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Zunahme regierungsfreundlicher Faktencheck-Projekte gibt Anlass zur Sorge in Europa

Durch die wachsende Zahl regierungsfreundlicher und politisch beeinflusster Faktencheck-Projekte in Europa werde es immer schwieriger, Wahrheit von Propaganda zu unterscheiden, warnen Desinformationsexpertinnen und -experten. Besorgniserregend seien vor allem die jüngsten derartigen Entwicklungen in Russland.

In unabhängigen Faktencheck-Projekten werden sowohl digitale Recherchetechniken als auch journalistische Fähigkeiten eingesetzt, um Falschinformation aufzudecken. Sie gelten als wichtiges Instrument im Kampf gegen Desinformation und werden von großen Plattformen wie etwa Tiktok und Facebook eingesetzt. Da die Manipulation von Information jedoch immer ausgefeilter wird, wächst die Besorgnis über neue Initiativen, die zwar wie echte Faktenüberprüfungen wirken, tatsächlich aber ihre eigene Agenda vorantreiben.

Auf der neu gegründeten ungarischen Faktencheck-Website „Faktum“ – unterstützt von der regierungsfreundlichen Zeitung „Mandiner“ – werden Artikel veröffentlicht, in denen die Regierung verteidigt und ihre Gegnerschaft kritisiert wird. In einem Beitrag wird untersucht, ob das Kabinett des rechtsnationalistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán „das Bildungswesen wirklich verkommen lässt“, wie die Opposition behauptet. In einem anderen Beitrag wird gefragt, ob es ungarischen Familien mit dem von der Opposition vorgeschlagenen Steuersystem besser ginge. Wie zu erwarten war, lautet die Antwort in beiden Fällen „nein“.

In Russland, wo bereits die Website „War on Fakes“ genutzt wird, um nach Ansicht von Fachleuten staatliche Propaganda zu verbreiten, wurden im vergangenen Monat Pläne zur Einrichtung eines Global Fact-Checking Networks (GFCN) bekannt gegeben.

Die international tätige Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) äußerte ihre Besorgnis über diese Pläne. „Ziel derartiger Initiativen ist nicht etwa, zu überzeugen, sondern Verwirrung über Fakten, ja über die Realität generell zu stiften“, so Jeanne Cavelier, Leiterin des RSF-Referats für Osteuropa und Zentralasien.

Faktenüberprüfung braucht Glaubwürdigkeit

In russischen Medien wurde Wladimir Tabak, Leiter der kremlnahen Nichtregierungsorganisation „ANO-Dialog“, mit den den Worten zitiert, dass das internationale Netzwerk diejenigen vereinen würde, die „unsere Ansichten und Werte teilen“. Wladimir Tabak steht unter US-Sanktionen, weil er versuchte, die diesjährige US-Präsidentschaftswahl zu beeinflussen – unter anderem durch die Einrichtung von Bot-Konten, die darauf abzielten, Desinformation auf Social-Media-Plattformen zu verbreiten.

„Wir müssen diesbezüglich wachsam sein“, sagte Jeanne Cavelier. „Russische Faktenüberprüfungen basieren nicht auf Fakten, sondern auf der Form von ‚Wahrheit‘, die die Staatsmacht vorgibt – derartige ‚Fakten‘ sind also weder unabhängig noch gesichert“, fügte Cavelier hinzu.

Das oben bereits erwähnte sogenannte Global Fact-Checking Network (GFCN) soll auf das International Fact-Checking Network (IFCN) anspielen. Dieses vereint mehr als 170 Organisationen weltweit. Das ICFN ist Teil von „Poynter“, einer in den USA ansässigen gemeinnützigen Journalismus- und Forschungsorganisation. Die Mitglieder des IFCN und seines europäischen Pendants EFCSN werden regelmäßig von externen Gutachterinnen und Gutachtern überprüft. Sie müssen einen Verhaltenskodex einhalten, der die Transparenz von Quellen, Finanzierung und Methodik sowie die Verpflichtung zur politischen Unparteilichkeit umfasst. Der Faktencheck-Dienst von AFP ist sowohl Mitglied des IFCN als auch des EFCSN und arbeitet mit Meta und Tiktok zusammen. „Faktenüberprüfung braucht Glaubwürdigkeit“, sagte Clara Jiménez Cruz, Vorsitzende des EFCSN und Mitglied des IFCN-Beirats.

Fachleute sagen, dass es weder neu sei, dass politische Parteien oder Regierungen versuchen, sich in die Faktenüberprüfungen einzumischen, noch dass dies auf autoritäre Regimes beschränkt wäre. In den letzten Jahren gab es vergleichbare Fälle in Griechenland, Kroatien und Spanien.

In einem Bericht der in den USA angesiedelten Nichtregierungsorganisation „Freedom House“ vom Oktober 2024 werden Beispiele angeführt, die zeigen, wie unabhängige Faktenprüferinnen und -prüfer und Forschende zum Thema Desinformation allein in den letzten zwölf Monaten in Ägypten, Indien, Südkorea und den Vereinigten Staaten unter Druck gerieten.

Parallelwelt durch Propaganda

Russlands Bestreben, ein internationales Netzwerk gleichgesinnter Faktenprüfungsorganisationen zu schaffen, sei vorerst ein „Nischenprojekt“, sagte Ilja Jablokow, Dozent für digitalen Journalismus und Desinformation an der Universität Sheffield im Vereinigten Königreich. Er fügte hinzu, dass es „jedoch zu den umfassenderen Bemühungen, die Narrative des Kremls im Ausland zu verbreiten, passe“.

„Das Hauptziel ist die Manipulation von Information, um in einer gespaltenen Gesellschaft die Kontrolle über die öffentliche Meinung zu behalten“, so Jablokow. Ähnlich wie die russischen „Doppelgänger“-Websites, die zuverlässige Medien imitieren, um kremlfreundliche Meinungen zu verbreiten, versuchen Propagandistinnen und Propagandisten im Wesentlichen, eine „Parallelwelt“ zu schaffen, fügte er hinzu. „Im Grunde sagen sie: ‚In unserer Realität ist es eine Tatsache‘, in eurer Realität ist es Fiktion“, schloss Jablokow.

Obwohl Faktenchecks manchmal dafür kritisiert werden, dass sie nicht die richtige Zielgruppe erreichen würden, seien sie trotzdem eine von mehreren nützlichen Strategien im Kampf gegen Online-Falschmeldungen, so Jiménez Cruz von EFCSN. „Das Desinformationssystem ist ständig in vollem Gange, und trotzdem fällt nicht jede und jeder darauf herein“, fügte sie hinzu.

Für Leserinnen und Leser wird es daher zunehmend schwierig, sich in der unübersichtlichen Welt der Faktenüberprüfungen zurecht zu finden. Jimenez-Cruz rät dazu, nach Faktenchecks zu suchen, die öffentlich zugängliche Informationen und Daten verwenden und ihre Beweise Schritt für Schritt darlegen. „Sie sollten in der Lage sein, die Faktenüberprüfung selbst zu wiederholen“, schloss Jiménez Cruz.

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Russland, Politik, Wissenschaft, Gesellschaft

Autor(en): Michelle FITZPATRICK / Lisa-Marie ROZSA / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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