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Dieses Plakat zur Rekrutierung polnischer Soldatinnen und Soldaten ist eine Fotomontage

In sozialen Netzwerken kursiert eine Fotomontage auf mehreren Sprachen mit der falschen Behauptung, sie zeige ein Rekrutierungsplakat der polnischen Armee. Das gefälschte Foto erweckt den Anschein, dass das polnische Verteidigungsministerium das Gesicht des Russen Jewgeni Prigoschin, Chef der Wagner-Truppe, benutzt, um der polnischen Bevölkerung Angst einzujagen und sie dazu zu bringen, der Armee beizutreten. AFP hat jedoch das Originalfoto gefunden, das in Wirklichkeit die Werbung einer Bank an einer Bushaltestelle in Krakau zeigt. Auch das Ministerium, die Krakauer Verkehrsbetriebe und die betroffene Werbeagentur haben erklärt, dass kein derartiges Plakat existiere.

„Das Verteidigungsministerium hat eine Kampagne mit diesem Slogan gestartet: ‚Polen ist das Schutzschild Europas. Schützt Europa vor dem Wahnsinn des Russen'“, heißt es in einem Twitter-Beitrag, der am 4. Juli 2023 veröffentlicht wurde. Im Beitrag steht das Foto eines Plakats an einer Haltestelle des polnischen öffentlichen Nahverkehrs. „Werbung in Polen, die an polnische Wehrpflichtige appelliert, setzt auf die Angst vor Jewgeni Prigoschin und Wagner-(Soldaten)“, heißt es weiter in einem Facebook-Beitrag, der am selben Tag veröffentlicht wurde.

Auf dem Plakat ist ein Foto von Jewgeni Prigoschin, dem Chef der Wagner-Truppe, zu sehen, der in den vergangenen Wochen große mediale Aufmerksamkeit erhalten hat. Prigoschin ist rot durchgestrichen, im Hintergrund ist eine brennende Landschaft zu sehen. Oben prangt eine kleine weiß-rote polnische Flagge, unten das Logo des polnischen Verteidigungsministeriums mit einer Telefonnummer und in der Mitte in großen Buchstaben: „Polen – das Schutzschild Europas“. Weiter: „Freiwilliger Militärdienst. Schützen wir Europa vor diesem verrückten Russen.“ Das letzte Wort ist in roter Schriftfarbe und kaum lesbar.

Dieselbe Fotomontage kursiert seit Anfang Juli 2023 auch auf Russisch, auf den sozialen Netzwerken VK und Telegram. Dieser Beitrag erhielt rund 45.000 Aufrufe. Außerdem wurde die Behauptung auf Slowakisch, auf Spanisch, auf Französisch, auf Englisch und Türkisch geteilt.

Twitter-Screenshot der Behauptung, aufgenommen am 10. Juli 2023

Faktenchecks zum Krieg in der Ukraine sammelt AFP hier.

Der gescheiterte Aufstand der Wagner-Gruppe und die mögliche Ankunft von Söldnerinnen und Söldnern in Belarus, das eine gemeinsame Grenze mit Polen hat, hat in Polen und den baltischen Staaten Besorgnis ausgelöst. Polens Regierung beschloss, die Ostgrenze zusätzlich zu verstärken und entsandte dafür rund tausend Soldatinnen und Soldaten. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat die polnische Armee ihre Truppenstärke stetig erhöht.

Auch wenn es stimmt, dass die polnische Armee Soldatinnen und Soldaten anwirbt, ist das Plakat, das Prigoschin als Abschreckung verwendet, eine Fotomontage. Unter den Plakaten der Kampagne, die das polnische Verteidigungsministerium seit Mai 2023 unter dem Slogan „Tritt dem freiwilligen Militärdienst bei“ durchführt und die auf der Facebook-Seite des Rekrutierungszentrums eingesehen werden können (hier und hier), findet sich kein einziger Hinweis auf den Chef der Wagner-Truppe.

