Geflüchtete, die in Deutschland Asyl beantragen, bekommen bis zu ihrer Anerkennung weniger Sozialleistungen als deutsche Staatsbürger. User behaupten in sozialen Netzwerken jedoch, dass Asylwerbende seit Januar 2023 angeblich das sogenannte Bürgergeld erhielten. Dazu teilen sie eine Tabelle, in der das Bürgergeld für Erwachsene aufgeschlüsselt wird. Das Bundessozialministerium und die Menschenrechtsorganisation ProAsyl dementieren, dass Asylwerbende einen Anspruch auf das Bürgergeld hätten. Ihr Anspruch liegt unter dem des Bürgergelds.
Die Behauptung wurde Anfang Februar 2023 auf Facebook geteilt, kursierte aber bereits seit mindestens 4. November 2022. Damals verbreitete die Berliner AfD-Abgeordnete Kristin Brinker die Behauptung, auch die rechtsradikale Partei „Thüringer Heimatpartei“ teilte das Gleiche kurz darauf. Brinker erreichte auf Twitter Hunderte User. Auf Telegram erreichte die Erzählung ebenfalls Hunderte.
Die Behauptung: User teilen nahezu identisch die Worte: „Ab Januar haben auch #Asylbewerber Anspruch auf das neue #Bürgergeld in #Deutschland. Was glauben Sie wie lange es dauert bis diese Tabelle in alle Sprachen der Welt übersetzt ist?“ Dazu teilen Sie eine Tabelle, die auflistet, wie sich das Bürgergeld für ein und zwei Erwachsene zusammensetzt.
Seit dem Einmarsch russischere Truppen in der Ukraine am 24. Februar 2022 fliehen zahlreiche Menschen aus dem Land. Bis zum 20. Februar 2023 wurden mehr als eine Million ukrainische Geflüchtete in Deutschland im Ausländerzentralregister (AZR) registriert.
In diesem Kontext kursieren immer wieder Falschinformationen über die angebliche Bevorzugung dieser Geflüchteten gegenüber Deutschen. So würden ukrainische Geflüchtete vermeintlich von KFZ-Versicherungen bessere Konditionen erhalten. Auch habe die Bundesregierung vermeintlich 22 Milliarden Euro an die Ukraine gespendet, während in Deutschland Rentner hungern würden. Außerdem würden Geflüchtete vermeintlich 500 Euro Begrüßungsgeld bekommen.
AFP sammelt alle Faktenchecks zum Krieg in der Ukraine hier.
Was ist das Bürgergeld?
Das Bürgergeld ist Teil einer Sozialreform in Deutschland. Es ersetzt seit dem 1. Januar 2023 das Arbeitslosengeld II, das umgangssprachlich auch Hartz-IV genannt wurde. Laut der Bundesregierung sei das Bürgergeld „nun bürgernäher, unbürokratischer und zielgerichteter“. Die Zahlungen würden nicht mehr rückwirkend ausgezahlt, sondern vorausschauend an die Teuerungsraten angepasst. Auch fielen die Beträge höher aus – ein alleinstehender Erwachsener würde nun 502 Euro, also 53 Euro mehr als bisher erhalten.
Grundsätzlich kann jede Person Bürgergeld erhalten, die erwerbsfähig ist und den eigenen Lebensunterhalt nicht selbst decken kann, sofern andere finanzielle Hilfen wie etwa Arbeitslosengeld, Wohngeld und Kindergeld nicht ausreichen. Außerdem muss die Person mindestens 15 Jahre alt, aber vor dem Rentenalter sein, in Deutschland wohnen und mindestens drei Stunden pro Tag arbeiten können.
Asylbewerbende bekommen kein Bürgergeld
AFP hat am 23. Februar 2023 beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nachgefragt, ob Asylbewerbende, also Geflüchtete, die sich im Asylverfahren befinden und deren Verfahren noch nicht entschieden ist, Bürgergeld bekommen. Sie unterscheiden sich von anerkannten Geflüchteten, die bereits das Asylverfahren positiv durchlaufen haben.
