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Das Weltwirtschaftsforum forderte keine Entkriminalisierung von Pädophilie

Das Weltwirtschaftsforum (WEF) und sein Gründer Klaus Schwab sind immer wieder Ziel von Falschinformationen und Verschwörungstheorien. Seit Anfang Januar 2023 kursieren ein Artikel und ein Video einer Website, die für die Verbreitung falscher Informationen bekannt ist. Darin heißt es auch, das WEF habe die Entkriminalisierung von Pädophilie gefordert. Frankreich habe sogar bereits sexuelle Beziehungen mit Kindern entkriminalisiert. Es gibt jedoch keinerlei Hinweise, dass eine solche Politik vom WEF tatsächlich betrieben wird. Das WEF wies die Anschuldigungen zurück. In Frankreich wurden 2018 und 2021 sogar Gesetze verabschiedet, die die Gesetzgebung zur Bestrafung sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen stärken.

Die Behauptung wurde Anfang Januar 2023 tausendfach auf Facebook geteilt, einige Male auch auf Twitter. Auf Telegram erreichte die Behauptung Zehntausende. AFP hat die Behauptung bereits auf Englisch, Französisch, Rumänisch, Ungarisch und Polnisch geprüft.

Die Behauptung: In dem auf Facebook geteilten Video heißt es: „Das Weltwirtschaftsforum fordert nun die Entkriminalisierung von Sex mit Kindern.“ Grund dafür sei die natürliche Reduzierung der Menschheit. In Frankreich sei bereits ein Gesetz in Kraft getreten, das Kinder nicht mehr vor sexueller Gewalt schützen würde.

In einem Posting wird außerdem ein Blogartikel mit ähnlichen Behauptungen verlinkt, der laut dem Social-Media-Überwachungstool Crowd Tangle in einer Woche dutzendfach auf Facebook geteilt wurde. Er bezieht sich auf einen englischsprachigen Blogartikel von „NewsPunch“, einer Internetseite, die für die Verbreitung von Falschinformationen bekannt ist. Dieser Artikel erschien am 3. Januar 2022. Daraus stammt auch das Video.

Screenshot der Behauptung auf Facebook: 30.01.2023

Das Weltwirtschaftsforum (WEF), das die globale Elite aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenbringt, und dessen Gründer Klaus Schwab waren in der Vergangenheit bereits mehrfach Ziel von Desinformation. Immer wieder wird darin die falsche Erzählung bemüht, Schwab würde die Menschheit reduzieren wollen. Auch wolle das WEF, das angeblich in weltweite Verschwörungen verflochten sei, die Demokratie abschaffen und Haustiere aus Klimaschutzgründen schlachten. All diese Behauptungen wurden von AFP widerlegt.

Keine Belege für angebliche Forderung Schwabs oder des WEF

Wie die Faktencheck-Organisation LeadStories, widerlegte ebenfalls die Behauptungen und wies darauf hin, dass NewsPunch selbst, die Richtigkeit der veröffentlichten Informationen nicht garantiert. Es macht „keine Zusicherungen über die Eignung, Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Aktualität und Genauigkeit der auf der Website enthaltenen Informationen, Software, Produkte, Dienstleistungen und zugehörigen Grafiken für irgendeinen Zweck“, heißt es in einem Haftungsausschluss.

Screenshot von dem Haftungsausschluss von NewsPunch: 13. Januar 2023

Der Artikel, auf dem das auf Facebook geteilte Video zum Teil beruht, behauptet, dass beim Forum in Davos ein „Forschungspapier“ präsentiert wurde. Da der Artikel aber am 3. Januar 2023 veröffentlicht wurde, kann er sich nur auf das Forum 2022 beziehen, das im Mai stattfand. Das Forum 2023 fand vom 16. bis 20. Januar in Davos statt. Die Hauptthemen des Forums 2023 waren unter anderem die Militärhilfe für die Ukraine und die globale Erwärmung, wie von AFP berichtet.

AFP fand keine Hinweise auf „Forschungspapiere“ zum Thema, das auf dem Forum vorgestellt worden sei. Auch eine Googlesuche führte zu keinem Bericht oder zu irgendeiner wissenschaftlichen Veröffentlichung, die die Behauptung im NewsPunch-Artikel und im Video belegen würde.

AFP hat auch beim WEF nachgefragt, ob das WEF gefordert habe, Pädophilie zu entkriminalisieren. Am 10. Januar sagte ein WEF-Sprecher gegenüber AFP: „Das Weltwirtschaftsforum hat noch nie eine solche Erklärung abgegeben.“

Der NewsPunch-Artikel schreibt auch WEF-Gründer Klaus Schwab ein Zitat zu, das „Pädophilie“ als „Geschenk der Natur“ an die Menschheit bezeichnet. Der WEF-Sprecher sagte gegenüber AFP, diese Aussage sei „vollständig erfunden“. AFP fand nirgends Hinweise auf ein solches Zitat. Ganz allgemein wies der Sprecher außerdem darauf hin, dass das Weltwirtschaftsforum zum Thema Pädophilie „keine Position bezogen“ habe.

