Weltweit wird ein Anstieg des Meeresspiegels im Zusammenhang mit dem voranschreitenden Klimawandel beobachtet. Online-User verbreiteten im März 2023 jedoch ein altes Sharepic, das den Anstieg des Meeresspiegels aufgrund von schmelzendem Eis infrage stellt. Der Beitrag ist irreführend. Tatsächlich kann sich der Dichteunterschied von Süßwasser und Salzwasser beim Schmelzen von Eis auch auf den Meeresspiegel auswirken, dieser Effekt ist allerdings minimal. Vor allem das Wasser aus Eisschilden und Gletschern, das überhaupt erst durch das Schmelzen in den Ozean gelangt, ist Treiber des Meeresspiegelanstiegs. Dazu kommen die Auswirkungen der Erwärmung des Meerwassers und die Veränderungen von Wasserspeichern zu Land.
Hunderte User teilten das Sharepic auf Facebook. Zehntausende sahen Beiträge mit dem Bild auf TikTok. Die Behauptung verbreitete sich bereits 2019 auf Englisch.
Die Behauptung: Ein Sharepic zeigt das Schmelzen von Eis in einem Messbecher mit einem Vorher-Nachher-Vergleich. Dazu heißt es, die Bilder würden den Klimawandel einfach erklärt darstellen. Das geschmolzene Eis habe keinen Einfluss auf den Meeresspiegel. Dieser bleibe gleich und steige nicht an.
Nutzerinnen und Nutzer in sozialen Netzwerken stellen immer wieder die Existenz und die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels infrage. AFP prüfte in der Vergangenheit in diesem Zusammenhang etwa Behauptungen, wonach die Erderwärmung natürlich und nicht ungewöhnlich sei oder dass für die Klimaerwärmung nicht der Mensch, sondern die Sonne oder Veränderungen in der Erdumlaufbahn verantwortlich seien. Zuletzt prüfte AFP ebenso Behauptungen, die den Anstieg des Meeresspiegels anzweifelten. Faktenchecks zum Thema Klima sammelt AFP hier.
Doch, der Meeresspiegel steigt
Der in dem nun online geteilten Sharepic gezeigte Versuch zu Schmelzwasser ist nicht falsch, führt aber in Bezug auf die Auswirkungen des Klimawandels auf den Meeresspiegel in die Irre. Der Beitrag nutzt dabei ein vielen Menschen bekanntes Experiment: Einem Glas Wasser werden Eiswürfel hinzugefügt. Dann wird überprüft, wie hoch das Wasser vor und nach dem Schmelzen steht. Dabei zeigt sich, dass der Wasserstand unverändert bleibt.
Der Versuch veranschaulicht das archimedische Prinzip: Jedes schwimmende Objekt verdrängt sein eigenes Gewicht an Flüssigkeit. Der nun online geteilte Beitrag beachtet dabei allerdings nicht den Unterschied zwischen Süß- und Salzwasser.
Das National Snow and Ice Data Center (NSIDC) an der US-Universität Colorado Boulder erläutert diesen Unterschied auf seiner Website. Das Schmelzen von im Meer schwimmendem Eis könne den Ozeanen etwa 2,6 Prozent mehr Wasser zuführen, als zuvor verdrängt wurde. Dazu heißt es auf der Website des NSIDC: „Der weitverbreitete Irrglaube, dass schwimmendes Eis den Meeresspiegel nicht ansteigen lässt, wenn es schmilzt, kommt daher, dass der Dichteunterschied zwischen Süß- und Salzwasser nicht berücksichtigt wird.“
Da Süßwasser in Form von Eisbergen nicht so dicht sei wie Salzwasser, verfüge dieses über ein größeres Volumen. Wenn das geschmolzene Süßwasser dann in den Ozean gelangt, führe es daher etwas mehr Schmelzwasser zu, als es zuvor verdrängt habe.
Auch die US-Raumfahrtbehörde Nasa schreibt online vom Dichteunterschied beim Schmelzen von Salz- und Süßwasser. Nichtsdestotrotz würden das Schmelzen von im Meer treibenden Eisbergen und gefrorenem Salzwasser keinen wesentlichen Beitrag zum Anstieg des Meeresspiegels liefern, da diese sich bereits im Meer befinden.
„Der Dichteunterschied zwischen Salzwasser und Süßwasser führt zwar zu einem Unterschied zwischen dem Volumen von Meerwasser, das durch das Meereis verdrängt wird, und dem Volumen, das durch Süßwasser beim Schmelzen entstehen würde, aber dieser Unterschied ist minimal (…).“
In einem Experiment verdeutlichte die Nasa den Unterschied beim Schmelzen von salzigem und süßem Wasser. In diesem Video ist deutlich zu erkennen, dass beim Schmelzen von Süßwasser der Meeresspiegel steigt:
Mirko Scheinert, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung, erklärte am 3. April 2023 gegenüber AFP, dass bereits beim Übergang von Eismassen vom Festland in den Ozean Wasser verdrängt werde und so der Meeresspiegel ansteige. Der Effekt aufgrund des Dichteunterschieds von Süß- und Salzwasser verursache ebenfalls einen Anstieg, dieser sei jedoch minimal.
