Dieses Feuer wurde bei einer pro-palästinensischen Demo gefilmt, nicht zu Silvester - Featured image

Dieses Feuer wurde bei einer pro-palästinensischen Demo gefilmt, nicht zu Silvester

Mit viel Feuerwerk und weitestgehend friedlich haben die Menschen überall in Deutschland das neue Jahr begrüßt, es kam aber auch zu Angriffen auf Einsatzkräfte. In Berlin, wo der Jahreswechsel aufgrund der Ausschreitungen des vergangenen Jahres unter massiv verschärften Sicherheitsvorkehrungen stattfand, meldete die Polizei hunderte Festnahmen. Unter echte Aufnahmen aus der Berliner Silvesternacht mischt sich seit Ende Dezember 2023 aber auch ein Video von Ausschreitungen, das nichts mit eskalierten Neujahrsfeiern zu tun hat. Es entstand bereits im Oktober 2023 bei einer pro-palästinensischen Demonstration in Berlin.

Zahlreiche Polizeiautos stehen mit Blaulicht rund um eine Straßenkreuzung in Berlin. In der Fahrbahnmitte sind mehrere Feuer zu sehen, im Hintergrund explodieren Feuerwerkskörper. An manchen Stellen des Videos weht eine palästinensische Flagge ins Bild, im Hintergrund hört man Männer „Viva Palästina“ skandieren.

In sozialen Medien verbreiten Nutzerinnen und Nutzer die Szene als aktuelles Ereignis aus Berlin: „Neukölln ‚feiert‘ schon Silvester“, schreibt etwa ein Nutzer auf X, wo hunderte User den Clip teilten. Auch auf Facebook sowie in anderen Sprachen verbreitete sich die Aufnahme des Tumults als vermeintlich aktuelles Video, etwa auf Englisch, Russisch, Tschechisch oder Polnisch. Auch der Gründer der rechtsradikalen English Defence League, Tommy Robinson, verbreitete das Video mit der Beschreibung: „Der Berliner Bezirk Neukölln heute Abend und die Migranten pflegen schon ihre kulturbereichernden Silvestertraditionen des Zerstörens ihres Gastlandes.“

Screenshot der Behauptung auf X: 2. Januar 2024

Altes Video von eskalierter Demo

Eine erweiterte Websuche führte AFP zu einem Liveticker des Silvesterabends des „Tagesspiegel“, in dem das kursierende Video als alte Aufnahme beschrieben wird. Außerdem wird auf den X-Account Stadtrandmedia verwiesen. Der Account beschreibt sich selbst als Dokumentation und Recherche „von links“.

Stadtrandmedia veröffentlichte bereits am Abend des 18. Oktobers 2023 via X ein ähnliches Video der Szene aus einer anderen Aufnahmeperspektive. Zahlreiche Details aus den beiden Aufnahmen stimmen überein: Im zweiten Stock des Hauses im Hintergrund sind mehrere Fenster eines Raumes beleuchtet, eine Person sieht dem Geschehen aus dem Fenster zu. Im Stock darüber sind zwei weitere Fenster in bläuliches Licht getaucht. Am Boden sieht man jeweils die beiden brennenden Gegenstände, umgeben von Einsatzkräften.

Vergleich des Videos mit der aktuell geteilten Behauptung (links) sowie am 18. Oktober 2023 veröffentlichtes Video (rechts), Screenshots: 3. Januar 2024, Hervorhebungen durch AFP

Stadtrandmedia reagierte bereits auf den Tweet von Tommy Robinson mit der Silvesterbehauptung und schrieb dazu: „Unter #Neukölln laufen die Fake-News schon auf Hochtouren, besagtes Video stammt vom 18.10. dieses Jahres und nicht von dieser Nacht.“ Auf AFP-Anfrage schrieb Stadtrandmedia am 3. Januar 2024: „Wir waren selbst bei der Situation dabei. Durch Lage und Polizeieinheiten kann man schnell sehen, dass es vom 18. Oktober ist.“ Auch einzelne User wiesen auf das alte Video hin. Zudem veröffentlichte Stadtrandmedia im Oktober ein weiteres Video der Kreuzung, auf der ebenfalls eine brennende Barrikade zu sehen ist.

