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Offshore-Windparks fälschlicherweise für Walsterben verantwortlich gemacht

Eine Reihe von Walstrandungen entlang der mittelatlantischen Küste der Vereinigten Staaten hat in sozialen Netzwerken Behauptungen nach sich gezogen, dass angeblich Offshore-Windparks dafür verantwortlich seien. Das ist irreführend. Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Umweltgruppen sagen, dass es keine Beweise für einen Zusammenhang zwischen den Anlagen und den Todesfällen gibt und dass andere wichtige Faktoren wie die Erwärmung der Ozeane, Veränderungen der Lebensräume und Begegnungen mit Schiffen eine Rolle spielen. Lärmverschmutzung beeinträchtigt die Tiere aber ebenfalls.

Seit dem 16. Februar wurde die Behauptung in englischsprachigen Beiträgen auf Twitter (hier und hier) und auf Facebook veröffentlicht und hunderte Male geteilt.

Die Behauptung: „Wusstet ihr, dass die grüne Politik mit dem gefährlichen Bau von Offshore-Windturbinen die geliebten Delfine und Wale zu töten scheint?“, heißt es in einem Tweet vom 23. Februar 2023, begleitet von einem Delfinfoto. Der Beitrag gehört zu einer Reihe von Behauptungen, die Anfang 2023 nach einer Serie von Walstrandungen in mehreren US-Bundesstaaten, darunter New York und New Jersey, in den sozialen Netzwerken auftauchten. „Könnte es sein, dass die leistungsstarken Sonarstrahlen der Windparks es ihnen unmöglich machen, Schiffen auszuweichen?“, heißt es in einem Facebook-Beitrag vom 16. Februar 2023. „An diesem Punkt ist es schwer zu glauben, dass es sich um einen Zufall handelt.“

Twitter-Screenshot der Behauptung: 9. März 2023
Facebook-Screenshot der Behauptung: 9. März 2023

Zwischen Dezember 2022 und März 2023 gab es 25 Strandungen großer Wale entlang der mittelatlantischen Küste. Die meisten davon waren Buckelwale, so die Wetter- und Ozeanographiebehörde der Vereinigten Staaten (NOAA). Lokale, nationale und internationale Medien berichteten über das Problem und mehrere Umweltgruppen und Meeresschutzaktivistinnen und –aktivisten haben Bedenken geäußert.

Die Behauptungen, dass Vermessungsarbeiten für Windparks für das Walsterben verantwortlich seien, seien jedoch unbegründet, erklärten Expertinnen und Experten gegenüber AFP. Windkraftanlagen waren bereits in der Vergangenheit öfter Gegenstand von Falschinformationen (hier, hier).

Allison Ferreira ist Sprecherin des Regionalen Fischereibüros für den Großraum Atlantik, das zur NOAA gehört. Sie erklärte gegenüber AFP in einer E-Mail vom 6. März 2023: „Zum jetzigen  Zeitpunkt gibt es keine Anhaltspunkte für Spekulationen, dass Lärm, der von Untersuchungen zur Planung von Offshore- Windkraftanlagen ausgeht, möglicherweise zum Tod von Walen führen könnte.“

Schiffskollisionen sind „häufigste Todesursache“

Ferreira sagte, dass die NOAA seit 2016 ungewöhnliche Todesfälle von Buckelwalen beobachtet hat, „mit erhöhten Strandungen entlang der gesamten Ostküste. Gegenwärtig betrifft dieses ungewöhnliche Todesvorkommen 186 Buckelwale“, sagte sie.

Weiter erklärte sie, dass bei etwa der Hälfte der toten Wale teilweise oder vollständige Untersuchungen vorgenommen wurden. „Von den untersuchten Walen wiesen etwa 40 Prozent Anzeichen für menschliche Interaktion auf, entweder durch Schiffskollisionen oder durch Verheddern.“

Screenshot einer NOAA-Grafik vom 9. März 2023, Anzahl der jährlich gestrandeten Buckelwale seit 2012. – NOAA
Screenshot einer NOAA-Grafik vom 9. März 2023, Anzahl der jährlichen Todesfälle von Glattwalen im Nordatlantik und ihre Ursachen. – NOAA

Frances Gulland, die Vorsitzende der US-Meeressäugerkommission, erklärte in einer E-Mail vom 3. März 2023, dass „in den Fällen, in denen die Todesursache ermittelt werden konnte, eine Schiffskollision die häufigste Todesursache ist“.

Regina Asmutis-Silvia, Geschäftsführerin der Tierschutzorganisation Whale and Dolphin Conservation (WDC) für Nordamerika, erklärte am 9. März 2023 gegenüber AFP, dass Buckelwale und der Atlantische Nordkaper, eine gefährdete Glattwalart mit einem Bestand von weniger als 350 Tieren, am stärksten unter Beobachtung stünden.

„Alles, was einem Glattwal zustößt,  ist besorgniserregend und ein weiterer Schritt in Richtung Ausrottung“, sagte sie.

