Witwe eines Mannes verurteilt, der 1978 in der Klinik an „schwerer Dehydrierung und Unterernährung“ gestorben war, wie aus Gerichtsunterlagen hervorgeht. Eine Berufung gegen die Entscheidung wurde 1984 abgewiesen, und die Zusammenfassung der Feststellungen des Berufungsgerichts (hier archiviert) enthält Details aus dem ursprünglichen Fall, wonach Shelton und sein Partner der Fahrlässigkeit sowie der groben Fahrlässigkeit für schuldig befunden wurden. In dem Dokument des Berufungsgerichts wird auch erwähnt, dass drei weitere Menschen in der Klinik unter ähnlichen Umständen starben.
Möglichkeiten zum Schutz vor Grippe
Laut Experte Kemenesi kann Influenza durch eine Impfung wirksam verhindert oder gemildert werden, da der Impfstoff, anders als das Virus, den Erreger auf kontrollierte und sichere Weise in das Immunsystem einschleust. „Das Tragen eines Mundschutzes, eine gute Handhygiene und die Isolierung bei Auftreten von Symptomen können die Ausbreitung des Virus verhindern“, fügte er hinzu.
Der erste Influenza-Impfstoff wurde 1945 für die breite Anwendung zugelassen, heißt es auf der Website der WHO. Forscherinnen und Forscher erkannten schnell, dass die alten Impfstoffe in den folgenden Grippesaisonen unwirksam werden, da sich die Virusstämme verändern, heißt es: „Die Bemühungen, die Entwicklung und das Auftauchen von Grippeviren zu verfolgen, gehen heute weiter, und Wissenschaftler beobachten sowohl saisonale als auch potenziell pandemische Grippestämme.“
Nach Angaben der CDC können Grippeimpfstoffe je nach Virusstamm „das Risiko, mit Grippe zum Arzt gehen zu müssen, um 40 bis 60 Prozent senken“ und darüber hinaus das Risiko von Krankenhausaufenthalten oder Todesfällen verringern (hier archiviert).
Eine systematische Überprüfung von 231 randomisierten kontrollierten Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen zur Vorbeugung der saisonalen Grippe aus dem Jahr 2022 bestätigte, dass Grippeschutzimpfungen die Häufigkeit von im Labor bestätigten Grippefällen bei Kindern, Erwachsenen und älteren Menschen „erheblich verringern“ (hier archiviert).
Ähnlich wie bei Covid-19 stehen auch bei der Grippe antivirale Medikamente zur Verfügung, die die Symptome lindern und das Risiko von Komplikationen verringern können (hier archiviert). Diese Medikamente werden in der Regel Menschen verschrieben, die ein „höheres Risiko für schwerwiegende Grippekomplikationen“ haben, zum Beispiel Menschen, die an Asthma, Diabetes oder Herzerkrankungen leiden (hier archiviert).
„Gegen die echte Grippe kann man sich durch eine Impfung schützen und es gibt auch Medikamente zur Behandlung, wenn man die Infektion früh erkennt“, erklärte Protzer von der Technischen Universität München gegenüber AFP. Gegen eine Erkältung könne man sich hingegen „nicht durch eine Impfung schützen, da es einfach viele verschiedene Viren sind, die das verursachen.“ Das Tragen einer Maske helfe jedoch gegen beides.
Auch Virologe Bergthaler schrieb AFP: „Es gibt diverse Verhaltensmaßnahmen (etwa der Umgang mit vulnerablen Personen, das Tragen einer Maske oder nicht krank in die Arbeit gehen) und auch pharmakologische Optionen (zum Beispiel die Impfung), die einen selber, als auch sein Umfeld schützen können.“
Fazit: Influenza, gemeinhin als Grippe bekannt, ist eine ansteckende Atemwegserkrankung. In sozialen Medien heißt es allerdings fälschlich, Grippe sei ein „Heilmittel“ des Körpers. Expertinnen und Experten erklärten allerdings gegenüber AFP, dass es sich um eine Virusinfektion handelt, die keine Vorteile für den Körper hat und gefährlich sein kann. Schwere Fälle können mitunter sogar tödlich sein.
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