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Diese Karte ist unvollständig und vernachlässigt erhebliche CO2-Auswirkungen

Die Europäische Union hat das Ende von Verbrennungsmotoren in Neuwagen endgültig ab 2035 beschlossen. Eine in sozialen Netzwerken kursierende Karte zeigt, dass solche Regelungen angeblich lediglich in Europa und Kalifornien gelten würden. Doch diese Karte ist unvollständig: Mehrere andere Regionen der Welt haben in den letzten Jahren ähnliche Rechtsvorschriften oder Ziele angekündigt. Außerdem machen die EU und Kalifornien etwas mehr als ein Fünftel der weltweiten Autoflotte aus und könnten als Vorbilder den Rest der Welt beeinflussen, so mehrere Expertinnen und Experten gegenüber AFP.

Hunderte User haben die Karte Mitte März 2023 auf Facebook geteilt. Auch einige User auf Twitter und Zehntausende auf Telegram erreichte die Karte. Ähnliche Karten kursieren auch auf Französisch und Polnisch.

Die Behauptung: User teilen eine Weltkarte, auf der Europa und Kalifornien blau eingefärbt sind. Dazu heißt es: „In blau zu sehen sind die Länder, in denen die Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2035 verboten ist. Jetzt aber nicht drüber lachen. Europa rettet das Weltklima.“

Screenshot der Behauptung auf Facebook: 17. April 2023

Am 28. März 2023 beschlossen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union das endgültige Aus für Verbrennungsmotoren – also Motoren mit fossilen Brennstoffen – in Neuwagen ab 2035. Der Beschluss sieht vor, dass neue Autos und Kleintransporter ab diesem Zeitpunkt kein CO2 mehr ausstoßen dürfen, wodurch der Verkauf von neuen Benzin-, Diesel- und Hybridfahrzeugen ab dem Zeitpunkt verboten wird und nur noch elektrische Neufahrzeugen vertrieben werden dürfen.

Kalifornien, der bevölkerungsreichste US-Bundesstaat, kündigte 2020 ein ähnliches Gesetz an, das im August 2022 verabschiedet wurde: In Kalifornien verkaufte Neuwagen müssen laut verabschiedetem Gesetzestext spätestens ab 2035 „Null-Emissionen“ aufweisen. Zugelassen werden nur noch Fahrzeuge, die mit Strom oder Wasserstoff betrieben werden und einige Hybridfahrzeuge, so dass der Verkauf von neuen Diesel- oder Benzinfahrzeugen ab 2035 praktisch verboten ist.

Bereits zugelassene Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor dürfen weiterhin fahren

Einige Internetnutzer, die diese Karte teilen, behaupten, wie hier, dass die blau markierten Länder nach 2035 alle Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor „verbieten“ würden.

Das Europäischen Parlament erklärt auf Basis eines Interviews mit dem zuständigen niederländischen Berichterstatter und Europaabgeordneten, Jan Huitema, dass „diese Regeln keine Auswirkungen auf bereits bestehende Autos haben“: „Wenn Sie jetzt ein neues Auto kaufen, können Sie es bis zum Ende seiner Lebensdauer fahren. Aber da die durchschnittliche Lebensdauer eines Autos 15 Jahre beträgt, müssen wir 2035 damit beginnen, alle Autos bis 2050 CO2-neutral zu machen“ – dem Jahr, in dem die EU kohlenstoffneutral sein will – erklärte der Abgeordnete. Andererseits wird es auch nach 2035 noch möglich sein, gebrauchte Benzin- und Dieselfahrzeuge zu kaufen und zu verkaufen.

Auch in der Erklärung des kalifornischen Gouverneurs vom 23. September 2020 heißt es, dass „diese Durchführungsverordnung nicht daran hindern wird, benzinbetriebene Autos zu besitzen oder sie auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu verkaufen“.

Bei diesen Gesetzen geht es nicht darum, alle Benzin- oder Dieselfahrzeuge zu verbieten: Ihre Besitzer können diese Fahrzeuge auch nach 2035 weiter nutzen oder als Gebrauchtwagen verkaufen, aber die Autofahrer werden diese Fahrzeuge nicht mehr als Neuwagen kaufen können.

Unvollständige Karte

Laut der auf Facebook verbreiteten Karte haben angeblich nur die Europäische Union und Kalifornien geplant, den Verkauf neuer Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor nach 2035 zu verbieten. Mehrere andere Länder und Regionen der Welt, die in diesem AFP-Artikel vom Ende März 2023 aufgeführt sind, haben jedoch in den vergangenen Jahren die Einführung ähnlicher Rechtsvorschriften oder Ziele in diese Richtung angekündigt.

