Am 7. Dezember 2024 fand die Wiedereröffnungsfeier der Pariser Kathedrale Notre-Dame statt, die durch den verheerenden Großbrand im April 2019 schwer beschädigt worden war. Unter den teilnehmenden Gästen waren unter anderem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der französische Präsident Emmanuel Macron und der designierte US-Präsident Donald Trump. Unmittelbar nach den Feierlichkeiten tauchten online Bilder einer angeblichen Titelseite des französischen Satire-Wochenmagazins „Charlie Hebdo“ auf, die den ukrainischen Präsidenten als buckligen Mann mit langer Nase zeigt. Eine Ausgabe mit einer derartigen Titelseite hat es jedoch nie gegeben.
„Der Glöckner ist untrennbar mit Notre-Dame verbunden“, „So sieht es Charlie Hebdo, …“ oder „Die Menschheit verabschiedet sich lachend von ihrer Vergangenheit“ – so lauten Facebook-Posts auf Slowakisch, die ab dem 10. Dezember 2024 mit einer Karikatur von Wolodymyr Selenskyj als Glöckner von Notre-Dame geteilt wurden (etwa hier). Die Beiträge wurden von Dutzenden von Menschen verbreitet und das Bild wurde auch in slowakischen Telegram-Kanälen veröffentlicht (etwa hier oder hier). Derartige Posts erschienen auch auf Tschechisch, Französisch oder Italienisch.
Die angebliche „Charlie-Hebdo“-Schlagzeile erschien am 10. Dezember 2024 – also drei Tage nach dem Besuch des ukrainischen Präsidenten in Paris – in russischen Telegram-Kanälen sowie auf der moldauischen Version des prorussischen Pravda-Blog-Netzwerks. Die Darstellung von Selenskyj erinnert an Quasimodo, die Titelfigur aus Victor Hugos berühmtem Roman „Der Glöckner von Notre-Dame“.
Auf der angeblichen Titelseite des Satire-Magazins ist zu sehen, wie sich Emmanuel Macron und Donald Trump die Hand geben, während Wolodymyr Selenskyj im Vordergrund steht. Er trägt ein grünes Poloshirt und hat einen auffälligen Buckel und eine lange, spitze Nase. Die Karikatur ist mit „Riss“ signiert, was den Eindruck erweckt, dass sie von einem der führenden Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ gezeichnet wurde. Die angebliche Bildunterschrift lautet auf Französisch: „Was wäre die Eröffnung von Notre-Dame ohne einen Buckligen?“
Die Titelseite ist jedoch gefälscht. Ein Sprecher von „Charlie Hebdo“, der am 18. Dezember 2024 von AFP kontaktiert wurde, sagte, dass „dies überhaupt keine Karikatur von Riss ist, sondern eine Nachahmung“. Darüber hinaus sagte er, dass „sie nicht einmal im Stil von Riss ist“.
Ungereimtheiten bei Veröffentlichungsdatum und anderen Details
Zusätzlich zur Bestätigung durch die Redaktion von „Charlie Hebdo“ gibt es weitere Hinweise, die die These, dass es sich um eine Fälschung handelt, bestätigen. Weder im Online-Archiv von „Charlie Hebdo“, noch auf seiner Facebook-Seite oder auf seinem X-Profil scheint eine Ausgabe mit dieser Titelseite auf (hier archiviert).
Außerdem erscheint das Satire-Magazin jeden Mittwoch, und die gefälschte Titelseite ist auf den 9. Dezember 2024 datiert – das war ein Montag.
