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Auch laut UNO ist Deutschland ein souveräner Staat

Deutschland ist ein souveräner Staat. In sozialen Medien heißt es allerdings fälschlich, die Bundesrepublik sei ein besetztes Land. Das gehe angeblich aus einem offiziellen Dokument der UNO hervor, behaupteten User Ende 2023. Das als Beweis geteilte Formular einer UN-Abteilung ist jedoch keine offizielle Anerkennung durch die Vereinten Nationen. Jede Organisation kann das angeführte Formular ausfüllen. Auf der offiziellen Website der UNO ist zu lesen, dass Deutschland als UN-Mitglied als souveräner Staat anerkannt wird. Das bestätigten zudem zahlreiche unabhängige Expertinnen und Experten gegenüber AFP.

„UNO bestätigt offiziell die heutige Besatzung Deutschlands! Deutschland wird offiziell als besetztes Land erklärt“, heißt es in einem Facebook-Posting vom 28. November 2023. „Interessante Informationen, die man über die Bundesrepublik Deutschland auf der offiziellen Webseite der UNO lesen kann“, schrieb ein anderer User auf derselben Plattform.

Als angeblicher Beweis für die Besetzung Deutschlands dient ein Link (sowie mitunter auch ein Screenshot) eines Eintrages in ein Formular der UN-Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten (United Nations Department of Economic and Social Affairs, UN DESA). In dem angeblich offiziellen UN-Formblatt geht es um die Bundesrepublik Deutschland, wie unter dem Punkt „Name der Organisation“ angeführt ist. Als „früherer Name“ ist „Besatzungszone URS/USA/GBR/FRA“ angeführt, als „Organisationstyp“ ist „Nichtregierungsorganisation“ (NGO) vermerkt.

Die Falschaussage kursiert seit Ende 2023 vermehrt auf Facebook. Auch auf X und Telegram wurde die Behauptung verbreitet. Sie wird zudem in anderen Sprachen wie Englisch geteilt und findet sich in aktuellen sowie auch bereits älteren Artikeln auf Blogs.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 3. Januar 2024

Die Aussagen in den geteilten Beiträgen sind jedoch falsch und stammen aus dem Milieu um deutsche Reichsbürgerinnen und -bürger. AFP hat bereits in der Vergangenheit Behauptungen aus der Reichsbürgerszene überprüft (etwa hier und hier). Auch die Aussagen, Deutschland sei ein besetztes Land oder dass Besatzungsrecht gelte – mit unterschiedlichen Begründungen –, hat AFP bereits in der Vergangenheit widerlegt (etwa hier und hier).

Zur aktuell verbreiteten Falschbehauptung wird zumeist ein Artikel des Portals „MZW News“ mit Sitz in den USA geteilt. Laut Impressum wurde die deutschsprachige Seite im Jahr 2014 vom US-Amerikaner John de Nugent gegründet. In Berichten wurde er als „Neonazi“ bezeichnet. Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat „MZW News“ als „rechtsextremistisches Nachrichten-Portal“ eingestuft.

Kein offizieller Eintrag der UNO

Bei dem angeblichen Beweis der Besatzung Deutschlands handelt es sich um einen Auszug aus dem Register zivilgesellschaftlicher Interessenvertreter der UN DESA. Diese Hauptabteilung der Vereinten Nationen ist unter anderem für nachhaltige Entwicklung sowie Entwicklungshilfe zuständig.

In ihrem Register sind Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eingetragen, die einen Konsultationsstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (UN Department of Economic and Social Affairs, Ecosoc) beantragt haben. Dieses Hauptorgan der UNO ist unter anderem für die Formulierung von Lösungsvorschlägen für internationale wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Probleme zuständig. Nach erfolgreicher Registrierung können Organisationen etwa an Konferenzen und Veranstaltungen von Ecosoc teilnehmen. Aktiven Status bei Ecosoc haben aktuell 6494 NGOs.

