Im Oktober 2022 hat die Bundesluftfahrtbehörde der Vereinigten Staaten, die Federal Aviation Administration (FAA) eine Aktualisierung des medizinischen Leitfadens für Flugmedizinerinnen und -mediziner vorgenommen. Aus dieser Änderung speist sich eine Fehlinterpretation, die in sozialen Netzwerken kursiert: Die FAA habe einen der Grenzwerte, die bei Pilotinnen und Piloten gemessen werden, „erweitert“. Dadurch könnten diese trotz Herzproblemen, die angeblich aus der Corona-Impfung resultierten, weiter ihrer Arbeit nachgehen. Das ist falsch. Die Änderung wurde bereits 2018 angekündigt, lange vor der Pandemie und der Entwicklung der Impfstoffe. Gesundheitsbehörden weltweit bezeichnen die Coronaimpfstoffe als sicher.
Seit dem 17. Januar 2023 wurden französischsprachige Beiträge zu dieser Behauptung auf Facebook und Twitter geteilt. Der Blog „Report24“ veröffentlichte am gleichen Tag einen Artikel dazu. Das Online-Medium hat bereits in der Vergangenheit Behauptungen verbreitet, die AFP widerlegt hat.
Die Behauptung: Der Artikel trägt den Titel „Kardiologe warnt: Flugbehörde änderte Richtlinien, sodass auch herzkranke Piloten fliegen dürfen“. Darin wird behauptet, dass es nach der Covid-Impfung so viele „plötzlich kollabierende Piloten“ gegeben habe, dass die Flugsicherheit in Gefahr sei. Die FAA habe anschließend die Grenzwerte für Elektrokardiogramme (EKGs) gelockert, um mehr Pilotinnen und Piloten fliegen lassen zu können.
Ein Text der, auf einem französischen Blog zur „Neuinformation über die Gesundheitskrise“ zu finden ist, behauptet ebenfalls: „Am 24. Oktober 2022 hat die FAA leise und ohne Vorwarnung die EKG-Anforderungen für die Flugtauglichkeit von Piloten erweitert. Der PQ-Wert (ein Maß für die Herzfunktion) variierte bislang zwischen 0,12 und 0,2 Sekunden. Jetzt bewegt sich der Wert zwischen 0,12 und 0,3 Sekunden oder sogar mehr. Das ist ein sehr breites Spektrum, das auch Menschen mit Herzschäden einschließt.“
Diese Änderung wurde angeblich „heimlich, still und leise“ vollzogen. Die US-Flugbehörde habe nun „unfreiwillig den deutlichen Einfluss der Impfungen auf die Herzgesundheit bestätigt“, der in der Branche viel Schaden angerichtet habe. Die falsche Behauptung, dass viele Flugzeugpilotinnen und –piloten an dem Anti-Covid-Impfstoff gestorben seien, kursiert seit der Einführung der Pflichtimpfung bei verschiedenen Fluggesellschaften. AFP hat sie hier widerlegt.
Dieser Artikel ist die wörtliche Übersetzung eines englischen Artikels, der am 17. Januar 2023 von Steve Kirsch, einem US-amerikanischen Unternehmer, veröffentlicht wurde. Kirsch ist weder Mediziner noch Medizinexperte und wurde dadurch bekannt, dass er im September 2021 bei einer öffentlichen Sitzung der US-Arzneimittelbehörde (FDA) behauptete, dass der Covid-Impfstoff mehr Menschen töten als retten würde. AFP hat Behauptungen Steve Kirschs bereits in Faktenchecks hier und hier widerlegt.
