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Das Wasserglas in diesem Video einer Raumstation ist kein Beleg für eine Fälschung

In sozialen Medien verbreitete sich im April 2023 ein Video mehrerer Astronauten im All. User weisen auf ein im Clip zu sehendes Wasserglas hin, das auf einem Tisch steht, während die Menschen in der Luft schweben. Dies sei angeblich der Hinweis für eine Fälschung der Weltraummission. Die Originalaufnahme liefert allerdings Belege dafür, dass der Clip tatsächlich im All entstand. Es handelt sich um den Ausschnitt einer Übertragung von der chinesischen Raummission Tiangong, bei der Experimente für Jugendliche demonstriert wurden. Dabei wurde das Glas auf dem Tisch fixiert. Experten erklärten gegenüber AFP, dass das Wasser im Video sich wie erwartet verhält. 

„Jemand hat ‚vergessen‘, das Wasserglas zu entfernen, bevor die Live-Übertragung aus dem ‚Weltraum‘ begann“, heißt es zu dem Video einer Raummission im Netz. Zu sehen sind drei Astronauten in blauen Anzügen, die sich in einer Raumstation befinden. Auf einem Tisch neben ihnen steht ein Glas mit Wasser, das in dem Clip eingekreist hervorgehoben wird.

„Spätestens bei solchen Aufnahmen sollten so manche Menschen mal beginnen, Fragen zu stellen“, schreibt ein User, der den Clip geteilt hat. In den Kommentaren wird darüber spekuliert, wie Medien angeblich Aufnahmen manipulierten. Ein User schreibt, er werde belogen. „Das passiert, wenn du an der Filmcrew sparst“, meint ein anderer.

Das Video mit der Behauptung wurde dutzende Male auf Facebook und Twitter geteilt. Auf Telegram sahen Tausende den Clip.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 8. Mai 2023

Für die Überprüfung des Videos führte AFP zunächst eine Websuche nach im Clip sichtbaren Begriffen wie „Tiangong Class“ oder „Taikonauts give tour of TSS“ durch. Dies führte zu mehreren Youtube-Videos des China Global Television Network (CGTN) und mehreren Nachrichtenartikeln, die von “Taikonauten” berichten, die im Rahmen der chinesischen Raummission Shenzhou-13 im Dezember 2021 zum ersten Mal eine Unterrichtseinheit auf der chinesischen Raumstation Tiangong organisierten.

Der Begriff „Taikonaut“ wird verwendet, um Astronauten in Chinas Raumfahrtprogramm zu bezeichnen. Das Wort leitet sich vom chinesischen „Taikong“ ab, was so viel wie Weltraum bedeutet.

Die „Global Times“, eine englischsprachige Zeitung aus China, berichtete im Dezember 2021, dass „drei Taikonauten der Shenzhou-13 Raumfahrtmission die erste Sitzung der Tiangong-Kursreihe durchführten“. Dabei handele es sich um die erste außerirdische Unterrichtsreihe Chinas, die dazu diene, Weltraumwissenschaften beliebter zu machen. Die Sitzungen würden sich vor allem an Kinder richten. CGTN veröffentlichte zudem einen etwa zweistündigen Mitschnitt der Unterrichtseinheit auf Youtube.

Eine Ankündigung zu der Übertragung findet sich auch auf der Website des chinesischen Raumprogramms China Manned Space, ebenso wie eine Mitteilung nach Abschluss der Sitzung. „Die Lehrenden im All, Zhai Zhigang, Wan Yaping und Ye Guanfu haben einen wundervollen Kurs für Jugendliche gegeben, um Weltraumwissenschaften beliebter zu machen“, heißt es darin.

Auch die Nachrichtenagentur Associated Press berichtete von dem Kurs auf der Tiangong und schrieb dazu, „der Kurs konzentrierte sich auf Physik und sollte veranschaulichen, wie sich die Schwerelosigkeit auf den Auftrieb, die Bewegung von Objekten und die Optik auswirkt“.

Der online geteilte Ausschnitt der Übertragung ist bei Minute 56 des Youtube-Uploads zu finden:

Das in dem Video gezeigte Glas mit Wasser gehört zu einem der Experimente, das von den Taikonauten während der Übertragung durchgeführt wurde. In dem Video demonstriert die Taikonautin Wang Yaping den fehlenden Auftrieb in einer Umgebung mit Mikrogravitation. Dabei handelt es sich um einen Zustand annähernder Schwerelosigkeit, der beispielsweise auf Raumstationen im Erdorbit vorherrscht.

Yaping legte für das Experiment einen Tischtennisball in das Wasserglas. Dabei zeigte sich, dass der Ball nicht schwimmt, nachdem er ins Wasser gedrückt wurde, hier in einem Ausschnitt oder der gesamten Übertragung zu sehen:

Die Schülerinnen und Schüler, die das Experiment verfolgten, wurden dabei angewiesen, ebenfalls einen Tischtennisball in einem Wasserglas zu platzieren, welcher auf der Erde auf dem Wasser schwimmt. Dazu heißt es in der Übertragung: „Auftrieb ist auf der Raumstation fast nicht-existent.“

Ausschnitt CGTN-Videos auf Youtube mit dem Vergleich des Experiments: Screenshot vom 25. April 2023

Am Ende des Experiments nimmt Wang Yaping das Wasserglas und lässt es vor sich los. Dabei verbleibt das Glas schwebend im Raum, ohne das Wasser darin zu verschütten. In der Aufnahme ist zu sehen, dass am Boden des Behältnisses eine Art Saugnapf angebracht wurde, um es am Tisch zu befestigen.

