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Angeblicher „Klima-Schwindel“: Auf1 verbreitet mehrere falsche Behauptungen zum Klimawandel

Der menschengemachte Klimawandel sei „Unsinn“ heißt es zu einem Video des österreichischen Onlinesenders Auf1, der schon mehrfach mit der Verbreitung von Desinformation auffiel. Das Video wirbt mit „wahren Fakten“ über den angeblichen „Klima-Schwindel“, der durch Wissenschaft und Medien verbreitet werde. Auf Telegram wurde der Auf1-Beitrag über 150.000 Mal gesehen, der Sender veröffentlichte das Video auch auf seiner Webseite.

Die zentralen Behauptungen im Video: Der wissenschaftliche Konsens über den Klimawandel sei in Wirklichkeit nicht so eindeutig, wie immer suggeriert wird; Klimamodelle seien falsch; das Klima habe sich auch in der Vergangenheit stets gewandelt und der Einfluss von CO2 auf das Klima sei nicht so relevant, wie die Wissenschaft annehme.

CORRECTIV.Faktencheck hat diese Behauptungen in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Nachrichtenmagazin Profil geprüft und von mehreren Expertinnen und Experten einordnen lassen.

Screenshot des Videos von der Webseite zum Klimawandel
In diesem Video vom 9. November 2022 beschäftigt sich der österreichische Sender Auf1 mit dem angeblichen „Klima-Schwindel“; doch viele Aussagen im Video sind falsch und bereits mehrfach widerlegt worden (Quelle: Auf1; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Dieser Faktencheck zeigt: Fünf der Hauptbehauptungen im Video sind größtenteils falsch, zwei Behauptungen fehlt relevanter Kontext. An einigen Stellen im Video werden aus richtigen Aussagen falsche Schlüsse gezogen. Die einzelnen Recherchen und Bewertungen zu den Behauptungen lassen sich nachfolgend ausklappen.

Ist sich die Klimaforschung über den menschengemachten Klimawandel einig?

Im Auf1-Video wird bestritten, dass sich die Mehrheit der Wissenschaft einig sei, dass der Mensch Hauptverursacher des Klimawandels ist. Zu Beginn des Videos heißt es:

„Als vermeintlichen Beweis der These der menschengemachten Klimaerwärmung führen die Klimaalarmisten gebetsmühlenartig an: 97 Prozent der Wissenschaftler würden diese These unterstützen. Doch das stimmt schlicht und ergreifend nicht, wie auch der Spiegel im Jahr 2014 feststellte. Die Aussage geht auf eine manipulative Studie des Wissenschaftlers John Cook zurück.“

Im Video wird behauptet, Cook habe Studien darauf untersucht, wie sie zum menschengemachten Klimawandel stünden. Gut zwei Drittel der untersuchten Studien hätten laut Spiegel keine Position zu dem Thema und seien daher nicht berücksichtigt worden. Die Studie belege also laut Spiegel „lediglich eine Banalität: Wissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass der Mensch zur Klimaerwärmung beiträgt“. Und das könne durchaus so sein, heißt es bei Auf1, denn schließlich wandle sich das Klima ständig und „irgendeinen Beitrag leistet natürlich auch der Mensch“. Die Frage sei nur, wie hoch dieser Beitrag tatsächlich sei.

Fest steht jedoch: Die Einigkeit der Forschung zu dem Thema ist klar belegt; dazu gibt es eine Vielzahl voneinander unabhängige wissenschaftliche Arbeiten. Im Jahr 2004 wurden mehr als 900 Studien zum globalen Klimawandel in einer Metastudie untersucht. Nicht ein einziges Papier bestritt den Konsens, dass menschliche Handlungen Hauptursache der globalen Erwärmung sind. Spätere Forschungsarbeiten gehen in dieselbe Richtung – auch die groß angelegte Metastudie des australischen Kognitionswissenschaftlers John Cook 2013, die Auf1 herausgreift.

Das Ergebnis des Papiers: Weniger als ein Prozent der rund 12.000 untersuchten Studien widersprachen dem Einfluss des Menschen auf den Klimawandel. Rund zwei Drittel der Studien erwähnten die Gründe der globalen Erwärmung jedoch nicht explizit. Das kann aber nicht als fehlender Konsens über Menschen als Haupttreiber für den Klimawandel ausgelegt werden, wie von Auf1 suggeriert.

Denn die besagten Studien beschäftigen sich zwar nicht mit der Ursache, aber mit Detailfragen zum Klimawandel oder -schutz – sie gehen also über die Fragestellungen, in denen Forschende sich ohnehin einig sind, hinaus. Von den Studien, die sich konkret zur Ursache der Erderwärmung äußerten, stimmten 97 Prozent mit der Theorie des menschengemachten Klimawandels überein. Das verneint auch der Spiegel nicht, wie Auf1 behauptet. Die Zeitung beklagte 2014 aber, dass große Fragen zur Höhe des menschlichen Einflusses und zu genauen Gefahren durch den Klimawandel in der Studie offen blieben.

Zahlreiche weitere Analysen, wie unter anderem Arbeiten des US-amerikanischen Geologen James Powell, die zwischen 2012 und 2019 erschienen sind, bestätigen: 99,9 bis 100 Prozent der Autorinnen und Autoren tausender wissenschaftlicher Studien waren der Überzeugung, dass der Mensch für den Klimawandel hauptverantwortlich sei.

Welche Folgen hat eine leichte Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur?

Ab Minute 1:15 fragt die Sprecherstimme im Auf1-Video:

„Kann eine leichte Erhöhung der Durchschnittstemperatur tatsächlich solch katastrophale Folgen nach sich ziehen, wie die Klimapaniker unablässig behaupten? Erst Ende August erklärten über 1.100 Wissenschaftler aus 15 Ländern: ‚Es gibt keinen Klimanotstand‘.“

Fachleute widersprechen vehement der Falschbehauptung, dass kleine Temperaturanstiege keinen Einfluss hätten. Mit jedem weiteren Schritt der globalen Erwärmung würden sich Wetterextreme verstärken, schreibt der Weltklimarat (IPCC) in seinem Bericht von 2021 (PDF, Seite 15). „So führt beispielsweise eine zusätzliche Erwärmung um 0,5 Grad zu einer deutlich erkennbaren Zunahme der Intensität und Häufigkeit von Hitzeextremen, einschließlich Hitzewellen und Starkniederschlägen sowie von landwirtschaftlichen und ökologischen Dürren in einigen Regionen.“ Ein Hitzeextrem, wie es zwischen 1850 und 1900 nur einmal in 50 Jahren vorkam, tritt laut IPCC (PDF, Seite 18) bei einer Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad Celsius fast neunmal so häufig auf; bei 2 Grad sogar knapp 14-mal.

Screenshot zu Hitzeextremen aus dem IPCC-Bericht
Vermeintlich kleine Temperaturanstiege steigern laut IPCC die Häufigkeit und Intensität von Hitzeextremen (Quelle: IPCC; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)


Unter den Unterzeichnenden der Erklärung waren nur wenig Klimaforschende

Die Erklärung „Es gibt keinen Klimanotstand“ von mehr als „1.100 Wissenschaftlern aus 15 Ländern“, die Auf1 als vermeintlichen Beleg aufführt, stammt von der niederländischen Climate Intelligence Foundation (Clintel). Die Erklärung wird regelmäßig aktualisiert. Als CORRECTIV.Faktencheck 2019 darüber berichtete, hatte sie laut Clintel-Webseite über 500 Unterstützende, im Februar 2023 sollen es 1.500 gewesen sein.