Im Online-Archiv von „Charlie Hebdo“ handelt es sich bei der Ausgabe mit der Nummer 1690 – die Nummer auf dem gefälschten Titelblatt – um eine Ausgabe vom 11. Dezember 2024. Auf dem Titelblatt ist eine Zeichnung des ehemaligen syrischen Staatschefs Baschar al-Assad, des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Ali Khamenei zu sehen. Auf Französisch lautet die Überschrift: „Das Ende eines blutigen Jahres. Die Heiligen Drei Könige verstecken sich in Moskau.“
Auch bei den vier kurzen Inhaltsangaben am oberen Teil der Titelseite konnten Unstimmigkeiten festgestellt werden. Das erste Thema bezieht sich auf einen Artikel, der am 21. Oktober 2024 im Internet veröffentlicht wurde. Das zweite Thema bezieht sich auf einen Artikel vom 3. Oktober 2024, das dritte auf einen anderen Text vom 25. September 2024 und die letzte Überschrift stammt aus einem Artikel vom 6. November 2024. In allen Fällen weicht ihr Format von der etablierten Praxis von „Charlie Hebdo“ ab: Auf dem gefälschten Cover werden die ersten Wörter der Schlagzeile in Rot hervorgehoben – es ist jedoch üblich, das Thema des Artikels oder das Genre in Rot hervorzuheben.
Die Anzeige für die „Charlie-Hebdo“ Veröffentlichung in der oberen rechten Ecke stammt aus der Schlagzeile der Ausgabe 1689 vom 4. Dezember 2024, der letzten Ausgabe vor der Verbreitung der gefälschten Titelseite.
Nichts neues für „Charlie Hebdo“
Die Strategie, gefälschte „Charlie Hebdo“-Titelseiten zu erstellen und zu verbreiten, um gegen die Ukraine Stimmung zu machen, ist seit Beginn des russischen Angriffskriegs äußerst populär. Der ukrainische Faktencheckdienst „Disinfo Detektor“ hat bereits 14 solcher Fälle aufgedeckt.
Im Oktober 2024 ging ein weiteres gefälschtes „Charlie Hebdo“-Cover mit einem Friedenssymbol aus Waffen und Körperteilen ukrainischer Soldaten in sozialen Medien viral. Das Bild war mit dem Text „Ukrainisches Friedensrezept“ betitelt. Der Faktencheckdienst der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform deckte die gleichen Unstimmigkeiten auf wie im Fall des neuesten Titelbildes mit der Notre-Dame.
Auch AFP-Faktenprüferinnen und -prüfer haben seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine mehrere gefälschte „Charlie Hebdo“-Titelseiten identifiziert. Auf mehreren wurde der ukrainische Präsident als Hund dargestellt, auf anderen als Golddieb. Auf einem weiteren gefälschten Cover des Wochenmagazins wurden ukrainische Fußballfans als Nazis dargestellt – das verweist auf ein Motiv, das in der russischen Propaganda häufig verwendet wird. AFP berichtete in mehreren Faktenchecks über Falschinformation über angebliche Sympathien der ukrainischen Bevölkerung für das Dritte Reich (etwa hier oder hier).
Die Vorgehensweise bei den gefälschten Titelbildern war immer ähnlich, und alle gefälschten Karikaturen haben auf aktuelle Ereignisse im Zusammenhang mit dem umfassenderen Konflikt in der Ukraine reagiert. Erst im Januar 2023 gelang es AFP, eine Sammlung von sieben angeblichen Titelseiten der Wochenzeitung zusammenzustellen und als Fälschungen zu identifizieren.
Die Desinformationsredakteurin von „Charlie Hebdo“, Lorraine Redaud, kommentierte den Trend zu gefälschten Titelseiten auch in einem Artikel im September 2022. „Russische Propagandistinnen und Propagandisten erstellen gefälschte „Charlie Hebdo-Cover, um die Menschen glauben zu lassen, unsere Zeitung unterstütze Putin“, schrieb sie. Aber die Karikaturistinnen und Karikaturisten des Magazins „prangern weiterhin Putins Wahnsinn an“, fügte Redaud hinzu.
Charlie Hebdo ist für seine satirischen Karikaturen und Texte und für seine Kritik an religiösen und politischen Persönlichkeiten bekannt. Die Darstellung des Propheten Mohammed wurde von islamistischen Terroristen als Grund für den Angriff auf die Redaktion am 7. Januar 2015 angeführt, bei dem zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter getötet wurden.
