Nein, Ahornsirup-Natron-Gemisch ist kein Heilmittel gegen Krebs

„Krebszellen mögen keine trojanischen Pferde“, heißt der Titel eines Blogartikels der Seite „Unsere Natur“. Der Artikel empfiehlt krebskranken Menschen, eine Mischung aus Natriumbikarbonat und Ahornsirup einzunehmen. Natriumbikarbonat ist auch unter der Bezeichnung Natron oder Backsoda bekannt. Die Mischung schleuse sich wie ein „trojanisches Pferd“ in die Krebszelle ein und so ließe sich „die Entstehung von Krebszellen vermeiden und das Wachstum beeinträchtigen.“ Der Artikel stammt von April 2020, der Blog teilt ihn jedoch regelmäßig auf Facebook, zuletzt etwa am 23. November 2022.

Mehrere Forschende schrieben uns jedoch, dass es keinerlei Belege für eine positive Wirkung des angeblichen Heilmittels aus Ahornsirup und Natron bei einer Krebserkrankung gebe. Die Theorie eines ehemaligen Arztes, auf der die Empfehlung beruht, sei wissenschaftlich nicht haltbar. Für manche Krebskranke könne die Einnahme von Ahornsirup und Natron sogar gesundheitsschädliche Folgen haben, warnen Experten.

Screenshot des Blogbeitrags auf Facebook
Der Blogartikel, der Krebskranken Backsoda und Ahornsirup als Therapie zur Bekämpfung von Krebs empfiehlt, kursiert regelmäßig auf Facebook. Eine positive Wirkung des Gemisches ist jedoch wissenschaftlich nicht belegt. (Quelle: Facebook; Screenshot und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck)


Medizin-Experten: Natron-Ahornsirup-Gemisch hat keinen nachgewiesenen Einfluss auf Krebszellen

Der Blogartikel empfiehlt, Natron mit Ahornsirup oder Honig zu vermischen und anschließend für zehn Minuten zu kochen. Dann sei das Hausmittel fertig. Der Honig diene dazu, die Krebszellen, die viel Zucker verbrauchten, zu „überlisten“ und so das Natriumkarbonat in die Zellen „einzuschleusen“. Natriumkarbonat könne den Entstehungsprozess von Krebszellen „vermeiden und das Wachstum beeinträchtigen“. Es gäbe zwar keine Garantie für den Erfolg der Therapie, heißt es weiter, die Behandlung sei jedoch „den Versuch wert“.

Wir haben bei mehreren medizinischen Fachleuten nachgefragt, ob sich über die Einnahme von Natron und Ahornsirup die Entstehung von Krebszellen vermeiden lasse oder deren Wachstum gehindert werde. Laut Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie am Universitätsklinikum Jena, ist die Grundidee des Behandlungsvorschlags biochemisch falsch und in keiner Studie nachgewiesen. Auch Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes am Deutschen Krebsforschungszentrum, schrieb uns auf Anfrage: „Ahornsirup und Natriumbikarbonat haben bei Zufuhr über die Nahrung keine Auswirkung auf die biologischen Vorgänge, die bei der Entstehung oder dem Wachstum von Krebszellen im Körper eine Rolle spielen.“

Martin Smollich, Fachapotheker am Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein schrieb uns, dass sich das im Backpulver enthaltene Natron durch Kochen und anschließende Einnahme zu Kochsalz, CO2 und Wasser zersetze. Auch wenn es direkt eingenommen werden würde, würde sich das Natron im Magen zersetzen. Natron selbst könne demnach gar nicht in die Zellen gelangen. „Weder Kochsalz noch Wasser oder CO2 als Abbauprodukte von Natron haben irgendeine antitumorale (gegen Tumore wirksam, Anm. d. Red.) Wirkung“, so Smollich.

Krebs nicht durch einen Pilz verursacht: Blogartikel beruft sich auf Theorie eines verurteilten Arztes

Der Blogartikel belegt seine Behauptung mit einem Verweis auf ein Video des ehemaligen italienischen Arztes Tullio Simoncini. Seiner Hypothese nach handelt es sich bei Krebs um eine Pilzerkrankung mit dem Hefepilz Candida, die sich mit hohen Dosen von Natriumhydrogencarbonat beziehungsweise Natriumbikarbonat – beides chemische Bezeichnungen für Backsoda oder Natron – heilen lassen könne.

