Bei einem Anschlag am 22. März 2024 in einer Konzerthalle am Stadtrand von Moskau wurden laut den russischen Behörden mindestens 143 Menschen getötet. Die Gruppe „Islamischer Staat“ bekannte sich zu dem Anschlag. Der russische Präsident Wladimir Putin hingegen erklärte, dass die Verdächtigen, die nach ihrer Flucht festgenommen wurden, in die Ukraine fliehen wollten. Im Netz wurden daraufhin Fotos von ukrainischen Ausweisdokumenten gepostet, von denen behauptet wurde, sie zeigen die Angreifer. Diese Bilder werden jedoch schon seit mehreren Jahren im Internet verbreitet und haben keinen Bezug zum Anschlag in Moskau.
Am Abend des 22. März 2024 stürmten mehrere bewaffnete Männer die Crocus City Hall, eine Konzerthalle in Krasnogorsk nahe der russischen Hauptstadt. Sie eröffneten das Feuer auf die Konzertbesucher und setzten das Gebäude in Brand. Dabei wurden nach jüngsten Angaben mindestens 143 getötet.
Wenige Stunden nach der Tat bekannte sich der sogenannte „Islamische Staat“ (IS), den Russland in Syrien bekämpft und der auch im russischen Kaukasus aktiv ist, zu dem Anschlag. Ein Video, das offenbar von den Bewaffneten in der Lobby des Konzertsaals gefilmt wurde, wurde nach Angaben des Nachrichtendienstes SITE auch auf Social-Media-Konten des IS veröffentlicht.
Am 23. März 2024 sagte der russische Präsident Wladimir Putin, dass die vier Hauptverdächtigen nach der Tat auf der Flucht in die Ukraine gewesen seien, wo für sie „ein Zeitfenster für ihren Grenzübertritt“ vorbereitet worden sei.
Am 25. März 2024 erklärte Putin zum ersten Mal, dass radikale Islamisten für den Anschlag verantwortlich seien, deutete aber erneut an, dass sie Verbindungen zur Ukraine hätten. „Wir wissen, dass das Verbrechen von radikalen Islamisten begangen wurde, deren Ideologie die islamische Welt selbst seit Jahrhunderten bekämpft“, sagte er im Staatsfernsehen. Laut dem russischen Präsidenten seien jedoch „viele Fragen“ unbeantwortet geblieben, darunter die Frage, warum die Angreifer versuchten, in die Ukraine zu fliehen.
Eine Behauptung, die Kiew zurückgewiesen hat. „Die Ukraine hat nicht die geringste Verbindung zu dem Vorfall“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak am 23. März 2024.
In diesem Zusammenhang wird in Posts auf Telegram, Facebook und X behauptet: „Anscheinend wurden die Verdächtigen des Anschlags in Moskau identifiziert und sind alle ukrainische Staatsbürger.“ Ähnliche Behauptungen wurden auch in sozialen Medien auf Französisch, Englisch und Griechisch verbreitet. Um die Behauptungen zu untermauern, wurden vier Fotos von ukrainischen Ausweisen geteilt.
Diese Bilder haben jedoch nichts mit dem Anschlag bei Moskau am Freitag, dem 22. März 2024, zu tun.
Angriff auf eine Synagoge
Der erste Ausweis gehört zu Zesar Julij-Galarirogajlalirosr Ilitsch, einem 1991 geborenen Ukrainer. Wie eine umgekehrte Bildersuche zeigt, wurde sein Ausweis im August 2020 im Internet veröffentlicht, nachdem die ukrainische Polizei seine Verhaftung bekannt gegeben hatte.
Nach Informationen der Website „Jewish News“, aufgenommen von der Nachrichtenagentur „Unian“, wurde Ilitsch bei Ermittlungen zu einem Anschlag auf eine Synagoge in Mariupol am 28. Juli 2020 festgenommen.
Nach Angaben der Ermittler betrat der Mann am 28. Juli 2020, mit einer Axt bewaffnet, die Synagoge. Ein Wachmann griff ein und wurde verletzt. Es gelang ihm jedoch, die Waffe des Angreifers zu ergreifen und ihn aus der Synagoge zu vertreiben.
Nachdem er das Gebäude mit Müll und Exkrementen beworfen hatte, floh Ilitsch, wurde jedoch einen Monat später festgenommen.
Ukrainischer Youtuber
Ein weiterer im Post gezeigter Ausweis trägt den Namen „Mykola Malukha“. Er ist Blogger und verantwortlich für den ukrainischen Youtube-Kanal mit mehr als 127.000 Abonnenten, dessen Name übersetzt „Der Preis des Staates“ ist.
Der ursprünglich aus Russland stammende Mykola Malukha lebte seit Anfang der 2010er-Jahre in der Ukraine im Exil. Bei mehreren Gelegenheiten, wie im Januar 2016, beklagte er, dass es ihm trotz zahlreicher Versuche nicht gelungen war, die ukrainische Staatsbürgerschaft zu bekommen.
Einige Monate später bekam er jedoch die Staatsbürgerschaft, wie die ukrainische Seite „Apostrophe“ berichtete. Der Blogger teilte die Nachricht mit einem Foto seines neuen Ausweises. Es ist derselbe, der in den Postings verwendet wird.
„Es ist komisch, aber ich bin einer der Verdächtigen des Moskauer ‚Terroranschlags'“, schrieb er am 23. März 2024 auf seiner Facebook-Seite als Reaktion auf die zahlreichen Posts, die sein Foto zeigten.
Beispielbilder für Pässe
Wie eine weitere umgekehrte Bildersuche zeigt, handelt es sich bei den beiden anderen Ausweisen um anonymisierte Ausweisdokumente, die online als Beispiele verwendet werden.
Der erste Pass, dessen Foto unscharf ist, ist auf der russischsprachigen Wikipedia-Seite für ukrainische Reisepässe abrufbar. Die Bildunterschrift lautet: „Ukrainischer Reisepass von 1994, ausgestellt in Mariupol, Region Donezk“.
Laut der Website Wikimedia Commons wurde dieses Foto am 30. Juli 2020 von einem Benutzer namens Vadim Tolbatov online gestellt.
Der zweite Ausweis wurde am 28. Mai 2020 von der ukrainischen Nachrichten-Website „One“ veröffentlicht, um einen Artikel zu illustrieren, der über die Möglichkeiten, einen Personalausweis und eine Steuernummer zu erhalten, berichtet.
Das Logo dieses Mediums ist auch in den Posts in der rechten unteren Ecke des Bildes zu sehen.
Vier Männer, die am 24. März 2024 tatsächlich wegen des Anschlags angeklagt wurden, sind Staatsbürger Tadschikistans, eines überwiegend muslimischen Landes in Zentralasien. Das Gericht identifizierte sie als Muhammadsobir Fayzov, Shamsidin Fariduni, Rachabalizoda Saidakrami und Dalerjon Mirzoyev.
Drei weitere Verdächtige, von denen, Berichten zufolge, mindestens einer russischer Staatsbürger ist, wurden am 25. März 2024 wegen „terroristischer“ Straftaten angeklagt. Ein achter Mann wurde am 26. März 2024 im Zusammenhang mit den Anschlägen in Untersuchungshaft genommen. Nach Angaben des Moskauer Gerichts stammt er aus dem zentralasiatischen Land Kirgisistan.
Fazit: Die im Netz gezeigten Bilder von ukrainischen Ausweisen haben keinen Bezug zum Anschlag bei Moskau am 22. März 2024. Sie stammen von unbeteiligten ukrainischen Personen oder sind Beispielbilder für Ausweisdokumente.