Kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen am 1. September 2024 wurde ein Wahlvorsteher in Chemnitz von seinem Amt abberufen. Laut einem Beitrag in einer lokalen Facebook-Gruppe habe er seine Verpflichtung zur Unparteilichkeit verletzt. Der örtliche Kreisverband der AfD spricht sogar von „angekündigtem Wahlbetrug“ und gibt an, Anzeige erstattet zu haben.
Was steckt dahinter?
Anstoß für die Debatte ist der Screenshot eines Facebook-Beitrags, in dem ein Wahlvorsteher des Wahlkreises Chemnitz-Siegmar von seiner Arbeit im Wahlbüro berichtete. Der Facebook-Nutzer schreibt, er habe ein zu dicht am Wahllokal angebrachtes Plakat der AfD abhängen lassen. Daraufhin bringt er seine politischen Ansichten zum Ausdruck: „Thüringen ist bereits verloren“, schreibt er, bevor er dem CDU-Kandidaten seines Wahlkreises viel Erfolg bei der Wahl wünscht. Die AfD Sachsen bezeichnet er als gesichert rechtsextremistisch eingestuft – was sie laut Verfassungsschutz Sachsen auch ist.
Wir fragten die Landeswahlleitung nach dem Vorfall und erhielten stattdessen eine Antwort von der Stadt Chemnitz – der Chemnitzer Bürgermeister und Leiter der kommunalen Statistikstelle der Stadt waren Wahlleiter der Chemnitzer Wahlkreise. Ein Pressesprecher der Stadt Chemnitz bestätigte, dass es sich bei dem Facebook-Nutzer tatsächlich um ein Mitglied des Wahlvorstands eines Chemnitzer Wahlbezirkes handelte. Der Beitrag stelle einen Bruch mit dem Gebot zur unparteiischen Wahrnehmung des Amtes dar, zu dem Wahlvorstände und andere Wahlorgane verpflichtet sind. Aufgrund des Beitrags sei der Wahlvorsteher von seiner Position abberufen worden.
Neutralitätsgebot oder Meinungsfreiheit – was wiegt hier stärker?
Aber hat der Nutzer damit nicht nur von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht? Zu diesem Schluss kommen einige Nutzerinnen und Nutzer in den Kommentaren unter einem Beitrag auf Facebook.
Der Sprecher der Stadt Chemnitz schreibt uns dazu: „Insofern die Mitglieder der Wahlvorstände als Privatpersonen ohne eine konkrete Bezugnahme auf ihre Tätigkeit als Mitglied eines Wahlorgans agieren, besteht der Grundsatz der freien Meinungsäußerung. Da der in Frage stehende Post jedoch unter direkter Bezugnahme auf die Tätigkeit als Wahlvorstand erfolgte, tritt der Grundsatz der Wahrung des Neutralitätsgebotes als Mitglied eines Wahlorgans ein.“
Keine Hinweise auf Wahlbetrug und keine polizeiliche Anzeige durch die AfD Chemnitz
In den Kommentaren unter dem Facebook-Beitrag unterstellten Nutzerinnen und Nutzer dem Wahlvorsteher darüber hinaus, eine Manipulation der Wahl zu planen. Der Kreisverband Chemnitz der AfD schreibt in seinem Beitrag sogar, es handle sich hierbei um „offensichtlich angekündigten Wahlbetrug“”. Ein Stadtrat der Partei habe den Wahlvorsteher deshalb angezeigt, heißt es in dem Beitrag.
Damit ist aber keine polizeiliche Anzeige gemeint. Auf Nachfrage erklärt Nico Köhler, Stadtrat der AfD Ratsfraktion in Chemnitz, der Stadtrat habe den Vorfall bei der Wahlbehörde gemeldet. Die Stadt berief den Wahlvorsteher zwar ab, der Pressesprecher schrieb uns aber, es liege „keine Form des Wahlbetruges“ vor. Abgesehen von der Abberufung habe der Wahlvorsteher keine Konsequenzen zu befürchten.
Unbegründete Anschuldigungen des Wahlbetrugs wurden rund um die Landtagswahlen zahlreich verbreitet, wie wir in mehreren Faktenchecks aufklärten (zum Beispiel hier, hier und hier). Dahinter steckt eine Taktik, die unter anderem aus AfD-nahen Kreisen rund um Wahlen immer wieder wiederholt wird, wie wir in unserem Hintergrund erklären.
Redigatur: Gabriele Scherndl, Uschi Jonas
Korrektur, 24. September 2024: Wir haben korrigiert, dass es sich bei dem Mann um einen Wahlvorsteher handelte, also ein Mitglied des Wahlvorstands im entsprechenden Wahlbezirk in Chemnitz.
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
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- Gesetz über die Wahlen zum Sächsischen Landtag, Sächsischer Landtag, 11. August 2023: Link