Im Februar 2023 wurde beispielsweise ein Glattwal in Virginia Beach im US-Bundesstaat Virginia angespült. Mehrere Behörden führten eine Leichenöffnung durch und stellten fest, dass der Wal „katastrophale Verletzungen durch stumpfe Gewalteinwirkung erlitten hat“, so das WDC, mit Verletzungen, „die auf eine Schiffskollision zurückzuführen sind“.

Neben solchen Kollisionen nannte Asmutis-Silvia auch die Erwärmung der Ozeane und die Veränderung der Lebensräume als Gründe für die jüngste Zunahme von Walstrandungen.

„Es ist eine Kombination aus dem sich ändernden Klima, bei dem sich Gewässer erwärmen, und den speziellen Fischen, von denen sie sich ernähren: Menhaden„, sagte sie.

Der Fisch aus der Familie der Heringe aus dem mittleren Atlantik hat sich in den vergangenen Jahren wieder erholt, unter anderem dank der 2012 festgelegten Fangbeschränkungen. Das wiederum hat andere Arten wie den Streifenbarsch und den Thunfisch angezogen. Wale sind ihrer Nahrung gefolgt, auch in stark befahrene Seegebiete.

„Die Verteilung der Lebensräume und die Beständigkeit, mit der man Wale sehen kann, ändern sich definitiv“, sagte Asmutis-Silvia. „Leider halten sie sich dort auf, wo viele Schiffe unterwegs sind, und insbesondere der Hafen von New York ist ein Hochrisikogebiet.“

Lärmverschmutzung

Mehrere Studien haben ergeben, dass Unterwassergeräusche Wale verwirren können. Solche Störungen können von vielen Quellen ausgehen, beispielsweise von militärischen Tests, Öl- und Gasexplorationen und Schiffen.

Im Jahr 2008 räumte die US-Marine vor Gericht ein, dass ihre militärischen Sonare bei Walen und Delfinen „Verhaltensstörungen“ und kurzfristigen Hörverlust verursachen können. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten die Marine zuvor beschuldigt, solche Geräusche herunterzuspielen, von denen einige nach einem Gesetz zum Schutz der Meeressäuger von 1972 als „Belästigung“ gelten.

Lärm wirkt sich auf Meerestiere aus und wird je nach Faktoren wie Wassertemperatur unterschiedlich übertragen. Asmutis-Silvia sagte, es sei „nicht einfach, die Auswirkungen des Lärms auf Tiere zu bewerten, die verwest sind“. Das trifft insbesondere auf Wale zu.

„Sie sind mit Fischtran bedeckt“, sagte sie. „Sie erhitzen sich buchstäblich und das Gewebe zersetzt sich fast unmittelbar.“

Die Grafik zeigt, wie Grindwale die Echoortung nutzen, um unter Wasser zu navigieren, und stellt verschiedene Theorien auf, was passieren könnte, um zu Strandungen zu führen. – AFP Graphics

Douglas Gillespie ist Forschungsbeauftragter an der Universität St. Andrews in Schottland. Er erklärte in einer E-Mail an AFP vom 5. März 2023, dass es „sicherlich richtig“ sei, „dass die Rammarbeiten beim Bau von Windparks so laut sind, dass Meeressäuger in der Nähe zu Schaden kommen könnten“.

Derartige Geräusche könnten in extremen Fällen zum Hörverlust führen, sagte Gillespie, aber es sei „sicher falsch, den Tod eines Wals mit einer Technologie in Verbindung zu bringen, nur weil sie neu ist“.

„Jedes Jahr stranden viele Wale an der US-Küste“, sagte Gillespie. Seine Arbeit konzentriert sich auf die Überwachung der Auswirkungen von Offshore-Energie auf die Meeresfauna. „Einige sind auf unbekannte Ursachen zurückzuführen, viele sind auf Ursachen zurückzuführen, die wir gut kennen, nämlich das Verheddern in Fischfanggeräten und Schiffsunfälle.“

Yanis Souami, Experte für Unterwassergeräusche, stimmte zu, dass der Bau von Anlagen für erneuerbare Energien erheblichen Lärm verursachen kann. Aber „während der Betriebsphase wurden keine nennenswerten Auswirkungen festgestellt“, schrieb er in einer E-Mail vom 9. März 2023.

Das US-Bureau of Ocean Energy Management (BOEM) überwacht und verwaltet Offshore-Energieaktivitäten. Erica Staaterman, eine Bioakustikforscherin des BOEM-Zentrums für Meeresakustik, verglich bei einer Pressekonferenz im Januar 2023 verschiedene Geräuschquellen. Andere Ursachen beschrieb sie als größer: „In der Öl- und Gasindustrie werden seismische Luftkanonen eingesetzt, die speziell dafür ausgelegt sind, kilometerweit in den Meeresboden einzudringen“, sagte Staaterman.

Fazit: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestätigten gegenüber AFP, dass es keinen erwiesenen Zusammenhang zwischen den Anlagen und den Todesfällen gestrandeter Wale gibt. Dagegen spielten andere Faktoren wie die Erwärmung der Ozeane, Veränderungen der Lebensräume und Begegnungen mit Schiffen eine wichtige Rolle.

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Wissenschaft, Umwelt

Autor(en): Manon JACOB / AFP USA / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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