Screenshot des CGTN-Videos: 25. April 2023

Während der Übertragung stellten zudem diverse Jugendliche Fragen an die Taikonauten, unter anderem, ob diese im All normal laufen könnten. Daraufhin demonstrieren diese, wie sie beim Versuch zu laufen aufgrund der Mikrogravitation schweben.

Die Taikonauten führten auch einen zweiten Kurs für Schülerinnen und Schüler durch, der am 23. März 2023 von CGTN übertragen wurde.

User misstrauen den Aufnahmen

Bereits im Juni 2022 kursierte in dem chinesischen Forum „Zhihu“ die Behauptung, die Aufnahmen aus der Raumstation seien gefälscht.

Die staatlich kontrollierte chinesische Raumfahrtmedienplattform „Our Space“ erklärte daraufhin, dass die Sequenz tatsächlich im Weltraum gedreht worden sei und dass das Glas und das Wasser als „Lehrmittel“ eingesetzt wurden.

Dazu hieß es, das in dem Clip gezeigte Experiment zeige, dass „wenn der Astronaut den Ball vorsichtig in den Behälter legt, der Ball im Wasser aufgrund der Oberflächenspannung nicht hochtreibt, sondern in dem Behälter im Gleichgewicht bleibt“.

Die China Association for Science and Technology, eine Organisation chinesischer Wissenschaftler und Ingenieure, hatte ebenfalls auf die Gerüchte geantwortet und erklärt: „Es ist die Oberflächenspannung des Wasser, die sich zeigt. Wir haben Experimente zur Wasserspannung in den ersten und zweiten Sitzungen der ‚Tiangong-Klasse‘ durchgeführt.“ Das Glas sei auf dem Tisch befestigt gewesen, damit die Experimente ohne Probleme durchgeführt werden könnten.

Start der Shenzhou-12-Mission am 17. Juni 2021 im Nordwesten Chinas. – GREG BAKER / AFP

Garrett Reisman, US-Ingenieur und ehemaliger NASA-Astronaut, jetzt Professor für Raumfahrtpraxis an der Viterbi School of Engineering der University of Southern California und Berater von SpaceX, erklärte am 24. April 2023 gegenüber AFP ebenfalls, dass das, was im Video zu sehen ist, bei einer Weltraummission nichts Ungewöhnliches sei.

„Das Verhalten des Wassers in dem Video ist tatsächlich realistisch. Es bleibt nicht aufgrund der Schwerkraft, sondern aufgrund der Oberflächenspannung in dem Glasbehälter“, erklärte Reisman.

„Die meisten Flüssigkeiten bilden eine einzige Kugelform, wenn sie in der Schwerelosigkeit ungestört schwimmen können, und zwar aufgrund der Oberflächenspannung, die an der Grenze zwischen der Flüssigkeit und der umgebenden Luft herrscht. Wenn sich die Flüssigkeit in einem Glasbehälter befindet, bleibt sie aufgrund der Oberflächenspannung an der Grenze zur Luft darin, wenn sie nicht geschüttelt wird“, fügte er an.

In Bezug auf das Tischtennisball-Experiment, das die Astronauten im Weltraum durchgeführt haben, erklärte Reisman, dass es „gut zeigt, dass sie sich tatsächlich in einer Umgebung mit Mikrogravitation befinden, da der Tischtennisball nicht an der Wasseroberfläche schwimmt“.

„Ohne eine Umgebung mit einer Schwerkraft von 1g gibt es keinen Auftrieb, und obwohl der mit Luft gefüllte Tischtennisball eine geringere Dichte als das umgebende Wasser hat, schwimmt er nicht wie auf der Erde nach oben“, so Reisman gegenüber AFP.

Reinhold Ewald, ESA-Astronaut und Professor für Raumfahrttechnik und Raumstationen am Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart, schrieb AFP in einer E-Mail am 27. April 2023, dass die Art und Weise, wie sich die Flüssigkeit in dem fraglichen Video bewege, „wie ein ziemlich machbares Experiment unter µg-Bedingungen (das Symbol für Mikrogravitation – Anm. d. Red.) aussieht“. Seiner Meinung nach wäre allerdings eine vorherige „Zentrifugation“ erforderlich, um Wasser ohne Blasen zu haben, wie im Video gezeigt, so Ewald.

„Die Umgebung passt, insbesondere die Haarbewegungen der Astronautin wären schwer zu animieren“, fügte er an.

FactCheckLab, eine in Hongkong ansässige Organisation zur Überprüfung von Fakten, veröffentlichte am 28. Juni 2022 einen Faktencheck über ähnliche falsche Behauptungen, die zu dem Video verbreitet wurden.

Die Taikonauten der Tiangong-Raumstation sind dafür bekannt, mehrere Weltraummissionen durchzuführen, von denen einige sogar vertraulich sind. Am 14. April 2023 haben Taikonauten auf Chinas Shenzhou-15-Mission den vierten und letzten Weltraumspaziergang ihres sechsmonatigen Aufenthalts absolviert, was einen neuen nationalen Rekord darstellt.

Fazit: Das Video stammt aus einer etwa zweistündigen Übertragung der chinesischen Raumstation Tiangong, während der Experimente für Schülerinnen und Schüler durchgeführt wurden. Das Glas wurde dabei zunächst auf dem Tisch fixiert. Das Verhalten des Wassers ist normal und kann mit den vorherrschenden Bedingungen wie der Mikrogravitation sowie der Oberflächenspannung der Flüssigkeit erklärt werden, so Experten gegenüber AFP.

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Wissenschaft

Autor(en): Saladin SALEM / Valentina-Paula CABESCU / AFP Rumänien

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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