Israel-Hamas-Konflikt wird ausgenutzt, um Unterstützung für die Ukraine zu schwächen

Auch im November beschäftigte kein anderes Thema die Faktencheck-Teams im EU-weiten EDMO-Netzwerk so intensiv wie die Lage im Nahen Osten.

Zu diesem Ergebnis kommt das monatliche Briefing des EDMO-Netzwerks. Die 32 Organisationen, die dazu beigetragen haben, veröffentlichten im November 2023 insgesamt 1.354 Faktenchecks. Von diesen Beiträgen konzentrierten sich 349 (26%) auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas, 72 (5%) auf Desinformation im Zusammenhang mit der Ukraine, 69 (5%) auf Desinformation im Zusammenhang mit COVID-19, 72 (5%) auf Desinformation im Zusammenhang mit dem Klimawandel, 75 (6%) auf Desinformation im Zusammenhang mit der EU, 52 (4%) auf Desinformation über Migration und 17 (1%) über Desinformation über LGBTQ+ und Genderthemen.

Die bereits bekannten Narrative über den Konflikt im Nahen Osten sind nach wie vor präsent und weit verbreitet. Es wird weiterhin behauptet, dass das Leid der Zivilbevölkerung in den palästinensischen Gebieten inszeniert und die gezeigten Opfer in Wahrheit Krisenschauspieler seien (die sogenannte „Pallywood“-Verschwörungstheorie) oder dass der Konflikt bereits eskaliert und andere Staaten involviert seien (eine angebliche Kriegserklärung des Jemen an Israel).

In vielen Falschmeldungen zu diesem Thema wurden pro-palästinensische oder pro-israelische Demonstrationen größer dargestellt als sie waren. Dafür wurden auch alte Bilder und Videos von Menschenmengen, die nicht im Zusammenhang mit dem aktuellen Konflikt standen, verwendet. Diese Desinformationstechnik wurde auch bereits in der Vergangenheit eingesetzt, zum Beispiel um Demonstrationen gegen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie größer erscheinen zu lassen.

Neben diesen bekannten Narrativen im Zusammenhang mit dem Israel-Hamas-Konflikt gewinnen in vielen EU-Ländern auch andere immer mehr an Bedeutung. So wird insbesondere versucht, die Krise im Nahen Osten auszunutzen, um die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. Es werden Falschbehauptungen verwendet, um Kiew als Verbündeten der Hamas darzustellen oder um Spannungen zwischen Anhängern Israels und der Ukraine zu schüren. So wurde behauptet, dass die Ukraine Lösegeld von 500.000 Euro für eine von der Hamas entführte Deutsch-Israelin gefordert habe, oder dass die Ukraine Waffen, die sie von der NATO erhalten habe, an die Hamas geschickt habe.

In anderen Falschmeldungen hieß es, dass Unterstützer der Ukraine angeblich ihre Unzufriedenheit über die militärische Unterstützung Israels geäußert hätten oder dass pro-ukrainische Botschaften durch pro-israelische Botschaften ersetzt worden seien.

Die EU wurde außerdem fälschlicherweise beschuldigt, sich gegen einen Waffenstillstand in Gaza ausgesprochen zu haben, und in Spanien wurde die diplomatische Krise zwischen Spanien und Israel nach dem Besuch des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez in der Region ausgenutzt. So wurde zum Beispiel fälschlicherweise behauptet, dass der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Sanchez aus einer Sitzung geworfen habe oder dass ein hochrangiger israelischer Beamter Informationen habe, mit denen die spanische Regierung „zerstört“ werden könnte.

Die vier am weitesten verbreiteten Falschbehauptungen im November

In zwei der am weitesten verbreiteten Falschmeldungen in der EU ging es dann auch um den Israel-Hamas-Konflikt: Die USA sollen Truppen nach Israel entsendet haben und die Washington Post soll einen Artikel über Waffenlieferungen aus der Ukraine an die Hamas veröffentlicht haben.

Weit verbreitet wurden auch die Falschinformationen, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) auf eine Anfrage des Europaabgeordneten Marcel De Graaf geantwortet haben soll, dass niemand unter 60 Jahren gegen Covid-19 hätte geimpft werden sollen und dass die Mammographie in der Schweiz verboten worden sein soll, weil sie angeblich Brustkrebs verursachen könne und mehr als die Hälfte der Testergebnisse falsch seien.

Falschinformationen über die Ukraine: Selenskyj als „Verräter“

Abgesehen von den stets gegenwärtigen Falschbehauptungen über die angebliche Drogenabhängigkeit des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die angebliche Gefährlichkeit von ukrainischen Geflüchteten und die angebliche weit verbreitete ukrainische Sympathie für Nationalsozialisten, kursierten im November in der EU Falschinformationen, die zum Ziel hatten, die Unterstützung für Kiew zu untergraben und die bestehenden internen Spannungen in der ukrainischen Führung zu verschärfen.