Änderung wurde von FAA schon 2018 angekündigt
Die FAA listet Änderungen ihres Leitfadens für Flugmedizinerinnen und –mediziner auf ihrer Website. In einer Aktualisierung vom 24. Oktober 2022 wurde ein Teil über „Herz und Rhythmusstörungen“ geändert und atrioventikuläre Blöcke (AV-Blöcke) ersten Grades, also eine gemessene Verlängerung des PQ-Intervalls, wurden dabei in zwei Kategorien unterschieden: „mit einem PQ-Intervall von weniger als 300 Millisekunden“ und „mit einem PQ-Intervall von 300 Millisekunden oder mehr“
Das PQ-Intervall ist eine der verschiedenen Messungen, die mit einem Elektrokardiogramm durchgeführt werden. Dabei wird die Zeit gemessen, die ein Impuls von den Herzvorhöfen bis zu den Ventrikeln braucht, wobei „die elektrischen Signale [jedes Herzschlags]“, in diesem Organ überwacht und aufgezeichnet werden, wie das Schweizer Waadtländer Universitätsspital CHUV in Lausanne auf seiner Webseite schreibt. Liegt die PQ-Dauer über 0,2 Sekunden liegt ein AV-Block ersten Grades vor.
AFP fragte bei der FAA am 24. und 26. Januar 2023 an und erhielt die Antwort, dass diese Änderung „nichts mit den Impfstoffen zu tun hat“ und bereits auf das Jahr 2017 zurückgehe, lange vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie und der Markteinführung der Impfstoffe: „Wir haben die Kriterien für das PQ-Intervall des atrioventikulären Blocks im Jahr 2017 nach Besprechungen mit unseren Kardiologieexpertinnen und -experten geändert, zu denen sowohl FAA-Ärztinnen und -Ärzte als auch externe Kardiologinnen und Kardiologen gehören. Bei dieser Gelegenheit wurde beschlossen, dass wir diesen Grenzwert sicher von 200 auf 300 Millisekunden erhöhen können, ohne den Pilotinnen und Piloten eine zusätzliche Untersuchung aufzuerlegen.“
Außerdem betonte die FAA: „Wir haben die Flugmedizinerinnen und -ediziner 2018 und 2019 zu dieser Änderung benachrichtigt, wie unter anderem ein Video zu diesem Thema zeigt, das im Oktober 2018 online gestellt wurde. Vor der Aktualisierung des Leitfadens für Flugmedizinerinnen und -mediziner im Oktober 2022, in die diese Änderung von 2017 eingeflossen ist, enthielt der Leitfaden keine Angaben zu den erforderlichen Zahlen für das Intervall.“
Bereits 2019 hatte die FAA zusätzlich auf ihrer Webseite ein Bild zu Elektrokardiogrammen veröffentlicht, das erklärt, wie sich EKGs richtig interpretieren lassen und dazu unterstützend Abbildungen angeführt: „Warum dauert die Einschätzung durch ein Elektrokardiogramm so lang? Viele banale EKG-Ergebnisse zeigen normale Varianten, die nicht erfordern, dass ein Pilot zurückgestellt wird, es sei denn, er hat Symptome oder es gibt einen anderen Grund zur Besorgnis.“
Pascal Defaye, Vorsitzender der Gruppe für Rhythmologie und Herzstimulation der Französischen Gesellschaft für Kardiologie erklärte am 25. Januar 2023 gegenüber AFP: „Das PQ-Intervall misst die Leitungszeit von den Herzvorhöfen zu den Herzkammern.“ Xavier Jouven, Professor für Kardiologie am französischen Hôpital Européen Georges Pompidou in Paris sagte am 24. Januar 2023 gegenüber AFP: „Der normale PQ-Abstand liegt zwischen 0,12 und 0,20, das bedeutet zwischen 120 und 200 Millisekunden. Das ist der Regelfall. Wenn der PQ leicht verlängert ist, was bis zu 300 Millisekundengehen kann, entspricht dies einem atrioventikulären Block ersten Grades, ist aber überhaupt nicht schlimm. Ein verlängerter PQ zwischen 0,20 und 0,30 gehört in den Bereich des Subnormalen.“
Eine harmlose Störung
Pascal Defaye fügte hinzu: „Ein verlängertes PQ-Intervall zeugt von einer stärkeren Verlangsamung der Reizleitung zwischen den Vorhöfen und den Herzkammern, aber der Impuls wird nicht blockiert, sondern nur verlangsamt. Bestimmte Sportlerinnen oder Sportler haben einen verlängerten PQ-Abstand, zwischen 220 und 230 Millisekunden. Ein atrioventikulärer Block ersten Grades ist harmlos.“
Im Einzelnen, so heißt es auf der Webseite der Kardiologieabteilung des Universitätsspitals Lausanne, zeige ein atrioventikulärer Block ersten Grades „oft keine Symptome und wird erst bei der Erstellung eines Elektrokardiogramms sichtbar“, während ein AV-Block zweiten Grades, der „einer stärkeren Erkrankung der Reizleitbahnen entspricht“, in den meisten Fällen dazu führt, dass der Patient „einen verminderten Puls, Pausen im Herzrhythmus oder eine Arrhythmie (Gefühl der unregelmäßigen Kontraktionen des Herzens)“ spüre.
