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Methoden-Effekt sorgt für Fehlinterpretation von Ärztedaten

Das Coronavirus und seine Auswirkungen sind längst nicht abschließend erforscht. Das macht es einfach, Falschinformationen und Fehlinterpretationen zu verbreiten. So heißt es etwa Mitte Dezember 2022, Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) belegten einen «massiven Anstieg plötzlicher Todesfälle seit Impfstart». Es ist die Rede davon, dass es seit Anfang 2021 im Verhältnis zu den Vorjahren «zu einem massiven Anstieg von Todes- und Krankheitsfällen» gekommen sei. Doch eine solche Interpretation anhand der Daten ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Bewertung

Falsch, die KBV-Daten belegen keine Zunahme von Todesfällen. Sie wurden irrführend ausgewertet. Die Daten stammen von Versicherten, die noch im Jahr 2021 in ärztlicher Behandlung waren – und daher nicht in den Vorjahren gestorben sein konnten.

Fakten

Die KBV sammelt Angaben darüber, wie häufig niedergelassene Ärzte bestimmte Diagnosecodes abrechnen. Doch aus den nun herangezogenen Daten lässt sich kein Anstieg bestimmter Todesursachen ablesen.

Dass es auf den ersten Blick dennoch so wirkt, sei eine Folge der Datenauswertung, schreibt das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI), das die Daten der Kassenärzte erforscht. «Die Aufregung um möglicherweise gestiegene Todesfälle 2021 entbehrt jeder Grundlage», teilte der Vorstandsvorsitzende des ZI, Dominik von Stillfried, mit.

Der scheinbare Anstieg sei «eine logische Konsequenz der Datenauswahl und methodisch als Kohorten-Effekt bekannt», so von Stillfried. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Sichert habe Abrechnungsdaten der KBV für bestimmte Gruppen von Versicherten angefordert – und zwar nach folgendem Auswahlkriterium: Versicherte, die im Jahr 2021 einen Arzt besucht haben.

Diese Versicherten konnten in den Jahren davor gar nicht für Diagnosecodes zur Abrechnung eines Todesfalls sorgen. Aus einem ganz einfachen Grund: Sie lebten ja noch – und besuchten eben erst 2021 einen Arzt, der dies bei der Krankenkasse abrechnete.

Dass dennoch in den KBV-Daten Kodierungen für Todesfälle in den Jahren vor 2021 in einigen Fällen vorkommen, könne nur an einem «Fehler bei der Eingabe oder Übertragung» liegen, so ZI-Vorstand von Stillfried.

Um tatsächlich einen aussagekräftigen Vergleich ziehen zu können, müsste sich der Datensatz auf die Grundgesamtheit aller gesetzlich Versicherten beziehen. Einen solchen Vergleich hat das ZI nun selbst veröffentlicht: Er zeige für die Jahre 2012 bis 2022 «keine Auffälligkeiten für die einzelnen von der AfD hervorgehobenen Diagnoseschlüssel». Soll heißen: Ärztliche Abrechnungen wie etwa für einen plötzlichen Herztod seien über die Jahre nicht auffällig angestiegen.

Auch KBV-Vorstand Andreas Gassen weist Sicherts falsche Deutung der Ärzte-Daten zurück: «Diskussionen und Debatten müssen sein, aber nicht so, indem in Zahlen etwas hinein interpretiert wird, was sie einfach nicht hergeben.»

Derzeit beobachtet das Statistische Bundesamt tatsächlich wieder eine erhöhte Übersterblichkeit. Diese könne nicht mehr vorrangig mit Corona-Todesfällen erklärt werden. Zu weiteren Ursachen legt sich die Behörde aber nicht fest und verweist auf erst in der Zukunft vorliegende Ergebnisse der Todesursachenstatistik.

Keine Belege gibt es für die Behauptung, dass die derzeit wieder gestiegene Übersterblichkeit auf Impfungen zurückgehen könnte. Im Gegenteil: Die Impfung trägt dazu bei, Todesfälle zu verhindern. An der Einschätzung ihrer Sicherheit hat das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) nichts geändert. Nach Erkenntnissen der Medizin ist das Risiko einer Nebenwirkung äußerst gering.

Daten der Kassenärzte waren bereits in der Vergangenheit dazu benutzt worden, eine vermeintlich unerkannte Gefährlichkeit der Corona-Impfung zu belegen. Auch dabei handelte es sich um Fehldeutungen – etwa weil übliche harmlose Impfreaktionen mit stärker beeinträchtigenden Nebenwirkungen vermischt wurden.

(Stand: 15.12.22)

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Corona, Gesundheit

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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