Schon auf den ersten Blick muten einige Details seltsam an: Auf dem Plakat ist ein grober Syntaxfehler passiert. Dort steht „Polska tarcza Europy“ – statt „Polska tarczą Europy“ mit einer Cedille auf dem a. Außerdem ist es merkwürdig, dass die Information der Telefonnummer des polnischen Sekretariats der Leitung des Zentralen militärischen Rekrutierungszentrums mit der internationalen Vorwahl 0048 angegeben wird, obwohl sich das Plakat an polnische Bürgerinnen und Bürger richtet, die diese Vorwahl nicht benötigen.

Eine alte Straßenbahnhaltestelle

Um das Originalfoto zu finden, hat AFP zunächst verschiedene Techniken zur umgekehrten Bildsuche angewandt, die nicht zum erwünschten Ergebnis führten. Die Suche ergab jedoch ein Dementi, das von den regionalen Rekrutierungszentren der polnischen Armee und einem Faktencheck der polnischen Faktencheck-Seite Konkret24 geteilt wurde.

Um herauszufinden, woher das Foto stammt, suchte AFP im Internet nach Städten in Polen, in denen die Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel so aussehen wie auf dem Bild. Diese Suche führte nach Krakau, wo mit Ausnahme der neuen silbernen Haltestellen  die meisten Haltestellen blau sind, ein typisches Blau für diese ehemalige polnische Königsstadt.

Mittels einer Analyse der Übersicht der Straßenbahnlinien in Krakau versuchte AFP, die fragliche Haltestelle zu finden. Es existiert derzeit jedoch keine Straßenbahnstation, an der alle auf dem Foto abgebildeten Linien (11, 18, 23, 52 und 62) halten.

Das ist nicht verwunderlich, da sich die Strecken der Linien häufig geändert haben. Im Januar 2018 wurde die Linie 23 aufgelöst und bedient nicht mehr den Stadtteil Ruczaj, wie es in einer Mitteilung der Stadt Krakau heißt. Dies führte zu der Vermutung, dass das Foto vor 2018 und nach 2012 aufgenommen wurde, dem Jahr, in dem die Linie eingeführt wurde.

Auf AFP-Anfrage bestätigte der Sprecher der Krakauer Verkehrsbetriebe (ZTP), Sebastian Kowal, am 6. Juli 2023, dass das Foto, das als Grundlage für die Fotomontage diente, vor 2018 aufgenommen worden sein muss. In diesem Jahr habe die Linie 23 die Bedienung des Stadtteils Ruczaj eingestellt.

Er erklärte, dass es sich bei der abgebildeten Straßenbahnhaltestelle um Chmieleniec handele, die er deswegen erkannt habe, weil er in der Gegend studiert habe. „Ein solches Plakat wird zweifellos nicht an unseren Haltestellen ausgehängt“, sagte er.

AFP hat das Foto vergrößert und untersucht. Auf einem der Glasfenster der Haltestelle sind die zwei letzten Buchstaben der Werbeagentur AMS zu erkennen, die seit etwa zehn Jahren die Haltestellen in Krakau betreibt.

Screenshot des verbreiteten Beitrags (oben) und von der Website LoveKrakow.pl (unten), erstellt von AFP am 10. Juli 2023

AFP kontaktierte AMS, um herauszufinden, ob die Agentur ein solches Plakat in Krakau angebracht hatte. Eine Sprecherin des Unternehmens, Ilona Kondrat, sagte gegenüber AFP am 6. Juli 2023: „Es handelt sich wahrscheinlich um eine Fotomontage, die an einem Archivfoto vorgenommen wurde, zumal die Haltestelle heutzutage aufgrund von Änderungen anders aussieht.“

Zur Unterstützung ihrer Aussagen schickte Kondrat außerdem ein aktuelles Foto der Haltestelle mit. „Seit dem 2. Juni 2023 hängt an dieser Haltestelle ein Plakat eines Sportereignisses (III. Europäische Spiele Krakau-Malopolska 2023)“, erklärte die Sprecherin.

