Kälterekord in der Antarktis ist kein Beleg dafür, dass es die globale Erwärmung nicht gibt

Auf Facebook und Twitter verbreitete sich im Mai die Behauptung, ein neuer Kälterekord in der Antarktis zeige, dass die globale Erwärmung Schwindel sei. Der Beweis sei die extreme Kälte, die im Mai am Südpol geherrscht habe. Normalerweise wird es dort erst im Juli sehr kalt. Die Ersteller verweisen dazu auf zwei Artikel von Wetter Online, einer von Oktober 2021 und einer von Mai 2023. Auch Screenshots der Wettervorhersage für den Südpol werden als vermeintliche Beweise angeführt.

Richtig ist, dass in der Antarktis 2021 und 2023 neue Kälterekorde aufgestellt wurden. Solche Temperaturrekorde am kältesten Ort der Erde widersprechen jedoch nicht dem globalen Klimawandel. Denn Klimaerwärmung bedeutet nicht, dass es an manchen Orten nicht auch einmal besonders kalt sein kann, sondern dass die Durchschnittstemperaturen global steigen.

Dieser Twitter-Beitrag nimmt einen Kälterekord in der Antarktis als Beweis gegen den Klimawandel; doch so einfach ist es nicht
Dieser Twitter-Beitrag nimmt einen Kälterekord in der Antarktis als Beweis gegen den Klimawandel; doch so einfach ist es nicht (Quelle: Twitter; Screenshot am 30. Mai 2023: CORRECTIV.Faktencheck)


Im Mai 2023 war es in der Antarktis extrem kalt

In der Antarktis gibt es nur zwei Jahreszeiten: Sommer und Winter. Zwischen April und September ist Winter, auch Polarnacht genannt. Dann geht die Sonne ein halbes Jahr lang praktisch nicht auf. Dass es schon im Mai, also zu Beginn des Winters, so kalt ist wie jetzt, ist ungewöhnlich.

Im Durchschnitt liegen die Temperaturen im Winter im Landesinneren der Antarktis bei minus 60 bis 70 Grad Celsius, im Mai liegen sie an der Messstation Vostok, die sich im Landesinneren der Ostantarktis befindet, bei -65,9 Grad Celsius. 2023 soll es dort laut Wetter Online für den frühen Winter mit minus 75 Grad Celsius sehr kalt gewesen sein.

Das alleine sagt aber noch nichts über den Klimawandel aus. Dazu schreibt uns Peter Lemke vom Alfred-Wegener-Institut (AWI): „Sie müssen unterscheiden zwischen Temperaturmessungen an einem Ort zu einer bestimmten Zeit (das Wetter) und den langfristigen Temperatur-Trends über eine größere Region (bis hin zu globalen Mittelwerten) und über einen längeren Zeitraum (Jahre bis Jahrzehnte). Temperaturrekorde sind regionale und zeitliche Punktmessungen, die mit einem langfristigen Trend nichts zu tun haben“.

Dass extreme Kälte und der Klimawandel keine einander ausschließenden Phänomene sind, bestätigt auch Stefanie Bauditz vom Deutschen Wetterdienst uns gegenüber. Die globale Erwärmung bewirke eine Verschiebung der mittleren Temperatur hin zu höheren Werten, was Hitzewellen wahrscheinlicher mache. „Dennoch können Phasen mit extremer Kälte weiterhin vorkommen“, schreibt Bauditz in einer E-Mail an uns.

Klimawandel trifft Antarktis langsamer

Insgesamt seien die Auswirkungen des globalen Klimawandels auch in der Antarktis zu spüren, so Bauditz weiter. Die Klimaerwärmung wirke in der Antarktis jedoch etwas langsamer als in anderen Teilen der Welt. Das liege vor allem an der geografischen Lage. Die Luftströmungen über der Antarktis seien weitgehend abgekoppelt vom Rest der Welt.

Die Antarktis ist also anders vom Klimawandel betroffen als etwa Europa: Eisschmelze, Gletscherschwund und die steigende Meerestemperatur sind die größten Herausforderungen für die Südpolarregion, wie wir bereits im Mai 2021 in einem Faktencheck berichteten.

Damals teilte uns das AWI mit, dass sich die Temperatur am Südpol je nach Gebiet unterschiedlich entwickelten: „Es gibt Gebiete, die starke Erwärmung zeigen, insbesondere an der Antarktischen Halbinsel, wo die Temperatur um mehr als 2,5 °C in 50 Jahren angestiegen ist“, schrieb das Institut. Auch der Weltklimarat wies in seinem Sonderbericht darauf hin, dass es zwar keine gleichförmige Entwicklung in allen Teilen der Antarktis gebe. Die östliche Antarktis weise insgesamt keine signifikante Veränderung auf, aber der westliche Teil des Kontinents habe sich erwärmt. Seit 1950 um circa 3 Grad Celsius.

Fest steht, dass die Eismasse in der Antarktis kontinuierlich abnimmt. Das zeigen Auswertungen der NASA, die die Polarregion mit Satelliten überwacht. Und eine Momentaufnahme von Mai 2023 vom Meereisportal zeigt ein ähnliches Bild:

Kälterekord und trotzdem wenig Eis: antarktischer Eisschild im Mai
Kälterekord und trotzdem wenig Eis: antarktischer Eisschild im Mai (Quelle: Meereisportal)

Doch das Eis schmilzt nicht nur aufgrund steigender Temperaturen in den Küstenregionen der Antarktis, sondern auch weil das Meerwasser immer wärmer wird – 2022 war für die Weltmeere das wärmste Jahr.

Fazit: Dass es in der Antarktis in diesem Mai besonders kalt war, bedeutet nicht, dass die globale Erwärmung nicht existiert. Der Klimawandel sorgt dafür, dass die Temperaturen im Mittel ansteigen, wodurch es zu mehr Hitzewellen kommt. Erkennbar wird das an der Eisschmelze und der Erwärmung der Weltmeere. Kälterekorde wird es also auch weiterhin geben.

Redigatur: Steffen Kutzner, Matthias Bau

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Die Antarktis – Extreme am südlichen Ende der Welt, Umweltbundesamt, 28. Februar 2022: Link
  • Das Klima der Antarktis, Umweltbundesamt, 5. Juli 2022: Link
  • Die Folgen des Klimawandels für das Südpolarmeer, Alfred-Wegener-Institut, März 2014: Link
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Autor(en): CORRECTIV

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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