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In Venedig beobachtetes Niedrigwasser widerlegt nicht den Klimawandel

Im Februar 2023 sorgte Niedrigwasser im italienischen Venedig dafür, dass einige der kleineren Kanäle der Stadt fast trocken lagen. Online wurde dazu ein angeblich aktuelles Foto eines fast trockenen Kanals geteilt. User suggerieren, das Bild stehe im Widerspruch zum steigenden Meeresspiegel im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Tatsächlich handelt es sich bei dem Niedrigwasser in Venedig aber um ein natürliches Phänomen, das gut dokumentiert ist und nicht im Widerspruch zum Klimawandel steht. Auch in Venedig wird langfristig ein Anstieg des Meeresspiegels beobachtet. 

Dutzende teilten die Bilder des Kanals in Venedig auf Facebook, Hunderte auf Twitter. Zehntausende sahen entsprechende Beiträge auf Telegram.

Die Behauptung: Im Netz wird ein Foto geteilt, das Venedig am 25. Februar 2023 zeigen soll. Zu sehen sind mehrere Boote in einem fast trocken gelegten Kanal. Dazu schreiben User: „Aber der Meeresspiegel steigt durch die Klimaerwärmung ununterbrochen!“ Die Auswirkungen des Klimawandels werden wegen des in Venedig beobachtete Niedrigwasser in Frage gestellt.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 16. März 2023

In der italienischen Stadt Venedig legte im Februar 2023 ein Niedrigwasser einige der kleineren, flacheren Kanäle der Stadt fast trocken. Auch AFP berichtete am 21. Februar 2023 von dem Ereignis. Die Stadt war allerdings nur für kurze Zeit von dem Niedrigwasser betroffen. In der Vergangenheit war Venedig auch regelmäßig von Hochwassern, beispielsweise am zentralen Markusplatz in der Stadt, betroffen.

Gondeln liegen am 20. Februar 2023 während Niedrigwassers in Venedig im Canal Grande. – Marco SABADIN / AFP

Beitragsbild stammt nicht von 2023

Eine umgekehrte Bildsuche nach dem Foto aus dem aktuell kursierenden Beitrag zeigt, dass das Bild nicht aus dem Jahr 2023 stammt. Das Bild tauchte erstmals am 30. Dezember 2016 in Nachrichtenartikeln über ein damaliges Niedrigwasser in Venedig auf (hier, hier). Die britische Tageszeitung „Daily Mail“ gibt als Urheber des Fotos die europäische Bildagentur EPA an.

Tatsächlich findet sich das Foto auf der EPA-Website. Dort ist es auf den 29. Dezember 2016 datiert. In der Bildbeschreibung heißt es: „Ein Blick auf den Rio dei Meloni im Stadtteil San Polo im historischen Zentrum von Venedig, Italien, am 29. Dezember 2016, der aufgrund von Niedrigwasser trocken blieb.“

Screenshot der EPA-Website: 16. März 2023 

Niedrigwasser in Venedig ist ein natürliches Phänomen

Das auch als „Acqua bassa“ bezeichnete Niedrigwasser in Venedig ist allerdings schon seit Längerem bekannt und hat einen natürlichen Ursprung. Der gesunkene Wasserstand steht nicht im Widerspruch zum Klimawandel oder dem globalen Anstieg des Meeresspiegels.

Auf AFP-Anfrage erklärte am 6. März 2023 Alvise Papa, Leiter des Zentrums für Gezeitenvorhersage in Venedig, das Ende Februar 2023 beobachtete Gezeitenphänomen sei natürlichen Ursprungs und trete periodisch immer wieder auf.

Die meisten dieser Niedrigwasser würden jeweils im Januar und Februar verzeichnet. Diese seien nicht außergewöhnlich, so Papa. „In unserem Fall waren die aufgezeichneten Mindestwerte die niedrigsten der letzten 15 Jahre, aber die Ursache ist sehr klar.“

Vor allem in der nördlichen Adriaregion sei der atmosphärische Druck über mehrere Tage auf mittelhohen Werten geblieben. Grund dafür sei ein Hochdruckgebiet gewesen, das hohen Luftdruck aufweist und in dessen Zentrum die höchsten Druckwerte zu verzeichnen sind.

