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Foto zeigt gefälschte amerikanische Einbürgerungsurkunde Selenskyjs

Die russische Invasion der Ukraine seit Februar 2022 hat im Netz eine Menge Fehl- und Falschinformationen zur Folge. Seit Anfang Dezember 2023 kursiert in den sozialen Medien ein digital geschwärztes Foto einer US-amerikanischen Einbürgerungsurkunde mit dem Namen und dem Foto von Wolodymyr Selenskyj. Das beweise angeblich den Plan des ukrainischen Präsidenten, in die USA „überzulaufen“, während der Krieg in der Ukraine ins dritte Jahr geht. Diese Behauptung ist falsch. Das Dokument auf dem Foto mit dem Datum September 2023 unterscheidet sich optisch von einer echten Urkunde, bestätigten Expertinnen und Experten gegenüber AFP. Sie stellten fest, dass die Nummer auf dem gefälschten Dokument vor mindestens zehn Jahren vergeben wurde. Die Journalistin, die angeblich die Geschichte über Selenskyjs US-Zertifikat verbreitete, erklärte gegenüber AFP, sie habe nichts mit der Falschmeldung zu tun.

Posts in polnischer Sprache, wie dieser auf der Plattform X vom 4. Dezember 2023, zeigen ein Bild eines Dokuments mit der Bezeichnung „US Certificate of Naturalization.“ In einem ähnlichen Facebook-Post heißt es: „Selenskyj bereitet einen Fluchtplan in die Vereinigten Staaten vor: Ein Mitarbeiter des US-Geheimdienstes hat im Internet Informationen über die Vorbereitung eines Unterschlupfs für den ukrainischen Präsidenten veröffentlicht.“

In einigen Beiträgen wird auf ein anonymes Youtube-Video vom 29. November 2023 verwiesen, das angeblich von einem US-Geheimdienstmitarbeiter veröffentlicht wurde und Einzelheiten zu angeblichen Plänen offenbart, Selenskyj in den USA Zuflucht zu gewähren. Auf dieser Grundlage wurde ein Artikel auf einem englischsprachigen Portal namens DC Weekly veröffentlicht.

Das den Beiträgen beigefügte Foto zeigt Selenskyjs Namen, sein Foto und weitere Angaben auf einer Urkunde. Als Wohnanschrift ist Vero Beach, Florida, angegeben. Laut dem Dokument hat Selenskyj den Treueeid auf die Vereinigten Staaten am 20. September 2023 abgelegt.

Eine gründliche Analyse des Dokuments und die Stellungnahmen von Expertinnen und Experten lassen jedoch den Schluss zu, dass es sich nicht um eine echte Bescheinigung handelt. Auch die Echtheit des Videos und des Portals, auf dem der Artikel zu diesem Thema veröffentlicht wurde, ist zweifelhaft. Nach Angaben der BBC (hier archiviert), die sich auf Desinformationsforscher beruft, hat die Website ihre Wurzeln in Russland.

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 wurde das Internet von einer Welle Kreml-freundlicher Desinformationen überschwemmt. Falschinfos zum Ukrainekrieg sammelt AFP hier.

Screenshot der Behauptung auf X: 21. Dezember 2023

Ähnliche Veröffentlichungen mit Selenskyjs gefälschter Einbürgerungsurkunde kursierten auch in anderen Sprachen, darunter Englisch, Französisch, Serbisch und Russisch.

Zeichen einer Fälschung 

Die gefälschte Bescheinigung trägt das Emblem der Vereinigten Staaten und die Nummer 35701632. Außerdem ist sie mit einer Registrierungsnummer der US-amerikanischen Behörde für Staatsbürgerschaft und Einwanderung (USCIS) versehen. Das Dokument enthält Selenskyjs Namen und Foto, jedoch ohne seine Unterschrift, die zur Authentifizierung erforderlich ist. Das Dokument scheint von einem US-Beamten unterzeichnet worden zu sein. Es ist auf den 20. September 2023 datiert.

