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Nein, der bundesweite Warntag ist kein Vorwand, um Mobiltelefone auszuspionieren

Am 8. Dezember 2022 werden in Deutschland bundesweit Alarmstrukturen getestet. Dafür lösen die Behörden die für den Katastrophenfall vorgesehenen Warnsysteme aus. So wird unter anderem eine Warn-SMS versendet. Im Netz wird dazu behauptet, der Staat könne durch die SMS Zugriff auf Mobiltelefone erhalten. Die Nachricht solle daher nicht geöffnet werden. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und der Chaos Computer Club (CCC) weisen diese Behauptungen allerdings zurück. Zudem werde die Warnnachricht nicht direkt vom Staat an Mobilnummern gesendet, sondern von den Mobilfunkanbietern nach Eingang der Warnmeldung erzeugt. 

Dutzende teilten Anfang Dezember 2022 die Behauptung zum bundesweiten Warntag auf Facebook. Zudem sahen hunderttausende Telegram-User ähnliche Meldungen (hier, hier).

Die Behauptung: „Wenn Ihr eine SMS bekommt, nicht öffnen!“, schreiben Facebook-User wenige Tage vor Durchführung einer bundesweiten Warnübung. Der Staat könne sich mithilfe der Nachricht Zugriff auf Handys „erschleichen“. Zu der Behauptung wird ebenfalls ein Audio-Interview geteilt, in dem von „stillen SMS“ die Rede ist, welche zur Überwachung von Mobiltelefonen genutzt werden.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 08.12.2022

Im Zuge eines bundesweiten Tests der Katastrophenwarnsysteme am 8. Dezember 2022 wurden in Deutschland Warn-Nachrichten, sowie Meldungen per Warn-Apps versendet. Auch in Radio und Fernsehen sind entsprechende Durchsagen zu hören.

Die Bedeutung solcher Warnsysteme wurde besonders durch die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Juli 2021 deutlich, bei der Menschen nicht rechtzeitig über die drohende Gefahr informiert wurden. Beim Warntag 2022 wurde zum ersten Mal ein neues System namens „Cell Broadcast“ für das Versenden von Warn-Nachrichten genutzt, das Ende Februar 2023 offiziell als weiterer Warnkanal in Betrieb gehen soll.

Beim sogenannten Cell Broadcast erfolgt der Text-Empfang bei eingeschalteten Handys automatisch und lässt sich zumindest für Warnungen der höchsten Stufe nicht unterdrücken, wie AFP bereits berichtete. Die Nachrichten per Cell Broadcast werden auch dann verschickt, wenn Funknetze überlastet sind. Nicht alle Mobiltelefone sind allerdings fähig, die Nachrichten zu empfangen. Welche Handys die Meldung empfangen können, hängt von der entsprechenden technischen Konfiguration und der Aktualität des Betriebssystems ab.

Bei Warnmeldung handelt es sich um keine Spionage-SMS

Bei den am 8. Dezember 2022 versendeten Nachrichten handelt es sich daher um keine „stillen SMS“, wie online angedeutet. Anders als Warn-Nachrichten, sind stille SMS Nachrichten, die nicht auf den Mobiltelefonen angezeigt werden. Polizei und Geheimdienste nutzen diese Art SMS, um den Standort von Telefonen zu erfassen.

In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken aus dem Februar 2021 heißt es, solche Maßnahmen würden unter anderem bei Ermittlungen zu terroristischen Vereinigungen genutzt. Im Jahr 2020 seien 44.444 „stille SMS“ vom Bundeskriminalamt und 101.117 „stille SMS“ von der Bundespolizei versendet worden, heißt es auf der Website des Bundestags.

Ein Interview zu „stillen SMS“, das ebenfalls zu den aktuell kursierenden Behauptungen verbreitet wird, ist zudem nicht aktuell. Das Gespräch wurde bereits 2016 auf dem Youtube-Kanal „FreieNews24“ veröffentlicht. Darin kritisiert der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Piratenpartei im Saarland, Michael Hilberer, wie die „stillen SMS“ genutzt werden. Von Warnsystemen oder Cell Broadcast ist aber nicht die Rede.

