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Wissenschaftlerin sprach über Kommunikationsstrategien

Bei einigen hält sich die Angst vor einem vermeintlich drohenden Impfzwang hartnäckig: In den sozialen Netzwerken kursiert die Meldung, dass «eine einflussreiche Bürokratin der Europäischen Union» gefordert habe, zur Durchsetzung von Impfkampagnen das Militär einzusetzen. Was ist da dran?

Bewertung

Die Präsidentin des EU-Forschungsrates hat nichts dergleichen gesagt. Sie nannte nur beispielhaft Strategien anderer Länder während der Corona-Pandemie, unter anderem Portugal. Dort hatte ein für die Impfkampagne freigestellter Admiral sehr erfolgreich für die Immunisierung geworben.

Fakten

Die Behauptung geht auf einen Blogbeitrag zurück, in dem über eine Podiumsdiskussion des Weltwirtschaftsforums (WEF) berichtet wird. Dort soll die Präsidentin des Europäischen Forschungsrates (ERC) erklärt haben, dass Regierungen die Öffentlichkeit nicht mehr von Impfungen überzeugen sollten, sondern stattdessen das Militär oder religiöse Organisationen einbeziehen sollten.

Als Quelle ist ein Beitrag auf X (vormals Twitter) angegeben, in dem ein Ausschnitt eben jener Diskussionsrunde zu sehen ist. Dort spricht Maria Leptin, Präsidentin des ERC, über die Impfstrategien zweier Länder während der Corona-Pandemie: Bhutan und Portugal hätten eine hohe Impfquote erreicht, ohne den Schwerpunkt in der Kommunikation darauf zu legen, den wissenschaftlichen Hintergrund verständlich zu machen. Damit plädierte Leptin jedoch nicht dafür, statt wissenschaftlicher Argumente Zwang einzusetzen.

Das Gespräch in voller Länge

Die Podiumsdiskussion zum Thema «Die Lage der Pandemie» ist auch vollständig auf YouTube zu finden. Dort ging es unter anderem um die Wissenschaft und die Herausforderungen durch deren Leugnung. Leptin erwähnte daraufhin die Impfkampagnen der beiden Länder aus dem Videoausschnitt. Worum es dabei aber geht, wird erst im weiteren Gesprächsverlauf klar.

Bhutan habe sensibel auf die Bedürfnisse der Bevölkerung reagiert, führte Leptin aus. Dementsprechend wurden etablierte religiöse Institutionen involviert, um den richtigen Zeitpunkt zur Umsetzung zu finden. Damit habe man eine großartige Durchimpfung erreicht, ohne dass Wissenschaft erklärt worden sei. Damit bezog sie sich darauf, dass in Bhutan Religion und Spiritualität eine große Rolle spielen. Dort stimmte die Regierung den Beginn der ersten Impfkampagne mit Astrologen ab.

Der andere ihr bekannte Fall sei Portugal gewesen, so Leptin weiter. Dort sei die Impfkampagne an einen Militärangehörigen übergeben worden, der die Pandemie rhetorisch zum Krieg erklärte, den das Land gemeinsam zu bekämpfen hätte. In der Tat erreichte der damalige Vizeadmiral Henrique de Gouveia e Melo durch eindringliche Kommunikation und sein Auftreten im Kampfanzug, dass in Portugal 87 Prozent der Bevölkerung grundimmunisiert sind (Stand: März 2023).

Kommunikationshürde: Wissenschaft im Alltag

Leptin stellte diese Fälle dann anderen Ländern gegenüber, deren Strategien in der Pandemiebekämpfung stärker auf die Wissenschaft gestützt waren. Das Problem daran sei gewesen, dass viele Menschen nicht verstanden hätte, dass zum wissenschaftlichen Arbeiten gewisse Unsicherheiten gehören. Darum sei es so wichtig, über die Methoden aufzuklären, um das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken. Nur seien die Wissenschaftler selbst nicht diejenigen, die das aufgekommene Misstrauen beseitigen könnten.

Diesen Eindruck bestätigte auch eine andere Diskussionsteilnehmerin, Michelle Williams, Epidemiologin an der Harvard University. Sie führte aus, dass es wichtig sei, Informationen auf eine Art und Weise zu vermitteln, die den Menschen zugänglich ist und bei der sie sich mit einer Verhaltensänderung wohlfühlen.

Würden sich Wissenschaftler künftig weniger fachsprachlich ausdrücken oder aber Personen einbeziehen, die Sachverhalte für die Bevölkerung übersetzen, könne das ein enormer Fortschritt für das Vertrauen in die Wissenschaft sein. Verwaltung, Regulierung und staatliche Führung hätten dahingehend nicht geholfen. In dem Gespräch geht es also nicht um irgendeine Form von Zwang, sondern im Gegenteil um die Überzeugung zur freiwilligen Kooperation.

(Stand: 6.12.2023)

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Politik, Corona, Gesundheit

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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