Ein etwa zehn Jahre altes Video eines Kirchenbrandes wird online erneut mit der Behauptung geteilt, es zeige ein Feuer in einer orthodoxen Kirche in der Ukraine. Der Clip stammt allerdings aus dem Jahr 2013 und wurde in der russischen Region Astrachan nahe der Grenze zu Kasachstan aufgenommen.
In dem Video ist ein großer Brand zu sehen, der eine Kirche komplett erfasst hat. Der Kirchturm ist bereits komplett ausgebrannt. Vor dem Gebäude haben sich einige Menschen versammelt. Dazu schreibt eine Nutzerin: „Schismatiker haben die orthodoxe Kirche in Novopoltavka, Oblast Nikolaev, niedergebrannt!“ Ein weiterer User mutmaßt, die Kirche sei von Sicherheitskräften in Brand gesetzt worden.
Dutzende User teilten das Video auf Facebook und Twitter. Zehntausende sahen den Clip auf Telegram. Die Behauptungen haben sich online auch auf Griechisch, Englisch, Französisch und Polnisch verbreitet.
Das Video ist allerdings nicht aktuell und stammt nicht aus dem Ort Nowopoltawka oder irgendeiner anderen Region in der Ukraine. Der Originalclip wurde bereits im Jahr 2013 auf Youtube veröffentlicht und stammt aus Russland.
Eine Suche nach Kirchen im ukrainischen Ort Nowopoltawka führte lediglich zu einer Kirche in dem kleinen Dorf in der Oblast Mykolajiw. Diese weist aber keinerlei Ähnlichkeit mit der Kirche aus dem Video auf.
Das Originalvideo fand AFP mithilfe einer umgekehrten Videosuche in der russischen Suchmaschine Yandex. Dies führte zu einem Twitter-Thread, in dem ein Screenshot aus dem 2013 erschienenen Youtube-Video verwendet wird. Das Video trägt den russischen Namen „brennende Kirche in Illinka 4“ und wurde am 23. Januar 2013 veröffentlicht.
Das Profil mit dem Namen „Elena Kurganowa“ veröffentlichte am 23. und 24. Januar 2013 noch neun weitere Videos des Brandes. Im letzten Clip sind die Überreste des Feuers zu sehen, die Kirche ist komplett niedergebrannt.
AFP suchte im Anschluss nach Orten mit dem Namen Illinka auf Google Maps und fand mehrere mögliche Orte in Russland, darunter ein Dorf in der Region Wolodarski in der Oblast Astrachan, nahe der Grenze zu Kasachstan.
Bei der Suche nach Ähnlichkeiten zu dem online geteilten Video stieß AFP auf die Kirche der Gottesmutter von Kasan. Jüngere Aufnahmen zeigen, dass die Kirche ähnlich aussieht wie die im Video, wie im folgenden Bildvergleich zu sehen ist:
Die hier gegenübergestellten Bilder weisen jedoch einige Unterschied auf, die dadurch erklärt werden könnten, dass die Kirche nach dem Brand wieder aufgebaut werden musste. Google Maps verfügt über keine Bilder der Kirche vor dem Januar 2013, als der Brand das Gebäude zerstörte.
Eine Websuche nach Veröffentlichungen zum Brand mithilfe der Schlagwörter aus dem Youtube-Video führte zu mehreren Medienberichten vom 22. und 23. Januar 2013 (hier, hier, hier, hier). In allen Berichten wird der Brand auf den Abend des 22. Januar 2013 datiert. Laut diesem Bericht sagte ein ehemaliger regionaler Leiter in Wolodarski, Batyrschin Mindijew, das Feuer sei vermutlich durch ein Problem mit der Elektrik oder eine Kerze ausgelöst worden.
In einem der Berichte ist zudem ein Foto der Kirche vor dem Brand enthalten. Trotz weniger Unterschiede, wie der Dekoration des Glockenturms, stimmt das Bild deutlich mit dem Video des Brands überein:
Neben AFP haben einige weitere Faktencheck-Organisationen die Behauptungen um den Brand widerlegt, darunter Ellinika Hoaxes, France 24 und die Agentur Associated Press.
Postings suggerieren Verfolgung orthodoxer Christen
In den online geteilten Beiträgen mit dem Video wird deutlich von einem Brand in einer orthodoxen Kirche gesprochen. Diese sei in der Ukraine angezündet worden, womöglich sogar von Sicherheitskräften, heißt es. Den Postings beziehen sich damit auf unbestätigte Vorfälle und lassen wichtigen Kontext aus.
