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Nein, dieses Video zeigt keinen für Medien inszenierten Angriff russischer Streitkräfte

Ein in einem Wald gefilmtes Musikvideo wird in den sozialen Medien mit der falschen Behauptung verbreitet, es zeige die Vortäuschung eines Schallwaffen-Angriffs auf einen ukrainischen Soldaten. Angeblich sei die Szene inszeniert worden, um die russischen Streitkräfte des Einsatzes von psychologischen und akustischen Waffen zu beschuldigen. Das ist jedoch falsch. Der beteiligte Schauspieler und die Künstlerin des Videos bestätigten gegenüber AFP, dass das geteilte Video lediglich die Dreharbeiten zu einem Musikvideo zeigt, das im Oktober 2022 veröffentlicht wurde.

Das Video wird im Kontext des im Februar 2022 begonnenen Ukrainekrieges geteilt, der wegen der weitreichenden Verbreitung von Propaganda in sozialen Netzwerken auch als „Informationskrieg“ bezeichnet wird. Um die Wahrnehmung des Krieges in der Gesellschaft zu verzerren, werden unterschiedliche Strategien genutzt. Eine ist es, Videos von erkennbar künstlerischen Aktionen als vermeintlich entlarvte Desinformationskampagnen darzustellen. In sozialen Netzwerken werden diese dann als vermeintliche Fake-Produktionen für Medien geteilt. AFP überprüfte diese wiederkehrende Methode bereits im Zusammenhang des Ukraine-Kriegs (hier, hier, hier) und der Corona-Pandemie.

Das aktuell kursierende Video zur angeblichen Schall-Attacke wurde mit der falschen Behauptung von Hunderten Usern in sozialen Medien geteilt. Dutzende auf Facebook, Hunderte auf Twitter und auf Telegram erreichte die Behauptung Zehntausende. Ähnliche Behauptungen kursierten auch auf Englisch, Niederländisch und Bulgarisch.

Die Behauptung: User teilen das Video und schreiben im Beitragstext: „Es wird scheinbar bereits das nächste #Fake gedreht. Die Überschriften sollen nun ‚psychologische Waffen / Schallwaffen der Russen‘ heißen.“

Screenshot der Behauptung auf Facebook: 27.10.2022

Video zeigt Schauspieler bei Musikvideo-Dreh

Das aktuell geteilte Video zeigt einen Mann in ukrainischer Armeeuniform, der sich qualvoll den Kopf hält und schreit. Vor ihm ist eine Kamera zu sehen.

AFP hat mithilfe einer umgekehrten Bildsuche versucht, den Ursprung des Videos zu finden, hat aber diesmal keine relevanten Ergebnisse gefunden. Der Ursprung des Videos lässt sich allerdings mittels eines Hinweises im Bild ermitteln: Unter dem TikTok-Logo  steht „user4775478401030„.

Bei dem User handelt es sich um einen „Piter Smog“, der auch weitere Videos von sich in Armeeuniform und vor einer Kamera gepostet hat. In einem der Videos vom 15. Oktober 2022 erklärt er in Uniform und mit Kunstblut verschmiert auf russisch: „Das alles ist alles Kino. […] aber so ist es auch in der Realität. Gott bewahre.“

Dass er Schauspieler ist, bestätigt er auch in einem anderen Video von Mitte Oktober in dem er sich außerdem als Petr Scherekin vorstellt. Darin erklärt er auf russisch, dass die von ihm gespielte und später als „Backstage-Aufnahme“ geteilte Szene mit dem knienden und schreienden ukrainischen Soldaten von „russischen Propagandisten“ benutzt worden sei. Die von ihm beschriebene Behauptung zu seinem Video gleicht der deutschen.

In Wirklichkeit zeige das Backstage-Video allerdings Aufnahmen zu einem Musikvideo über den Krieg in der Ukraine, erklärte er. Bereits am 14. Oktober veröffentlichte Scherekin ein Youtube-Video in Uniform, in dem er die Dreharbeiten erklärte und auch die Sängerin Anna Khanina zeigte.

Scherekin bestätigte dies auch gegenüber AFP am 26. Oktober 2022. Er sagte außerdem. „Das ist eine billige Fake-Information, die sich nicht länger als 24 Stunden gehalten hat.“

AFP kontaktierte auch die Sängerin des Liedes aus dem Musikvideo zu „Lullaby“, Anna Khanina. Sie bestätige am gleichen Tag die AFP-Recherche. Das Video sei am 13. Oktober 2022 aufgenommen worden. Sie erklärte außerdem: „Nicht alle gedrehten Aufnahmen wurden in das Video aufgenommen. Natürlich gibt es, wie bei jedem anderen Dreh, mehr Material.“

Eine sehr ähnliche Szene, wie die auf Facebook geteilte, ist dennoch in dem am 22. Oktober 2022 veröffentlichten Musikvideo zu sehen.

In dem russischsprachigen Lied singt eine Mutter Ihrem Sohn ein Schlaflied über den Krieg. Das Lied erzählt auch von seinem Vater, der als Soldat an der Front ist. Das Musikvideo zeigt dazu einen ukrainischen Soldaten im Wald.

Sängerin Khanina sagte zur Entstehung des Liedes gegenüber AFP: „Ich habe am eigenen Leib gespürt, was Menschen fühlen, wenn sie besetzt werden. Mein Haus und die Häuser vieler Bürger wurden bombardiert, ich schickte meinen Mann wie viele Frauen mit Tränen und Hoffnungen in den Krieg.“ Khanina sei allerdings nicht die Verfasserin des Liedes: „Mein Mann hat den Text zu diesem Lied geschrieben.“

Kampf um Informationen in Russland

Der Kampf um die Deutungshoheit von Informationen über den Ukraine-Krieg tobt nicht nur in sozialen Medien, sondern auch in Russland. Dort werden kritische Proteste und Medien unterdrückt. Viele unabhängige Medienschaffende sind in das Ausland geflohen.

Fazit: Die Behauptung, das auf Facebook geteilte Video eines leidenden ukrainischen Soldaten zeige den inszenierten Einsatz von Schallwaffen gegen einen ukrainischen Soldaten, ist falsch. Das Video zeigt einen Dreh für ein Musikvideo. Das bestätigten der gezeigte Schauspieler und die Sängerin des Liedes gegenüber AFP.

3. November 2022: Tippfehler im Titel korrigiert.

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Politik, Ukraine

Autor(en): Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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