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Verschwörungstheoretiker instrumentalisieren Pädokriminalität

Verschwörungserzählungen die behaupten, dass sogenannte „Eliten“ angeblich große pädokriminelle Netzwerke unterhalten und schützen, sind mannigfaltig und werden oft für politische Zwecke missbraucht: Beispielsweise wird behauptet, dass Prominente eine angebliche Droge namens „Adrenochrom“ – die angeblich aus dem Blut von Kindern besteht – konsumieren. Oder dass die Vereinten Nationen (UNO) oder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Ländern Sexualkundeunterricht aufzwingen wollten, der Pädophilie propagiert. Das Ausmaß an solchen Verschwörungstheorien und ihre Massenverbreitung lassen bei Kinderschutzorganisationen die Alarmglocken läuten, die befürchten,  die Realität der Pädokriminalität werde dadurch verzerrt und dem echten Kinderschutz geschadet.

Von Joe Biden bis Céline Dion: Politikerinnen und Politiker sowie prominente Persönlichkeiten stehen häufig im Mittelpunkt von Verschwörungserzählungen die behaupten, dass „die Eliten“ angeblich große pädokriminelle Netzwerke unterhielten und schützten. Das alarmiert Kinderschutzorganisationen.

Behauptungen über große Netzwerke, die angeblich von politischen, kulturellen oder medialen Eliten geschützt werden, finden in mehreren Ländern zunehmend Verbreitung in der Öffentlichkeit. In der Vergangenheit wurden diese Thesen nur innerhalb von Verschwörungskreisen geteilt.

Das Vorgehen ist wirkungsvoll: Das Anprangern von Pädokriminalität ruft Zustimmung und öffentliche Empörung hervor und sorgt so für maximale Sichtbarkeit. Das stellen Expertinnen und Experten von Verschwörungserzählungen fest und erinnern daran, dass es eine übliche Methode ist, Feinde zu verteufeln, indem man sie des moralischen Verfalls bezichtigt.

Julien Giry ist Forscher im Bereich Politikwissenschaft. Er sagte am 7. April 2023, gegenüber AFP,  dass eines der zentralen und immer wiederkehrenden Themen von Verschwörungserzählungen seit dem Mittelalter sei, den „angeblichen Verschwörern“ vorzuwerfen, „unmoralisch und völlig korrupt“ zu sein.

„Seit dem 12. Jahrhundert wurden die Templer beschuldigt, extrem abartige, folgenschwere und unmoralische Sexualpraktiken auszuüben“, mit dem Ziel, die Bevölkerung „zu verderben“, erklärte Giry AFP in einem Telefongespräch.

Diese Theorien schöpfen ihre Kraft aus der nachgewiesenen Existenz pädokrimineller Netzwerke oder des Handels mit Minderjährigen. Dazu tragen besonders symbolträchtige Fälle wie die Epstein-Affäre bei: Sie ist benannt nach dem inzwischen verstorbenen amerikanischen Finanzier Jeffrey Epstein, der 30 Jahre lang ungestraft Sexualverbrechen an Minderjährigen begangen haben soll. Der Fall soll internationale Verzweigungen gehabt haben.

Sich auf aktuelle Ereignisse zu stützen, um daraus „Elemente der Legitimation“ zu ziehen, sei einer der zentralen Mechanismen bei der Verbreitung dieser Thesen, sagte Julien Giry.

AFP hat in den vergangenen Monaten weltweit zahlreiche Beiträge auf Facebook, Instagram, TikTok, Youtube, Telegram und anderen sozialen Netzwerken widerlegt, die sich auf derartige Anschuldigungen bezogen. Ein Überblick.

  • Hat sich die UNO für die Entkriminalisierung von Pädophilie ausgesprochen? Das ist falsch.
Screenshot der Behauptung auf der Seite Médias-Presse-Info erstellt am 24. April 2023

Am 8. März 2023 stellten die Vereinten Nationen eine Reihe von Rechtsgrundsätzen vor, mit denen die Menschenrechte im Strafrecht besser durchgesetzt werden sollen, und zwar in Bezug auf Sexualverhalten, Drogen, HIV, reproduktive und sexuelle Gesundheit und Armut.

