Die radikalislamische Hamas startete Anfang Oktober 2023 einen massiven Überraschungsangriff auf Israel und löste damit einen tödlichen Krieg aus. Gleichzeitig wurde in sozialen Medien eine Welle von Falschinformationen losgetreten. So wurde zum Beispiel ein Clip des deutschen Journalisten Paul Ronzheimer aus Gaza mit der falschen Behauptung geteilt, er stünde vor einem Greenscreen. Komprimierte Videos können Bildfehler aufweisen. Aus anderen Clips geht hervor, dass der Journalist aus Gaza berichtet. Ronzheimer bestätigte das zudem mehrfach.
„Ronzheimer stellt Kriegsszenen mit Greenscreen nach und wird dabei erwischt. Deutschlands Journalist des Jahres 2022. Noch Fragen?“ heißt es in einem Posting auf Facebook. Userinnen und User teilen dazu ein rund zweiminütiges Video, das zeigen soll, dass der deutsche Journalist Paul Ronzheimer nicht aus Gaza berichtet. Vermeintliche Bildfehler würden das belegen, heißt es.
In dem verbreiteten Clip ist ein Videoschnittprogramm mit angeblichen Szenen vor einem Greenscreen zu sehen. Eine männliche Stimme erklärt: „Paul Ronzheimer soll sich ja derzeit in Gaza befinden und dort Kriegsberichterstattung machen. Und mir wurde jetzt gesagt, dass dieser Kerl, der da hinter diesem Wrack steht, (…) in Wahrheit vor einem Greenscreen steht.“ Weiter heißt es: „Ja, der steht vor einem Greenscreen und der ist definitiv nicht da.“
Auch auf Tiktok, X (ehemals Twitter) und Telegram wird der Clip mehrfach geteilt. Auf Youtube wurde der Beitrag ebenfalls hochgeladen.
Die im Gazastreifen herrschende radikalislamische Hamas hatte am 7. Oktober 2023 bei einem Großangriff auf Israel nach israelischen Angaben etwa 1200 Menschen, zumeist Zivilistinnen und Zivilisten, getötet und rund 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Als Reaktion greift die israelische Armee seitdem Ziele der Hamas im Gazastreifen an. Durch die israelischen Bombardierungen wurden nach Angaben der Hamas bislang mehr als 11.500 Menschen, hauptsächlich Zivilistinnen und Zivilisten, getötet. Opferzahlen des aktuellen Krieges sind allerdings nicht unabhängig überprüfbar und werden regelmäßig infrage gestellt.
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas hat in sozialen Medien eine Welle von Falschinformationen und irreführenden Beitragen ausgelöst. Auch die Behauptungen in dem aktuell geteilten Clip sind falsch.
Kriegsreporter Ronzheimer der deutschen „Bildzeitung“
Paul Ronzheimer ist ein deutscher Journalist, Kriegsreporter und Buchautor. Er ist stellvertretender Chefredakteur der deutschen Boulevardzeitung „Bild“ und seit 2023 „markenübergreifendes journalistisches Gesicht“ der Verlagsgruppe Axel Springer SE.
Der Reporter berichtet aktuell für mehrere Medien wie die deutschen Tageszeitungen „Welt“ und „Bild“ über den Krieg im Nahen Osten. Österreichische Medien zeigen seine Berichte aus Gaza ebenfalls. Auch Interviews gibt Ronzheimer von dort aus.
Tageszeitung „Bild“ postete Video auf Youtube
Laut eigenen Angaben ist der Journalist mit den israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) im Gazastreifen unterwegs. In der Langversion des aktuell geteilten Clips sind unter anderem israelische Soldaten, brennende Panzer sowie zerstörte Gebäude zu sehen.
Die Tageszeitung „Bild“ postete das Video, das angeblich Szenen vor einem Greenscreen enthält, am 8. November 2023 auf Youtube. Ab Minute 0:20 ist die Szene zu sehen, die online Anlass für die Zweifel gibt. Sie zeigt den „Bild“-Reporter mit Helm und Schutzweste vor einem zerstörten Haus. Im Hintergrund sind Schüsse zu hören. Am selben Tag wurde das Video auch auf der Website der Tageszeitung veröffentlicht.