Sobald das Foto des Dokuments online erschien, wurde es auf der Plattform X mit Kommentaren von Nutzern versehen, die behaupteten, es sei eine Fälschung. Ein BBC-Faktenchecker schrieb in einem Beitrag, der am 14. Dezember 2023 auf X veröffentlicht wurde: „Die Vorlage des Dokuments ist online öffentlich zugänglich und das Bild von Selenskyj wurde aus einem Foto auf der offiziellen Website des ukrainischen Präsidenten ausgeschnitten.“

Eine Websuche bei Google mit den Stichworten „certificate naturalization US“ zeigt viele Vorlagen und Beispiele für solche Bescheinigungen.

Als AFP die Suche auf Urkunden von Personen eingrenzte, die den Treueeid im Bundesstaat New York abgelegt hatten — dieser Staat erscheint auch auf dem gefälschten Dokument —, fanden sich mehrere online verfügbare Exemplare, zum Beispiel hier und hier und auch in diesem Nachrichtenartikel aus dem Jahr 2022 (hier archiviert).

Eine Suche nach Bescheinigungen aus Tampa, Florida, wo Selenskyj angeblich die Staatsbürgerschaft beantragt hat, ergab ebenfalls Beispiele. Ein Vergleich dieser Urkunden mit derjenigen, die Selenskyjs Namen trägt, ergab jedoch eine Reihe von Anomalien.

Geografische Ungereimtheiten 

Einbürgerungsbescheinigungen werden von der Einwanderungsbehörde United States Citizenship and Immigration Services (USCIS) ausgestellt (hier archiviert). Die Website zeigt ein Beispiel für eine 2018 in Minnesota ausgestellte Einbürgerungsurkunde, die derjenigen mit Selenskyjs Namen ähnelt (hier archiviert).

Obwohl AFP auf der offiziellen Website keine in New York ausgestellte Bescheinigung finden konnte, geben die im Internet gefundenen Beispiele den Ausstellungsort „New York, New York“ an, wie unten zu sehen. Auf dem falschen Dokument steht allerdings „New York City, New York“ geschrieben. „New York City“ ist der umgangssprachliche, nicht der offizielle Name der Stadt.

Vergleich der gefälschten Urkunde (links) und eines echten Beispiels (rechts): 21. Dezember 2023

Auf der USCIS-Website kann man das für einen beliebigen Standort zuständige Postamt für die Bearbeitung von Anträgen finden, indem man die Postleitzahl eingibt. Als Wohnsitz von Selenskyj wird in dem gefälschten Dokument die Stadt Vero Beach angegeben (hier archiviert), für welche die wichtigste Postleitzahl 32960 lautet (hier archiviert). USCIS gibt die zuständige Außenstelle für diese Postleitzahl mit West Palm Beach an. In der gefälschten Bescheinigung heißt es jedoch, dass der Antrag in einer Einrichtung in Tampa eingereicht wurde (hier archiviert). Tampa gehört nicht zum Bundesstaat New York, sondern zu Florida, bestätigte die US-Einwanderungsanwältin Agnieszka Piasecka in einer E-Mail an AFP am 22. Dezember 2023.

Ein Beispiel für eine Urkunde aus Tampa aus dem Jahr 2013 zeigt, dass der Antrag an derselben Außenstelle eingereicht und ausgestellt wurde.

Vergleich der gefälschten Urkunde (links) und einer echten aus Tampa (rechts): 21. Dezember 2023

Alte Zertifikatsnummer 

Jede Einbürgerungsurkunde ist mit einer Nummer versehen. „Auf allen US-Einbürgerungsurkunden oder Staatsbürgerschaftszertifikaten, die seit dem 27. September 1906 ausgestellt wurden, sind in roter Farbe Zertifikatsnummern aufgedruckt“, heißt es auf der Website von der USCIS (hier archiviert).

Das gefälschte Dokument, das angeblich für Selenskyj ausgestellt wurde, trägt die Nummer 35701632. Eine Analyse von online gefundenen Zertifikaten zeigte, dass Nummern, die mit 35 beginnen, im Jahr 2013 ausgestellt wurden — ein Beispiel findet sich hier.

„Es ist unmöglich, dass die Nummer der Bescheinigung im September 2023 innerhalb von 35.xxx.xxx liegt“, erklärte der Einwanderungsanwalt Marcin Muszyński am 20. Dezember 2023 in einer E-Mail an AFP, nachdem er die gefälschte Bescheinigung zugeschickt bekam (hier archiviet). „Die Zahlen für die Bescheinigung vom September 2023 für den Staat New York liegen bei 44.921.XXX“, fügte er hinzu.