Doch bei genauem Blick zeigt sich, dass viele der Unterzeichnenden keine Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der Klimaforschung sind. Clintels Mitgründer und Initiator der Erklärung Guus Berkhout studierte Elektrotechnik, promovierte später in Physik und begann in den 1960ern beim Ölkonzern Shell zu arbeiten. Ab 1976 lehrte er an der Technischen Universität Delft in den Niederlanden als Professor für Geophysik. Auch der Nobelpreisträger Ivar Giaever unterzeichnete die Erklärung. Der Physiker veröffentlichte jedoch bisher keine Publikation zur Klimaforschung.

Die Faktencheck-Redaktion der AFP (2022), Euronews (2022) und das globale Wissenschaftsnetzwerk „Climate Feedback“ (2019) fanden heraus: Weniger als drei Prozent der Unterzeichnenden bezeichnen sich tatsächlich als Klimaforschende, ein paar als Fachleute in Paläoklimatologie oder Atmosphärenwissenschaft. Aber auf der Liste befinden sich auch Personen mit fachfremdem oder keinem akademischen Abschluss, wie Piloten, Architektinnen, Fischer oder Lehrerinnen. Ein paar haben zudem Verbindungen in die Öl- und Bergbauindustrie, andere zu klimawandelskeptischen Organisationen. Was außerdem auffällt: Viele Personen in der Liste sind bereits im Ruhestand. Eine Suche nach „Emeritus“ in der Erklärung von Februar 2023 ergibt 141 Treffer. Eine weitere Suche nach „retired“ (im Ruhestand) erzielt 280 Treffer.

Fazit: Fehlender Kontext. Bei den Unterzeichnenden der Erklärung handelt es sich nicht ausschließlich um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern größtenteils um fachfremde Personen. Zudem haben einige der Unterzeichnenden eine Verbindung zur Bergbau- und Ölindustrie. Diesen Kontext lässt Auf1 unerwähnt. Klimaforschende sind sich einig, dass selbst vermeintlich kleine Temperaturanstiege großen Einfluss auf das Klima haben. Dieser äußert sich schon jetzt in regional heftigeren und häufigeren Wetterextremen.

Der Anstieg des Meeresspiegels und die 1,5-Grad-Schwelle

Ab Minute 2:10 greift das Auf1-Video eine Debatte zwischen den Bundestagsabgeordneten Bernd Riexinger (Die Linke) und Dirk Spaniel (AfD) bei einer Podiumsdiskussion auf.

Riexinger habe behauptet, der Meeresspiegel könne „um bis zu 40 Meter ansteigen, sollte die Antarktis abschmelzen“, so Auf1. Spaniel habe anschließend unter Verwendung von Zahlen aus dem IPCC-Bericht gekontert, dass es sich dabei um ein „Worst-Case-Szenario“ handle, das „erst in 10.000 Jahren möglich“ sei. Bis 2060 werde, so zitiert Auf1 den AfD-Abgeordneten, die durchschnittliche Temperatur „um weniger als 0,4 Grad Celsius ansteigen“. „Sämtliche Katastrophenszenarien“ im IPCC-Bericht seien „auf hunderte Jahre berechnet“ und gingen davon aus, dass „nichts gegen Treibhausgase unternommen werde“, soll Spaniel gesagt haben.

Die Podiumsdiskussion hat es tatsächlich gegeben – sie fand im Oktober 2022 im Bürgerzentrum in Waiblingen statt. Beide Politiker haben sich dort auch ähnlich, wie von Auf1 berichtet, geäußert. Ein Detail lässt Auf1 aber weg: Riexinger sprach von einem Meeresanstieg von 4 bis 40 Metern, wenn die Antarktis schmilzt.

Was passiert, wenn die Antarktis komplett abschmilzt 

Erst zu jenem Teil, in dem es um den Meeresspiegel geht: Im Antarktischen Eisschild sind etwa 60 Prozent bis 70 Prozent des gesamten Süßwassers der Erde gespeichert, wie die Fachwebseite Klimafakten.de und das Umweltbundesamt schreiben. Ein vollständiges Abschmelzen ließe den Meeresspiegel demnach um mehr als 50 bis 60 Meter steigen. Die Aussage von Riexinger ist also grundsätzlich korrekt, er liegt mit seiner Angabe sogar noch unter der von Klimaforschenden.

Doch wann könnte es so weit kommen? Handelt es sich – wie der AfD-Abgeordnete Spaniel behauptete – um ein Worst-Case-Szenario, das erst in 10.000 Jahren eintreten könnte? Das hänge von den zukünftigen Treibhausgasemissionen und dem damit verbundenen Temperaturanstieg ab, schreibt der Klimaforschungsverband Deutsches Klima Konsortium (PDF, Seite 15). Grundsätzlich stimmt es laut IPCC (PDF, Seite 1316), dass die Eisschilde an den Polkappen sehr langsam über tausende Jahre schmelzen – auch wenn sich dieser Prozess in den letzten Jahrzehnten beschleunigt hat. Bis 2100 rechnet das IPCC (Sonderbericht über den Ozean und die Kryosphäre, PDF Seite 20) mit einem Anstieg von 0,29 bis 0,59 Metern, wenn die globale Erwärmung auf durchschnittlich 1,6 Grad begrenzt wird.

Würden die Emissionen jedoch wie bisher weiter steigen und komme es zu einem Anstieg um durchschnittlich 2 Grad, sei im selben Zeitraum ein Anstieg von 0,61 bis 1,1 Metern und bis zum Jahr 2300 bereits ein maximaler Anstieg um bis zu 5,4 Meter möglich. Bei hohen Emissionen ist laut IPCC (PDF, Seite 22) aber auch ein Anstieg von mehr als 15 Metern nicht ausgeschlossen. Je nach globaler Erwärmung könnte also ein Anstieg von mehr als 4 Metern bereits im Jahr 2300 erfolgen – und nicht erst in 10.000 Jahren.

Wie sich der Meeresspiegel in den nächsten 10.000 Jahren entwickeln könnte

Der AfD-Abgeordnete Spaniel schreibt CORRECTIV.Faktencheck auf Nachfrage, dass er die Zeitangabe von 10.000 Jahren ausschließlich auf einen Meeresspiegelanstieg von 40 Metern bezog. In diesem Fall ist Spaniels Äußerung korrekt. Der Weltklimarat hat in seinem Bericht (PDF, Seite 47 und Seite 89) von 2021 den Anstieg des Meeresspiegels auch über die nächsten 10.000 Jahre für verschiedene Szenarien der globalen Erwärmung prognostiziert: Demnach sei

  • bei 4 Grad Erwärmung in den kommenden 10.000 Jahren mit einem maximalen Anstieg von 33 Metern und
  • bei 5 Grad mit einem maximalen Anstieg von 37 Metern in den kommenden 10.000 Jahren zu rechnen.
Screenshot des Meeresspiegelanstiegs aus dem IPCC-Bericht
Das IPCC prognostizierte im Bericht 2021 den Meeresspiegelanstieg je nach Höher der globalen Erwärmung und dem betrachteten Zeitraum (Quelle: IPCC; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Prognosen über den zukünftigen Meeresspiegel sind laut IPCC und DKK jedoch mit Unsicherheit verbunden. Fest steht: Die Reaktionen des antarktischen und grönländischen Eises sind ein einflussreicher Klimafaktor – nur wie genau sie reagieren, hat die Wissenschaft noch nicht genug verstanden.

Wie das Überschreiten von Kipp-Punkten das Abschmelzen der Eismassen beschleunigen könnte

Dass die Eisschilde nur langsam auf den menschengemachten Klimawandel reagieren, bedeutet aber nicht, dass unsere jetzigen CO2-Emissionen keinen relevanten Einfluss haben. Im Gegenteil: „Wenn die vom Menschen verursachten Veränderungen der grönländischen und antarktischen Eisschilde für den Rest dieses Jahrhunderts anhalten, wird es tausende von Jahren dauern, dieses Schmelzen umzukehren“, schreibt der Weltklimarat (PDF, Seite 1316).