Am weitesten fortgeschritten ist Norwegen. Norwegen hat den am stärksten elektrifizierten Automarkt der Welt, der bis 2025 alle Neuwagenverkäufe ohne Auspuffemissionen anstrebt.

Gesetzgebung zur Durchsetzung von „Null-Emissions“-Fahrzeugen

Neben Kalifornien hat auch der Bundesstaat New York im Jahr 2022 ein De-facto-Verbot für den Verkauf neuer Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor im Jahr 2035 angekündigt. Ausgenommen sind Plug-in-Hybride, die zwar einen Verbrennungsmotor haben, aber Dutzende von Kilometern mit elektrischem Strom fahren können.

Auch die kanadische Regierung hat 2021 Maßnahmen angekündigt, wonach alle verkauften Neuwagen und leichten Nutzfahrzeuge bis 2035 emissionsfrei sein sollen.

Singapur, Israel und das Vereinigte Königreich planen, die Zulassung neuer Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor im Jahr 2030 zu verbieten.

Ein Elektroauto wird am 27. September 2022 an einem Terminal auf einem Parkplatz in Lille, Nordfrankreich, aufgeladen. – Denis Charlet / AFP

Andere Regierungen haben Teilziele angekündigt

In den USA unterzeichnete Joe Biden im Jahr 2021 eine Verordnung, die vorsieht, dass die Hälfte aller verkauften Autos bis 2030 emissionsfrei sein soll. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur machten Elektrofahrzeuge im Jahr 2020 nur zwei Prozent der Neuwagenverkäufe in den Vereinigten Staaten aus.

Japan, ein großes Autoland, bevorzugt Hybridmotoren, bei denen Toyota Weltmarktführer ist. Die japanische Regierung will den Verkauf von neuen Benzin- und Dieselfahrzeugen bis Mitte der 2030er Jahre beenden, aber Hybrid- und Wasserstofffahrzeuge werden weiterhin erlaubt bleiben.

China ist der größte Umweltverschmutzer und der größte Automarkt der Welt und hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 20 Prozent der Fahrzeuge mit „neuen Energien“, also Elektro-, Hybrid- und Brennstoffzellen zu betreiben. Bis 2035 sollen sie die Mehrheit ausmachen.

Wie China, das „eine direktere Politik verfolgt und bei der Elektrifizierung bereits schneller ist als Europa“, bewegen sich einige Länder auch ohne eine solche Gesetzgebung zu diesem Thema schnell, so Marie Chéron, Mobilitätsexpertin bei der europäischen Nichtregierungsorganisation  Transport and Environment, gegenüber AFP am 24. März 2023. Wie in diesem Artikel der MIT Technology Review, einem Medienunternehmen im Besitz des amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT), erläutert wird, ist China seit acht Jahren der weltweit führende Markt für Elektroautos, und bis 2022 sollen dort voraussichtlich 6,8 Millionen Elektrofahrzeuge verkauft werden.

Diese verbreitete Karte sei daher unvollständig und irreführend, kommentierte Augustin Fragnière, Doktor der Umweltwissenschaften und stellvertretender Direktor des Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit an der Universität Lausanne: „Neben den totalen Verboten gibt es auch eine ganze Reihe wirtschaftlicher Anreize: Etwa Steuern, die fossile Brennstoffe verteuern, Subventionen für den Kauf von Elektrofahrzeugen. Sich nur auf ein bestimmtes Datum und auf das Verkaufsverbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor zu konzentrieren, bedeutet, eine unvollständige Information zu geben“, erklärte er am 28. März 2023 gegenüber AFP.

Wie in dem oben erwähnten AFP-Artikel erläutert, haben sich auch einige Schwellenländer gegen Verbrenner positioniert, obwohl der Absatz von Neuwagen dort noch gering ist – und Elektroautos in der Anschaffung noch teuer sind.

Ein Fünftel der weltweiten Autoflotte in EU und Kalifornien

Laut einigen Internetnutzern, die diese Karte in verschiedenen Sprachen geteilt haben, machen Kalifornien und die Europäische Union nur 1/16 der Weltbevölkerung aus, so dass politische Maßnahmen zur Umstellung auf Elektroautos keine wirklichen Auswirkungen auf den Klimawandel hätten.