Diese „Grundsätze des 8. März“ führten zu Fehlinterpretationen, wobei Internetnutzerinnen und -nutzer unter anderem behaupteten, die UNO empfehle darin die Entkriminalisierung von sexuellen Beziehungen mit Minderjährigen.

Das Dokument stellt jedoch nicht das in vielen Ländern gesetzlich festgelegte Alter für die Einwilligung zu sexuellen Tätigkeiten infrage. Der Text sagt außerdem, dass „die Rechte und Fähigkeiten“ von Personen unter 18 Jahren, über sexuelle Beziehungen zu entscheiden, berücksichtigt werden müssen. Dieser Absatz bezieht sich jedoch auf einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen gleichaltrigen Jugendlichen und nicht auf Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern, wie AFP berichtete.

Ein ähnliches, ebenso unbegründetes Gerücht war im Januar 2023 in Umlauf gebracht worden, wonach das Weltwirtschaftsforum (WEF), das immer wieder Mittelpunkt von Falschinformationen ist, angeblich dazu aufgerufen habe, „Pädophilie zu entkriminalisieren“.

Doch die Aussage ist durch keine Quelle zu belegen und das WEF hat diese gegenüber AFP dementiert.

  • Setzt die WHO ein Programm zur Sexualerziehung durch, das Pädophilie propagiert? Falsch.

Seit 2017 kursieren auch Fehlinterpretationen eines WHO-Dokuments. Sie behaupten, dass die Weltgesundheitsorganisation in Schulen angeblich ein Programm zur Sexualkunde durchgesetzt habe, in dem Pädophilie propagiert werde.

Es handelt sich hierbei jedoch um Fehlinterpretationen eines Leitfadens, der Anregungen für Gespräche über Sexualerziehung bietet und erklärt, dass Sexualität mit Kindern verschiedener Altersstufen auf eine Weise besprochen werden kann, die ihrer Entwicklung entspreche. Der Leitfaden soll Antworten auf die Fragen bieten, die Kinder zu diesem Thema haben könnten.

Das Dokument stellt jedoch keineswegs das gesetzliche Zustimmungsalter in vielen Ländern in Frage und hat ohnehin nur den Wert einer Empfehlung, der die Länder folgen können oder nicht, wie AFP berichtete.

In Deutschland ist Sexualerziehung in der Schule Pflicht, auch wenn in der Vergangenheit manche Eltern versucht haben, ihre Kinder aus religiösen Gründen vom Unterricht fernzuhalten.

  • Adrenochrom, eine „Droge aus Kinderblut“? Ein alter Mythos mit antisemitischen Zügen.

Mitte März 2023 war der Verschwörungsmythos zu Adrenochrom Thema im französischen Fernsehen und löste so ein sehr starkes Echo in der breiten französischen Öffentlichkeit aus.

Twitter-Screenshot erstellt am 13. März 2023

Im deutschsprachigen Raum hat der Popsänger Xavier Naidoo in 2020 Schlagzeilen gemacht, indem auch er dieser Verschwörungstheorie öffentlich anscheinend Glauben schenkte.

Laut dieser Erzählung konsumierten die „Eliten“ der Welt angeblich eine sehr starke Droge namens Adrenochrom, die angeblich aus „Kinderblut“ hergestellt würde, das in „Laboratorien“ entnommen würde.

Zwar gibt es eine Substanz namens Adrenochrom, doch dabei handelt es sich lediglich um oxidiertes Adrenalin und seine angeblich psychotrope oder „verjüngende“ Wirkung ist keineswegs erwiesen. Das bestätigten Expertinnen und Experten gegenüber AFP im März 2023. Sie wiesen auch darauf hin, dass es sich bei diesem Mythos um eine aktualisierte Version alter antisemitischer Erzählungen handelt.

Dieselbe unbegründete Theorie wird auch in der prorussischen Propaganda verwendet, die Wladimir Putin als angeblichen Schutz gegen einen Westen mit „pervertierten“ Sitten, in dem die Ausbeutung von Kindern üblich und akzeptiert sei, darstellt. Ein weiteres Mittel, mit dem versucht wird, die Invasion der Ukraine zu rechtfertigen.