Entscheidend sind sogenannte Kipp-Punkte der globalen Erwärmung, die schon viel früher als in 10.000 Jahren erreicht werden könnten. Das Abschmelzen verstärkt sich dann von selbst, beschleunigt sich und ist unumkehrbar – und das selbst dann, wenn kein CO2 mehr ausgestoßen und die globalen Durchschnittstemperaturen absinken würden, schreibt der Weltklimarat (PDF, Seite 1316). Der Kipp-Punkt des Westantarktischen Eisschildes ist schätzungsweise bei einer Erderwärmung von 1,5 bis 2 Grad erreicht. Wann das eintritt, hängt wiederum von den heutigen Treibhausemissionen ab.

Bis wann steigt die globale Erwärmung um 1,5 Grad? 

Als zweites behauptete Spaniel bei der Podiumsdiskussion – und Auf1 wiederholt das –, die Modelle des IPCC würden mögliche Senkungen der Treibhausgasemissionen nicht mitberechnen. Das stimmt nicht: Der IPCC-Bericht (PDF, Seite 12) erstellt Prognosen für fünf verschiedene Szenarien, darunter für sehr niedrige und sehr hohe Emissionen.

Fünf Szenarien, die für Klimamodelle berücksichtigt werden
Der Weltklimarat erstellt Modelle auch für gleichbleibende oder sinkende Mengen an Treibhausgasemissionen (blaue Linien) (Quelle: University Corporation for Atmospheric Research, Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Aktuell liegt die globale Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter bei 1,1 Grad. Selbst das Szenario mit den geringsten Emissionen prognostiziert einen Anstieg um 0,4 Grad – also auf 1,5 Grad – in naher Zukunft. Als nahe Zukunft bezeichnet das IPCC den Zeitraum bis 2040 (PDF, Seite 8). Wahrscheinlich sei sogar, dass die Schwelle bereits zu Beginn der 2030er Jahre erreicht wird (PDF, Seite 59). Das entkräftet auch Spaniels dritte Behauptung. Er sagte, dass die durchschnittliche Temperatur bis 2060 um weniger als 0,4 Grad ansteigen werde. Folgt man seiner These, würde diese Schwelle erst 20 bis 30 Jahre später erreicht werden, als vom IPCC prognostiziert.

AfD-Politiker setzt seine Aussage später in einen neuen Kontext – der so auch nicht stimmt

Der AfD-Politiker nannte also falsche Zahlen. Auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck ändert er die Bedeutung seiner Aussage ab: Er will nun nicht mehr von einer maximalen Erderwärmung um weniger 0,4 Grad gesprochen haben, sondern davon, wie viel Auswirkungen die derzeitigen Bemühungen zur Emissionsminderung überhaupt haben können.

Spaniel verweist dazu auf eine Tabelle des IPCC Berichts von 2021 (PDF, Seite 14) und erklärt, dass sich die 0,4 Grad auf die Differenz zwischen einem Szenario mit sehr hohen Emissionen (SSP5-8.5) und einem Szenario mit mittleren CO2-Emissionen (SSP2-4.5) bis 2060 beziehen. Damit habe er zeigen wollen, dass man selbst mit „allen derzeitigen Bemühungen“ bestenfalls eine um 0,4 Grad geringere Erderwärmung bewirken könne.

Bei der Podiumsdiskussion hat sich der AfD-Politiker so aber nicht geäußert. Er sagte ganz konkret: „Wir haben de facto eine weltweite Klimaerwärmung selbst in diesen ganzen Szenarien, die ich aufgeführt habe, bis 2060 von weniger als 0,4 Grad.“ So wird er auch von Auf1 zitiert.

Die Tabelle, auf die der AfD-Politiker Dirk Spaniel verweist
Auf diese Tabelle des IPCC verweist der AfD-Politiker Dirk Spaniel: Rot markiert ist jeweils ein Szenario mit sehr niedrigen (oben), mittleren (mitte) und sehr hohen Emissionen (oben). Grün markiert sind die prognostizierten Temperaturen bis 2060 und 2100. (Quelle: IPCC; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Und selbst diese abgeänderte Erklärung greift zu kurz: Wenn sich, wie im Szenario mit den geringstmöglichen Emissionen (oberste Zeile in der Grafik), die Bemühungen um Treibhausgasminderungen so niederschlagen, dass sie bis 2050 auf null reduziert werden, ist der Unterschied zum Worst-Case-Szenario (unterste Zeile in der Grafik) größer. Im Jahr 2060 würde er bei 0,8 liegen, nicht bei 0,4 Grad. Im Jahr 2100 würde der Unterschied bereits bei 3 Grad liegen. Das liege daran, dass CO2 – auch das schon früher ausgestoßene – über 100 Jahre in der Atmosphäre bleibt, wie Umweltökonom Karl Steininger Profil sagt: „Das Problem ist, dass aktuelle Anstrengungen zur Verringerung von Emissionen erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Wirkung zeigen.“

Fazit: Fehlender Kontext. Ein Meeresspiegelanstieg von bis zu 40 Metern ist theoretisch möglich, wenn die Antarktis abschmilzt. Allerdings stimmt es, dass dieses Szenario erst in mehreren tausend Jahren realistisch ist. Es stimmt nicht, dass der Weltklimarat Senkungen der Treibhausemissionen in seinen Modellen nicht berücksichtigt. Dass die globale Erwärmung bis 2060 um weniger als 0,4 Grad steigen werde, ist falsch. Der IPCC rechnet damit, dass die 1,5 Grad Schwelle bereits bis 2040 erreicht wird, und zwar unabhängig davon, welches Szenario betrachtet wird.

Was Klimamodelle leisten können – und was nicht

Auf1 zitiert im Video (ab Minute 5) Roy Spencer. Er ist ein US-amerikanischer ehemaliger Nasa-Meteorologe und lautstarker Skeptiker der menschengemachten Klimaerwärmung.

Spencer habe gesagt, „Klimamodelle seien nur so gut wie ihre Grundannahmen. Sei nur eine einzige Annahme falsch, könne die Vorhersage völlig daneben gehen. […] Allen Modellen liege zugrunde, dass CO2 die Hauptursache für den Klimawandel sei“, heißt es im Video von Auf1. 

Spencers Äußerungen über Klimamodelle stammen aus einer umstrittenen RTL-Doku von 2007. Die Doku ist eine kürzere und um weitere Inhalte ergänzte deutsche Fassung eines britischen Dokumentarfilms mit dem Titel: „The Great Global Warming Swindle“. Der Film stellt den Einfluss des Menschen auf das Klima in Frage. Medien und Forschende kritisierten ihn mehrfach.

Forschungsergebnisse wurden in dem Film falsch interpretiert, Experten und Expertinnen warfen dem Regisseur vor, ihre Aussagen aus dem Kontext gerissen zu haben, und es wurden manipulierte sowie veraltete Grafiken verwendet. Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf schilderte 2007 auf der Webseite des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), dass in dem Film kein einziges „seriöses Argument“ gegen den vom Menschen verursachten Klimawandel zu finden sei. Trotzdem wird der Film seit Jahren in Sozialen Netzwerken verbreitet.


Was sind Klimamodelle?

Mithilfe von Klimamodellen simuliert die Forschung, wie sich das Klima – abhängig von unterschiedlichen Einflussfaktoren wie zum Beispiel der Menge ausgestoßener Treibhausgase – in Zukunft entwickeln könnte, wie das DKK schildert. Verschiedene Annahmen und Einflussfaktoren können miteinander verglichen werden. Klimamodelle sind immer mit Unsicherheiten verbunden, da sie eine Prognose für die Zukunft abgeben – dennoch sind sie ein nützliches Instrument der Forschung, um die Folgen des Klimawandels besser verstehen zu können und auf dieser Grundlage gesellschaftliche und politische Entscheidungen zu treffen. Abgleiche mit tatsächlichen Messdaten zeigen, dass Modelle, die in der Vergangenheit erstellt wurden, die Entwicklungen des Klimas verlässlich prognostiziert haben. Auch vergangene Klimaveränderungen können sie treffend rekonstruieren. Auf Grundlage komplexer Computerprogramme werden Klimamodelle fortlaufend weiterentwickelt und immer präziser.