Im Jahr 2012 begannen die Zahlen mit 34 (hier). Eines der jüngsten Beispiele, das AFP in den sozialen Medien fand, stammt vom 21. März 2021 und zeigt ein Bild einer Urkunde mit Zahlen, die mit 42 beginnen.

Vergleich der gefälschten Urkunde (links) und eines echten Beispiels aus 2021 (rechts)

Falsche Unterschrift 

Muszyński, der sich mit Einwanderungsrecht in New York beschäftigt, wies auch darauf hin, dass alle im Jahr 2023 ausgestellten New Yorker Bescheinigungen von der Direktorin dieses USCIS-Büros, Ur M. Jaddou, unterzeichnet wurden (hier archiviert).

Das gefälschte Dokument trägt jedoch eine Unterschrift, die „Haley Burns“ zu lauten scheint. AFP fragte bei der USCIS nach, ob es eine Mitarbeiterin mit diesem Namen gibt, erhielt aber bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung keine Antwort.

Muszyński fügte hinzu, dass „das Foto nicht das offizielle Siegel in der unteren linken Ecke trägt und nicht unterschrieben ist.“ Dies seien ebenfalls Indizien dafür, dass das Dokument gefälscht sein könnte.

„Eine echte Einbürgerungsurkunde enthält die Unterschrift der Person neben ihrem Foto. Diese Bescheinigung enthält dies nicht“, bestätigte Professor Stephen Yale-Loehr, der an der Cornell Law School Einwanderungsrecht lehrt, am 22. Dezember 2023 in einer E-Mail an AFP. „Die angebliche Urkunde enthält auch nicht die Unterschrift von Selenskyj am oberen Rand, aber das sollte sie“, fügte er hinzu.

AFP hat mit der umgekehrten Bildsuche von Google Lens nach dem Foto von Selenskyj auf der gefälschten Urkunde gesucht und stieß dabei auf ein Bild auf der offiziellen Website des ukrainischen Präsidenten (hier archiviert).

 

Vergleich des Fotos von der Urkunde (links) und von der offiiziellen Seite des ukrainischen Präsidenten (rechts)

 

Einbürgerung: Ein langer Prozess 

Die Erlangung der US-Staatsbürgerschaft ist ein langwieriger Prozess. „Niemand kann einfach eine Einbürgerungsurkunde erhalten“, sagte Yale-Loehr. „Sie müssen zuerst das Green-Card-Verfahren durchlaufen, das heißt, Sie müssen sich für eine Green Card auf der Grundlage von Asyl oder der Unterstützung durch einen Arbeitgeber oder ein enges Familienmitglied qualifizieren. Dies dauert Jahre. Selbst nachdem Sie eine Green Card erhalten haben, müssen Sie drei bis fünf Jahre warten, bevor Sie die Einbürgerung beantragen können“, sagte er.

Um sich für das Einbürgerungsverfahren zu qualifizieren, muss ein Green-Card-Inhaber drei bis fünf Jahre in den USA gelebt haben (hier archiviert), ohne die USA für mehr als sechs Monate zu verlassen. Außerdem muss er oder sie sich unmittelbar vor der Beantragung der Einbürgerung mindestens drei Monate lang in den USA aufgehalten haben, so Yale-Loehr. „Selenskyj hat diese Anforderungen nicht erfüllt“, fügte er hinzu (hier archiviert).

Auf der Website der USCIS heißt es, dass das Land im Steuerjahr 2022 967.500 neue Bürger aufgenommen hat, im Jahr davor waren es 855.000. Das Datum auf der gefälschten Bescheinigung fällt mit Selenskyjs Besuch in den Vereinigten Staaten im September 2023 zusammen, als er an der UN-Generalversammlung teilnahm (hier archiviert).

Angebliche Autorin: „Ich habe diesen Artikel nicht geschrieben.“ 

Der früheste Artikel, den AFP finden konnte und in dem behauptet wird, der ukrainische Präsident habe heimlich die US-Staatsbürgerschaft erhalten, wurde am 29. November 2023 auf einem Portal namens DC Weekly veröffentlicht.