So wurde in der Slowakei ein Deepfake vom Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte Walerij Saluschnyj erstellt, der Selenskyj als „Verräter“ beschuldigte und die Ukrainer aufrief, sich gegen ihn zu erheben. Dabei wurden die Spannungen, die tatsächlich aktuell zwischen Saluschnyj und Selenskyj bestehen, ausgenutzt.

In anderen Falschmeldungen wurde mit Hilfe von KI behauptet, die Migranten, die illegal von Russland nach Finnland kamen, hätten teure Kleidung getragen: Dieses Narrativ, das die Realität der harten Lebensbedingungen von Migranten in Frage stellt, ist sehr gut bekannt. Es wurde bereits in Ländern wie Italien, Spanien und Griechenland gegen Migranten aus dem globalen Süden verwendet und vor allem in mittelosteuropäischen Ländern gegen Migranten aus der Ukraine.

Falschinformationen über die EU: Weit verbreitet in Bulgarien und der Slowakei

Insgesamt wurde eine leichte Zunahme EU-bezogener Desinformation verzeichnet (Oktober: 4 Prozent, November: 6 Prozent). In Bulgarien, wo im April Wahlen stattfanden und sich die beiden wichtigsten rivalisierenden politischen Parteien auf die Bildung einer EU-freundlichen Koalitionsregierung mit einem wechselnden Premierminister einigten, spielt Desinformation, die sich gegen die EU und gegen die Regierung richtet, eine besonders große Rolle.

Seit beispielsweise bulgarische Berg- und Kraftwerkarbeitende immer wieder gegen den Vorschlag der Regierung demonstrieren, die Kohlenutzung schrittweise einzustellen, kursieren in den sozialen Netzwerken Falschinformationen, in denen behauptet wird, die EU unterstütze eine angeblich bevorstehende Schließung von Kohlebergwerken im Land. Außerdem wurden in Bulgarien Beiträge verbreitet, in denen behauptet wurde, dass die Mehrheit der Franzosen aus der EU und der NATO austreten wolle – Grundlage dafür war eine sehr kleine Pro-Frexit-Kundgebung.

Auch in der Slowakei, wo derzeit eine als euroskeptisch bekannte Regierung an der Macht ist, ist EU-bezogene Desinformation allgegenwärtig. Dort wurde behauptet, dass der Vorschlag zur Abschaffung des Vetorechts der EU-Mitgliedstaaten die Umwandlung der EU in eine „Militärföderation“ zur Folge hätte, und dass die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen mit dem Nationalsozialisten Joachim Freiherr von der Leyen verwandt sei und Vermögen geerbt habe, das mit Sklaverei in Verbindung steht.

Ebenso sind andere Falschmeldungen, die bereits in der Vergangenheit in verschiedenen Ländern kursierten, wie zum Beispiel die Behauptung, die EU wolle Toilettenpapier im Namen des Klimawandels verbieten, in der Slowakei noch immer weit verbreitet.

Falschinformationen mit nationalem Schwerpunkt

In Irland wurde im Zusammenhang mit den jüngsten Ausschreitungen in Dublin die Falschbehauptung verbreitet, dass nun die irische Armee eingesetzt werde, um die Ordnung aufrechtzuerhalten und die irische Polizei Wachtürme einrichte.

In Dänemark kursierte die Falschmeldung, dass die Vibrationen von Offshore-Windparks Delphine und andere Meeressäuger, die sich mit Hilfe von Echoortung orientieren, stranden ließen.

In Griechenland machte die Falschinformation die Runde, dass Wissenschaftler daran arbeiteten, mithilfe der mRNA-Technologie Tote zum Leben zu erwecken.

Methodik

Die in diesem Briefing enthaltenen Informationen wurden mittels eines Fragebogens erhoben, der an die Mitgliedsorganisationen des EDMO-Faktencheck-Netzwerks geschickt wurde. Bezugszeitraum: 1. bis 30. November 2023. Anzahl der Befragten: 32. Hauptherausgeber dieses Dokuments: Tommaso Canetta und Enzo Panizio, Pagella Politica/Facta.

Organisationen, die zu diesem Briefing beigetragen haben: AFP, Correctiv, Delfi, Demagog.cz, Demagog.pl, Demagog.sk, DPA, DW, Eesti Päevaleht, EFE Verifica, Ellinika Hoaxes, Eurocomunicare, Factcheck Vlaanderen, FactReview, Faktabaari, Faktisk, FranceTV, Funky, Greece Fact Checking, Källkritikbyrån,  Lakmusz, Maldita, Medizin transparent, Oštro, PagellaPolitica/Facta, Polígrafo, Pravda, Re:Baltica, The Journal Fact-Check, Times of Malta, TjekDet, Verificat.

Das ausführliche Briefing in Englisch mit weiteren Informationen zu Falschinformationen in verschiedenen EU-Staaten finden Sie hier.

 

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