Modelle zeigen, dass der Einfluss natürlicher Faktoren gering und CO2 Hauptursache für den Klimawandel ist 

Gerrit Lohmann, Physiker und Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), schreibt CORRECTIV.Faktencheck auf Anfrage, dass es falsch sei, dass alle Modelle annehmen würden, CO2 sei einer der Haupttreiber des Klimawandels – das sei vielmehr das Ergebnis der Modelle. Auch folgende Grafik des IPCC (PDF, Seite 516) zeigt, dass es nicht stimmt, dass Klimamodelle nur CO2 berücksichtigen. Es gibt ebenso Simulationen, die natürliche Ursachen oder eine Kombination aus beidem als Grundlage für ihre Berechnungen nutzen. Allerdings stimmen nur Modelle, die beide Faktoren kombiniert berücksichtigen, mit den tatsächlichen erfassten Temperaturdaten überein; Modelle, die nur natürliche Faktoren einbeziehen, liegen dagegen weit unter den realen Temperaturmessungen.

Screenshot zu Modellsimualtionen aus dem IPCC-Bericht
Nur Klimamodelle, die sowohl menschliche als auch natürliche Einflüsse auf das Klima für ihre Berechnungen nutzen (grauer Bereich), stimmen mit tatsächlichen Messungen der globalen Durchschnittstemperatur überein (Quelle: IPCC; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Da der CO2-Ausstoß die größte Auswirkung auf den Klimawandel habe, werde dieser auch seriösen Klimamodellen zugrunde gelegt, sagt Klimaökonom Steininger zu Profil: „Die aktuellen Temperatursteigerungen lassen sich mit natürlichen Schwankungen nicht erklären – nur durch menschlichen Einfluss.“ Aus zahlreichen unabhängigen Studien gehe hervor, dass der Einfluss natürlicher Faktoren wie etwa Sonnenaktivität auf das aktuelle globale Klima dagegen gering sei.

Dass Klimamodelle generell „fehleranfällig“ seien, wie es bei Auf1 heißt, können Fachleute nicht nachvollziehen. Bereits Prognosen aus den 1970er Jahren haben die physikalischen Verhältnisse zutreffend eingeschätzt, wie aus einer Studie der University of California in Berkeley hervorgeht. Im Übrigen geben renommierte Forschungseinrichtungen wie auch der Weltklimarat zu ihren Prognosen stets an, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese auftreten werden; auch Unsicherheiten werden transparent gemacht.

Fazit: Größtenteils falsch. Es stimmt, dass Modelle von ihren Grundannahmen abhängen, aber es ist nicht korrekt, dass die Modelle neben CO2 keine anderen Faktoren berücksichtigen, die einen Effekt auf das Klima haben. Dass CO2 einer der Haupttreiber des Klimawandels ist, ist nicht die Grundannahme von Klimamodellen, sondern deren Ergebnis. Nur über natürliche Einflüsse, wie zum Beispiel die Sonnenaktivität, lässt sich die aktuelle globale Erwärmung nicht erklären.

Der Einfluss von CO2 auf das Klima und die Temperaturentwicklung der Erde

Bei Minute 05:30 nimmt das Auf1-Video Bezug auf den amerikanisch-israelischen Physiker Nir Shaviv.

In der Erdgeschichte habe es Zeiten mit dreimal, ja sogar mit zehnmal so viel CO2 gegeben wie heute, soll Shaviv laut Auf1 klargemacht haben. „Hätte CO2 also einen so großen Einfluss auf das Klima, dann hätte sich die Erde damals massiv erwärmen müssen“, heißt es im Video. 

Suggeriert wird damit, dass CO2 – ganz gleich, woher es stammt – keinen relevanten Einfluss auf die globale Erwärmung habe. Auch Shavivs Aussagen stammen aus der RTL-Doku von 2007 (ab Minute 4:20). Doch Shavivs Forschung ist umstritten.

Der Physiker Nir Shaviv in der RTL-Doku
Auf1 zitiert den Physiker Nir Shaviv aus einer RTL-Dokumentation von 2007. Doch sowohl Shavivs Thesen zum Klimawandel als auch die Doku werden von Klimaforschenden weltweit stark kritisiert. (Quelle: Auf1; Sreenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Der WDR bezeichnete den Physiker in einem Beitrag als „Star der Klimawandel-Leugner-Szene“. Shaviv trat 2018 auf Einladung der AfD im Umweltausschuss des Bundestags auf und sagte auch dort, dass CO2 keinen großen Einfluss auf das Klima habe. Er ist außerdem ein beliebter Gast bei Konferenzen des Europäischen Instituts für Klima und Energie (Eike), einem deutschen Verein, der den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel als nicht bewiesen bezeichnet.

Einfluss von CO2 auf die globale Erwärmung ist eine anerkannte wissenschaftliche Tatsache 

Um den Einfluss von CO2 auf die globalen Temperaturen zu verstehen, muss man den natürlichen Treibhauseffekt betrachten: Treffen Sonnenstrahlen auf die Oberfläche der Erde, wird ein Drittel der Strahlen reflektiert, zwei Drittel werden von der Erde aufgenommen und als Wärme wieder abgestrahlt. Dass die abgestrahlte Wärme nicht einfach ins Weltall entweicht, liegt an der Zusammensetzung der Atmosphäre der Erde. Treibhausgase wie CO2 oder Methan sind sogenannte „infrarotaktive“ Gase und können Wärme absorbieren. Das ermöglicht es, dass die Erde überhaupt bewohnbar ist. Ohne diesen natürlichen Treibhauseffekt läge die Durchschnittstemperatur auf der Erde im zweistelligen Minusbereich. Doch steigt die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre, wird auch mehr Wärme auf die Erde zurückgestrahlt und es kommt zu globaler Erwärmung.

Diese grundlegenden physikalischen Zusammenhänge der erwärmenden Wirkung von Treibhausgasen auf das Klima sind seit mehr als einem Jahrhundert bekannt, schreibt das IPCC (PDF, Seite 515). Anders als Nir Shaviv suggeriert, ist es laut IPCC (PDF, Seite 41) eine anerkannte wissenschaftliche Tatsache, dass die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen Hauptursache der globalen Erwärmung sind.

Die CO2-Konzentration im Laufe der Erdgeschichte 

Doch gab es tatsächlich Zeiten in der Geschichte der Erde, in der es schon viel höhere CO2-Werte gab als heute? Martin Claußen, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, und Thomas Stocker, Klimaforscher des Physikalischen Instituts der Universität Bern, schreiben auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck beide: Ja, das stimmt, die CO2-Konzentration unterlag in der Erdgeschichte großen Schwankungen.


CO2-Werte in der Erdgeschichte

  • In der Zeit circa 540 bis 400 Millionen Jahre vor heute war die CO2-Konzentration laut verschiedenen Schätzungen 5 bis 30 Mal höher als heute.
  • In den vergangenen 60 Millionen Jahren war die CO2-Konzentration maximal fünf Mal höher als heute.
  • In der Zeit circa 20 Millionen bis 2,6 Millionen Jahre vor heute lag sie zwischen 300 bis 400 ppm, was in etwa den heutigen Werten entspricht.
  • In der Zeit  2,6 Millionen Jahren vor heute bis zum Industriezeitalter war die CO2-Konzentration vergleichsweise niedrig. Der Wert schwankte zwischen 180 ppm bis gut 300 ppm.
  • Seit Beginn des Industriezeitalters ist die CO2-Konzentration stetig angestiegen. Im Jahr 2021 lag der Wert bei 414 ppm, im Februar 2023 bei 419 ppm.