In den Videos von Stadtrandmedia ist die Aufschrift eines Kinderhorts zu erkennen. Damit lässt sich belegen, dass das Video an der Kreuzung zwischen Sonnenallee und Pannierstraße im Berliner Ortsteil Neukölln aufgenommen wurde.

Auch andere Aufnahmen vom Oktober 2023 zeigen dieselbe Szene aus anderen Aufnahmewinkeln. Ein am 19. Oktober 2023 auf Tiktok veröffentlichtes Video zeigt die Kreuzung mit den brennenden Gegenständen und Feuerwerkskörpern im Hintergrund. Im Video ist dieselbe Person zu sehen, die auch im Clip der aktuellen Silvesterbehauptung vorkommt. Ein Mann mit heller Jacke mit Kapuze und Zigarette in der linken Hand geht in beiden Videos hinter den Polizeiautos vorbei und filmt dabei die Kreuzung.

Vergleich des Videos mit der aktuell geteilten Behauptung (links) sowie am 19. Oktober 2023 veröffentlichtes Video (rechts), Screenshots: 4. Januar 2024, Hervorhebungen durch AFP

Die Polizei Berlin äußerte sich bis zum Erscheinen des Artikels nichts zum Aufnahmedatum des Videos.

Ausschreitungen bei Demos im Oktober 2023

Am 18. Oktober 2023 kam es an der Sonnenallee wie bereits am Vorabend zu schweren Ausschreitungen, nachdem am 17. Oktober 2023 ein Krankenhaus in Gaza von Beschuss getroffen worden war. Trotz nicht erlaubter Proteste versammelten sich Menschenmengen, gegen die die Polizei einschritt. Es kam zu teils heftigen Auseinandersetzungen. Am Abend des 18. Oktobers twitterte die Berliner Polizei etwa übereinstimmend mit dem aktuell geteilten Video: „Wir sehen, wie Menschen wahllos Gegenstände auf die Straße werfen, anzünden und sich dabei filmen und feiern.“

In einer Polizeimeldung vom nächsten Tag wird der Ort aus dem aktuell geteilten Video ebenfalls erwähnt: „Kurz nach 23 Uhr wurde an der Sonnenallee Ecke Pannierstraße ein Auto in Brand gesetzt.“ Zahlreiche Medien, darunter AFP, berichteten ebenfalls über die Ausschreitungen in Neukölln (hier, hier, hier).

Silvester in Berlin

Der Jahreswechsel von 2022 auf 2023 war im Berliner Stadtteil Neukölln von teils massiven Ausschreitungen begleitet, Einsatzkräfte wurden angegriffen.

Die Polizei bereitete sich auf das Neujahrsfest von 2023 auf 2024 deshalb mit verschärften Sicherheitsmaßnahmen vor, tausende Polizistinnen und Polizisten waren im Einsatz. Mehrere pro-palästinensische Demos wurden für den Silvestertag angemeldet, eine davon verboten. Für den Ort aus dem Video an der Sonnenallee wurde außerdem ein Pyrotechnikverbot ausgesprochen. Geböllert wurde trotzdem auch in der Sonnenallee, die schlimmsten Silvester-Befürchtungen wurden aber nicht wahr.

Größere Ausschreitungen blieben zwar aus, dennoch kam es auch zum Jahreswechsel 2023/2024 wieder zu Angriffen auf Polizeibeamte und Rettungskräfte. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zog nach der diesjährigen Silvesternacht trotzdem eine vorsichtig positive Bilanz.

Auch zum vorangegangenen Jahreswechsel hatten sich bereits Videos aus anderen Kontexten, etwa eines Protests in Hongkong, unter echte Aufnahmen von Ausschreitungen gemischt. 2024 wies die deutsche Nachrichtenagentur dpa außerdem auf KI-generierte Bilder hin, die als angeblich echte Fotos aus Neukölln beschrieben wurden.

Fazit: Wenn auch weniger heftig als im Vorjahr, so kam es auch zum Jahreswechsel 2023/2024 in Berlin zu Auseinandersetzungen zwischen Einsatzkräften und Feiernden. Ein Video von brennenden Gegenständen auf einer Berliner Kreuzung hat allerdings nichts mit der Silvesternacht zu tun. Die Aufnahme entstand bereits im Oktober 2023 bei einer pro-palästinensischen Demonstration.

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Israel-Hamas-Konflikt, Politik

Autor(en): Eva WACKENREUTHER / AFP Österreich

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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