Es gibt keine Hinweise, dass Fluorid – in der Menge, in der es etwa Zahnpasta oder Trinkwasser zugesetzt wird – gesundheitsschädlich ist. Zuletzt behaupteten mehrere Postings in sozialen Medien, Fluorid sei ein Giftstoff, der vom US-amerikanischen Amt für Umweltschutz offiziell als solcher qualifiziert worden sei. Zudem verursache Fluorid beim Menschen angeblich schneller und häufiger Krebs als jede andere chemische Substanz. Experten wiesen das gegenüber AFP zurück.
In sozialen Medien verbreiten sich Beiträge, die vor angeblich gefährlichen Nebenwirkungen von Fluorid warnen. Auf Facebook kursiert ein Posting vom 5. April 2023 mit dem Titel „Fluoride: nicht abbaubares Umweltgift“. Darunter ist eine Buchseite abgebildet. Unterstrichen ist folgender Satz: „Fluorid ist ein biologisch nicht abbaubares Umweltgift, das von der amerikanischen Environmental Protection Agency (etwa: Amt für Umweltschutz) offiziell als Giftstoff klassifiziert worden ist.“ Hervorgehoben ist außerdem diese Passage: „Die Bestialität von Fluorid wurde von Dr. Dean Burk vom National Cancer Institute in einer knappen Erklärung zusammengefasst: ‚Fluorid verursacht häufiger und schneller Krebs beim Menschen als jede andere chemische Substanz.'“
Der Post wurde über 430 Mal auf Facebook geteilt. Hinzu kommen weitere ähnliche Beiträge auf Telegram, die vor angeblich gefährlichen Nebenwirkungen von Fluorid warnen. Auch laut diesem Reel eines Facebook-Users, das über 1250 Mal geteilt wurde, seien Fluoride „Giftstoffe“. Zahlreiche dieser Postings beinhalten Bilder von Zahnpasta.
Die Behauptungen sind jedoch falsch: Wissenschaftliche Hinweise auf eine krebserzeugende Wirkung von Fluorid bei Menschen gebe es nicht, erklärten Forschende gegenüber AFP. Fluorid in erlaubten Dosen – in der Menge, in der es etwa Zahnpasta oder Trinkwasser zugesetzt wird – sei im Übrigen weder gesundheitsschädlich noch giftig, zeigen Studien.
Falschbehauptungen zu Fluorid kursieren auch in anderen Sprachen, die AFP etwa auf Englisch oder Polnisch überprüft hat.
Fluorid nicht krebserregender als jede andere chemische Substanz
Bei Fluor handelt es sich um ein aggressives, giftiges Gas. Fluorid hingegen ist ein Salz, das überall in der Natur vorkommt. Auch der menschliche Körper enthalte Fluorid in Knochen und Zähnen, erklärte Jörg Striessnig auf Anfrage von AFP am 12. Juni 2023. Er ist Leiter des Instituts für Pharmazie an der Universität Innsbruck und stellvertretender Vorsitzender der österreichischen pharmakologischen Gesellschaft.
Eine zentrale Behauptung im geteilten Posting ist, dass Fluorid „häufiger und schneller Krebs beim Menschen als jede andere chemische Substanz“ verursache. Diese Erklärung stammt laut Posting von Dean Burk vom US-amerikanischen National Cancer Institute (NIH). Burk war Biochemiker und bis 1974 am NIH tätig. Aus Sterblichkeitsstatistiken nordamerikanischer Städte schloss er 1977, dass mit der Trinkwasserfluoridierung die Todesfälle durch Krebs zunähmen.
Zahlreiche Nachuntersuchungen, die auch das NIH selbst anführt, zeigten jedoch, dass kein solcher Zusammenhang zwischen Fluoridierung von Wasser und Krebs beim Menschen bestehe. In ihrem 1987 veröffentlichten Bericht bezeichnete die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), Teil der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Fluoride als „nicht klassifizierbar hinsichtlich ihrer Karzinogenität (Fähigkeit, Krebs beim Menschen zu verursachen, Anm. d. Red.)“. Im Gegensatz dazu werden von der IARC aktuell über 120 Stoffe als karzinogen beim Menschen eingestuft.
Die IARC führt eine Liste mit krebserregenden Stoffen. Fluoride sind dabei als nicht klassifizierbar angegeben. Andere Stoffe wie etwa Nickelverbindungen oder Ethanol in alkoholischen Getränken sind hingegen als krebserregend eingestuft. Gleiches gilt für Tabak oder Ruß.
Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) erklärte, dass aus den verfügbaren Daten „kein erhöhtes Krebsrisiko bei den beobachteten Fluoriddosen abgeleitet werden“ könne. Michael Freissmuth, Leiter des Zentrums für Physiologie und Pharmakologie an der Medizinischen Universität Wien, konkretisierte am 12. Juni 2023 gegenüber AFP: „Die einzige Krebserkrankung, für die ein Kausalzusammenhang mit Fluorid diskutiert wird, ist das Osteosarkom (Knochentumor, Anm. d. Red.). Hier sind die Hinweise sehr dünn.“ Die normale Exposition, die etwa durch Nahrung und Getränke geschieht, sei nicht mit einem erhöhten Risiko verbunden. Dies belegen zahlreichen Studien beispielsweise hier oder hier.