In dem Video aus dem NewsPunch-Artikel wird zu der Behauptung ein Foto aus dem Forum gezeigt, während der Moderator die Behauptung wiederholt. Eine Bild-Rückwärtssuche ergab, dass das Foto am 25. Mai 2022 auf der offiziellen Website des WEF veröffentlicht und während einer Konferenz über Umwelt und saubere Technologien aufgenommen wurde. Pädophilie wird im Text nicht erwähnt, und kein Teilnehmer des Podiums erwähnte das Thema in der Aufzeichnung der Pressekonferenz.

Screenshots aus dem Video mit den falschen Behauptungen über das WEF (links) und aus der Veröffentlichung auf der offiziellen WEF-Website (rechts): 13. Januar 2023

Das Weltwirtschaftsforum ist ein jährliches Treffen von Führungskräften, Lobbyistinnen und Lobbyisten und politisch aktiven Menschen in Davos in der Schweiz. Über die Veranstaltung wird von den Medien, einschließlich AFP, umfassend berichtet. Das Treffen 2022 konzentrierte sich hauptsächlich auf den Krieg in der Ukraine. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wandte sich mit einem Appell an die in Davos versammelten Staats- und Regierungschefs der Welt für schnellere internationale Hilfe und „maximale“ Sanktionen gegen Russland.

Abgesehen vom russisch-ukrainischen Konflikt berichtete AFP, dass die NGO Oxfam darauf gedrängt habe, die Reichen zu besteuern.

Das Titelbild des im NewsPunch-Artikel gezeigten Videos enthält ein Bild, das wie ein Screenshot eines Tweets aussieht, der angeblich vom offiziellen Twitter-Account des WEF gepostet wurde. Aber Screenshots von Tweets sind leicht zu fälschen, und es gibt keine Belege, dass das WEF jemals eine solche Nachricht veröffentlicht hat, in der Gesetze gegen Pädophilie kritisiert werden.

Screenshot des falschen Tweets: 10. Januar 2023

AFP hat die Tweets des WEF-Twitter-Accounts auf Englisch durchsucht und keine Belege für einen solchen Tweet gefunden. Auch der im Internetarchiv „Wayback Machine“ archivierte Account zeigt so einen Tweet nicht. Dort ist der Account so zu sehen, wie er am 3. Januar 2023 existierte – dem Datum der Veröffentlichung des NewsPunch-Artikels.

Der WEF-Sprecher sagte über den Screenshot, er sei „gefälscht“ und die Organisation habe „noch nie einen solchen Tweet gepostet“.

Der ursprüngliche Artikel und das Video, in denen die falschen Behauptungen aufgestellt wurden, besagen auch, dass das WEF den Mainstream-Medien befohlen habe, die Erzählung zu verbreiten, um die Pädophilie zu normalisieren. Aber die Links im Artikel und die Screenshots im Video führen zu Artikeln und Meinungsbeiträgen, die alt sind.

Ein Artikel von CNN ist bereits 2011 erschienen. Ein anderer Artikel von Salon erschien 2012. Keiner der Texte berichtet von der Entkriminalisierung oder Akzeptanz von Pädophilie. Sie fordern stattdessen mehr Anstrengungen in die Forschung und Prävention zu stecken, um Pädophile zu erkennen und zu verhindern.

Es wird auch behauptet, Klaus Schwab, der Gründer des WEF, sei „erst letzte Woche erwischt“ worden, als er über die „Indoktrination“ von Kindern diskutierte. Aber das dazu gezeigte Video wurde 2011 auf Youtube gepostet und stammt laut Beschreibung von April 2008. An keiner Stelle erwähnt Schwab Pädophilie oder eine „Indoktrination“ durch Erziehung.

Frankreich hat Sex zwischen Erwachsenen und Kindern nicht entkriminalisiert

Es ist auch falsch zu behaupten, dass es in Frankreich kein gesetzliches Schutzalter gebe. Auch dass Erwachsene, die Sex mit Kindern jeden Alters haben, nicht wegen Vergewaltigung belangt würden, wenn das kindliche Opfer nicht in der Lage sei, Gewalt, Bedrohung, Nötigung oder Überrumpelung zu beweisen. Das beruhe auf dem sogenannten „Schiappa-Gesetz“ von 2018.

Dieses französische Gesetz zur Stärkung des Kampfes gegen sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt mit dem Spitznamen „Loi Schiappa“ trat 2018 in Kraft. Es wurde kritisiert, weil es keine „Altersgrenze für die Nicht-Einwilligung“ festlegt. Es legte jedoch fest, dass „wenn die Taten an einer minderjährigen, fünfzehnjährigen Person begangen, so ist moralische Nötigung oder Überraschung dadurch gekennzeichnet, dass die Schutzbedürftigkeit des Opfers, das nicht über die für diese Handlungen erforderliche Urteilsfähigkeit verfügt, ausgenutzt wird“ – und nicht nur körperlicher Zwang betrachtet wird.