Screenshot des verbreiteten Beitrags (links) und Foto derselben Straßenbahnhaltestelle vom 2. Juni 2023 (rechts, zur Verfügung gestellt von AMS). Collage erstellt von AFP am 10. Juli 2023

Ein Foto, das in Wirklichkeit Werbung für eine Bank zeigt

Erst nach zahlreichen Rückwärtssuchen nach Fotos einer Straßenbahnhaltestelle in Krakau, die der überprüften Haltestelle ähnelt, führte die Suchmaschine Yandex schließlich zum Original. Das Foto erschien als eines von Dutzenden „ähnlichen Ergebnissen“, die Yandex aufgrund eines Fotos einer Straßenbahnhaltestelle vorschlug, das auf der Website einer Werbefirma zu sehen war. Bei der Suche nach russischen und ukrainischen Seiten erwies sich diese Suchmaschine als hilfreich.

Das Originalfoto zeigt eine Werbung für eine polnische Bank und nicht ein Plakat mit Prigoschin. Es zeigt dieselben Straßenbahnlinien, denselben kleinen Zettel auf dem Rasen und dasselbe Banner mit AMS-Logo auf dem Fenster des Haltestellenhäuschens.

Weitere Recherchen zum Foto führten zu zwei Ergebnissen: eine Pinterest-Seite und ein Blogartikel auf Ukrainisch über den öffentlichen Nahverkehr in Krakau, der vor acht Jahren von Mariia Finko geschrieben wurde. Die Ukrainerin zog 2015 nach Polen und berichtete auf der Seite „Wir reisen zusammen“ über ihre Erfahrungen als Auswanderin. Das letzte Foto des Artikels zeigt die Haltestelle Chmeleniec und entspricht dem ursprünglichen Foto. AFP kontaktierte Mariia Finko, um sie zu fragen, ob sie die Urheberin des Fotos sei, erhielt aber bis zur Veröffentlichung des Artikels keine Antwort.

Vergleich eines Screenshots des verbreiteten Fotos (links) und eines Screenshots des Plakats, das eine Suche über Yandex ergab (rechts). Collage erstellt von AFP am 10. Juli 2023

Auf AFP-Anfrage erklärte das Verteidigungsministerium, dass „das Ministerium, einschließlich der dem Verteidigungsministerium untergeordneten Institutionen, die für die Rekrutierung von Kandidaten für die polnische Armee zuständig sind, nicht die Urheber dieses Plakats sind“. Die Pressestelle des Ministeriums erklärte in einer Mail vom 5. Juli 2023: „Unser Logo wurde illegal verwendet oder verfälscht… Dies ist ein weiteres Beispiel für ‚Fake News‘ im Rahmen von Desinformationsaktivitäten, die sich vor allem in sozialen Netzwerken verbreiten.“ Weiter hieß es in der Mail: „Wir rufen Medienvertreter und Nutzer sozialer Netzwerke ständig dazu auf, besonders vorsichtig zu sein, wenn es um die Glaubwürdigkeit von Informationen geht, die im Nachrichtenumfeld erscheinen.“

Auch der Leiter des Zentralen Zentrums für militärische Rekrutierung (CWCR), Brigadegeneral Miroslaw Bryś, warnte am 5. Juli 2023 auf seinem Twitter-Profil vor der Fotomontage. „Eine neue Aktion mit der Verwendung eines Hoax, der in den russischen Medien beworben wird. Diesmal ist der freiwillige Basisdienst das Ziel. Die russische Propaganda versucht immer noch, Chaos zu stiften“, schrieb er und rief dazu auf, „Fake News“ nicht weiterzuverbreiten.

Fazit: Das polnische Verteidigungsministerium hat nicht in einer Rekrutierungskampagne das Gesicht von Wagner-Truppenchef Jewgeni Prigoschin verwendet, um Angst zu verbreiten und mehr Soldatinnen und Soldaten anzuwerben. Das verbreitete Plakat ist eine Fotomontage. Das bestätigten das Ministerium, die Krakauer Verkehrsbetriebe und die betroffene Marketingagentur. AFP konnte außerdem das Originalfoto der Krakauer Haltestelle auf einem Auswanderer-Blog identifizieren.

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Politik, Ukraine

Autor(en): MAJA CZARNECKA / AFP Polen / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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