Nach jahrzehntelanger Forschung besteht unter der überwältigenden Mehrheit der Forschenden weltweit ein breiter Konsens darüber, dass es eine globale, vom Menschen verursachte Erderwärmung gibt. Im Netz wird derzeit eine Studie geteilt, laut der einige antarktische Schelfeise in den letzten zehn Jahren an Fläche zugenommen haben, um den Klimawandel insgesamt in Zweifel zu ziehen. Experten erklärten gegenüber AFP, dass diese anomale Situation in Wirklichkeit durch das beschleunigte Abschmelzen des Eises in hoch gelegenen Gebieten des südlichen Kontinents verursacht wurde.
In sozialen Medien erschienen im Juni 2023 mehrere Beiträge, die behaupten, die Eismasse in der Antarktis habe von 2009 bis 2019 zugenommen. Ein Post auf Facebook behauptet, es habe am Südpol einen „Eiszuwachs“ von „661.000.000.000 Tonnen“ gegeben. Als Grundlage der Behauptung wird hierzu eine Studie (Link hier archiviert) aus dem Jahr 2023 herangezogen, laut der sich die Fläche einiger Schelfeise in der Region vergrößert habe. In den Postings wird daraufhin an der globalen Erderwärmung insgesamt gezweifelt und die Warnung davor als Hysterie und „Klimaschwindel“ bezeichnet. Ähnliche Beiträge erschienen auf Twitter und Telegram. Auch in spanischer und englischer Sprache wurde die Studie verwendet, um den Klimawandel zu leugnen.
Das Gebiet der Antarktis, umfasst laut Definition im Antarktis-Vertrag von 1961 das gesamte Gebiet südlich des 60. Breitengrades, einschließlich der maritimen Regionen. Der Kontinent allein umfasst eine Fläche von ca. 13.500.000 Quadratkilometern Festland, das zu etwa 98 Prozent mit Eis bedeckt ist. Hinzu kommen Inseln und Schelfeisflächen. Schelfeis ist eine Eisformation über dem Meer, nicht über dem Festland.
Die regelmäßige Beobachtung des antarktischen Klimas begann vor über 50 Jahren, dabei wurden Informationen über Temperatur-, Wind- und Niederschlagsschwankungen gesammelt. Seit 1972 wird der Kontinent mit Satelliten überwacht, die Bilder der Eisflächen liefern.
Das Schelfeis der Antarktis
Die Studie (Link hier archiviert), die in den Posts der Klimaskeptiker zitiert wird, wurde am 16. Mai 2023 in der Zeitschrift The Cryosphere veröffentlicht. Sie trägt den Titel „Antarctic Ice Shelf Surface Variation from 2009 to 2019“ und wurde von Julia Andreasen vom Department of Soil, Water and Climate an der University of Minnesota zusammen mit Anna Hogg und Heather Selley von der School of Earth and Environment an der University of Leeds durchgeführt.
In ihren Ergebnissen, die anhand von Satellitenbeobachtungen gewonnen wurden, stellten sie fest, dass „das antarktische Schelfeis von 2009 bis 2019 um 660,6 Gigatonnen Eismasse zugenommen hat“, während eine andere Methode „einen erheblichen Eisverlust im gleichen Zeitraum“ ergab. „Insgesamt hat sich die Fläche der antarktischen Schelfe seit 2009 um 5305 Quadratkilometer vergrößert, wobei sich 18 Schelfe zurückzogen und 16 größere Schelfe an Fläche zunahmen“, heißt es in der Studie.
Raúl Cordero, Klimatologe an der Universität Hannover und an der Universität Santiago in Chile, erklärte am 15. Juni 2023 gegenüber AFP, dass „Schelfe durch den Fluss des Eises, das die Antarktis bedeckt, ins Meer entstehen, die dann schwimmen und wachsen, bis sie schließlich zerbrechen und Eisberge freisetzen“.