Ein AV-Block dritten Grades könne schließlich zu einer „langen Pause oder sogar zum völligen Stillstand des Herzens führen, bevor das Herz wieder einen sehr langsamen Rhythmus annimmt“, was je nach Schweregrad zu Bewusstlosigkeit führen könne. „Bis zu einem Intervall von 300 Millisekunden handelt es sich also um eine asymptomatische Person, die überwacht werden muss“, betonte Pascal Defaye.
Keine Anstieg bei Todesfällen von Piloten
Das PQ-Intervall wird also nicht dazu benutzt, eine Myokarditis, eine Herzmuskelentzündung, zu erkennen. Diese gehört zu den Nebenwirkungen, die nach einer Impfung gegen Covid-19 mit einem mRNA-Impfstoff (Pfizer-Biontech oder Moderna) auftreten können, bleibt aber ein „seltenes Ereignis, das sich zurückbildet und meist nach der zweiten Dosis des Moderna-Impfstoffs bei jungen Männern auftritt.“ Das betonte die französische Gesellschaft für Pharmakologie und Therapeutik genauso wie Thomas Meinertz vom Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung.
Xavier Jouven betonte gegenüber AFP: „Wenn man an einer Herzmuskelentzündung leidet, ist die Herzkammer angegriffen. Der PQ-Abstand wird durch die Myokarditis nicht verändert.“ Pascal Defaye stimmte zu: „Die Symptome einer Herzmuskelentzündung sind Fieber oder Entzündungsschmerzen und kein verlängertes PQ-Intervall.“ Er wies außerdem darauf hin, dass Myokarditis, „im Zusammenhang mit dem Impfstoff eine Ausnahme bleibt“ und kuriert werden könne.
Wie die FAA außerdem am 17. Januar 2023 gegenüber AFP erklärte, „konnte der Federal Aeronautical Medical Officer der FAA feststellen, dass Piloten und Fluglotsen sicher mit Impfstoffen von Pfizer, Moderna, Johnson & Johnson oder Novavax geimpft werden können. Wir konnten keine beweiskräftigen Fälle von Flugzeugabstürzen oder Unvermögen von Piloten beobachten, die aus einer medizinischen Komplikation im Zusammenhang mit den Anti-Covid-Impfstoffen entstanden wären.“
Der Leiter der Unternehmenskommunikation der International Airport Transport Association (IATA), Perry Flint, äußerte sich ähnlich: „Wie unser medizinischer Berater David Powell erklärt, hat keine Fluggesellschaft oder andere Instanz der IATA irgendwelche Daten zur Verfügung gestellt, die auf eine Veränderung der Häufigkeit bei der Anzahl der Todesfälle von Piloten während eines Fluges hindeuten könnten.“
Fazit: Die US-Bundesluftfahrtbehörde hat die Grenzwerte im medizinischen Leitfaden für Pilotinnen und Piloten nicht gelockert, damit auch angeblich von der Covid-Impfung herzgeschädigte Pilotinnen und Piloten weiterhin als flugtauglich gelten könnten. Die Festsetzung der Grenzwerte bei EKG-Messungen wurde schon lange vor der Pandemie und Anwendung der Impfstoffe beschlossen.