Das Foto eines brennenden Gebäudes wurde in sozialen Netzwerken von zahlreichen Userinnen und Usern geteilt, die behaupteten, das Bild zeige die Zerstörung eines angeblichen „Adrenochrom-Labors in der Ukraine“ im Januar 2023 durch Wladimir Putin. Das habe angeblich die „Befreiung von 50 kleinen Kindern“ ermöglicht.

Twitter-Screenshot erstellt am 24. Januar 2023

Abgesehen davon, dass Adrenochrom als Droge aus menschlichem Blut ein Mythos ist, konnte AFP mit einer umgekehrten Bildsuche feststellen, dass das Foto im April 2022 in Russland aufgenommen wurde, nachdem Moskau Kiew die Bombardierung eines Öllagers zugeschrieben hatte.

Die Anschuldigungen von Pädokriminalität werden regelmäßig für politische Zwecke instrumentalisiert. Während des US-Präsidentschaftswahlkampfes 2016 wurde in der sogenannten „Pizzagate“-Verschwörungserzählung behauptet, dass die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und andere Mitglieder ihrer Partei angeblich in ein derartiges Netzwerk verwickelt wären, das von einer Pizzeria aus betrieben werde.

  • Fotos einer „Rettungsaktion“ von Kindern unter dem Weißen Haus? Falsch. 

Eine andere Erzählung wird regelmäßig in sozialen Netzwerken verbreitet: die eines angeblichen Tunnelnetzwerks unter dem Weißen Haus, dem Regierungssitz des US-amerikanischen Präsidenten, das für Kinderhandel benutzt werden soll.

Mehrfach geteilte Beiträge vom Februar 2021 behaupteten beispielsweise, „eine Kinderrettungsaktion in den Tunneln unter dem Weißen Haus“ zu zeigen, mit angehängten Fotos von weinenden Soldaten und angeblichen Plänen der besagten Tunnel.

Facebook-Screenshot der Behauptung erstellt am 26. Februar 2021

Durch eine umgekehrte Bild- und eine erweiterte Websuche konnte AFP die ursprünglichen und aus dem Kontext gerissenen Bilder dieser Soldaten finden. Es waren tatsächlich Fotos von Soldaten, beispielsweise aus dem Irak-Krieg und anderen Situationen.

Die Erzählung, dass „die Eliten“ hinter einem riesigen Kinderhandelsring stünden, steht im Mittelpunkt der Verschwörungsbewegung QAnon, die behauptet, dass der ehemalige US-Präsident Donald Trump angeblich einen geheimen Krieg gegen eine globale Sekte führe, an deren Spitze Eliten stünden, die als „satanische Pädophile“ bezeichnet werden. AFP berichtete dazu hier.

Zwei Kinder halten sich am Tag des Schulanfangs im September 2021 in Quimper, Frankreich an den Händen – Fred TANNEAU / AFP

Kinderrechtler sind besorgt

Dass Verschwörungsbewegungen den Kampf gegen die Pädophilie instrumentalisieren, beunruhigt Organisationen, die sich gegen Kindesmissbrauch engagieren.

Der Vorsitzende der französischen Kinderschutzorganisation „Les papillons“, Laurent Boyet, sagte AFP am 6. April, 2023, dass diese Erzählungen nicht nur den Kindern nicht helfen würden, sondern auch vom eigentlichen Problem ablenken würden. Sie vermittelten ein irreführendes Bild von Pädokriminalität. Boyet erinnerte daran, dass die überwältigende Mehrheit sexueller Gewalt im familiären Umfeld stattfindet.

Sie trügen dazu bei, „alle unsere Aktionen zu entwerten und in Verruf zu bringen“, sagte er. Noch schlimmer sei, dass „die Opfer nicht in die gleiche Schublade gesteckt werden wollen wie die Personen, die diese Theorien verbreiten“, was dazu führe, dass „offenes Sprechen verhindert wird“, fügte Boyet hinzu.

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Politik, Gesellschaft

Autor(en): AFP Frankreich / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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