Das deutsche BfV schrieb AFP dazu per E-Mail am 3. Januar 2024: „Jede Organisation kann über das Online-Formular einen Beraterstatus als Interessensvertreter beantragen. Da die Antragsformulare keiner Kontrolle unterliegen, können dort auch schlichtweg falsche Angaben getätigt werden.“ Auch „Unsinn“ könnte demnach eingetragen werden, so das BfV.

Der Eintrag von Deutschland weist zudem zahlreiche Eigenschaften auf, die auf keinen offiziellen Charakter hindeuten. Als „Organisationstyp“ ist etwa „Nichtregierungsorganisation“ vermerkt, als Sprachen sind Englisch, Deutsch und Jiddisch angegeben. Deutschland benutzt nur Deutsch als Amtssprache. Als Adresse des „Hauptquartiers“ der Bundesrepublik wird die Anschrift des Bundespresseamtes in Berlin genannt. Zudem wurde im Formular „Besatzungszone URS/USA/GBR/FRA“ angegeben, allerdings sogar dort nicht als aktueller, sondern als „früherer Name“.

Marietta Auer, Rechtswissenschaftlerin und Direktorin des Max-Planck-Instituts für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie, schrieb AFP am 2. Januar 2024:  „Die UNO hat nie eine Besatzung Deutschlands bestätigt, dazu wäre sie ohne weiteres gar nicht zuständig.“ Zum NGO-Verzeichnis der UN erklärte Auer: „Dort taucht unter ‚B‘ in ‚Europa‘ etwa der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland auf. Für die Bundesrepublik Deutschland gibt es dort logischerweise keinen Eintrag und schon gar nicht mit offensichtlichen verschwörungstheoretischen Merkmalen“ wie etwa das falsch geschriebene „Yiddisch“.

Aus dem Formular geht aber auch hervor, dass die Vereinten Nationen den entsprechenden Eintrag der Bundesrepublik Deutschland als NGO nicht akzeptiert haben: „Diese Organisation hat keinen beratenden Status bei Ecosoc“, heißt es dort. Das schreibt auch das Faktencheck-Team der Nachrichtenagentur dpa.

Sogar im Formular selbst wird in roter Schrift ausdrücklich hingewiesen: „Ein Profil in dieser Datenbank und auf dieser Website bedeutet an und für sich keine Zugehörigkeit zu den Vereinten Nationen, es sei denn, eine solche Zugehörigkeit wird ausdrücklich angegeben (…).“ Eine AFP-Anfrage an Ecosoc blieb bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks unbeantwortet.

Ein Arbeiter hisst am 30. November 2023 eine Flagge der Vereinten Nationen zusammen mit anderen Nationalflaggen der teilnehmenden Länder am UN-Klimagipfel COP28 in Dubai  – Giuseppe CACACE / AFP

 

Deutschland ist souverän

Laut BfV besteht jedenfalls „kein Zweifel“, dass die Bundesrepublik Deutschland „durch die UNO als souveräner Staat anerkannt“ sei. In der offiziellen Liste der UN-Mitgliedstaaten werde der Status als „souveräner Staat“ ausdrücklich erwähnt. In der Liste heißt es tatsächlich explizit: „Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik wurden am 18. September 1973 als Mitglieder in die Vereinten Nationen aufgenommen. Durch den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 vereinigten sich die beiden deutschen Staaten zu einem souveränen Staat.“

Auch aus dem sogenannten Zwei-plus-Vier-Vertrag aus dem Jahr 1990 zwischen den beiden deutschen Staaten und den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges geht etwa aus Artikel 7 Absatz 2 hervor: „Das vereinigte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.“ Damit endeten die letzten Vorbehaltsrechte der vier Alliierten. Deutschland erhielt seine volle Souveränität zurück. Die alliierte Besatzung der Bundesrepublik Deutschland war bereits 1955 mit dem aktualisierten Deutschlandvertrag zu Ende gegangen. In diesem erklärten die drei West-Alliierten für die Bundesrepublik das Besatzungsregime für beendet und hoben das Besatzungsstatut auf. Das geht auch aus Ausführungen des Wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages hervor.