Auch das nationale Meteorologische Institut von Schweden SMHI erläutert online, ein hoher atmosphärischer Druck könne den Wasserspiegel verringern. „Hoher Luftdruck übt Kraft auf die Umgebung aus und führt zu einer Wasserbewegung. So entspricht ein hoher Luftdruck über einem Meeresgebiet einem niedrigen Meeresspiegel und umgekehrt führt ein niedriger Luftdruck (ein Tiefdruckgebiet) zu einem höheren Meeresspiegel.“

Das Druckgebiet sei zudem mit den Tagen des Neumonds zusammengefallen, an denen die höchste Abweichung zwischen den „maximalen und minimalen Werten der astronomischen Flut“ auftrete, erklärte Papa. Dies wirke sich auch auf die niedrigen Messwerte der Gezeiten aus.

„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Phänomen normal ist und an sich weder eine These über die Auswirkungen des Klimawandels bestätigt noch widerlegt“, so Papa.

Zum besseren Verständnis stellte Papa zudem Grafiken des Zentrums für Gezeitenvorhersage bereit, die die Entwicklung des mittleren Meeresspiegels sowie die Anzahl der verzeichneten Niedrigwasser und Hochwasser seit Ende des 19. Jahrhunderts darstellen. Dabei zeigt sich, dass der mittlere Meeresspiegel in der Tendenz steigt, während die Zahl der „Acqua bassa“ zurückgeht. Als Niedrigwasser gelten dabei Fälle, in denen der übliche Wasserspiegel um 50 cm unterschritten wird. Im Gegensatz dazu ist zu erkennen, dass die Zahl der verzeichneten Hochwasser, bei denen der übliche Wasserspiegel um mehr als 110 cm überschritten wird, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angestiegen ist.

AFP befragte zudem das italienische Institut für Umweltschutz und Forschung ISPRA zu dem Niedrigwasser in Venedig. Das Institut erläuterte am 15. März 2023 ebenfalls, dass sich der Wandel der Gezeiten aus astronomischen und meteorologischen Faktoren ergebe. Venedig liegt in der nördlichen Adriaregion mit besonders flachen und länglichen Gewässern. Die Gezeiten wirken auf diese Gewässer besonders stark.

Das nun im Februar 2023 beobachtete Niedrigwasser sei ein gewöhnliches Phänomen, das aus einer Kombination astronomischer Faktoren und eines Hochdruckgebiets hervorgehe, das im Norden Italiens für anhaltend hohen Luftdruck in diesem Zeitraum sorgte. Zur Illustration stellte ISPRA eine Gegenüberstellung des Atmosphärendrucks sowie des Meeresspiegels des vergangenen Jahres mit dem Durchschnitt der 20 Jahre zuvor zur Verfügung.

Monatlich durchschnittlicher Luftdruck, der in den vergangenen zwölf Monaten (März 2022 – Februar 2023) in Venedig gemessen wurde, im Vergleich mit Werten der letzten 20 Jahre (Durchschnitt 2001-2021): bereitgestellt von ISPRA. 
Monatlich durchschnittlicher Meeresspiegel, der in den vergangenen zwölf Monaten (März 2022 – Februar 2023) in Venedig gemessen wurde, im Vergleich zu den letzten 20 Jahre (Durchschnitt 2001-2021): Bereitgestellt von ISPRA. 

Im Februar 2023 fielen im Vergleich auffällig erhöhte Druckwerte sowie ein niedriger Meeresspiegel auf, der allerdings zu den Werten der vergangenen Jahre passe. Das mediale Interesse an dem Niedrigwasser im Februar 2023 geht laut ISPRA wohl vor allem auf die lange Dauer des Phänomens zurück.

Der Wasserstand wurde im Januar und Februar für insgesamt mehr als 16 Stunden um mehr als 50 cm unterschritten. Das ist der drittlängste Wert der vergangenen 20 Jahre. Höhere Werte wurden nur in den Jahren 2007 und 2008 verzeichnet, wie aus der folgenden ISPRA-Grafik hervorgeht:

Nicht alle Kanäle in Venedig seien allerdings vom Niedrigwasser betroffen, so ISPRA. „Der Meeresspiegel ist in allen Kanälen in Venedig gleich.“ Wie sehr ein Kanal von den Gezeiten beeinflusst werde, hänge vom Abstand zwischen Grund und Oberfläche ab. Zudem seien die jeweiligen Kanäle nur einige Stunden am Tag dem niedrigen Wasserstand ausgesetzt gewesen.