Entgegen seinem Namen konzentriert sich das Portal nicht auf Themen, die mit Washington zu tun haben, sondern widmet viele Artikel dem bewaffneten Konflikt in der Ukraine, wobei es zumeist die russischen Aktionen lobt (etwa hier und hier) und Misserfolge wie die Beschädigung eines russischen Kriegsschiffs im besetzten Krimhafen Feodosia am 26. Dezember 2023 ausblendet (hier archiviert).

Der Inhalt der Registerkarte „Kontakt“ ist in lateinischer Sprache verfasst und einige der Links auf der Seite lassen sich nicht öffnen.

Eine Internetsuche bei Google mit den Stichworten „DC Weekly“ führte unter anderem zu einem Artikel der BBC-Faktencheck-Abteilung  über eine andere falsche Behauptung, die von derselben Website verbreitet wurde (hier archiviert). Diese Behauptung bezog sich ebenfalls auf Selenskyj und besagte, dass der ukrainische Präsident zwei Luxusjachten mit US-Steuergeldern gekauft habe.

Die BBC zitiert Desinformationsforscher (hier archiviert), denen zufolge das Portal „von einem ehemaligen US-Marine, der jetzt in Russland lebt“, eingerichtet wurde und Teil einer pro-russischen Propagandamaschine ist.

Auf der Website von DC Weekly heißt es, dass der Artikel über die US-Einbürgerungsurkunde von Jessica Devlin verfasst wurde, einer Journalistin, die angeblich über den Irak und Osteuropa berichtet oder für die Agentur Bloomberg aus Moskau geschrieben hat. AFP konnte keine Spur einer Journalistin mit diesem Namen finden, die über Ereignisse in diesen Regionen berichtet.

AFP suchte mit der umgekehrten Bildsuche von TinEye nach dem Bild der Journalistin, das dem Artikel beigefügt ist. Dies führte zu einem Artikel aus dem Jahr 2016 auf der Website der Jewish Telegraphic Agency. Auf der Website wird die Frau als Judy Batalion identifiziert. Dies konnte durch eine Suche nach ihrem Facebook-Profil leicht bestätigt werden.

AFP kontaktierte daraufhin Judy Batalion. „Ich habe diesen Artikel nicht geschrieben. Ich habe noch nie von dieser Publikation gehört und hatte noch nie Kontakt mit ihr. Mein Foto wurde ohne meine Erlaubnis verwendet“, teilte sie AFP in einer E-Mail vom 21. Dezember 2023 mit.

Anonymes Youtube-Konto 

Am selben Tag, an dem der Artikel von DC Weekly veröffentlicht wurde, veröffentlichte ein Youtube-Kanal namens John Doe eine Aufnahme mit denselben unbegründeten Anschuldigungen gegen Selenskyj. In dem Video ist angeblich ein anonymer „US-Geheimdienstler“ zu hören. Der Kanal wurde am 18. September 2023 gegründet und hatte am 27. Dezember 2023 nur 38 Abonnenten. Er veröffentlichte nur dieses eine Video. In den Kommentaren äußerten englisch- und russischsprachige Nutzer Zweifel an dem Video und stuften es als „Fälschung“ ein.

Adresse in Florida noch zu verkaufen 

Zusätzlich zu der gefälschten Bescheinigung posteten einige Nutzer sozialer Medien Fotos einer Villa am Meer und behaupteten, es handele sich um die Villa in Florida, in der Selenskyj wohnen soll. Beispiele solcher Beiträge finden sich etwa auf Englisch und Russisch.

Umgekehrte Bildsuchen nach Fotos des Hauses führten zu Immobilienagenturen in Florida (hier und hier), die das Haus mit Stand Dezember 2023 zum Verkauf anboten.

AFP erkundigte sich bei einem der Immobilienmakler, ob das Haus noch zum Kauf angeboten wird: „Ja, es ist noch zu haben“, schrieb ein Vertreter der Agentur Compass am 22. Dezember 2023.

Fazit: Die angebliche US-Einbürgerungsurkunde Selenskyjs ist gefälscht. Das beweisen einige Ungereimtheiten und fehlende Merkmale auf der Urkunde. Selenskyj erfüllt zudem die Kriterien für eine Einbürgerung auch gar nicht.

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Politik, Ukraine

Autor(en): Maja CZARNECKA / AFP Österreich / AFP Polen

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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