Das Foto kommt im April 2024 per Mail. Ein Graffiti an der Flussmauer der Seine in Paris. Zu sehen ist Blinky, eine Figur aus der Zeickentrickserie „Die Simpsons“. In einer Sprechblase steht „Die Seine ist komplett sauber“. Ob das echt sei, will ein Noah Hamphrey wissen. Er schickt zwei Links zu russischsprachigen Telegram-Beiträgen mit.
Der Bezug auf Blinky, den radioaktiven Simpsons-Fisch, der scheinbar aus dem Wasser der Seine springt, passt zu Diskussionen der letzten Monate. Die Seine macht Frankreich Sorgen. Sie muss rechtzeitig sauber werden für die Freiwasserwettkämpfe der Olympischen Spiele in Paris.
Doch das Foto ist höchstwahrscheinlich fake, wie forensische Analysen zeigen. Es ist Teil komplexer Desinformationskampagnen, die gegen das Internationale Olympische Komitee (IOC) und Gastgeber Frankreich austeilen. Die Spuren führen nach Russland – und in dessen Olympische Vergangenheit.
CORRECTIV.Faktencheck zeigt, mit welchen Mitteln russische Kampagnen seit Monaten gezielt Propaganda und Fakes zu den Olympischen Spielen in Paris streuen und worauf sie abzielen.
Das Erbe von Sotschi
Russland und die Olympischen Spiele – das ist eine Konstellation mit Folgen. Sotschi, im Süden des Landes, ist Anfang 2014 Schauplatz der Olympischen und Paralympischen Winterspiele. Noch bevor die Spiele enden, gibt Putin am 22. Februar 2014 den Befehl, die ukrainische Halbinsel Krim zu annektieren. Genau acht Jahre später beginnt Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine.
Auch sportlich treibt der Kreml die Eskalation voran. Im Oktober 2023 nimmt das Russische Olympische Komitee die regionalen Sportverbände in den von Russland besetzten Gebieten Donezk, Cherson, Luhansk und Saporishshja auf. Daraufhin suspendiert das IOC das nationale russische Komitee, alle finanziellen Mittel werden gestoppt. Schon vorher war klar, dass russische Athleten nur unter neutraler Flagge bei den Spielen in Paris starten dürfen – vorausgesetzt, sie haben den russischen Angriffskrieg nicht aktiv unterstützt.
Der Ausschluss von den Spielen, wie auch der Krieg, sind relevant, um die Motivation für die Desinformations-Kampagnen zu verstehen. Die Unterstützung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für die Ukraine sei ein „wesentlicher Faktor“ dafür, erklärt Lea Frühwirth vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) im Gespräch mit CORRECTIV.Faktencheck.
Die Geschichte zeigt: Wird Russland von Olympia ausgeschlossen folgen Attacken
Wenn Russland nicht an den Spielen teilnehmen oder gewinnen kann, will es sie „untergraben, diffamieren und entwürdigen“, fasst Microsoft in einem aktuellen Bericht zu den Olympischen Spielen zusammen. Die Teilnahme unter Landesflagge war russischen Athletinnen und Athleten schon in den vergangenen Jahren nach Auffliegen des russischen Staatsdopings in Sotschi verwehrt.
Netz-Kampagnen ließen nicht lange auf sich warten: 2018 leakten russische Hackergruppen Gesundheitsdaten von Athleten und hackten Computer bei der Eröffnungsfeier der Winterspiele im südkoreanischen Pyeongchang; Hacker sollen Medienberichten zufolge auch vor den Spielen in Tokio 2021 Cyberangriffe durchgeführt haben.
Seit 2016 sieht sich das IOC verstärkt Kampagnen aus Russland ausgesetzt, erklärt IOC-Sprecher Christian Klaue im Gespräch mit CORRECTIV.Faktencheck. Darunter Phishing-Attacken, versuchte Einflussnahme sowie gezielte Desinformation und Verleumdung. All dies habe sich seit 2022 „extrem verstärkt“, so Klaue. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verkündete im Vorab, er sei sicher, dass Russland mit Informationskampagnen auf die Olympischen Spiele reagiere – da waren die Bemühungen längst im Gang.
Fake-Dokus und Prank-Calls gegen den IOC
Juni, 2023: Russische Akteure verbreiten auf Telegram eine angebliche Netflix-Reportage über den Zusammenbruch der Olympischen Spiele. Die Fake-Show „Olympics has Fallen“ wird laut Microsoft sogar mit manipulativ zusammengeschnittenen Videobotschaften Prominenter beworben. Weitere „Folgen“, in denen gegen IOC-Präsident Thomas Bach ausgeteilt wird, werden Ende Juni 2024 veröffentlicht.
Die Ausspielwege der Kampagne sind vielfältig. Mails an Medien, Werbeanzeigen mit erfundenen Inhalten auf Facebook, koordinierte Aktionen auf X. Dazu kommen Fake-Webseiten renommierter Medien im Rahmen einer der größten bisher bekannten russischen Desinformationskampagnen, die seit 2022 ihr Unwesen treibt: Doppelgänger.