Fluorid ist nicht biologisch abbaubar
Auf die Frage von AFP, ob es sich bei Fluorid um ein „biologisch nicht abbaubares Umweltgift“ handle – wie in dem überprüften Posting behauptet –, erklärte Pharmakologe Freissmuth: „Fluor ist ein natürliches Element, Fluorid ist das dazugehörige Anion (negativ geladenes Atom, Anm. d. Red.): Es ist daher logisch, dass Fluorid nicht abbaubar ist.“
Biologische Abbaubarkeit bezeichnet das Vermögen von Chemikalien, durch natürliche Prozesse, also durch Lebewesen oder deren Enzyme, zersetzt zu werden. Auf Atome treffe das nie zu, so Freissmuth. Auch andere, gemeinhin als ungefährlich geltende Stoffe wie zum Beispiel Chloride sind demnach nicht biologisch abbaubar. Dementsprechend kann daraus keine Giftigkeit abgeleitet werden.
Fluorid für Menschen bei regulärer Aussetzung ungiftig
Fluorid als „Umweltgift“, wie in dem aktuellen Posting auf Facebook weiter angeführt, könne „nur aus industriellen Prozessen entstehen“, schrieb Mediziner Striessnig AFP per E-Mail. Giftig für den Menschen könne Fluorid nämlich nur in hoher Konzentration sein. „Dazu müsste es aber regulatorische Vorschriften geben wie für alle anderen Substanzen.“
Fluorid kommt einerseits natürlich in Trinkwasser vor, in einigen Ländern wird es diesem aber auch teilweise zugefügt, etwa in den USA. Grund hierfür sei die „positive Wirkung auf die Vorbeugung von Karies“, wie die amerikanische Environmental Protection Agency (EPA) auf ihrer Website anführt.
Von der EPA wird Fluorid in Bezug auf Trinkwasser offiziell als „Schadstoff“ („contaminant“) angeführt. Es komme allerdings auf die Dosierung an, hieß es gegenüber AFP. Die maximal zulässige Fluoridmenge im Trinkwasser liege bei 4 Milligramm pro Liter.
Damit das darin enthaltene Fluorid giftig werde, müsste sehr viel Leitungswasser konsumiert werden, teilte Matt Hopcraft, Professor an der australischen Melbourne Dental School, AFP per E-Mail für diesen Faktencheck mit. Hopcraft erklärte am 24. November 2020, dass eine toxische Fluoriddosis 5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht betrage. Bei einem 70 Kilogramm schweren Erwachsenen würde das 350 Milligramm Fluorid ausmachen. Ein Erwachsener in den USA müsste demnach 90 Liter Wasser trinken – sollte die laut EPA maximal zulässige Fluoridmenge von 4 Milligramm pro Liter erfüllt sein –, um eine toxische Dosis zu erreichen.
Weitgehend liegt die Menge an Fluorid jedoch deutlich darunter (rund 0,8 Milligramm pro Liter etwa in New York oder Los Angeles). Derartige Überlegungen führt das geteilten Facebook-Posting nicht an.
Laut des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) seien die Fluoridgehalte des Trinkwassers in Deutschland im Allgemeinen niedrig, mehr als 90 Prozent des Trinkwassers enthielten weniger als 0,3 Milligramm Fluorid pro Liter.
Fluorid als Vorbeugung gegen Karies
Das amerikanische Centers for Disease Control (CDC) empfahl einen optimalen Wert von 0,7 Milligramm pro Liter „für genügend Fluorid, um Karies bei Kindern und Erwachsenen vorzubeugen und gleichzeitig das Risiko einer Zahnfluorose zu begrenzen“. Bei einer Zahnfluorose kommt es aufgrund von zu viel Fluorid zu Zahnschmelzveränderungen. Diese stellen „die einzige unerwünschte gesundheitliche Auswirkung der Fluoridierung von Leitungswasser“ dar.
Aufgrund ihres Beitrags zum starken Rückgang von Karies in den USA seit den 1960er-Jahren bezeichneten die CDC die Fluoridierung von Leitungswasser im Übrigen als eine „der zehn großen Errungenschaften im Bereich der öffentlichen Gesundheit des 20. Jahrhunderts“. Sowohl von der WHO als auch von der World Dental Federation wird eine Fluoridprophylaxe empfohlen.
In der Europäischen Union darf die Konzentration von Fluorid in Zahnpasten 1500 ppm (parts per million) nicht überschreiten. Auch die EFSA schlägt eine „angemessene Zufuhr“ von Fluorid zur Vorbeugung von Karies vor – etwa durch Zahnpflegeprodukte oder Wasser.
Fazit: Wie für viele Stoffe gilt auch für Fluorid, dass die Menge darüber entscheidet, ob ein Stoff schädlich ist. In einem niedrigen Dosisbereich – in der Fluorid etwa Zahnpasta oder Trinkwasser zugesetzt wird – hat es sogar eine günstige Wirkung zur Kariesverhütung. Studien zeigen keinen Zusammenhang zwischen der Aufnahme von Fluorid und einem erhöhten Krebsrisiko.