Bewertung
Die präsentierten Angaben sind nur teilweise richtig. Manche Angaben etwa zur Höhe der Steuereinnahmen oder zur Armut in Deutschland entsprechen ungefähr den Tatsachen, andere etwa zu Rentnern oder Kita-Plätzen sind Schwarzmalerei.
Fakten
Das Gesicht, die Stimme und die Abendsonne bleiben gleich, immer wieder taucht der erhobene Zeigefinger auf – doch die Kopfbedeckung, die Brille, der Schaukelstuhl, die Strickweste und die Veranda verändern sich: Im Video sprechen kein echter Rentner und seine Zwillingsbrüder – die verschämt mit «#ki» gekennzeichneten Bilder wurden mit einem Computerprogramm künstlich hergestellt. Auch dem Inhalt ist nicht immer zu trauen.
Die Faktenchecker der Deutschen Presse-Agentur (dpa) haben den KI-generierten Clip unter die Lupe genommen und mehrere der angeblichen «Fakten über Deutschland» ausgewertet:
Behauptung: Es gibt mehr Steuerberater als Polizisten.
Falsch. Die Zahl der Steuerberater lag am 1. Januar 2025 bei knapp 90.000, wie die Bundessteuerberaterkammer als Dachorganisation aller Steuerberater in Deutschland in ihrer Berufsstatistik (S. 3) mitteilt. Die Zahl der Polizisten in Bund und Ländern belief sich hingegen Mitte 2023 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Download, Tabellen 74111-15/Bund und 74111-17/Länder) auf gut 351.000, also das fast Vierfache.
Behauptung: Rentner zahlen Steuern auf Renten, obwohl diese schon versteuert wurden.
Zu kurz gegriffen. Denn gleichzeitig gibt es für Angestellte Entlastung bei den Rentenbeiträgen, die während des Berufslebens in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt werden. Das Problem einer möglichen Doppelbesteuerung gilt Experten zufolge (hier oder hier) nur in Einzelfällen als möglich.
Wie sieht die Regelung aus? Bis zum Jahr 2005 zahlten Angestellte ihre Rentenversicherungsbeiträge aus bereits versteuertem Einkommen – dafür war der größte Teil der Rente dann steuerfrei. Das nannte sich vorgelagerte Besteuerung, also Zahlungen vor dem Ruhestand. Das Bundesverfassungsgericht forderte aber den Umbau auf eine nachgelagerte Besteuerung, also eine Besteuerung ab Ruhestand.
Um dem nachzukommen, wird das Rentensystem über viele Jahrzehnte umgebaut, und zwar wie folgt: Seit 2005 stieg einerseits Jahr für Jahr der Anteil der Rentenbeiträge, die Angestellte als Vorsorgeaufwendungen von der Steuer absetzen können. Seit 2023 sind sie (bis zu einem Höchstbetrag) zu 100 Prozent steuerbefreit.
Im Gegenzug dazu sinkt seit 2005 (Download, S. 17) schrittweise der steuerfreie Anteil für Rentner – beziehungsweise: wächst der steuerpflichtige Anteil der Rente. Wer 2005 in Rente ging, hatte 50 Prozent seiner Rente zu versteuern. Für diejenigen, die 2025 erstmals Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten, liegt der Anteil bei 83,5 Prozent. Ab 2058 soll er bei 100 Prozent liegen.
Behauptung: 14 Millionen Deutsche sind arm, 1,4 Millionen gehen regelmäßig zur Tafel.
Stimmt in etwa. Im Jahr 2024 waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 13,1 Millionen Menschen in Deutschland armutsgefährdet, 2023 waren es 12,1 Millionen. Als armutsgefährdet gilt, wer mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung auskommen muss. Eine der Tafeln besuchen dem Dachverband zufolge rund 1,5 Millionen Menschen im Jahr.
Behauptung: Staat nimmt jährlich 900 Milliarden Euro Steuern ein.
Auch das stimmt. Im Jahr 2024 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes insgesamt 947,7 Milliarden Euro Steuern von Bund, Ländern und Gemeinden eingenommen. In den Vorjahren waren es (Download) 915,7 Millionen (2023) und 895,7 Millionen Euro (2022).
Behauptung: In Deutschland existiert kein Schulfach über Finanzen.