Michael Gehler, Historiker und Professor für neuere deutsche und europäische Geschichte an der Universität Hildesheim, schrieb AFP dazu am 4. Januar 2024: „BRD und DDR waren bis 1973 keine Mitglieder der UN. Souveränität besaßen sie nur in eingeschränktem Maße. Davon zu sprechen, dass sie keine hatten oder nicht souverän waren, ist daher ebenfalls falsch. Die BRD hatte seit 1955 innere Souveränität und ist seit der deutschen Einigung 1990 und dem Zwei-plus-Vier-Vertrag offiziell ’souverän‘. Faktisch hat sie mehr Souveränität als noch 1955 – auch in außen- und sicherheitspolitischen Fragen.“

Rechtswissenschaftlerin Auer konkretisierte gegenüber AFP: „Souveränität wird völkerrechtlich durch die Staatengemeinschaft anerkannt, wobei nicht immer Konsens besteht. Als wesentlich würde ich die Eigenschaft ansehen, ein anerkanntes Völkerrechtssubjekt zu sein, also völkerrechtlich vertragsfähig zu sein. Das ist bei Deutschland und Österreich zweifelsfrei der Fall.“

Das erklärte auch Anita Ziegerhofer, Rechtshistorikerin und Professorin für österreichische Rechtsgeschichte an der Universität Graz, gegenüber AFP. Per E-Mail schrieb sie am 29. Dezember 2023: „Die Souveränität erreichte Österreich endgültig mit dem Staatsvertrag und Deutschland durch die Gründung der BRD.“ Dominik Steiger, Professor für Völkerrecht, Europarecht und Öffentliches Recht an der Technischen Universität Dresden, bestätigte in einer Nachricht an AFP am 3. Januar 2024 – unter Verweis auf die Satzung der Vereinten Nationen (Artikel 2 Absatz 1) – ebenfalls die Souveränität der Staaten.

Behauptung aus der Reichsbürgerszene

Bei der geteilten Aussage handelt es sich um eine – laut BfV – „für ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ typische Falschbehauptung“, die in dieser Szene wiederholt Verbreitung finde. Des Weiteren schrieb ein Sprecher des BfV am 3. Januar 2024: „Sogenannte ‚Reichsbürger und ‚Selbstverwalter‘ suchen in den verschiedensten Aussagen nach Belegen für ihre eigenen fragmentarischen Erzählungen, nach denen wahlweise das Deutsche Reich fortbestehen würde, die Bundesrepublik Deutschland nicht wirksam entstanden sei, das Grundgesetz keinen Verfassungsrang habe, die Bundesrepublik in Wahrheit eine Firma und kein Staat sei, geheime Mächte wie Illuminaten, Freimaurer oder andere ‚dunkle Eliten‘ im Hintergrund das Land regieren würden oder eben die Bundesrepublik Deutschland weiterhin von den Alliierten besetzt und daher nicht souverän sei.“

Zum Hintergrund erklärte das BfV per E-Mail: „Szeneangehörige deuten Tatsachen um, stellen Falschbehauptungen auf, stützen sich auf pseudojuristische und -historische Argumente, verkürzen Zitate unzulässig oder erfinden solche gar frei und stützen sich mitunter auf eigentlich offensichtliche Fälschungen.“

Fazit: Online wird fälschlich behauptet, die Bundesrepublik Deutschland sei laut UNO ein besetztes Land. Als Beweis teilen Userinnen und User den Eintrag in ein Formular einer UN-Abteilung. Hierbei handelt es sich jedoch um keine offizielle Anerkennung durch die Vereinten Nationen, der Eintrag wurde von Nutzern erstellt. Die UNO erkennt Deutschland offiziell als souveränen Staat an. Das bestätigten auch zahlreiche unabhängige Fachleute. Die alliierte Besatzung endete 1955.

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Politik

Autor(en): Katharina ZWINS / AFP Österreich

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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