Die Bevölkerung dieser Regionen mit der der übrigen Welt zu vergleichen, ist jedoch „nicht relevant“, erklärt Marie Chéron, die stattdessen vorschlägt, die Zahl der in Europa und Kalifornien verkehrenden Fahrzeuge zu betrachten, die „weit mehr als ein Sechzehntel“ der Gesamtzahl der Autos in der Welt ausmachten.

Nach Angaben des Europäischen Automobilherstellerverbands ACEA, belief sich die Zahl der Personen- und Nutzfahrzeuge in der Europäischen Union im Jahr 2021 auf 286 Millionen – 338 Millionen einschließlich des Vereinigten Königreichs, Norwegens, der Schweiz und Islands. 93 Prozent der Personenkraftwagen in der Europäischen Union werden mit Diesel oder Benzin betrieben.

Im Jahr 2021 waren in Kalifornien 31 Millionen Fahrzeuge zugelassen, darunter 14 Millionen Personenkraftwagen. Laut der deutschen Datenseite Statista, die sich auf Daten der Federal Highway Administration und des US Department of Transportation stützt, ist Kalifornien der größte Automobilmarkt in den Vereinigten Staaten und einer der größten der Welt.

Das bedeutet, dass die EU und Kalifornien im Jahr 2021 zusammen etwa 317 Millionen Personen- und Nutzfahrzeuge hatten – von 1,4 Milliarden Fahrzeugen weltweit, so Marie Chéron – oder etwas mehr als ein Fünftel der weltweiten Fahrzeugflotte.

Augustin Fragnière kommentierte: „Rein faktisch repräsentieren diese Regionen vielleicht ein Sechzehntel der Weltbevölkerung, aber es ist eine Bevölkerung, die mehr als der Weltdurchschnitt emittiert.“

Die Vereinigten Staaten (angeführt von Kalifornien), China und die Europäische Union sind laut der offenen Datenplattform Climate Watch die drei größten Emittenten von verkehrsbedingtem CO2.

Eine Sprecherin der Nichtregierungsorganisation International Council on Clean Transportation (ICCT), die AFP am 20. März 2023 kontaktierte, erklärte ebenfalls, dass die in den sozialen Medien verbreitete Karte „ungenau“ sei. „Ein aussagekräftigerer Ansatz wäre es, den Marktanteil von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren oder die Motorisierungsrate – Kraftfahrzeuge pro 1.000 Einwohner – in diesen Ländern zu betrachten. Dies würde helfen, die potenziellen Auswirkungen des Verbots zu bestimmen“, erklärte der ICCT.

Diese Grafik von der Website Our World In Data zeigt, dass die Vereinigten Staaten, Europa, Kanada und Australien im Jahr 2017 die höchsten Motorisierungsraten aufwiesen.

Im Jahr 2021 gab es in Europa 567 private Fahrzeuge pro 1000 Einwohner.

Augustin Fragnière sagte: „Nordamerika und Europa sind mit Abstand die Regionen, die seit der industriellen Revolution die meisten Treibhausgase ausgestoßen haben. Sie haben daher eine historische Verantwortung.“

Eine treibende Kraft für Kalifornien und Europa

Marie Chéron erklärte: „Die europäische Flotte ist nicht nur im Hinblick auf ihren weltweiten Anteil nicht unbedeutend, sondern die europäische Politik hat auch Auswirkungen auf den Rest der globalen Automobilindustrie.“

„Es gibt einen klaren Ripple-Effekt“, fügte Fragnière hinzu. „Als Kalifornien begann, strengere Normen für den CO2-Ausstoß von Fahrzeugen festzulegen, beeinflusste dies den gesamten US-Automarkt. Die Hersteller orientierten sich an den strengeren kalifornischen Normen, um nicht zwei Arten von Fahrzeugen zu produzieren.“

„Wenn die gesamte Europäische Union alle Verbrennungsmotoren verbietet, wird sich nicht nur die einheimische Automobilindustrie anpassen müssen, sondern auch alle Autohersteller, die nach Europa exportieren“, schloss Augustin Fragnière.

Fazit: Die in sozialen Netzwerken kursierende Karte mit eingefärbten Ländern, in denen Verbrennungsmotoren bis 2035 verboten sein werden, ist irreführend. Sie ist nicht vollständig und lässt auch wichtigen Kontext über die erheblichen Emissionen der Länder aus.

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Klimawandel, Umwelt

Autor(en): Marie GENRIES / Jan RUSSEZKI / AFP Belgien

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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