Die gefälschten „Charlie Hebdo“-Cartoons kursierten schon lange vor der russischen Invasion in der Ukraine. Im Januar 2015, nach dem Angriff auf die Redaktion, veröffentlichte die „Berliner Zeitung“ mehrere Cartoons, darunter eine antisemitische Karikatur, die nicht von „Charlie Hebdo“ stammten. Am nächsten Tag entschuldigte sich die Redaktion für den Fehler.
Selenskyjs Besuch in Paris
Auf dem gefälschten „Charlie Hebdo“-Cover ist Selenskyj in der Rolle des Quasimodo als isolierte und abstoßende Figur zu sehen. In Wirklichkeit wurde er am 7. Dezember 2024 in Paris vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron empfangen und nahm an der Wiedereröffnungsfeier der Notre-Dame teil. Er traf dort auch den designierten US-Präsidenten Donald Trump.
Nach dem Treffen erklärte Donald Trump, der ukrainische Präsident sei an einem Abkommen interessiert, das den Krieg mit Russland beenden würde. Es war das erste Treffen zwischen den beiden Männern seit Trumps Wahlsieg im November 2024. Für Trump war der Besuch in Frankreich auch die erste Auslandsreise seit seiner Wiederwahl.
Auf seinem Konto auf X schrieb Selenskyj seinen Amtskollegen, dass „die Ukraine mehr als jeder andere ein Ende dieses Krieges will“. Er fügte hinzu, dass Wladimir Putin, da er das Ende des Krieges nicht wolle, dazu „gezwungen“ werden müsse. Emmanuel Macron forderte auf X „weitere gemeinsame Anstrengungen für Frieden und Sicherheit“.
Falsche Schlagzeilen inzwischen weit verbreitet
Die Verbreitung gefälschter Titelblätter etablierter Medien ist eine gängige Praxis von Desinformationsagenten, so Patrick Rössler, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt. Er wurde von AFP wegen der früheren gefälschten „Charlie Hebdo“-Cover kontaktiert. „Es ist interessant, dass diese Fälschungen nicht einfach als Karikaturen verbreitet werden, sondern als vermeintliche Titelseiten von Zeitschriften präsentiert werden. Offensichtlich soll eine bekannte Medienmarke als Echtheitsbeweis dienen und zur Vermittlung von Glaubwürdigkeit beitragen.“
Seiner Ansicht nach ist die häufige Auswahl von „Charlie Hebdo“ kein Zufall: „Dieses angesehene und kritische Medium aus dem Westen wird bewusst ausgewählt“, schrieb er in einer E-Mail vom 30. Dezember 2022.
Laut Lena Frischlich von der Universität Münster nutzen die Verbreiter dieser Art von Desinformation den Ruf vertrauenswürdiger Medien. „Glaubwürdigkeit ist ein wichtiger Faktor bei der Überzeugung der Öffentlichkeit. Wenn ich eine Quelle von vornherein als unzuverlässig bezeichne, ist es weniger wahrscheinlich, dass ihre Inhalte aufgegriffen werden“, erklärte sie in einer E-Mail vom Januar 2023. Sie fügte hinzu, dass ein weiteres Ziel von Desinformation, die den Ruf etablierter Medien ausnutzt, darin besteht, Unsicherheit und Misstrauen gegenüber den Medien zu schüren.
AFP hat sich in der Vergangenheit mit dem Thema gefälschter Medienberichte befasst. Im Juli 2023 überprüfte AFP eine gefälschte Schlagzeile der deutschen Wirtschaftszeitung „Handelsblatt“, die sich über die Bemühungen des ukrainischen Präsidenten, das Land in die Nato zu integrieren , lustig machen sollte. Auf Englisch deckte ein AFP-Faktenprüfer kürzlich eine gefälschte Schlagzeile der Zeitschrift „The Economist“ auf, die Donald Trump und Wladimir Putin zeigte.
Alle Faktenchecks zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Fazit: Das Titelbild des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“, das Selenskyj als buckligen Mann mit langer, spitzer Nase zeigt, ist eine Fälschung. Abgesehen von zahlreichen Unstimmigkeiten auf dem Cover bestätigte auch die Redaktion von „Charlie Hebdo“, dass es eine Ausgabe mit einem derartigen Titelbild nie gab.