Dieses deutsche Auktionshaus kündigte nicht an, russische Kunst zu zerstören - Featured image

Dieses deutsche Auktionshaus kündigte nicht an, russische Kunst zu zerstören

Auf Facebook kursiert ein Video mit dem Logo des europäischen Senders Euronews: Es zeigt eine angebliche Versteigerung eines deutschen Auktionshauses, bei der russische Werke aus Kunst und Kultur nur zum Zweck der anschließenden Zerstörung versteigert werden sollen. Die Erlöse sollen anschließend an die ukrainische Armee gehen. Sowohl Euronews als auch das genannte Auktionshaus haben das Video, das altes Filmmaterial aus früheren Auktionen russischer Kunst benutzt, als Fälschung deklariert. Die Behauptung reiht sich in teilweise falsche Erzählungen zum Thema der wachsenden Russlandfeindlichkeit ein.

In sozialen Netzwerken kursiert unter deutschsprachigen Nutzerinnen und Nutzern seit Ende Oktober 2022 ein englisch untertiteltes  Video, das angeblich einen Bericht des europäischen Senders Euronews zeigt. Auch auf Bulgarisch, Rumänisch, Polnisch und Serbisch haben Userinnen und User das Video geteilt.

Die Behauptung: Im Video sieht man Antikes, Manuskripte und Gemälde russischer Künstler, die das deutsche Auktionshaus „Bolland & Marotz“ angeblich in einer „einzigartigen Auktion“ versteigern will, um die Gegenstände danach zu zerstören. „Das deutsche Auktionshaus hat eine Auktion angekündigt, bei der Sie Geld für die Zerstörung russischer Kunstwerke bezahlen können“, schreibt ein User im Post zum Video. „Das Geld geht an eine ‚wohltätige Stiftung‘, die die Streitkräfte der Ukraine unterstützt“, heißt es weiter. Und: „Der Westen ist verrückt geworden!“.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 30.11.2022

Auktionshaus wies das Video als Fälschung zurück

Das Video behauptet, das Auktionshaus „Bolland & Marotz“ würde die Versteigerung organisieren. Eine Google-Suche führt zum Internetauftritt eines Auktionshauses, das „Bolland & Marotz“ heißt und in Bremen sitzt. Am 28. Oktober 2022 veröffentlichte das Auktionshaus auf seiner Website ein Statement in englischer, deutscher und russischer Sprache, in dem es die Behauptungen des Videos zurückweist. „Bei dem Video handelt es sich um einen Fake, eine Fälschung. Eine in dem Video beschriebene Auktion findet nicht statt. Bolland & Marotz distanziert sich entschieden von diesem Video und ist empört, dass unser Name dafür missbraucht wird.“

Das Auktionshaus distanzierte sich mit einem Statement von dem Video. Screenshot: 28.11.2022

„Abgesehen von ein paar russischen Ikonen, die wir im Zuge unserer jährlichen Kunst- und Antiquitätenauktion versteigert haben, gab es bei uns nie spezielle Versteigerungen nur für russische Kunst und es ist auch nichts dergleichen in Planung“, antwortete Christina Schulze, Kunsthistorikerin bei Bolland & Marotz am 28. Oktober 2022 per Mail auf eine AFP-Anfrage. „Das Gleiche gilt für Wohltätigkeitsauktionen“, fügte sie hinzu.

Der Sender Euronews wies ebenfalls in einem Statement vom selben Tag zurück, etwas mit dem Filmmaterial zu tun zu haben. Diese Mitteilung veröffentlichte der Sender auch auf seinem Twitteraccount.

 

Das Video zeigt Münster, nicht Bremen

Indessen wird auch ohne die Statements des Auktionshauses und von Euronews anhand einiger Aspekte deutlich, dass es sich bei dem Video nicht um eine verlässliche Quelle handelt. Das Video beginnt mit der Vogelperspektive auf eine Stadt, bei der es sich laut Untertitel um die deutsche Stadt Bremen handeln soll. Dabei ergibt eine Rückwärtssuche mit den ersten Bildeinstellungen des Videos, dass hier eine andere Stadt in Deutschland zu sehen ist: Münster. Vergleicht man ein Standbild aus einem Video des offiziellen Youtube-Kanals der Stadt Münster mit einem Standbild aus dem gefälschten Video, sind identische Gebäude zu sehen: beispielsweise der St. Paulus-Dom.