Ronzheimer selbst postete das Video ebenfalls am 8. November 2023 auf X. Der Clip des Journalisten ist länger als der Ausschnitt der Bild und zeigt andere Ausschnitte sowie zusätzliche Szenen des Hauses im Hintergrund, das laut Postings per Greenscreen eingefügt worden sein soll (ab Minute 1:42 und 2:52). Die „Bild“ veröffentlichte dasselbe längere Video schließlich hier.
Keine Hinweise auf Greenscreen
In den geteilten Videos mit den Falschbehauptungen wird erklärt, dass bei einem Greenscreen eine Funktion namens Chromakey genutzt werde, die alles entfernt, was grün ist. Die angebliche Fälschung sei am rechten Arm des Journalisten sichtbar, da dieser „nicht gerade“ sei und „Wellen“ zu sehen seien: „Also, man kann davon ausgehen, dass genau diese Wellen hier grünlich schimmern und dementsprechend natürlich der Chromakey zum Einsatz kommt und das Ganze entfernt. (…) Es sind immer wieder ganz komische Wellen im Arm zu sehen. Hier sieht das sogar richtig schlimm aus am Ellenbogen, wo man sich fragen muss: Junge, was hast du denn da gemacht?“
Es handelt sich bei dem Clip des Journalisten um ein, für das Web üblich, komprimiertes Video. Auch an anderen Stellen sind ähnliche „Bildfehler“ wie jener an Ronzheimers Arm zu sehen (etwa bei Minute 1:45). Derartige Kompressionsartefakte sind bei Videos in sozialen Medien allerdings keine Seltenheit.
Die Verwendung von Greenscreens lässt sich oft an typischen kleinen Fehlern erkennen. Man kann etwa auf Haare oder kleine Details am Rand zwischen Vorder- und Hintergrund achten, die von der Greenscreen-Technologie manchmal verwischt werden. Wenn die Kamera, die den Hintergrund aufnimmt, eine andere ist als die, die den Vordergrund aufzeichnet, kann das ebenfalls unnatürlich wirken – Kleinigkeiten wie Körnung oder Farbtemperatur können sich so unterscheiden. Schlechten Greenscreen-Einsatz erkennt man außerdem oft an unterschiedlicher Beleuchtung: Während im Hintergrund die Sonne aus einer Richtung scheint, hat die Person im Vordergrund vielleicht Schatten im Gesicht, die nicht dazu passen.
Ronzheimer passiert keine solcher Pannen. Im Gegenteil sieht man ihn in natürlich wirkender Umgebung. Sein Schatten sowie die Lichtverhältnisse liefern keine Anhaltspunkte für eine gestellte Szene vor einem Greenscreen. Die Schatten der anderen Personen im Clip scheinen ebenfalls stimmig (zum Beispiel hier bei Minute 2:32). Gleiches gilt für den Ton. Im Hintergrund sind Gewehre und Explosionen zu hören (etwa hier ab Minute 3:02).
Umgekehrt gibt es Details, die sich vor einem Greenscreen schwer oder gar nicht nachstellen lassen. Der Übergang von Vorder- zu Hintergrund ist eines davon. Ronzheimer sieht man in manchen Kameraeinstellungen allerdings aus dem Hintergrund kommen – der angeblich nur eine Leinwand und nicht seine echte Umgebung sein soll – und diese sogar verändern. Er hinterlässt hier bei Minute 1:21 beispielsweise Fußabdrücke im Sand hinter sich und wirbelt beim Gehen Staub auf (gelbe Hervorhebung).
Screenshot „Bild“-Video, Hervorhebungen durch AFP: 16. November 2023
Bei Minute 1:10 sieht man Ronzheimer hier außerdem im Gespräch mit einem IDF-Kommandeur, der eine olivgrüne Uniform trägt – eine Farbe, die bei Greenscreen-Einsatz normalerweise nicht genutzt wird, um durchsichtige Stellen zu vermeiden.
