Nein, Asylbewerber bekommen kein Bürgergeld

Noch bevor das Bürgergeld zum 1. Januar 2023 eingeführt wurde, verbreitete die Landesvorsitzende der AfD in Berlin, Kristin Brinker, Falschinformationen darüber. Schon im November 2022 behauptete Brinker, auch Asylbewerberinnen und Asylbewerber hätten Anspruch auf das Bürgergeld, also den Nachfolger von Hartz IV. Die Behauptung verbreitet sich anschließend hundertfach weiter – auch nach der Einführung.

Es handelt sich um eine Falschmeldung. Asylbewerberinnen haben keinen Anspruch auf das Bürgergeld, sie erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Wir haben Kristin Brinker per E-Mail gefragt, wie sie zu der Behauptung kam. Eine Antwort bekamen wir nicht (Stand 15. Februar).

Zusammen mit der Behauptung kursiert eine Tabelle, die darstellt, wie viel Bürgergeld Menschen je nach Situation bekommen sollen. Sie stammt aus einer Studie des Kiel Instituts für Weltwirtschaft. Zwischenzeitlich löschte das Institut die Studie und veröffentlichte am 22. November eine überarbeitete Fassung. Um Asylbewerberinnen ging es darin nie.

Vor der Einführung des Bürgergeldes machte AfD-Politikerin Kristin Brinker mit einer falschen Behauptung Stimmung dagegen
Vor der Einführung des Bürgergeldes machte AfD-Politikerin Kristin Brinker mit einer falschen Behauptung Stimmung dagegen (Quelle: Facebook; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)


Asylbewerber erhalten kein Bürgergeld, sondern Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz

Das Bürgergeld soll ein „menschenwürdiges Existenzminimum“ sichern und steht Menschen zu, die ein zu geringes Einkommen haben, erklärt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Es ersetzt damit das Arbeitslosengeld II. Laut der Bundesagentur für Arbeit kann jede Person das Bürgergeld beantragen: die mindestens 15 Jahre alt, noch nicht im Rentenalter ist, in Deutschland wohnt, mindestens drei Stunden pro Tag arbeiten kann oder hilfsbedürftig ist, weil sie zu wenig verdient. Auch wer in einer Bedarfsgemeinschaft mit einer hilfsbedürftigen Person lebt, kann Bürgergeld beantragen.

Wir haben beim BMAS nachgefragt, ob Asylbewerberinnen und Asylbewerber Anspruch auf das Bürgergeld haben. Eine Sprecherin antwortet uns, dass „Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“ vom Bürgergeld ausgeschlossen seien. Das treffe auf Personen zu, „deren Asylantrag noch läuft sowie auf Geduldete, deren Asylantrag abgelehnt wurde, deren Abschiebung jedoch ausgesetzt wurde“. Auch Asylbewerber, die mit Menschen eine Bedarfsgemeinschaft bildeten, in der eine Person Bürgergeld beziehe, hätten keinen Anspruch auf Bürgergeld. „Ihnen stehen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu.“

Fabian Thiele, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialrecht der Universität Freiburg, bestätigte uns das per Mail. Selbst dann, wenn Asylbewerber einen Anspruch auf die gleichen Regelsätze wie Bürgergeldbeziehende hätten, weil sie sich 18 Monate in Deutschland aufhielten, so Thiele, würden ihnen diese Leistungen lediglich nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zustehen. Das gehe aus dem zweiten Paragraphen des Gesetzes hervor, sagte uns auch Daniela Schweigler, Professorin für Sozialrecht und Bürgerliches Recht an der Universität Duisburg-Essen.

Anders sei es bei Menschen, deren Asylantrag anerkannt wurde, schreibt die Sprecherin des BMAS. Sie hätten „bei entsprechender Bedürftigkeit“ einen Anspruch auf das Bürgergeld. Bei diesen Personen handelt es sich jedoch um anerkannte Geflüchtete und nicht um Asylbewerber. Dazu gehörten laut BMAS-Sprecherin etwa auch ukrainische Geflüchtete.

Wie die AfD-Politikerin Brinker zu ihrer Behauptung kam, bleibt unklar. Auf unsere mehrfachen Anfragen erhielten wir keine Antwort.

Bürgergeld-Gesetz sah nie Anspruch für Asylbewerber vor

Der Bundestag beschloss das Bürgergeld-Gesetz bereits am 10. November 2022, es konnte dennoch nicht eingeführt werden. Dafür war die Zustimmung des Bundesrates notwendig, in dem die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP für eine absolute Mehrheit auf Stimmen der CDU/CSU angewiesen war. Diese hatte das Bürgergeld zuvor scharf kritisiert, erst ein Vermittlungsverfahren führte dazu, dass der Bundesrat das Gesetz mit Änderungen am 25. November beschließen konnte.

