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In Norwegen erhalten abgelehnte Asylsuchende in Aufnahmezentren Sozialleistungen

Menschen, die in Norwegen Zuflucht suchen, erhalten unter bestimmten Umständen auch Sozialleistungen, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde. In sozialen Netzwerken kursiert dagegen die Behauptung, das Land habe alle sozialen Leistungen für abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylbewerber abgeschafft, was zu einem Anstieg der freiwilligen Ausreisen geführt haben soll. Tatsächlich erhalten auch Menschen, deren Antrag auf Asyl zurückgewiesen wurde, in Norwegen Unterkunft und Geld vom Staat.

Zehntausende Nutzerinnen und Nutzer haben Anfang Februar 2023 eine Behauptung über die  norwegische Asylpolitik auf Facebook (hier, hier) geteilt. Dieselbe Aussage kursierte bereits 2019 in sozialen Netzwerken.

Die Behauptung: Die aktuell geteilten Beiträge zeigen den Screenshot eines Postings, auf dem zu lesen ist: „Norwegen dreht alle sozialen Leistungen für abgelehnte Asylanten auf null. Und plötzlich verschwinden sie lautlos und keiner von ihnen ist verhungert.“

Screenshot der Behauptung auf Facebook: 20. Februar 2023

Zu staatlichen Leistungen für Asylbewerberinnen und -bewerber kursieren immer wieder Falschinformationen in sozialen Netzwerken. AFP überprüfte in diesem Zusammenhang bereits Behauptungen, wonach ukrainische Geflüchtete deutsche Rente erhielten ohne eingezahlt zu haben oder Migrantinnen und Migranten bei den Corona-Impfungen bevorzugt würden.

Abgelehnte Asylsuchende in Aufnahmezentren erhalten Geld vom Staat

Auch die Behauptung, Norwegen habe alle Sozialleistungen für abgelehnte Schutzsuchende abgeschafft gehört in diese Reihe. Tatsächlich bekommen auch Asylbewerberinnen und -bewerber, deren Asylantrag abgelehnt wurde, weiterhin Unterkunft und Geld vom norwegischen Staat, wenn sie in einem staatlichen Aufnahmezentrum leben.

Oda Gilleberg, Sprecherin der norwegischen Einwanderungsbehörde UDI erklärte die geltende Rechtslage am 15. Februar 2023 per E-Mail gegenüber AFP. Demnach erhielten Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, zunächst eine Frist, Norwegen zu verlassen. Das UDI stellt abgelehnten Personen einen Anwalt, um gegebenenfalls Rechtsmittel gegen die Entscheidung einzulegen. Zudem übernimmt der Staat bei Bedarf die Kosten der Ausreise und stellt Transportmöglichkeiten zur Verfügung.

Foto von AFP: Geflüchtete im Jahr 2015 am Eingang eines Ankunftszentrums nahe der nordnorwegischen Stadt Kirkenes

Wer Norwegen trotz eines abgelehnten Asylantrags nicht verlasse, könne in einem staatlichen Aufnahmezentrum leben und erhielte dort weiterhin finanzielle Unterstützung, erklärte die UDI-Sprecherin. Alleinstehende Erwachsene bekommen dort monatlich 6316 norwegische Kronen (576,32 Euro). Kinder und Jugendliche erhalten je nach Altersgruppe zwischen 4616 (421,20 Euro) und 7836 norwegische Kronen (715,02 Euro) im Monat. Unbegleitete Minderjährige, deren Asylantrag abgelehnt wurde, erhalten 10.638 norwegische Kronen (970,70 Euro) monatlich, solange sie in einem staatlichen Aufnahmezentrum leben.

Das bestätigte Mona Dabour, Mitarbeiterin der Norwegischen Organisation für Asylsuchende (Noas), einer Nichtregierungsorganisation, die sich für die Rechte von Asylbewerberinnen und -bewerbern in Norwegen einsetzt. „Nein, das ist nicht richtig“, sagte sie in Bezug auf die Behauptungen in sozialen Netzwerken. „Allen abgelehnten Asylbewerbern wird ein Platz in einem Asylbewerberheim angeboten, und sie erhalten finanzielle Unterstützung. Diese ist jedoch gering und beträgt nur 6316 norwegische Kronen (576,32 Euro) pro Monat.“ Um das Geld zu erhalten, müssten die abgelehnten Asylsuchenden allerdings in einem staatlichen Aufnahmezentrum leben und dürften nicht in einer privaten Unterkunft wohnen.