Eine Sprecherin des BMAS erklärte: „Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind vom Bezug von Leistungen nach dem Bürgergeld ausgeschlossen. Dies trifft auf Asylbewerber*innen zu, deren Asylantrag noch läuft sowie auf Geduldete, deren Asylantrag abgelehnt wurde, deren Abschiebung jedoch ausgesetzt wurde.“
Auch die Menschenrechtsorganisation ProAsyl bestätigte dies gegenüber AFP am gleichen Tag. Sprecherin Andrea Kothen sagte: „Das sogenannte Bürgergeld hat zum 1. Januar 2023 die alte Hartz-IV genannte Unterstützung für Arbeitslose abgelöst. Asylsuchende, also Menschen im laufenden Asylverfahren, Geduldete und einige weitere Gruppen Geflüchteter erhielten aber keine Hartz-IV-Leistungen und bekommen derzeit auch kein Bürgergeld.“
Tabelle auf Facebook hat nichts mit Geflüchteten zu tun
Die auf Facebook geteilte Tabelle stammt aus einem Papier des Instituts für Wirtschaft (IFW) in Kiel von November 2022 über das Bürgergeld und Lohnabstandsangebot im Bezug auf Kindergeld. AFP hat beim IFW nachgefragt, ob die Tabelle etwas mit dem Bürgergeld für Asylbewerbende zu tun hat.
IFW-Sprecher Ulrich Schmidt erklärte am 23. Februar 2023 gegenüber AFP: „Bei dem Aufsatz geht es alleine um das Bürgergeld für deutsche Staatsbürger, es werden keinerlei Aussagen zu Asylbewerbern getroffen.“
Die Tabelle wurde noch im gleichen Monat der Veröffentlichung geändert, „da in der ursprünglichen Version die Wohngeldreform nicht berücksichtigt wurde“, erklärte Schmidt.
Anerkannte Geflüchtete erhalten Bürgergeld
Kothen erklärte allerdings auch, dass Geflüchtete aus der Ukraine überwiegend keinen Asylantrag stellen müssten, sondern ein Aufenthaltsrecht nach § 24 des Aufenthaltsgesetzes haben, den sogenannten vorübergehenden Schutz. Sie fielen seit dem 1. Juni 2022 nicht mehr unter das Asylbewerberleistungsgesetz, sondern erhielten im Bedarfsfall, wie der Großteil der Bevölkerung auch, Bürgergeld beziehungsweise Sozialhilfe. Sie erhalten den Status der „anerkannten Flüchtlinge“.
Allerdings handele es sich dabei um eine Ausnahme: „Menschen aus anderen Herkunftsländern mit vorübergehendem Schutz gibt es derzeit nicht. Es ist das erste Mal, dass die zugrunde liegende EU-Richtlinie Anwendung findet“, erklärte Kothen weiter.
Auch die Sprecherin des BMAS erklärte: „Anerkannte Geflüchtete, also Personen, deren Asylantrag bereits positiv beschieden wurde, dies betrifft auch die Gruppe der ukrainischen Geflüchteten, haben bei entsprechender Bedürftigkeit Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II, dem Bürgergeld.“
Diese Ausnahme der EU vom 4. März 2022 gilt für Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine nur bei Ersteinreise bis zum 31. Mai 2023.
Fazit: Die Behauptung, dass Asylbewerbende, also Geflüchtete, die noch auf die Entscheidung ihres Asylantrages warten, das Bürgergeld bekommen, ist irreführend. Nur anerkannte Geflüchtete, deren Asylverfahren positiv abgeschlossen ist, können das Bürgergeld erhalten. Geflüchtete aus der Ukraine erhalten diesen Status sofort. Das ist eine zeitlich begrenzte Ausnahme.