In dem vom Bundestag ursprünglich beschlossenen Gesetzentwurf (10. November) kommt das Wort „Asylbewerber“ lediglich vier Mal vor, immer im Zusammenhang mit dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Worte „Migrant“ und „Flüchtling“ finden sich kein einziges Mal, das Wort „Geflüchtete“ kommt lediglich einmal in der Einleitung des Gesetzes vor. Auch in den Änderungen des Gesetzes, die dem Beschluss des Bundesrates vorausgingen, ist das nicht anders. Die BMAS-Sprecherin teilte uns zudem mit, es habe aus ihrem Ministerium keine Fassung des Bürgergeld-Gesetzentwurfes gegeben, „in dem die Planung enthalten war, Asylbewerbern den Zugang zum Bürgergeld zu gewähren“. Auch wir fanden bei unserer Recherche keine Hinweise darauf.

Leistungen für Asylbewerber sind niedriger als das Bürgergeld, aber nicht verfassungswidrig

Asylbewerberinnen und -bewerber haben also keinen Anspruch auf das Bürgergeld. Sie erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und zwar den sogenannten Regelbedarf. Der Regelbedarf dient laut BMAS der „Sicherung des Lebensunterhalts“ und umfasst „insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat“ und „Haushaltsenergie“. Außerdem seien „Bedarfe zur Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft“ in den Leistungen enthalten. Eine alleinstehende Person bekommt aktuell nach dem Asylbewerberleistungsgesetz 367 Euro pro Monat. Wer mit einem Partner oder Partnerin zusammenlebt bekommt 330 Euro. Beim Bürgergeld ist der Regelsatz höher. Alleinstehende bekommen ab dem 1. Januar 2023 502 Euro monatlich, Paare jeweils 451 Euro pro Person.

Dass Asylbewerber weniger Geld bekommen als andere Empfängerinnen von Sozialleistungen, wird regelmäßig kritisiert. Aktuell von Pro Asyl, Amnesty Deutschland und weiteren Organisationen, die die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes fordern. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt es dazu jedoch nicht. Laut Fabian Thiele von der Universität Freiburg hat das Gericht den Unterschied bei der Höhe der Sozialleistungen bisher immer als „mit dem Grundgesetz vereinbar“ erklärt. In einer Urteilsbegründung im Juli 2014 heißt es: „Die Festsetzung der Gesamtsumme für den Regelbedarf lässt nicht erkennen, dass der existenzsichernde Bedarf offensichtlich nicht gedeckt wäre.“

Tabelle zum Bürgergeld stammt aus vielfach kritisierter Studie

Die Tabelle, die Brinker auf Facebook und Twitter verbreitete, stammt aus der Studie „Bürgergeld und Lohnabstand: Warum eine Erhöhung des Kindergeldes für untere Einkommensgruppen sowie eine Reform des Ehegattensplittings notwendig sind“, die das Kiel Institut für Weltwirtschaft am 3. November 2022 veröffentlichte.

Zusammengefasst sollte die Studie aus Sicht der Autoren zeigen, dass das Bürgergeld dazu führe, dass Arbeit für einige Menschen nicht attraktiv sei. Mehrere Medien griffen die Studie auf, darunter das Handelsblatt und NTV. Wenig später wurde sie vielfach kritisiert (hier und hier). Sie berücksichtige demnach etwa nicht, dass Menschen mit niedrigem Einkommen weitere Sozialleistungen zustehen, zum Beispiel Wohngeld oder Kinderzuschlag. Daraufhin nahm das Institut die Studie zwischenzeitlich aus dem Netz und veröffentlichte sie am 22. November in einer überarbeiteten Fassung. Guido Warlimont, Pressesprecher des Instituts, schrieb uns in einer E-Mail, die Autoren hätten ihre Berechnungen nach „Hinweisen von Lesern überarbeitet“.

Auch das änderte jedoch nichts daran, dass es in der Studie nicht um Asylbewerberinnen und deren vermeintlichen Anspruch auf das Bürgergeld geht.

Redigatur: Viktor Marinov, Sophie Timmermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Deutscher Bundestag, „Bundestag stimmt für Bürgergeld-Gesetz“, 10. November 2022: Link
  • Deutscher Bundestag, „Vermittlungsausschuss ändert Bürgergeld-Gesetz“, 24. November 2022: Link
  • Asylbewerberleistungsgesetz: Link
  • Studie des Kiel Instituts für Weltwirtschaft vom 3. November 2022: Link (archiviert)
  • Studie des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, überarbeitete Version vom 22. November 2022: Link (archiviert)
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Politik, Gesellschaft

Autor(en): CORRECTIV

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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