Im Vergleich zu den letzten 2,6 Millionen Jahren „sind die heutigen Konzentrationen erheblich erhöht“, erklärt Claußen. Hinzu komme, dass die Zunahme der CO2-Konzentration im Wesentlichen während der letzten circa 200 Jahre passiert sei. „Das ist im Vergleich mit vergangenen CO2-Änderungen – sieht man mal von großen Katastrophen wie dem Asteroideneinschlag vor gut 64 Millionen Jahren ab – atemberaubend schnell,“ erklärt er.

Screenshot zur Entwicklung des CO2-Wertes aus dem IPCC-Bericht
Laut dem Bericht des Weltklimarates von 2021 war die CO2-Konzentration in den vergangenen zwei Millionen Jahren niedriger als heutzutage (Quelle: IPCC; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Der Weltklimarat kommt in seinem Bericht (PDF, Seite 676) zu einem ähnlichen Ergebnis. Er schreibt, dass die derzeitige CO2-Konzentration in der Atmosphäre in den letzten zwei Millionen Jahren beispiellos sei. Zwar habe es in den vergangenen 60 Millionen Jahren Zeiten mit deutlich höherer CO2-Konzentration gegeben, doch: „Mehrere Beweise zeigen, dass die Geschwindigkeit, mit der CO2 in der Atmosphäre zugenommen hat, zwischen 1900 und 2019 mindestens zehn Mal schneller ist als zu jedem anderen Zeitpunkt in den letzten 800.000 Jahren“.

Natürliche Rückkopplungseffekte konnten den steigenden CO2-Gehalt in der Vergangenheit regulieren

Hat sich die Erde in solchen vergangenen Phasen trotz des CO2-Anstieges nicht erwärmt, wie Shaviv und Auf1 behaupten? Jein. Teilweise, aber nicht immer, stiegen die Temperaturen parallel zum CO2-Anstieg. Das Deutsche Geoforschungszentrum erklärt auf seiner Webseite, warum das so ist: „Auf geologischen Zeitskalen wird der atmosphärische CO2-Gehalt – und mit ihm das globale Klima – durch ein System natürlicher Rückkopplungen reguliert.“ Obwohl in den letzten Milliarden Jahren beispielsweise die Vulkane durchgehend CO2 ausgestoßen hätten, sei der Planet bewohnbar geblieben. Das liege hauptsächlich daran, dass das CO2 durch die chemische Verwitterung der Gesteine gebunden worden sei. Diese Rückkopplung stabilisiere den CO2-Gehalt und das Klima. Sie könne aber durch zu viel CO2 überfordert werden und führe dann zu globaler Erwärmung.

Auch Claußen schreibt, dass der komplexe geologische Kohlenstoffkreislauf die Erwärmung in vergangenen Zeiten kompensiert hat. Die Bewegung der Erdplatten hätte dabei ebenfalls eine Rolle gespielt. Aber beim Blick auf die letzten gut 2,6 Millionen Jahre – während der sich die Kontinente nicht nennenswert verschoben hätten und in der sich der Mensch entwickelt hat – „erkennen wir in den geologischen Archiven einen klaren Gleichlauf von Temperatur und CO2-Konzentration“, schreibt Claußen.


Was sind Klimaarchive?

Für die vergangenen rund 170 Jahre gibt es meteorologische Messdaten, über die sich die Entwicklung des Klimas beschreiben lässt. Für die 3.000 Jahre davor gibt es teilweise lückenhafte historische Aufzeichnungen. Für alles, was noch länger zurückliegt, müssen Klimadaten indirekt rekonstruiert werden. Dabei helfen sogenannte natürliche Klimaarchive wie Eisbohrkerne, Baumringe oder Meeressedimente. Darin sind indirekte klimarelevante Daten, sogenannte Proxydaten, gespeichert. Mit Hilfe statistischer Methoden lassen sich daraus Rückschlüsse zum Beispiel auf Niederschläge oder die Temperaturentwicklung in einem bestimmten Zeitraum ziehen.


Laut Thomas Stocker von der Uni Bern trat der Gleichlauf von CO2 und Temperaturen sogar noch früher ein. Er schreibt, diesen Zusammenhang könne man für die vergangenen 60 Millionen Jahre nachweisen und verweist dazu auf eine Grafik des IPCC (PDF, Seite 44), die das verdeutlicht.

Grafic über CO2-Konzentration aus dem IPCC-Bericht
Wie diese Grafik zeigt, ist in den letzten 60 Millionen Jahren bei steigender CO2-Konzentration auch die globale Durchschnittstemperatur gestiegen und umgekehrt (Quelle: IPCC; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)


Vergleich der Entwicklung von CO2-Konzentration und Temperatur belegt Wirkung der Emissionen für den Klimawandel 

Dass es in der Vergangenheit Phasen mit höheren CO2-Werten als heute gab, widerlegt aus Sicht von Stocker nicht den menschlichen Einfluss auf das Klima – im Gegenteil: „Die enge Korrelation zwischen der CO2-Konzentration und der Temperatur über die letzten 60 Millionen Jahre belegt eindrücklich die Wirkung des Spurengases CO2 in der Atmosphäre auf die globale Energiebilanz.“

Zwar sei der natürliche Kohlenstoffkreislauf „außerordentlich komplex“ und noch nicht in allen Einzelheiten verstanden, schreibt Claußen. Allerdings könne keine der möglichen natürlichen Ursachen, die in den letzten Jahren immer wieder hervorgebracht wurden – zum Beispiel Schwankungen der Sonnenstrahlung oder Vulkanismus – die gegenwärtige Erwärmung erklären. „Unser Wissen reicht, um sagen zu können, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der jetzige CO2-Anstieg zum allergrößten Teil auf den Menschen zurückzuführen ist und dass dies die beobachtete globale Erwärmung angestoßen hat. Theorie, Klimamodellierung und Beobachtung passen zueinander“, so Claußen.

Fazit: Größtenteils falsch. Es ist ein wissenschaftlicher Fakt, dass CO2 einen Einfluss auf das Klima hat. Zwar stimmt es, dass es in der Erdgeschichte Zeiten mit höheren CO2-Werten als heute gab, allerdings sind die aktuellen Werte beispiellos für die letzten zwei Millionen Jahre und der Anstieg vollzieht sich zudem sehr schnell. Dass die Erde sich in der Vergangenheit trotz hoher CO2-Konzentration nicht immer zwangsläufig erwärmte, liegt laut Experten unter anderem an natürlichen Rückkopplungseffekten des geologischen Kohlenstoffkreislaufes. Für die letzten 60 Millionen Jahre ist nachgewiesen, dass mit einem steigenden CO2-Wert auch die globalen Temperaturen steigen – und umgekehrt.

Schmelzende Eismassen in der Arktis und Antarktis

Ab Minute 5:48 beruft sich das Auf1 im Video auf Syun-Ichi Akasofu, Klimaforscher und ehemaliger Direktor des International Arctic Research Center der University of Alaska Fairbanks.

„Polkappen sind immer in Bewegung“, hat Akasofu laut Auf1 klargemacht. „Sie dehnen sich aus und ziehen sich wieder zusammen. Eisklumpen, die sich aus der Antarktis lösen, hat es zu allen Zeiten gegeben. Nur heutzutage fangen Satelliten diese Bilder ein. Eis fließt immer. Abbrechende Eisschollen in der Arktis sind nichts Neues. Abstürzende Eisplatten gibt es jedes Jahr – der sogenannte Frühjahrsbruch. Die Klimakatastrophe existiert nicht“, wird der Forscher im Video zitiert. 