Aufzeichnungen belegen steigenden Meeresspiegel

Auf Nachfrage zu Spekulationen im Zusammenhang mit dem Klimawandel teilte ISPRA mit: „Die Niedrigwasser widersprechen nicht dem Wissen über einen steigenden Meeresspiegel, der auf jährlicher Basis beobachtet werden muss.“ Auch der Spiegel in Venedig sei über die vergangenen Jahrzehnte angestiegen.

Das zeigt auch eine Grafik des Zentrums für Gezeitenvorhersage in Venedig, die den mittleren Meeresspiegel seit 1872 bis 2022 aufzeigt:

Steigende Meeresspiegel sind allerdings nicht nur in Italien, sondern weltweit zu beobachten. Das Deutsche Klimaportal berichtete, in Norddeutschland sei der Anstieg des mittleren Meeresspiegels eine der „deutlichsten bereits messbaren Folgen des Klimawandels“. Von 1921 bis 2020 sei der Meeresspiegel in Deutschland im Mittel um etwa 15 bis 20 Zentimeter gestiegen.

Der Anstieg in Deutschland lässt sich mit Hilfe des „Meeresspiegel Monitors“ vom Helmholtz-Zentrum Hereon nachverfolgen. Dieser gibt beispielsweise für Warnemünde einen Anstieg von 13 cm zwischen 1856 und 2022 an.

Screenshot von der Website des Meeresspiegel-Monitors: 16. März 2023 

Der steigende Meeresspiegel ist zudem Thema des sechsten Berichts des Weltklimarats IPCC zum Zustand des Erdklimas. IPCC-Berichte gelten als Zusammenfassung des aktuellen Standes der Wissenschaft zu dem Thema.

Darin heißt es, der mittlere globale Meeresspiegel stieg im vergangenen Jahrhundert schneller als in jedem anderen Jahrhundert in den 3000 Jahren zuvor. Werde die Erderwärmung nicht auf 1,5 Grad Celsius begrenzt, steige das Risiko der Erosion von Küstenregion sowie der Überflutung von Küstenland, der Verlust von Lebensräumen und Ökosystem sowie die Versalzung von Grundwasser. Zu den Gefahren des Anstiegs des Meeresspiegels veröffentlichte der Weltklimarat zudem ein Infoblatt.

Ursache des Anstiegs sind laut eines IPCC-Sonderberichts aus dem Jahr 2019 das Schmelzen von Eis an den antarktischen und grönländischen Eisschilden, der andauernde Verlust der Gletscher und die thermische Ausdehnung der Ozeane, also die Ausdehnung des Wasservolumens bei höheren Temperaturen, im Zusammenhang mit einer steigenden Oberflächentemperatur.

Der Weltklimarat und zahlreiche weitere renommierte Institutionen auf der ganzen Welt, wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), die American Association for the Advancement of Science (AAAS), die Nasa und der WWF beschreiben die Erderwärmung als menschengemacht. Im Fazit des IPCC-Berichts von 2021 heißt es: „Es ist eindeutig, dass der Einfluss des Menschen die Atmosphäre, den Ozean und die Landflächen erwärmt hat.“ Eine Aufstellung des „Office of Planning and Research“, einem Forschungsinstitut der kalifornischen Regierung, listet rund 200 Wissenschaftsorganisationen auf der ganzen Welt auf, die ebenfalls die Auffassung teilen, dass der Klimawandel menschengemacht ist.

Fazit: Das beobachtete Niedrigwasser im Februar 2023 in Venedig steht nicht im Widerspruch zum Klimawandel und einem steigenden Meeresspiegel. Dabei handelt es sich um ein natürliches Phänomen, das unter bestimmten astronomischen und meteorologischen Gegebenheiten auftreten kann. In Venedig waren vor allem flache Kanäle betroffen. Dort wird genau wie in Deutschland und global ein Anstieg des Meeresspiegels beobachtet.

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Umwelt

Autor(en): Saladin SALEM / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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