Auf AFP-Anfrage schrieb Hilberer am 8. Dezember 2022: „Auch die von mir kritisierte ’stille SMS‘ kann kein Handy übernehmen.“ Das regelmäßige Versenden stiller SMS erzeuge lediglich ein Bewegungsprofil der Nutzerinnen oder Nutzer. „Die Aufforderung, die Warn-SMS nicht zu öffnen und direkt zu löschen ist hanebüchener Unsinn und zeigt das komplette technische Unverständnis dieser Verschwörungstheoretiker.“

Zudem schrieb Hilberer, er sehe keinerlei Anzeichen dafür, dass die deutschen Sicherheitsbehörden überhaupt technisch in der Lage wären, „das gleichzeitige, millionenfache Einbrechen in mobile Endgeräte durchzuführen“.

Warn-Nachricht wird nicht direkt vom „Staat“ versendet

Das für die Durchführung des Warntags zuständige Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) erklärte auf AFP-Anfrage am 7. Dezember 2022, bei den versendeten Nachrichten handele es sich genau genommen nicht um „SMS“. Das Cell Broadcast-Verfahren sei anonym. Das System nutze die Empfangsbereitschaft von Mobiltelefonen in einer bestimmten Region des Mobilfunknetzes, in einer sogenannten Funkzelle.

„So können in einem potenziellen Gefahrengebiet befindliche Mobilfunkendgeräte angesprochen werden und diese ohne vorherige Registrierung oder Angabe von personenbezogenen Daten eine Warnmeldung empfangen.“ Die Warnnachricht erreiche die Geräte, ohne dass der Absender „die Mobilfunknummer oder andere Daten der Empfänger kennt oder erfassen kann.“

Um eine SMS zu versenden, müsse allerdings die Telefonnummer bekannt sein, betonte das BBK. „Eine über ein SMS-Warnsystem versendete Warnmeldung kann die Empfängerin und den Empfänger also nur erreichen, wenn sie oder er sich zuvor unter Angabe einer Mobilfunknummer registriert hat.“

Auf der Website des BBK heißt es zudem, nur einfache Textnachrichten könnten versendet werden, nicht aber Bilder oder Karten.

AFP kontaktierte zur weiteren Einordnung den Chaos Computer Club (CCC), eine NGO mit Fokus auf Computersicherheit. Ein Sprecher der Organisation schrieb am 8. Dezember 2022, grundsätzlich sei das, was die meisten unter einer „SMS“ verstehen, zwar etwas anderes als ein Cell Broadcast. Auch solche Nachrichten könnten aber unter dem Begriff „Short Message Services“ zusammengefasst werden.

Dass sich der „Staat“ mittels der Nachricht Zugriff auf Mobiltelefone verschaffe, wies der CCC-Sprecher zurück: „Rein technisch muss man sich den Versand einer Warn-Mitteilung so vorstellen, dass nicht die Regierung an einem roten Knopf sitzt.“ Stattdessen würden die Mobilfunkbetreiber selbst die Meldungen über ihre Funkmasten weiterleiten. Die Nachricht entstehe gar nicht unter dem Zugriff der Behörden, sondern diese „wird von jedem Mobilfunkanbieter einzeln aus der Warnmeldung mittels Software erzeugt.“

Weiter schrieb der Sprecher: „‚Die Regierung‘ verschafft sich über die ‚Cell Broadcast‘ keinen Zugriff auf die Mobiltelefone auch nur eines einzelnen Bürgers.“ Staat und Katastrophenschutzbehörden hätten keinerlei direkte Kontrolle über die Hardware der Mobilfunkanbieter. Letztlich dürften die Behörden nur eine Textnachricht formulieren, die dann von den Mobilfunkbetreibern ausgeliefert werde.

Fazit: Bei der am bundesweiten Warntag versendeten Nachricht handelt es sich nicht um eine “stille SMS”. Die Warnmeldung ist auf allen empfangsbereiten Mobiltelefonen angezeigt und enthält eine einfache Textnachricht. Das dafür genutzte Cell Broadcast System versendet die Nachrichten zudem anonym an Geräte in ausgewählten Netzwerkregionen. Wie der Chaos Computer Club betonte, wird die Nachricht zudem nicht von den Behörden selbst an die Bevölkerung versendet, sondern wird von den Mobilfunkanbietern erzeugt und ausgespielt.

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Politik, Gesellschaft, Katastrophen

Autor(en): Saladin SALEM, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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