Die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung sind orthodoxe Christen. Eine 2015 durchgeführte Studie kam zu dem Schluss, dass 74 Prozent aller Ukrainerinnen und Ukrainer sich als orthodox identifizieren. Die beiden wichtigsten orthodoxen Kirchengemeinschaften in der Ukraine sind die Orthodoxe Kirche der Ukraine und die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche.
Erstere wurde 2018 mit Unterstützung der ukrainischen Regierung und des damaligen Präsidenten Petro Poroschenko gegründet und im Januar 2019 vom Patriarch von Konstantinopel als neue Orthodoxe Kirche der Ukraine anerkannt.
Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche war hingegen bis zum Mai 2022 Teil der Russisch-Orthodoxen Kirche. Damals gab sie ihre Unabhängigkeit bekannt.
„Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche befindet sich heute in einem unklaren kanonischen Status“, erklärte Thomas Bremer, Professor für Kirchengeschichte und Ostkirchenkunde an der Universität Münster, am 26. April 2023 gegenüber AFP.
Im Dezember 2022 führte die Ukraine ein Verbot religiöser Organisationen mit Verbindungen nach Russland ein. Dazu erklärte Bremer: „Im Spätsommer/Herbst 2022 änderten die ukrainischen Behörden ihre Politik gegenüber der Ukrainsich-Orthodoxen Kirche und begannen, gegen sie vorzugehen (Durchsuchungen durch den Geheimdienst, Annullierung von Leasingverträgen für Kirchengebäude, Unterstützung von Gemeindeübertragungen an die Orthodoxe Kirche in der Ukraine). Die Behörden behaupten, dass die Abspaltung von der Russischen Kirche nicht überzeugend war und dass die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche immer noch von Moskau aus regiert wird; die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche bestreitet das.“
Das Oberhaupt des Moskauer Patriarchats ist Patriarch Kirill, ein enger Verbündeter des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er unterstützte die russische Invasion in der Ukraine in der Vergangenheit , wie AFP hier berichtete.
Weiter erklärte Bremer: „Es ist ganz klar, dass es staatliche Maßnahmen gegen die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche gibt. Aber wenn wir von Verfolgung sprechen, denken wir an ein vollständiges Verbot, willkürliche Verhaftungen, willkürliche Maßnahmen und so weiter. All das findet nicht statt.“ Bremer sagte, die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche stehe unter starkem Druck, insbesondere durch einige lokale Behörden.
Wie Bremer erklärte, „kann man nicht von einer Verfolgung des ‚orthodoxen Christentums‘ in der Ukraine sprechen“, da auch die Orthodoxe Kirche der Ukraine zum orthodoxen Christentum gehört und vom ukrainischen Staat in keiner Weise verfolgt wird. In den ukrainischen Regionen, die von den russischen Streitkräften besetzt sind, ist jedoch das Gegenteil der Fall – dort wird diese verfolgt, wie jede andere Religionsgemeinschaft außer der Russisch-Orthodoxen Kirche“, so Bremer.
Es habe aber Fälle gegeben, in denen der ukrainische Geheimdienst Priester der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche verhaftete, weil sie angeblich die russische Invasion unterstützt hatten. Ein aktuelles Beispiel findet sich auf dem offiziellen Facebook-Profil des ukrainischen Geheimdienstes.
Darüber hinaus wurden einige religiöse Gebäude von den regionalen Behörden abgerissen, wie in Lwiw, während die ukrainische Regierung die Ausweisung von Mönchen, die der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche angehören, aus dem Kloster Kiew-Pechersk Lawra im März 2023 anordnete.
In einigen Fällen wurden auch Kirchen niedergebrannt, wie zum Beispiel diese Kirche der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche in Milijewe in der Oblast Czernowitz im Westen der Ukraine, die am 23. April 2023 in Brand gesetzt wurde. Das Feuer war Berichten zufolge auf Brandstiftung zurückzuführen. Die Behörden nahmen den Täter fest, wie aus einem Bericht auf der Website der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche hervorgeht.
Außerdem wurden mehrere orthodoxe Kirchen durch russische Angriffe während des Krieges in der Ukraine beschädigt oder zerstört.
Mehrere Medien und Institute haben ausführliche Berichte und Analysen über den „heiligen Krieg“ zwischen den beiden großen orthodoxen Kirchen der Ukraine veröffentlicht. Einige davon sind hier, hier, hier und hier zu finden.
Fazit: Nein, das Video eines Brandes in einer Kirche stammt nicht aktuell aus der Ukraine. Es entstand im Jahr 2013 in der russischen Oblast Astrachan, wie Aufnahmen und Medienberichte aus der Zeit belegen.