Screenshot aus dem Auf1-Video mit der Behauptung über die Arktis und Antarktis
Nur weil Eismassen in der Arktis und Antarktis auch in der Vergangenheit dynamisch auf Temperaturveränderungen reagierten, heißt das laut Experten nicht, dass das vom Menschen ausgestoßene CO2 keinen Einfluss auf das Klima hat (Quelle: Auf1; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Auch Akasofu trat 2007 in dem umstrittenen Film „The Great Global Warming Swindle“ auf, Auf1 übersetzt seine Aussagen im Film ins Deutsche. Akasofu ist ebenfalls kein Unbekannter in der Szene der Klimawandelleugnerinnen und -leugner. 2009 hielt er einen Vortrag beim Heartland-Institut, einem US-amerikanischen Think-Tank, der den Klimawandel leugnet. Über die Verbindungen vom Heartland-Institut zum bereits erwähnten deutschen Verein Eike hat CORRECTIV zusammen mit Frontal 21 2020 ausführlich berichtet.

Forschung an Eismassen in der Zeit vor Satellitenmessungen

In der Arktis und Antarktis gibt es unterschiedliche Formen von Eis, zwischen denen Akasofu nicht klar unterscheidet: Das Meereis besteht aus gefrorenen Ozeanwasser und schwimmt als Eisschollen auf dem Meer. Das Landeis, wie Eisschilde oder Gletscher, dagegen bildet sich über Jahrtausende durch Niederschlag und liegt auf dem Festland auf. Das Meereis reagiert schnell auf Klimaveränderungen, auch innerhalb eines Jahres. Das Landeis hingegen ist träger und verändert sich langsamer.

Angelika Humbert, Glaziologin am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), schreibt auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck, es sei korrekt, dass es erst durch Satelliten möglich sei, die Entwicklung von Gletschern, Eisschilden und Meereis an den Polkappen detailliert aufzuzeichnen und zu beobachten. Trotzdem gibt es – anders als von Akasofu suggeriert – auch Forschung über die Entwicklung der Eismassen für die Zeit davor. Gerrit Lohmann, Physiker und Klimaforscher, ebenfalls vom AWI, schreibt: Dafür würden Proxydaten aus Klimaarchiven wie Eisbohrkernen und Fossilien (siehe Behauptung 5) genutzt. Es stimmt also nicht, wie von Akasofu suggeriert, dass man nur wegen der Satellitendaten wisse, dass das Eis schmilzt.


Was ist die Kyrosphäre?

Alles, was Wasser in Form von Eis oder Schnee betrifft, wird in der Klimaforschung unter Kryosphäre zusammengefasst. Dazu zählen zum Beispiel Gletscher oder Eisschilde auf dem Festland Grönlands und der Antarktis, aber auch Meereis oder Permafrost und saisonal zugefrorene Gewässer oder schneebedeckte Gebiete. Die Kryosphäre steht sowohl mit den Ozeanen als auch der Atmosphäre in Wechselwirkungen. Sie reagiert auf Klimaänderungen sehr empfindlich – aufgrund von Temperatur- und Niederschlagsänderungen. Außerdem beeinflusst die Kryosphäre den Energiehaushalt der Erde, hat Einfluss auf die Zirkulation der Meere und das Schmelzen von Meereis hat Folgen für Ökosysteme auf dem Land und im Meer. 

Im Durchschnitt sind derzeit rund 10 Prozent der Landoberflächen und 6,5 Prozent der Meeresoberflächen im Jahresdurchschnitt mit Eis bedeckt. Die Masse und Ausdehnung von Schnee und Meereis schwankt stark im Zuge der Jahreszeiten. Eisschilde hingegen veränderten sich in der Vergangenheit immer nur stark beim Wechsel zwischen Kalt- und Warmzeiten. 


Was abbrechende Eisschollen und das sogenannte Kalben im Kontext des Klimawandels bedeuten

Was stimmt: Es hat auch in der Vergangenheit abbrechende Eisberge gegeben. Laut Lohmann reagierte das arktische und antarktische Eis auch auf vergangene Klimaveränderungen. In Zeiten, in denen es deutlich wärmer war als heute – zum Beispiel in der Kreidezeit –, habe es im Sommer etwa kein oder nur wenig Meereis gegeben. Das widerspreche aber nicht dem von Menschen verursachten Klimawandel, schreibt Lohmann: „Im Gegenteil, es zeigt, wie empfindlich das System reagieren kann.“

Mit dem „Frühjahrsbruch“, von dem Auf1 im Video spricht, ist laut Glaziologin Humbert wohl das Einsetzen des Kalbens gemeint. So heißt das Abbrechen von Teilen des Landeises, die dann ins Meer stürzen. „Im Winter geht die Kalbungsrate runter, es brechen kaum bis gar keine Eisberge ab“, erklärt Humbert. Erst wenn es wärmer werde und Schmelzwasser entstehe, beginne das Kalben. Dieser Prozess selbst müsse nicht unbedingt, könne aber Zeichen des Klimawandels sein, so Humbert. Daran werde noch geforscht.

Eine Grafik erklärt die verschiedenen Eisformen
Das Abbrechen einer Eismasse von einer Eismauer, Eisfront oder einem Eisberg wird als Kalben bezeichnet. Ob das Kalben ein Zeichen des Klimawandels ist, ist noch nicht eindeutig erforscht. (Quelle: Meereisportal; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)


Eisschmelze in der Vergangenheit steht nicht im Widerspruch zum menschengemachten Klimawandel

Dass das arktische und antarktische Eis in der Vergangenheit auf natürliche Klimaveränderungen reagierte, wird also in der Klimaforschung nicht bestritten. So heißt es etwa im IPCC-Bericht von 2021 (PDF, Seite 47), dass paläoklimatische Aufzeichnungen und Modellierunge belegen würden, dass die Masse der Eisschilde und der mittlere globale Meeresspiegel über mehrere Jahrtausende dynamisch reagiert hätten.

Doch nur weil Eis in der Arktis und Antarktis auch in der Vergangenheit abgebrochen und geschmolzen ist, heiße das nicht, dass der Mensch keinen Einfluss auf das Klima habe, so Humbert. „Es kann mehr als nur einen Grund geben, warum Eismassen schmelzen.“ Dazu gehören natürliche Veränderungen im Klimasystem und der Atmosphäre – aber auch menschengemachte Beiträge könnten auf das Schmelzen von Eismassen einen Einfluss haben, so die Glaziologin.

Die Arktis erwärmt sich doppelt bis dreifach so schnell wie der Rest der Erde

Wie unter anderem das Deutsche Klima-Konsortium (DKK) und der Deutsche Wetterdienst in einer Publikation schreiben, schrumpfe das Meereis in der Arktis seit Beginn der Satellitenmessungen 1979. „Sowohl das Eisvolumen in der Arktis als auch die dort mit Eis bedeckte Ozeanfläche sind stetig zurückgegangen – um durchschnittlich mehr als zehn Prozent pro Dekade.“ Laut IPCC (PDF, Seite 8) erreichte die durchschnittliche jährliche arktische Meereisfläche im Zeitraum 2011 bis 2020 den niedrigsten Stand seit mindestens 1850. Es sei zudem wahrscheinlich, dass die arktische Meereisfläche in den Spätsommern kleiner war als jemals zuvor in den vergangenen 1000 Jahren.

Die Nasa erklärt, warum die Größe der Eisflächen an den Polen mit dem Klimawandel zusammenhängt: Das Eis reflektiere mit seiner hellen Oberfläche 50 bis 70 Prozent der Energie der Sonne zurück ins Weltall (der sogenannte Albedo-Effekt). Wenn es im Sommer schmelze, entblöße es die dunkle Oberfläche des Meeres, die 90 Prozent des Sonnenlichtes absorbiere. Das führt zu einem sich selbst verstärkenden Prozess: Gibt es weniger Meereis, wird mehr Strahlung aufgenommen und es kommt zu einer noch stärkeren Eisschmelze.