Keine Zahlen zu Ausreisen abgelehnter Asylsuchender

Für die Behauptung, abgelehnte Asylsuchende würden Norwegen „plötzlich“ verlassen, wie es in den aktuell geteilten Beiträgen weiter heißt, gibt es indes keine Belege. Die Sprecherin der Einwanderungsabteilung der norwegischen Polizei, Cecilie Johansen, erklärte am 17. Februar 2023 per E-Mail gegenüber AFP, dass ihre Behörde nicht über genaue Zahlen verfüge, wie viele abgelehnte Asylbewerberinnen und -bewerber tatsächlich in ihre Heimatländer zurückkehren.

„Der Zeitraum zwischen der endgültigen Entscheidung über einen Asylantrag und dem Abschluss der Rückführung kann sehr lang sein“, schrieb Johansen. Einige abgelehnte Asylbewerber würden Norwegen freiwillig verlassen, andere würden die Entscheidung der Einwanderungsbehörde juristisch anfechten, wodurch sich der Zeitraum bis zu ihrer Ausreise verlängere, wiederum andere würden zwangsweise abgeschoben.

Während Ausreisen mit Unterstützung des UDI erfasst würden, sei die Zahl derer, die ihre Ausreise selbst organisieren, unbekannt, erklärte die Polizeisprecherin. Die Einwanderungsabteilung der norwegischen Polizei geht aktuell von 1600 Personen aus, die sich in Norwegen aufhalten, obwohl ihr Antrag auf Asyl letztgültig abgelehnt wurde.

Die Zahl der abgelehnten Schutzsuchenden, die in norwegischen Asylunterkünften leben, ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen, wie aus einer Statistik des UDI hervorgeht. Demnach waren 2022 nur fünf Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner der Aufnahmezentren abgelehnte Asylsuchende, 2020 waren es noch 41 Prozent, wie die folgende Tabelle zeigt. Den größten Teil der Bewohnerinnen und Bewohner machen anerkannte Geflüchtete aus.

Zahl und der Anteil der Bewohnerinnen und Bewohner norwegischer Asylzentren, deren Asylanträge abgelehnt wurden, Stand jeweils zum Jahresende

Deutlicher Anstieg der Asylanträge im Jahr 2022

Die Gesamtzahl der Asylbewerberinnen und -bewerber in Norwegen ist nach Angaben des UDI im vergangenen Jahr deutlich gestiegen: 2022 beantragten rund 40.000 Menschen Asyl in Norwegen. In den Vorjahren war diese Zahl deutlich gesunken. Beantragten 2015 noch etwa 31.000 Menschen Asyl in dem skandinavischen Land, waren es 2021 nur noch 1700. Ursache für diese Trendumkehr im Jahr 2022 ist nach laut UDI der Krieg in der Ukraine und die Flucht vieler Ukrainerinnen und Ukrainer aus ihrer Heimat. Auch 2019, als das Posting erstmals geteilt wurde, gab es keinen auffälligen Rückgang an Asylanträgen im Vergleich zum Vorjahr, sondern eher einen leichten Anstieg.

Die Gesamtzahl der Asylentscheidungen der UDI (blaue Balken) und die Anerkennungsquote (rote Linie) der letzten zehn Jahre

Gleichzeitig stieg der Anteil der bewilligten Asylanträge von 73 Prozent im Jahr 2021 auf 96 Prozent im Jahr 2022. Zum Vergleich: 2015 lag die Zahl der positiv beschiedenen Anträge auf Asyl noch bei 54 Prozent. Im internationalen Vergleich ist die Anerkennungsquote in Norwegen hoch – in Deutschland lag der Anteil der abgelehnten Asylanträge 2022 bei 43,9 Prozent.

Verschärfte Asylgesetze seit 2015

Norwegen hat angesichts der Migrationskrise 2015 sein Asylrecht verschärft. Die Reform erlaubte es der Einwanderungsbehörde, Asylanträge von Personen abzuweisen, die aus einem sicheren Drittstaat nach Norwegen eingereist waren. Menschen, die etwa mit einem Transitvisum über Russland einreisen, erhalten kein Asyl. Zudem wurden die Fristen für die Ausreise nach einer Ablehnung des Asylantrags reduziert. Von einer Abschaffung der Sozialleistungen für abgelehnte Asylbewerberinnen und -bewerber ist darin jedoch nicht die Rede.

Fazit: Abgelehnte Asylsuchende in Norwegen erhalten weiter Sozialleistungen, wenn sie in einem staatlichen Aufnahmezentrum leben. Die Zahl der Asylbewerberinnen und -bewerber ist 2022 aufgrund des Kriegs in der Ukraine drastisch gestiegen. Die Mehrheit der Asylanträge im Jahr 2022 – 96 Prozent – wurde von den Behörden bewilligt. Norwegen hat 2015 zwar sein Asylrecht verschärft, Sozialleistungen für abgelehnte Asylbewerberinnen und -bewerber wurden in diesem Zuge jedoch nicht abgeschafft.

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Politik, Wirtschaft, Gesellschaft

Autor(en): Feliks TODTMANN, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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