Das in dem wissenschaftlichen Artikel beschriebene Phänomen der Ausdehnung des Schelfeises bedeutet nicht, dass das Eis insgesamt zunimmt, sondern vielmehr, dass das Eis in den hoch gelegenen Gebieten der Antarktis aufgrund der globalen Erwärmung schneller schmilzt und ins Meer fließt. Cordero zufolge „bedeutet die Tatsache, dass [die Schelfeisflächen] wachsen, dass das antarktische Eis schneller fließt, was anormal und schlecht ist“. Er warnte, dass „die Antarktis leider aus dem Massengleichgewicht geraten ist. Das bedeutet, dass dort mehr Masse in Form von beschleunigtem Abfluss oder Schmelzen verloren geht, als sie in Form von Schneefall gewonnen wird.“
Cordero sagte, dass der antarktische Kontinent aufgrund der globalen Erwärmung jedes Jahr etwa 150 Milliarden Tonnen Eis verliere und nicht zunehme und fügte hinzu: „Das Schelfeis macht nur einen winzigen Teil des antarktischen Kontinents aus, und die Tatsache, dass seine Fläche um einen extrem kleinen Teil zunimmt, ist im Vergleich zu seiner Gesamtgröße völlig unbedeutend.“
Größere Fläche, aber insgesamt weniger Eis
Cesar Cárdenas, Meeresbiologe und chilenischer Vertreter im wissenschaftlichen Ausschuss der Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR), erklärte am 19. Juni 2023 gegenüber AFP, dass „die Schlussfolgerung dieser Arbeit ist, dass der schnelle Eisverlust, obwohl er die Fläche der Antarktis vergrößert, ein Zeichen für die aktuell mangelnde Stabilität der Eisschelfe ist“. Er warnte auch, dass „die Masse sehr schnell verloren geht, was bedeutet, dass sie schmilzt und dann den Süßwasseranteil, in den umliegenden Gewässern erhöht“.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Studie (Link hier archiviert) im Fachblatt Nature Communications aus dem 2023, die sich mit dem Schelfeis in der Südpolarregion befasst hat. Diese kommt zu dem Schluss, dass allein rund um die Amundsensee, ein Randmeer des Südpolarmeers, seit 1996 rund 3,3 Billionen Tonnen Eis verloren gegangen sind. Das hierbei entstandene Schmelzwasser habe allein rund 9 Millimeter zum Ansteigen des weltweiten Meeresspiegels beigetragen.
Klimawandel ist wissenschaftlich erwiesen
Weltweit ist sich die überwältigende Mehrheit der Forschenden einig, dass die globale Erderwärmung stattfindet und erhebliche Auswirkungen auf verschiedene Ökosysteme der Erde hat. Im sechsten Bericht des Weltklimarats (IPCC) der den aktuellen Stand der Wissenschaft zusammenfasst, steht folgendes: „Es ist eindeutig, dass der Einfluss des Menschen die Atmosphäre, den Ozean und die Landflächen erwärmt hat. Es haben weitverbreitete und schnelle Veränderungen in der Atmosphäre, dem Ozean, der Kryosphäre und der Biosphäre stattgefunden.“
Auch die Vereinten Nationen (UNO) sehen den Klimawandel als erwiesen an: „Seit den 1800er Jahren ist der Mensch der Hauptverursacher des Klimawandels, vor allem durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas.“
Der Klimawandel betrifft vor allem die kältesten Gebiete der Erde. In einer Studie (Link hier archiviert), die 2020 im Fachblatt Nature erschienen ist, schreiben die Wissenschaftler, dass der Temperaturanstieg in den letzten drei Jahrzehnten in der Antarktis „mehr als dreimal so hoch war im, wie im globalen Durchschnitt“.
Der IPCC-Sonderbericht (Link hier archiviert) über den Ozean und die Kryosphäre in einem sich wandelnden Klima (SROCC) sieht als Folge eine zunehmend schnelle Reduktion der Eismassen an den Polen: „Der grönländische und die antarktischen Eisschilde werden laut Projektionen während des gesamten 21. Jahrhunderts und darüber hinaus mit zunehmender Geschwindigkeit an Masse verlieren“.
Seit über 30 Jahren versucht die Weltgemeinschaft durch internationale Abkommen das Klima auf der Erde zu schützen. Das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen wurde 1994 unterzeichnet. Im Jahr 2015 kam das Pariser Abkommen von 2015 hinzu, mit dem Ziel, das Fortschreiten der globalen Erwärmung durch die Beschränkung der Treibhausgasemissionen der 196 Unterzeichnerstaaten zu begrenzen.
Fazit: Eine Studie zum Schelfeis in der Antarktis widerlegt nicht den menschengemachten Klimawandel. Dort wird von einer Zunahme des Schelfeises am Südpol zwischen 2009 und 2019 berichtet. Forschende, mit denen AFP gesprochen hat, beobachten jedoch insgesamt einen Verlust von Eismasse in der Antarktis. Zudem ist die globale Erderwärmung wissenschaftlich eindeutig belegt.