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«Tagesschau» verwendet weiterhin den Begriff «Mutter»

Es war ein Medien-Aufreger in der Woche vor Ostern: Die ARD-«Tagesschau» hat in einem ihrer Online-Texte zeitweise die Formulierungen «gebärende Person» und «entbindende Person» genutzt. Daraufhin wurde das Schreckgespenst eines Verbots des Begriffs «Mutter» an die Wand gemalt. Die Kabarettistin Monika Gruber verbreitet etwa am 4. April 2023 auf ihren Social-Media-Kanälen, «dass die „Tagesschau“ offenbar den Begriff „Mutter“ aus dem Wortschatz verbannen» wolle. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spielt auf der Klaviatur der Erregung mit.BewertungDie «Tagesschau» nutzt das Wort «Mutter» weiterhin, wie anhand verschiedener Texte sehr einfach zu erkennen ist. Der NDR macht klar: Es gibt keine Anweisung, den Begriff in Beiträgen zu vermeiden.Fakten

Auch durch einen Kaiserschnitt geborene Babys erhielten «nützliche Bakterien der Mutter». Nach den schweren Erdbeben in der Türkei habe «eine Mutter ihr Baby» wieder in die Arme geschlossen. In Köln könne der Besuch einer Eisdiele für «Mutter, Vater, Sohn und Tochter» schnell mal 16 Euro und mehr kosten. Und in Finnland bekomme «jede angehende Mutter» vom Staat eine Baby-Grundausstattung geschenkt.

Komische Zusammenstellung, oder? Stimmt, doch zeigt diese zugegebenermaßen willkürliche Zitatensammlung: Aus Online-Artikeln der «Tagesschau» vom April 2023 ist das Wort «Mutter» bei Weitem nicht getilgt.

«Zu keinem Zeitpunkt gab es bei der „Tagesschau“ den Entschluss oder die Anweisung, das Wort „Mutter“ nicht zu verwenden», teilt denn auch eine Sprecherin des zuständigen Norddeutschen Rundfunks (NDR) am 4. April auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit.

Was war passiert? In einem Artikel über das geplante Gesetz zum Familienstart nutzt das Nachrichtenportal am 31. März zunächst die Formulierungen «gebärende Person» und «entbindende Person». Bereits am darauffolgenden Tag – also am 1. April – ändert die Redaktion die Begriffe in «Mutter» und machte das in einem Hinweis transparent. Erst drei Tage später macht Kabarettistin Gruber ihrer Aufregung über «diesen Wahnsinn» Luft.

«Gebärende Person» kann im Kontext des Artikels Sinn ergeben

In dem «Tagesschau»-Artikel geht es um ein Gesetzesvorhaben aus dem Bundesfamilienministerium. Dieses sieht vor, dass auch das Elternteil, das nicht das Baby zur Welt bringt, künftig zwei Wochen nach der Geburt vom Job freigestellt werden kann.

Die Verwendung der Begriffe «entbindende» oder «gebärende Person» verstehen manche dabei durchaus als präzise Sprache: Einerseits wird deutlich, dass die geschlechtliche Identität für den geplanten Sonderurlaub des Partners oder der Partnerin keine Rolle spielt. Zudem kann damit etwa ein Unterschied für Familienkonstellationen herausgehoben werden, in denen sich beispielsweise zwei Partnerinnen beide als Mütter des Nachwuchses verstehen, auch wenn natürlich nur eine von beiden das Kind entbindet.

Dass die «Tagesschau» diese Begriffe kurzzeitig verwendet hat, ist natürlich nicht gleichbedeutend mit einer Verbannung. Gruber behauptet außerdem, man dürfe heutzutage auch nicht mehr das Wort «Frau» verwenden. Beweise für diese steile These legt sie keine vor.

Die Kabarettistin nimmt zudem das geplante Selbstbestimmungsgesetz ins Visier. Den aktuell noch in der Debatte befindlichen Vorstellungen der Bundesregierung zufolge soll jeder Mensch in Deutschland sein Geschlecht und seinen Vornamen künftig selbst festlegen und in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern können. Gruber will sich «ziemlich sicher» sein, es werde «in einer Nacht-und-Nebel-Aktion» durchgewunken, «dass du dir ein Mal im Jahr dein Geschlecht selber aussuchen kannst».

Tatsächlich gab und gibt es eine breite mediale Debatte über das Ampel-Vorhaben. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden unzählige Medienartikel zu diesem Thema online gestellt. Auch gedruckte Texte allein aus den Monaten zwischen Januar und März sind in Hülle und Fülle vorhanden.

Keine Erkenntnisse über angeblich drohende Belästigungen

Einen Dauerbrenner-Mythos in dieser Diskussion lässt Gruber freilich nicht aus: Sie beschwört das Phantom biologischer Männer herauf, die künftig angeblich mithilfe des Selbstbestimmungsgesetzes in Damenumkleiden Frauen belästigen würden. Dabei ist es Betreibern etwa von Schwimmbädern, Saunen oder Thermen weiterhin völlig unbenommen, exhibitionistisches und sexualisiertes Verhalten oder Erregung öffentlichen Ärgernisses von Gästen zu ahnden und vom Hausrecht Gebrauch zu machen. Werden Straftaten begangen, verfolgt diese die Polizei – unabhängig von der Geschlechtsidentität.

Bisher gibt es nirgendwo wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse, dass mit Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes etwa in anderen Staaten dort solcherlei Fälle in Umkleiden zugenommen hätten. Im Gegenteil: Eine Studie aus dem US-Bundesstaat Massachusetts von 2018 kommt etwa zu dem Ergebnis, «dass Befürchtungen, Antidiskriminierungsgesetze verletzten Sicherheit und Privatsphäre, empirisch nicht begründet sind». Ausgewertet wurden Daten aus öffentlich zugänglichen Berichten zu Übergriffen, Sexualverbrechen und Voyeurismus in öffentlichen Toiletten, Umkleideräumen und -kabinen.

Menschen müssen in deutschen Schwimmbädern und Saunen aktuell keinen Ausweis vorzeigen. Kontrollen nach dem Geschlechtseintrag im Pass gibt es keine. Voyeure könnten also heute schon einfach eine Umkleide betreten. Warum sie sich also die Mühe machen sollten, dafür künftig ihren Geschlechtseintrag bei allen möglichen Behörden, Banken, Telefonanbietern und anderen Stellen ändern zu lassen – diese Erklärung bleibt Gruber schuldig.

(Stand: 14.4.2023)

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Politik, Gesellschaft

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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