Außerdem heißt es: „Der moralische Zwang für den Minderjährigen kann sich aus dem Altersunterschied zwischen Opfer und Täter und aus der rechtlichen oder faktischen Autorität ergeben, die letzterer über das Opfer ausübt.“

Darüber hinaus verabschiedete Frankreich 2021 ein neues Gesetz, das besagt, dass „kein Erwachsener sich auf die sexuelle Zustimmung eines Kindes berufen kann, wenn es unter 15 Jahre alt ist, oder unter 18 im Falle von Inzest“. Das Gesetz legt außerdem fest, dass die Vergewaltigung von Minderjährigen unter 15 Jahren mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden kann.

„Seit dem Gesetz vom 21. April 2021 – das besagt, dass die Richter bei Vergewaltigungen von Opfern unter 15 Jahren nicht mehr das Vorhandensein von Gewalt, Nötigung, Bedrohung oder Überraschung nachweisen müssen, um die Vergewaltigung zu charakterisieren – reicht es aus, das Bestehen einer sexuellen Beziehung zu beweisen, um eine Vergewaltigung zu rechtfertigen, wenn ein Altersunterschied von mindestens fünf Jahren zwischen dem Erwachsenen und dem Minderjährigen besteht. Dies geht nicht in Richtung einer Entkriminalisierung von Gewalt gegen Minderjährige“, bestätigte am 10. Januar 2023 Océane Perona, Dozentin für Soziologie an der Universität Aix-Marseille und Autorin einer Dissertation zum Thema „Sexuelle Zustimmung, erfasst von strafrechtlichen Institutionen. Polizeibeamte, Gerichtsmediziner und Staatsanwälte im Umgang mit sexueller Gewalt“.

Magali Lafourcade, Richterin und Generalsekretärin der Nationalen Beratenden Kommission für Menschenrechte (CNCDH), sagte am 10. Januar 2023 gegenüber AFP: „Selbst wenn das Davoser Forum eine Stellungnahme zu diesem Thema abgegeben hätte, handelt es sich nur um eine Konferenz einer Nichtregierungsorganisation. Das Strafrecht ist jedoch Teil eines souveränen Rechtssystems, das heißt, man muss durch das französische Parlament gehen, um das Gesetz zu ändern, und es ist an zahlreiche internationale Konventionen gebunden, die den Schutz von Kindern vorschreiben.“

Behauptung über Neuseeland ebenfalls falsch

In dem NewsPunch-Artikel wird außerdem irreführend behauptet, dass „in Jacinda Arderns linksextremem Neuseeland ein Richter erklärt hat, dass 12-jährige Kinder dem Sex mit Erwachsenen zustimmen können“. Der Link im Text führt zu einem Artikel des New Zealand Herald, in dem ein Richter zitiert wird, der den Geschworenen, die über den Fall eines Mannes entscheiden, der mehrerer Sexualverbrechen an einem zwölfjährigen sowie einem achtjährigen Mädchen beschuldigt wird, die Unterschiede in der Gesetzgebung erklärt. Für die verschiedenen Anschuldigungen gegen ihn gelten unterschiedliche Gesetze. Der Richter äußerte sich nicht zur Frage des Schutzalters. Er wird auch mit den Worten zitiert: „Ich stimme mit Ihrem Urteil überein“, nachdem die Geschworenen den Mann für schuldig befunden hatten.

Während in Neuseeland im Allgemeinen davon ausgegangen wird, dass eine Zustimmung zu sexuellen Handlungen unter 16 Jahren nicht gegeben werden kann, kann die Verteidigung im speziellen Fall einer als „Vergewaltigung“ bezeichneten Anschuldigung immer noch versuchen zu argumentieren, dass das Opfer zugestimmt hat. Dies löste während des oben genannten Prozesses Empörung und Forderungen nach einer Änderung des Gesetzes aus. Die Justizministerin Kiri Allan erklärte, sie werde sich in dieser Angelegenheit beraten lassen. Das Gesetz stammt nicht, wie in dem NewsPunch-Artikel angedeutet, aus der Regierungszeit von Ardern, sondern aus den Jahren 1961 und 2005.

Fazit: Es gibt keinerlei Beweise für eine Forderung des Weltwirtschaftsforums (WEF) oder von dessen Gründer Klaus Schwab über eine Entkriminalisierung von sexuellen Beziehungen mit Minderjährigen. Das WEF wies die Anschuldigungen zurück. Frankreich hat die Pädophilie nicht entkriminalisiert, sondern 2018 und 2021 Gesetze verabschiedet, die sexuellen Missbrauch unter noch härtere Strafen stellen.

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Politik, Gesellschaft

Autor(en): Marion DAUTRY, Juliette MANSOUR, Jan RUSSEZKI, AFP Frankreich, AFP Belgrad

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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