(Schlecht) getarnte russische Desinformation direkt ins E-Mail-Postfach
So kommen auch „Noah Hamphrey“ und das Foto von Blinky ins Spiel. Dass dahinter wohl kein gutmeinender Leser steckt, der uns auf eine potentielle Falschnachricht hinweisen wollte, zeigen die Inhalte, die er und andere Absender mit offenbar erfundenen Namen wie „Max Gate“ oder „Jack Tambra“ mittlerweile täglich schicken.
Die Verbindungen nach Russland sind auffällig. Neben der Tatsache, dass die Beiträge meist auf Russisch sind, wird zum Beispiel einer der erwähnten Telegram-Kanäle vom russischen Propaganda-Netzwerk Pravda zitiert, andere finden sich in einem Bericht der französischen Agentur Viginum. Die staatliche Beobachtungsstelle für digitale Einflussnahme aus dem Ausland spricht von einer „direkten oder indirekten Beteiligung eines ausländischen Akteurs“ und stellt Bezug zu Russland her.
„Matrjoschka“, benannt nach der verschachtelten russischen Puppe, tauften die AFP und Antibot4Navalny, eine anonyme Freiwilligengruppe, die pro-russische Desinformation verfolgt, die Masche von Hamphrey und Co. Das Ziel: Faktencheck-Redaktionen und andere Medienschaffende mit Nachrichten und angeblichen Hinweisen fluten.
Die Kampagne fährt mittlerweile auf Hochtouren gegen die Olympischen Spiele. Auch „Doppelgänger“ mischt mit. Nachgefragt gibt Antibot4Navalny ein aktuelles – bizarres – Beispiel: Mindestens 30.000 künstliche Profile auf X, die die Gruppe Doppelgänger zuordnet, sollen allein am 22. und 23. Juli ein Video in mindestens 13 verschiedenen Sprachen beworben und so mehr als 7 Millionen Aufrufe erzielt haben. Im Video wird unter eingängigen Pop Beats mit Reimen wie „Paris one, two, three, go to Seine and make a pea“ gegen die Spiele ausgeteilt.
Russland will destabilisieren und Unruhe stiften – auch mit gefälschten Terrorwarnungen
Das Ziel der Desinformationskampagnen des Kremls bestehe darin, „zu destabilisieren und soziale Unruhen zu provozieren, die Menschen in Angst versetzen sollen“, erklärt Alexandra Yatsyk von der Universität Lille. Sie forscht zu post-sowjetischer Nationenbildung und sportlichen Mega-Events.“ Das ziele einerseits auf das eigene, russischsprachige Volk ab, vor allem richte sich die Kampagne aber an ein internationales Publikum.
Die Verbreiter nutzen, was Aufmerksamkeit und Interaktion verspricht. Das zeigt sich in einem gefälschten France24-Bericht darüber, dass nach einem Cyberangriff auf das Buchungsportal Booking.com Reservierungen für die Olympischen Spiele vertauscht worden seien. Oder einem Bericht, in dem das französische Gesundheitsministerium Frauen angeblich empfohlen hätte, ihre Kinder früher zu gebären, um Engpässe in Krankenhäusern zu vermeiden. Ein Fake. „Eure Regierung, euer System sind nicht in der Lage euch zu schützen. Unser System ist das Bessere“, soll so vermittelt werden, erklärt Frühwirth vom Cemas.
Gefälschte Terrorwarnungen der CIA oder des französischen Inlandsgeheimdienstes über angebliche Razzien bei McDonalds, weil Terroristen die Fast-Food-Kette infiltriert hätten, passen ebenso zu dieser Strategie gegen den Westen. Dass dabei das Schüren von Angst und Ungewissheit Leitmotiv sind, liest sich auch in einer geleakten Korrespondenz vom russischen Geheimdienst.
Wie weit die Akteure gehen, zeigt ein drastisches Beispiel von Ende Juli: Eine angebliche Botschaft der Hamas wird verbreitet, mit der Ankündigung, die Spiele in Paris angreifen zu wollen. Hamas-Vertreter dementierten – auch dieses Video stammt laut Microsoft-Analysten von einer russischen Desinformations-Gruppe.
Und: Die Angriffe beschränken sich nicht nur auf die digitale Welt. Einem Bericht von The Insider zufolge soll ein Russe vom Kreml angewiesen worden sein, bei der Eröffnungsfeier der Spiele in Paris „groß angelegte“ Akte der „Destabilisierung“ zu inszenieren.
Während Russland im Ausland versucht, die Spiele zu diskreditieren, wird die eigene Bevölkerung es schwer haben, die Eröffnungsfeier und die Wettkämpfe überhaupt zu sehen. Der Kreml hat kürzlich beschlossen, die Olympischen Sommerspiele nicht im nationalen Fernsehen zu übertragen. Zuletzt hatte sich Moskau 1984 geweigert, die Olympischen Spiele zu zeigen – im Höhepunkt des Kalten Krieges.
Eine gute Nachricht gab es zumindest von der Seine. Die soll jetzt endlich sauber genug für die Wettkämpfe sein. Dann können die Spiele endlich losgehen.
Redigatur: Max Bernhard, Uschi Jonas
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