Den Köpfen hinter der Kampagne wird nun unterstellt, die Wahl zum Schaden der AfD beeinflussen zu wollen. «Du bekommst Geld, wenn du gegen die AfD stimmst», heißt es etwa bei Instagram. Auch aus der AfD kommen Stimmen, die von «Wahlmanipulation» sprechen. Sollen sich also Studierende gegen eine Geldzahlung ummelden, um gegen die rechtspopulistische Partei zu stimmen?
Bewertung
Das stimmt nicht. Die Prämien für eine Anmeldung zum Hauptwohnsitz gibt es seit Jahren – nicht von den Unis, sondern aus der Stadtkasse. Das Geld erhalten alle Studierenden und Auszubildenden, die sich neu in den Thüringer Städten anmelden – also auch potenzielle AfD-Wähler. Die Hochschulen wollen mit ihrer aktuellen Kampagne zum Wählen animieren und die Demokratie stärken. Die AfD oder andere Parteien werden an keiner Stelle der Aktion erwähnt.
Fakten
2024 wird ein bedeutendes Wahljahr in Thüringen: Am 26. Mai stehen Kommunalwahlen an, am 9. Juni die Europawahl und am 1. September die Landtagswahl. Die AfD war in Umfragen zuletzt stärkste Kraft. Die Partei um ihren Landeschef Björn Höcke wird vom Thüringer Verfassungsschutz als «erwiesen rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung» eingestuft (S. 16).
Hochschul-Kampagne «92 Tage» pro Wahlbeteiligung
Die aktuelle Aktion «92 Tage» ist eine Initiative der Bauhaus-Universität in Weimar und sechs weiterer Thüringer Hochschulen, «um die Demokratie in diesem Bundesland und unsere freiheitliche Grundordnung zu stützen: durch eine hohe Wahlbeteiligung», wie es auf der Website der Aktion heißt.
Es ist ein Aufruf an Menschen, die in dem Bundesland noch nicht ihren Hauptwohnsitz haben. Auf der Kampagnen-Webseite ist unter anderem das Formular zur Anmeldung bei der Meldebehörde verlinkt. Zudem werden bestimmte Prämien angegeben, die ausgewählte Städte für eine Anmeldung zahlen.
Ausbildungsprämien gibt es seit Jahren
In Weimar erhalten nach Angaben der Stadtverwaltung Studierende und Auszubildende seit 2020 eine einmalige Prämie in Höhe von 300 Euro, wenn sie ihren Hauptwohnsitz für mindestens ein volles Kalenderjahr in die Stadt verlegen.
Gera lockt seit 2016 Studierende, Azubis und Berufsschüler mit einer Ausbildungsprämie von bis zu drei Mal 100 Euro pro Kalenderjahr. Jena zahlt seit 2006 Antragstellern aus diesen Gruppen eine Hauptwohnsitzprämie – aktuell in Höhe von einmalig 120 Euro. Schmalkalden übernimmt die Semestergrundgebühren von 50 Euro bei Studierenden mit Hauptwohnsitz in der Stadt. Und Ilmenau gewährt seit langem einen Zuschuss – derzeit von jährlich mindestens 80 Euro.
Unistädte greifen zu solchen Prämien, weil Studierende oft zunächst ihren Erstwohnsitz lieber bei den Eltern in anderen Teilen Deutschlands behalten als am Uni-Standort. Wenn sie ihren Hauptwohnsitz dorthin verlegen, erhöhen sich die offiziellen Einwohnerzahlen der betroffenen Städte. Dadurch erhalten diese wiederum mehr Finanzmittel vom Bundesland.
Kampagne spricht nirgends von der AfD
An keiner Stelle ist bei der Hochschul-Kampagne von irgendeiner Partei die Rede. «Wichtig ist, dass wir die demokratischen Prozesse und Grundwerte stärken», sagt einer der Initiatoren von «92 Tage», der Professor für visuelle Kommunikation an der Bauhaus-Universität Weimar, Burkhart von Scheven. Die Aktion sei ausdrücklich nicht parteipolitisch angelegt, die Bedrohung der Demokratie könne von überall kommen.
Der bloße Aufruf, sich umzumelden und zur demokratischen Wahl zu gehen, beinhaltet keine Präferenz für eine Stimmenabgabe. Von niemandem aus der Gruppe der Studierenden, Auszubildenden oder Berufsschüler erwartet die Kampagne, eine bestimmte Partei zu wählen oder eben nicht zu wählen.
Gestrichener Satz sorgt für Wirbel
Auf der Website von «92 Tage» fand sich bis vor Kurzem noch dieser mittlerweile gestrichene Satz: «Wir sind davon überzeugt, dass der Ausgang aller kommenden Wahlen im Land [Thüringen] im Sinne der demokratischen Kräfte beeinflusst werden kann.»
Dass vor allem aus der rechten Ecke unter anderem deswegen Angriffe gegen die Aktion gefahren werden, zeigt für Bauhaus-Professor von Scheven, «dass sich die rechte Szene offenbar nicht als demokratische Kraft angesprochen fühlt».
Aus Sicht des Thüringer Wissenschaftsministeriums bewegen sich die Hochschulen «mit der Teilnahme an den genannten gesellschaftlichen Kampagnen im zulässigen Rahmen». Nach Paragraf 5 des Thüringer Hochschulgesetzes dienen die Hochschulen «der Pflege und Entwicklung der Wissenschaften und der Künste durch Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat».
Obwohl er der Kampagne unterstellt, dass sie sich gegen die AfD richte, kann der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel im Gespräch mit dem «Spiegel» keine Stelle anführen, in der die AfD explizit genannt wird. Aus Sicht des Wissenschaftlers wird keine Manipulation vorangetrieben. Die Kampagne als «Wahlbetrug» zu bezeichnen, so weit würde er auf keinen Fall gehen.
Bislang kaum Ummeldungen
Die Thüringer Hochschulstädte haben bis Ende Februar keine Welle an Ummeldungen verzeichnet, wie Anfragen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) ergeben haben. In Jena, Erfurt, Weimar, Ilmenau, Eisenach oder Gera berichteten die Stadtverwaltungen von keinen besonderen Ausschlägen bei den Meldezahlen in den vorangegangenen Wochen.
(Stand: 6.3.2024)