Was ist der Albedo-Effekt?

Der Albedo-Effekt beschreibt das Rückstrahlungsvermögen einer Oberfläche. Albedo ist also das Maß für den Anteil einfallender Sonneneinstrahlung, den eine Oberfläche zurückwirft. Einfach gesagt: Umso heller eine Oberfläche ist, desto mehr Sonnenstrahlung wirft sie zurück, sprich desto größer ist die Albedo, die zwischen 0 und 1 liegt. Eismassen und Schnee haben folglich hohe Albedo-Werte, Grünflächen mittlere, Wasseroberflächen sehr niedrige. Die Tatsache, dass Eismassen die Sonneneinstrahlung so gut reflektieren, sorgt also dafür, dass das Sonnenlicht die Erde dort weniger stark erwärmt – deshalb haben die Eismassen einen kühlenden Effekt für das Erdklima. Je nachdem, wie sich Landoberflächen verändern, wenn zum Beispiel Eis schmilzt oder Eis hinzukommt, kann das einen abkühlenden oder erwärmenden Effekt für das ganze Klima haben.  


Dieser Prozess habe dazu geführt, „dass sich die Arktis doppelt bis dreifach so schnell erwärmt wie der Rest der Erde“, wie das AWI CORRECTIV.Faktencheck für eine andere Recherche mitteilte. Und diese Veränderungen in den Polregionen wirken sich auch auf die globalen Temperaturen aus und können die Zirkulation der Ozeane verändern, schreibt die Nasa.

Der Weltklimarat kommt zu dem Ergebnis (PDF, Seite 426), dass es sehr wahrscheinlich sei, dass die Hauptursache für den arktischen Meereisverlust seit den späten 1970er Jahren die Treibhausemissionen durch den Menschen sind.

Darstellung der Ausdehnung des arktischen Meereises seit 1980
Satellitenmessungen seit Ende der 1970er Jahre belegen, dass das Meereis am Nordpol schwindet (Quelle: Leopoldina; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)


Für das Meereis in der Antarktis gibt es keinen eindeutigen Trend, aber das Landeis schwindet seit Jahren

Auch in diesem Gebiet gibt es noch offene Fragen für die Forschung: Für das Meereis in der Antarktis gibt es laut IPCC (PDF, Seite 1215) aufgrund regional gegenläufiger Entwicklungen und großer Schwankungen innerhalb der Jahre keinen statistisch signifikanten Trend. Ein positiver Trend der Meereisausdehnung zwischen 1979 und 2015 wurde dann von 2016 bis 2018 durch drei Jahre mit unterdurchschnittlicher Eisbedeckung unterbrochen, heißt es in einem IPCC-Sonderbericht (PDF, Seite 214). Das lässt sich an folgender Grafik der Nasa nachvollziehen.

Grafische Darstellung der Entwicklung des Meereises in der Arktis und Antartkis
Während das Meereis in der Arktis seit dem Ende der 1970er Jahre deutlich schmilzt (blaue Linie), ist der Trend für das Meereis der Antarktis nicht eindeutig (rote Linie). Auch in der Antarktis nimmt aber die Masse des Festlandeises kontinuierlich ab. (Quelle: Nasa; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Klar ist der Trend hingegen beim Landeis: In Teilen der Antarktis – ebenso wie auf Grönland – schwindet die Masse der Eisschilde, wie diese Daten der Nasa ab dem Jahr 2002 zeigen. Darüber hat CORRECTIV.Faktencheck bereits mehrfach berichtet. Laut dem DKK geht die arktische Eismasse auf Grönland jedes Jahr um mehr als 278 Milliarden Tonnen zurück, beim antarktischen Eisschild sind es seit 2006 etwa 155 Milliarden Tonnen pro Jahr. Beide Entwicklungen hätten sich in den vergangenen Jahren beschleunigt.

Auch das hat Auswirkungen auf das Klima: Wie die Fachwebseite Klimafakten.de erklärt, ist das Schmelzen des Landeises in der Antarktis besonders relevant, weil es als größter Süßwasserspeicher der Erde den Meeresspiegel deutlich ansteigen lassen könnte, wie auch unter Behauptung 3 erklärt.

Fazit: Größtenteils falsch. Es stimmt, dass Satellitenaufzeichnungen ab Ende der 1970er Jahre es ermöglicht haben, die Veränderungen des Eises in der Arktis und Antarktis detailliert zu dokumentieren. Trotzdem gibt es auch Forschungen mittels Klimaarchiven für davor liegende Zeiträume. In der Klimaforschung wird nicht bestritten, dass das Eis im Lauf der Erdgeschichte dynamisch auf natürliche Veränderungen, etwa der Temperaturen, reagierte. All das ist aber laut Expertinnen und Experten kein Beleg gegen den vom Menschen verursachten Klimawandel, sondern zeigt, wie empfindlich das System reagiert. Sowohl das Meer- als auch das Landeis am Nordpol schrumpfen seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen – Hauptursache dafür sind laut IPCC sehr wahrscheinlich die Treibhausgasemissionen der Menschen. Für das Meereis am Südpol gibt es keinen eindeutigen Trend, allerdings schwindet auch hier seit Jahrzehnten das Landeis. An beiden Polen hat sich dieser Prozess zudem beschleunigt.

Das Korallenriff „Great Barrier Reef“ und der Klimawandel

Ab Minute 6:45 liefert Auf1 nach eigener Aussage ein „eindrückliches Beispiel für die typischen Methoden der Systemmedien“, die im Hinblick auf den Klimawandel angeblich „systematisch mit Panikmache und Manipulation der Fakten“ arbeiten würden.

Im November 2021 habe die ARD in der Dokumentation „Kinder der Klimakrise“ über die Entwicklung des Great Barrier Reefs in Australien fälschlicherweise Folgendes berichtet: Das Ökosystem des Korallenriffs würde abrupt zusammenbrechen und habe bereits mehr als die Hälfte seiner Korallen, vielleicht für immer, verloren. Dem widerspricht das Auf1-Video: „Die Wahrheit ist, dass das Great Barrier Reef wächst wie noch nie.“ 

Screenshot aus dem Auf1-Video. Zu sehen ist eine Doku der ARD
In dieser Doku soll die ARD laut Auf1 falsch über das Great Barrier Reef in Australien berichtet haben (Quelle: Auf1; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die ARD-Doku von November 2021 ist online nicht mehr abrufbar, aber aus einer Programmbeschreibung geht hervor, dass die Zitate im Auf1-Video korrekt sind. Für die Behauptung, das Great Barrier Reef – es liegt an der Nordostküste Australiens und ist das größte Korallenriff der Erde – wachse wie noch nie, liefert Auf1 keine Quellen.

Möglicherweise bezieht sich die Behauptung auf eine Pressemitteilung des staatlichen Forschungszentrums Australian Institute of Marine Science (AIMS) von August 2022 mit dem Titel: „Höchste Korallenbedeckung im zentralen und nördlichen Riff seit 36 Jahren.“ Die AIMS-Pressemitteilung erschien neun Monate nach der Ausstrahlung der Doku „Kinder der Klimakrise“ und konnte daher noch gar nicht in die ARD-Berichterstattung einfließen. Als im August 2022 die Pressemitteilung von AIMS erschien, berichteten auch mehrere deutsche Medien über das Korallenwachstum in Australien, beispielsweise das ZDF, die Zeit – und die ARD.