Falsch. Das Fach gibt es deutschlandweit in Berufsschulen. An allgemeinbildenden Schulen sind in den meisten Bundesländern die Themen Wirtschaft und Finanzen tatsächlich keine eigenen Fächer, werden aber dennoch nicht vernachlässigt. In der Regel sind sie in Fächer wie Politik, Sozial- oder Gemeinschaftskunde integriert.
Eigenständige Schulfächer für Wirtschaft und Finanzen gibt es etwa in den Bundesländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit zusammen mehr als 4,1 Millionen der bundesweit gut 11,3 Millionen Schülerinnen und Schülern.
Behauptung: Es fehlen mehr als 700.000 Kita-Plätze.
Übertrieben. So hoch ist die Versorgungslücke nicht. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung vom Herbst 2023 fehlen rund 430.000 Kita-Plätze. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln hat im Frühjahr die Betreuung der Unter-3-Jährigen unter die Lupe genommen. Demnach gab es bundesweit für 306.000 Kinder in diesem Alter keinen Kita-Platz.
Behautpung: Milliarden fließen für Entwicklungshilfe ins Ausland.
Stimmt. Die öffentlichen Mittel für Entwicklungsleistungen aus Deutschland betrugen nach vorläufigen Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Jahr 2024 rund 30 Milliarden Euro und damit rund fünf Milliarden weniger als im Jahr davor. Etwa ein Fünftel davon entfällt auf Kosten für die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland.
Die Bundesrepublik hat 0,67 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Unterstützung ärmerer Länder bereitgestellt und liegt damit auf Platz fünf hinter Norwegen (1,02 Prozent), Luxemburg (1,00 Prozent), Schweden (0,79 Prozent) und Dänemark (0,71 Prozent). Eigentlich lautet das Ziel der wichtigen Geberländer: 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens.
Behauptung: Jeder dritte Rentner muss weiter arbeiten.
Falsch. Das Statistische Bundesamt gibt im Herbst 2024 an, dass 2023 hierzulande 13 Prozent der Rentnerinnen und Rentner im Alter von 65 bis 74 Jahren erwerbstätig waren, nicht 33 Prozent. Von diesen erwerbstätigen Rentnern ging demnach ein Drittel aus finanzieller Notwendigkeit arbeiten.
Behauptung: Man wartet in der Regel drei bis sechs Monate auf einen Facharzttermin.
Das kann sicherlich bei gesetzlich Versicherten individuell vorkommen, je nach Facharzt oder Region. Aber ob es die Regel ist?
Der GKV-Spitzenverband (Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen) hat im Jahr 2024 Versicherte befragt. Diese repräsentative Erhebung ergab, dass jeder Zweite innerhalb von 10 Tagen eine Fachärztin oder einen Facharzt sprechen konnte. 25 Prozent der Patienten hätten aber länger als 30 Tage auf einen Termin in der Facharztpraxis warten müssen.
Eine Auswertung der Terminvergabe auf dem weit verbreiteten Portal «Doctolib» durch das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» vom Mai 2025 ergab (kostenpflichtig): Gesetzlich versichterte Neupatienten müssen am längsten bei Lungenfachärzten auf einen Termin warten – im bundesweiten Mittel 129 Tage (also gut vier Monate). Bei Hautärzten, Neurologen und Kardiologen waren es demnach mehr als 80 Tage (also etwas weniger als drei Monate), bei Kieferorthopäden nur 11 Tage.
Behauptung: Eins von fünf Kindern kann nach der Grundschule nicht richtig lesen.
Es sind sogar mehr. Nach im Mai 2023 veröffentlichten Ergebnissen der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu) erreichte jeder vierte Viertklässler (25 Prozent) in Deutschland nicht das international festgelegte Mindestniveau im Textverständnis. Im internationalen Vergleich landete Deutschland damit unter dem Durchschnitt der EU-Staaten. In der vorangegangenen Iglu-Erhebung von 2017 lag der Anteil noch bei 19 Prozent.
Behauptung: 1,4 Millionen Wohnungen stehen leer.
Auch hier sind es mehr. Nach Erhebungen des Zensus gab es Mitte Mai 2022 sogar rund 1,9 Millionen leere Wohnungen in Deutschland. Die Leerstandsquote lag damit bei 4,3 Prozent. In Ballungsräumen wie in wachstumsstarken Großstädten und deren Umland werden händeringend Wohnungen gebraucht, in Landkreisen mit sinkender Bevölkerung hingegen bleiben immer mehr Wohnungen ungenutzt.
(Stand: 29.8.2025)