Laut Onkologie-Professorin Jutta Hübner ist die Theorie Simoncinis „völlig falsch“ und entspreche „in keiner Weise den gut gesicherten Fakten zur Entstehung von Krebszellen.“ Fachapotheker Martin Smollich schrieb uns, dass Krebs definitiv kein Pilz sei, sondern aus körpereigenen, dysregulierten (sprich fehlgesteuerten) Zellen bestehe. „Das ist eine biologische Tatsache.“ Weder Krebs noch ein irgendwo im Körper befindlicher Candida-Pilz wäre in seinem Wachstum durch die Einnahme von Natron in irgendeiner Weise beeinflussbar, so Smollich weiter.

Simoncini ist seit 2003 aus der italienischen Ärztekammer ausgeschlossen. Laut der italienischen Zeitung La Repubblica wurde er 2006 zu vier Jahren und vier Monaten Haft verurteilt, weil drei Krebspatienten, die er mit Natriumbikarbonat behandelte, kurz darauf starben. 2012 wurde die Strafe rechtskräftig. Simoncini arbeitete bis zu diesem Zeitpunkt im Ausland weiter, etwa in den Niederlanden und Albanien. 2022 stand er laut Medienberichten wegen fahrlässiger Berufsausübung erneut vor Gericht.

Einnahme von Natron und Ahornsirup kann unter Umständen negative Folgen für Erkrankte haben 

Onkologie-Professorin Hübner warnt, dass die Einnahme von Natron unter Umständen sogar negative Folgen für Krebskranke haben könne, etwa wegen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Auf der Webseite des Krebsinformationsdienstes findet sich eine Liste mit Arzneistoffen, bei denen Natron die Wirksamkeit beeinflussen kann. Auch Nebenwirkungen sind nicht auszuschließen, heißt es: „Eine hohe Zufuhr […] kann zu Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Muskelschwäche und Krämpfen führen.“ Selten löse die Einnahme auch Bluthochdruck oder Nierensteine aus.

Susanne Weg-Remers vom Deutschen Krebsforschungszentrum schrieb uns, dass mögliche negative Folgen der regelmäßigen Einnahme von Natron und Ahornsirup von der Verfassung der Krebskranken abhängig seien. So könnten etwa Personen, die zusätzlich an Diabetes erkrankt sind, „durch Zufuhr von höheren Mengen des stark zuckerhaltigen Ahornsirups Verschlechterung ihrer Blutzuckerwerte erleiden.“

Für Fachapotheker Smollich besteht die größte Gefahr der Anwendung in einem „indirekten Gesundheitsrisiko“, denn „Patienten [könnten] versucht sein, auf die tatsächlich wirksame onkologische Therapie zu verzichten, wodurch der Tumor weiter wächst.“

Natron in der Krebsforschung bisher nur an Tieren getestet

Ob Natron eine Wirksamkeit gegen Krebs haben könnte, wird aktuell erforscht. Allerdings stammen die Daten dazu laut der Webseite des Krebsinformationsdienstes aus der Grundlagenforschung und sind nicht auf Menschen übertragbar.

Exemplarisch lässt sich das an einer Studie aus dem Jahr 2018 zeigen. Forschende des Ludwig-Instituts für Krebsforschung in New York untersuchten den Einsatz von Backsoda an tumorkranken Mäusen. Ihr Ergebnis: Bei Mäusen, die Wasser mit Backsoda tranken, ließen sich Krebszellen möglicherweise wieder aktivieren und so zugänglich für eine onkologische Behandlung, etwa eine Chemotherapie, machen.

Doch die New Yorker Studienergebnisse aus Versuchen mit Mäusen lassen sich nicht einfach auf den Menschen übertragen. Der Krebsinformationsdienst schreibt: „Klinische Studien mit Krebspatienten […] wurden bislang noch nicht durchgeführt“. Es handle sich folglich um eine Methode mit unbewiesener Wirksamkeit. Natron sei kein Bestandteil einer evidenzbasierten Krebstherapie.

Redigatur: Matthias Bau, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Information zu Natron und Backpulver in der Krebstherapie, Krebsinformationsdienst, 26. November 2018: Link (archiviert)
  • Studie: „Acid Suspends the Circadian Clock in Hypoxia through Inhibition of mTOR“, Cell, 31. Mai 2018: Link (Englisch)
Fact Checker Logo

Gesundheit

Autor(en): CORRECTIV

Ursprünglich hier veröffentlicht.

Nach oben scrollen