Im Great Barrier Reef verbreitet sich vor allem eine schnell wachsende, aber besonders anfällige Korallenart 

Aber was ist dran an der Behauptung von Auf1, dass das Korallenriff wachse wie noch nie zuvor? Eine von der britischen nationalen Akademie der Wissenschaften veröffentlichte Studie aus dem Jahr 2020 kam zu dem Ergebnis, dass das Riff – wie von der ARD berichtet – in einem Zeitraum von etwa 20 Jahren mehr als die Hälfte seiner Korallen verloren habe. Auch das AIMS teilt auf Nachfrage mit, dass die Äußerung von Auf1 nicht korrekt sei. Zwar sei die Korallenbedeckung im zentralen und nördlichen Teil des Riffs angestiegen und die höchste seit Beginn der Beobachtungen durch das Institut, also seit 36 Jahren. Aber parallel dazu sei im südlichen Teil des Riffs die Korallenbedeckung zurückgegangen.

Grundsätzlich würden die Ergebnisse zeigen, dass sich das Riff auch in Zeiten intensiver Störungen, etwa Massenbleichen, erholen könne. Wichtig seien jedoch, so schreibt das AMIS, Langzeitbeobachtungen in den Regionen des Riffs.


Was ist Korallenbleiche?

Eine Korallenbleiche wird durch hohe Temperaturen im Ozean und starke Sonneneinstrahlung ausgelöst, das führt bei den Tieren zu Stress. „Wenn Korallen bleichen, stoßen sie die Algen aus, die ihnen ihre Farbe verleihen und die Korallen durch Photosynthese mit Nahrung versorgen“, erklärt das AIMS. Die Korallenbleiche führe nicht immer zum Tod, sie könne aber die Fortpflanzung der Korallen hemmen und sie anfälliger für Krankheiten machen.

Die Korallenbleiche wird durch die Erwärmung der Meere vorangetrieben. Seit 2016 habe es am Great Barrier Reef vier großflächige Korallenbleichen gegeben, darunter 2022 das erste Mal in einem La-Niña-Jahr, einer Phase in der sich die Temperaturen der Meeresoberflächen im tropischen Pazifik in der Regel abkühlen. Solche kühleren Jahre sollten den Korallen laut AIMS eigentlich eine Erleichterung verschaffen.


Aktuell nehmen laut AIMS im Great Barrier Reef vor allem schnell wachsende Acropora-Korallen, auf Deutsch Steinkorallen, zu. Langlebige Korallen, die älter als 50 Jahre sind, seien nicht zurückgekehrt. Die Steinkorallen böten Fischen und Meeresbewohnern zwar einen wichtigen Lebensraum, seien aber gleichzeitig die bevorzugte Beute von Dornenkronenseesternen und besonders anfällig für Wellenschäden und Korallenbleiche. „Eine starke Zunahme dieses Korallenbestands kann also durch Störungen an Riffen schnell zunichte gemacht werden.“

Die schnell wachsenden Korallenarten hätten sich die freien Flächen von der letzten Korallenbleiche besser zunutze machen können, weil andere Störungen, wie die Dornenkornenseesterne oder Zyklone (tropische Wirbelstürme), in diesem Zeitraum eher gering ausgefallen seien, schreibt auf Anfrage auch Marlene Wall, Ökologin am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Sie vergleicht das mit einem Waldbrand, bei dem auch die schnell wachsenden Arten zuerst hochkommen, bevor die Bäume folgen. Die Arten seien jedoch weniger tolerant gegenüber Hitze und anderen Störungen, „somit ist das Riff auch eher anfälliger gegenüber diesen Störungen, sollten diese auftreten“, schreibt Wall.

Der Klimawandel ist nach wie vor die größte Bedrohung für das Great Barrier Reef

Aus dem Wachstum der Steinkoralle zu folgern, dass der Klimawandel keinen Einfluss mehr auf das Riff habe, sei falsch, stellt das AIMS klar: „Der Klimawandel wirkt sich weiterhin auf das Riff aus und wird als die größte Bedrohung angesehen. Die negativen Auswirkungen des Klimawandels drohen, die natürlichen Anpassungsraten des Riffs zu überholen.“

Bildliche Darstellung der Folgen des Klimawandels auf Korallenriffe
Der vom Menschen verursachte Klimawandel hat unterschiedliche Folgen für Korallen: Die Erwärmung des Meeres führt zu Korallenbleichen, die für die Tiere tödlich enden können. Die Versauerung des Ozeans wirkt sich unter anderem negativ auf die Wachstumsrate der Korallen aus. (Quelle: National Oceanic und Atmospheric Administration (NOAA); Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Neben den Korallenbleichen sei die Versauerung des Meeres ein weiteres Problem für das Riff, schreibt das AIMS. Die Ozeane haben circa 30 Prozent des vom Menschen verursachten CO2 aufgenommen. Dadurch verändert sich die Chemie des Wassers, der PH-Wert sinkt, wie das IPCC (PDF, Seite 16) 2013 erklärte. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen laut AIMS, dass diese Versauerung der Ozeane am Great Barrier Reef rasch zunimmt – und das bleibt nicht ohne Folgen: „Wissenschaftler haben festgestellt, dass die Versauerung die Zahl der Babykorallen und der Korallenalgen, die zum Zusammenhalt der Korallen beitragen, negativ beeinflusst und an Standorten mit hohem CO2-Gehalt unerwünschte Algen gedeihen lässt.“

Laut IPCC (PDF, Seite 5) ist der menschliche Einfluss wahrscheinlich der Haupttreiber für die Erwärmung der Ozeane und ihre Versauerung.

Fazit: Größtenteils falsch. Anders als von Auf1 behauptet, hat die ARD Fakten in einer Dokumentation über das Great Barrier Reef nicht manipuliert. Dass das Riff wachse wie nie, ist laut dem Australian Institute of Marine Science nicht korrekt. Zwar ist die Korallenbedeckung in einigen Teilen des Riffs in den Jahren 2021 und 2022 angestiegen und auf dem höchsten Wert seit 36 Jahren, gleichzeitig ist sie im südlichen Teil jedoch gesunken. Zudem breitet sich vorrangig eine schnellwachsende, aber zugleich sehr empfindliche Korallenart aus, deren Bestand durch Störungen leicht wieder zurückgehen kann. Mit dem Wachstum der Korallen zu suggerieren, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel keinen Einfluss mehr auf das Riff habe, ist falsch. Dieser stellt nach wie vor die größte Gefahr für das Ökosystem dar.

Redigatur: Uschi Jonas, Gabriele Scherndl

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • IPCC Sixth Assessment Report – Climate Change 2021: The Physical Science Basis, 2021: Link (PDF, Englisch)
  • IPCC Special Report on the Ocean and Cryosphere in a Changing Climate, 2019: Link (PDF, Englisch)
  • Klimaänderung 2013: Naturwissenschaftliche Grundlagen. Häufig gestellte Fragen und Antworten (Deutsche Übersetzung durch die deutsche IPCC-Koordinierungsstelle und Klimabüro für Polargebiete und Meeresspiegelanstieg), 2017: Link (PDF)
  • Studie: „Quantifying the consensus on anthropogenic global warming in the scientific literature“, Environmental Research Letters, Mai 2013: Link (Englisch)
  • Studie: „Scientists Reach 100% Consensus on Anthropogenic Global Warming“, Sage Journals, November 2019: Link (Englisch)
  • Broschüre des Deutsches Klima Konsortiums: „Zukunft der Meeresspiegel“, Dezember 2019: Link (PDF)
  • Studie: „Evaluating the Performance of Past Climate Model Projections“, Geophysical Research Letters, Dezember 2019: Link (Englisch)
  • Broschüre des Deutsches Klima Konsortiums und des Deutschen Wetterdienstes: „Was wir heute übers Klima wissen“, September 2022: Link (PDF, archiviert)
  • Pressemitteilung des staatlichen Forschungszentrums Australian Institute of Marine Science (AIMS), 4. August 2022, Link (Englisch, archiviert)
  • Studie: „Long-term shifts in the colony size structure of coral populations along the Great Barrier Reef“, The Royal Society, Oktober 2020: Link (Englisch)

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Klimawandel, Umwelt

Autor(en): CORRECTIV

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