Journalist dementierte Fälschung des Clips
Am 11. November 2023 reagierte Ronzheimer mit einem satirischen Kommentar auf die Greenscreen-Vorwürfe: „Erwischt!“, schrieb er in einem X-Posting, daneben postete er drei lachende Emojis. Zahlreiche Userinnen und User interpretierten dies jedoch als echtes Eingeständnis. Die Debatte um gestellte Aufnahmen wurde dadurch zusätzlich befeuert.
Am 13. November 2023 morgens nahm Ronzheimer auf X erneut zu den Greenscreen-Vorwürfen Stellung. Er schrieb: „Auf Tiktok, X und Insta hat ein irres ‚Analyse‘-Video, das belegen soll, dass ich nicht im Gazastreifen war, sondern alles vor einem Greenscreen aufgenommen habe, über 500.000 views, tausende likes und tausende Kommentare in die Richtung: ‚Wussten wir es doch!!!‘ Per instagram schreiben mich hunderte mit Klarnamen an, die mich als Lügner bezeichnen und allen ernstes diesen verrückten Wahnsinn vom ‚Greenscreen‘ glauben. Ich kann damit umgehen, aber frage mich: Wann hat das eigentlich begonnen, dass die irresten, absurdesten Verschwörungstheorien hunderttausendfach geteilt wurden?“
Am Nachmittag desselben Tages dementierte Ronzheimer die Behauptung erneut auf X und postete den Originalbeitrag vom 8. November 2023 nochmals. Dazu schrieb er: „Für alle Verschwörungstheoretiker und Greenscreen-Wahnsinnige, hier noch einmal unsere gesamte Reportage aus dem Gazastreifen. Viel Spaß bei euren weiteren Analysen.“. Später äußerte er sich in einem Interview erneut zu den „absurden Vorwürfen“.
Aufnahmen der israelischen Streitkräfte vom selben Ort
Laut eigenen Angaben wurde das Video von Ronzheimer genau einen Monat nach dem Angriff der Hamas in Beit Hanoun gedreht. Hierbei handelt es sich um eine Stadt im nördlichen Gazastreifen. In dem Video interviewt Ronzheimer unter anderem auch einen IDF-Kommandeur namens Idor Kess.
Der US-amerikanische Fernsehsender CNN berichtete am 7. November 2023 über IDF-Angaben zu Zerstörungen in Beit Hanoun. Auch andere Medien wie die US-amerikanische Tageszeitung „New York Times“ berichteten zu diesem Zeitpunkt darüber.
Auf der Website der israelischen Streitkräfte finden sich aktuelle Presseinformationen zum Krieg. Am 11. November 2023 hieß es in einer Aussendung: „Die Kräfte der 551. Brigade, einer Reservebrigade von Kommando- und Fallschirmjägersoldaten, operieren seit zwei Wochen in der Gegend von Beit Hanoun.“ Dazu veröffentlichten die Streitkräfte ein Video.
Ab Minute 0:42 ist im Hintergrund dieses IDF-Videos dasselbe Haus zu sehen, vor dem Ronzheimer in seinem Clip ab Minute 2:52 steht – und das angeblich per Greenscreen in das Video geschnitten wurde. Dass es sich um dieselbe Szene aus einer anderen Perspektive handelt, ist etwa an der Art, wie der Putz an der Häuserfront links sowie im Innenraum abbröckelt, ersichtlich. Auch an der Form der Fensterbögen des Gebäudes links zum Beispiel ist gut zu erkennen, dass die beiden Aufnahmen den selben Ort zeigen.
Eine Anfrage von AFP an Ronzheimer sowie Springer SE blieb bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks unbeantwortet.
Fazit: In sozialen Medien wird ein Video des deutschen Journalisten Paul Ronzheimer aus Gaza verbreitet – begleitet von der falschen Behauptung, es sei gestellt worden. Ein vermeintlicher Bildfehler ist allerdings kein Beleg für die Behauptung. Andere Clips des Journalisten zeigen, dass er aus Gaza berichtet hat und nicht vor einem Greenscreen steht. Diese Tatsache wurde von Ronzheimer mehrmals bestätigt.