Bildvergleich aus einem Video der Stadt Münster (links) und des falschen Videos (rechts); Screenshots: 28.11.2022, Hervorhebungen durch AFP

Filmmaterial aus alten Videobeiträgen

Um mehr über die Herkunft des Videomaterials zu erfahren, hat sich AFP auf ein Gemälde konzentriert, das nach Minute 00:55 zu sehen ist. Eine Bildrückwärtssuche konnte bestätigen, dass es sich um das Kunstwerk „Nackte beim Baden“ des neoklassizistischen russischen Künstlers Alexander Jakowlew handelt. Eine Schlagwortsuche führte zu einer Auktion russischer Kunst im Mai 2012 in London, auf der das Gemälde angeboten wurde. Die amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press veröffentlichte auf ihrem Youtube-Kanal ein Video zu einer Ausstellung in Russland im April 2012, die der Auktion vorangegangen war. Einige Szenen aus dem Videobeitrag zu diesem Event finden sich im gefälschten Video wieder: Beispielsweise stammt die Sequenz, in der eine Frau Nikolai Rachkows „Kleine Blumenverkäuferin“ betrachtet, von Minute 00:11 des Agenturvideos und taucht bei Minute 00:14 im gefälschten Video auf.

Vergleich des AP-Materials (links) und des falschen Videos (rechts)

Die Ausschnitte, die eine Frau zeigen, die an Ivan Aiwasowskis  „Blick auf Venedig“ vorbeigeht, stehen im Associated-Press-Video bei Minute 01:22 und im Fake-Video bei 00:53.

Vergleich des AP-Materials (links) und des falschen Videos (rechts)

Eine andere Sequenz, in der sich mehrere Personen an einem Stehtisch unterhalten, findet sich in der originalen Agentur-Reportage bei Minute 1:00 und bei 00:52 im gefälschten Video.

Ab Sekunde 15 erscheint im überprüften Video eine Nahaufnahme einer ost-orthodoxen Ikone, rechts daneben ein Gemälde. In der gleichen Anordnung erscheinen die beiden Werke bei 00:26 in einem Video aus dem Jahr 2010 des Youtube-Kanals des britischen Auktionshauses Sotheby’s mit dem Titel Sotheby’s Russian Art Week in London, 7 & 9 June 2010.

Vergleich der Aufnahme von Sotheby’s (links) und des falschen Videos (rechts)

Laut Sotheby’s Beschreibung handelt es sich bei der Ikone um die „Gottesmutter von Kasan“ und bei dem Gemälde um „Sonnenuntergang über Ischia“ von Ivan Aiwasowski, entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts.

Der im gefälschten Video bei Minute 00:37 gezeigte Brief steht auf Seite 250 des Buches „Letters to Family and Friends“, erschienen bei „Chatto and Windus“. Gemäß der Bildunterschrift handelt es sich um einen Brief aus dem Jahr 1838, den der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski an seinen Bruder Michail schrieb.

Eine Stichwortsuche zum bei Minute 00:40 gezeigten Partiturausschnitt führt zu einer Bilddatenbank, die das Manuskript mit „handgeschriebene Partitur in Tschaikowskis Handschrift, mit Unterschrift in lateinischen Buchstaben, datiert 1883 (?). Russischer Komponist. 7. Mai 1840 – 6. November 1893“ beschreibt.

Narrativ der Russlandfeindlichkeit

In dem Video wird fälschlicherweise behauptet, das Auktionshaus habe den Verkauf arrangiert, weil „das Verschwinden russischer Kultur eine logische Folge sei“, da sich das Land mit dem Einmarsch in die Ukraine „selbst diskreditiert habe“. Das spiegelt die Rhetorik offizieller Vertreter der russischen Regierung wider, derzufolge die russische Kultur „gecancelled“ werde.

Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hatte einige Aufrufe zum Boykott aktueller russischer Künstlerinnen und Künstler, die als Wladimir Putin nahestehend galten, nach sich gezogen, insbesondere in der Welt der klassischen Musik. Beispielsweise wurde der russische Dirigent Waleri Gergijew on der Königlich Schwedischen Musikakademie ausgeschlossen, weil er gezögert hatte, sich von der russischen Invasion in die Ukraine zu distanzieren. Vorher war Gergijew schon von mehreren Konzerthäusern zur persona non grata erklärt worden.

Seit Beginn des Angriffskrieges waren außerdem mehrere Falschmeldungen in sozialen Netzwerken aufgetaucht, die das Narrativ der wachsenden Russlandfeindlichkeit weiter untermauern sollten (hier und hier). AFP sammelt Faktenchecks im Kontext des Kriegs in der Ukraine hier.

Fazit: Das in den sozialen Netzwerken geteilte Video zu einer angeblichen Auktion russischer Kunst mit dem Ziel ihrer Zerstörung ist eine Fälschung, für die Videomaterial früherer Auktionen aus dem Kontext gerissen und neu zusammengesetzt wurde. Das erwähnte Auktionshaus hat sich von einer derartigen Veranstaltung distanziert und auch der Sender Euronews sagte in einem Statement, nichts mit der Erstellung des Videos zu tun zu haben.

Fact Checker Logo

Wissenschaft, Ukraine

Autor(en): Rossen BOSSEV, AFP Bulgarien, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

Nach oben scrollen