„Dies ergibt sich aus der Überlegung, dass die Masse des verdrängten Meerwassers eine etwas höhere Dichte und damit ein geringeres Volumen aufweist als dieselbe Masse des zugeführten Süßwassers, wenn der Eisberg komplett geschmolzen ist“, erklärte Scheinert. Die Größenordnung des Effekts liege bei etwa zwei bis drei Prozent mehr Volumen.
Renate Treffeisen vom Alfred-Wegener-Institut (AWI), das in der Polar- und Meeresforschung tätig ist, erklärte am 29. März 2023 gegenüber AFP, dass der Dichte-Effekt beim Schmelzen von Eisbergen zwar existiere, aber so klein sei, dass er „praktisch vernachlässigbar“ sei.
Zudem müsse unterschieden werden, ob es sich um Meereis handelt, das aus gefrorenem Salzwasser entsteht oder um Eisberge aus Frischwasser:
„Meereis in der Arktis ist zum überwiegenden Teil saisonales Eis, das heißt, es ist im Winter gefroren und schmilzt im Sommer. Es hat am Ende des Winters einen Salzgehalt von etwa 0,5 Prozent im Gegensatz zum Meerwasser, das etwa 3,5 Prozent aufweist. Beim Gefrierprozess wird das überschüssige Salz ins Meer abgegeben und erhöht lokal die Dichte des Meerwassers. Bis das Meereis schmilzt, driftet es einige hundert Kilometer und hinterlässt beim Schmelzen Wasser mit geringem Salzgehalt. Für den großskaligen Meeresspiegelanstieg spielt das aber keine Rolle. Wenn genauso viel Meereis gebildet wird, wie schmilzt, dann ist das ein Nullsummenspiel.“
Aktuell schmelze aber mehr Meereis, als neu gebildet wird. Der daraus resultierende Dichte-Effekt sei aber nicht groß.
Eisberge hingegen seien Teile der Eisschilde, die irgendwann aus Frischwasser gebildet wurden und somit zu 100 Prozent Süßwasser entstanden, so Treffeisen. Bei sogenannten Eisschilden handelt es sich um vergletscherte Landflächen auf dem Festland. Auf der Erde existieren zwei solche Schilde: Grönland und die Antarktis.
Auf AFP-Anfrage erläuterte auch Johannes Fürst vom Institut für Geographie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg am 28. März 2023, dass Meerwasser beim Gefrierprozess weitestgehend das darin enthaltene Salz abgebe. Im Gegensatz zu Meereis würden Eisberge aber aus Frischwasser in Form von Landeis entstehen und schließlich abbrechen.
Mirko Scheinert erklärte: Wenn sich Meereis bilde, werde das im Meerwasser enthaltene Salz abgegeben. „Deshalb besteht gefrorenes Wasser immer aus Süßwasser.“ Durch die Abgabe von Salz erhöhe sich auch die Dichte des Meerwassers, wodurch schweres Wasser absinke. Dies sei ein Antrieb des globalen Wasserkreislaufs, so Scheinert. Kritisch sei daher eher die Frage, wie das vermehrte Süßwasser in den Ozeanen den globalen Wasserkreislauf beeinflusse.
Laut Nasa seien aber vor allem das Schmelzen von Gletschermassen und Eisschilden an Land sowie das vergrößerte Volumen von erwärmten Wasser Ursache des steigenden Meeresspiegels.
Faktoren des Meeresspiegelanstiegs
Wie die Nasa online erklärt, geht der Anstieg des Meeresspiegels vor allem auf zusätzliche Wassermassen zurück, die von Gletschern und Eisschilden aufgrund der ansteigenden Temperaturen in den Ozean gelangen, sowie auf die Expansion von sich erwärmendem Meerwasser.
Auch im Meer schwimmende Eisberge entstehen durch den Abbruch von größeren Eismassen wie Gletschern oder Schelfeis. Endet ein Gletscher im Meer, kann es bei kaltem Wasser zu Schelfeis führen.
Das Schmelzen aller Gletscher und Eisschilde auf der Erde würde zu einem Anstieg des Meeresspiegels um 60 Meter führen, so die Nasa. Die US-Geologiebehörde USGS spricht sogar von 70 Metern.
In einem Sonderbericht des Weltklimarates (IPCC) aus dem Jahr 2019 zu Ozeanen und Eisflächen, heißt es, eine beobachtete Folge des Klimawandels sei der mittlere globale Meeresspiegelanstieg. „In den letzten Jahrzehnten beschleunigte sich dieser Anstieg sowohl aufgrund der zunehmenden Geschwindigkeit von Eisverlusten des grönländischen und der antarktischen Eisschilde als auch aufgrund des anhaltenden Gletschermassenverlusts und der thermischen Ausdehnung des Ozeans.“
Etwa 10 Prozent der Landfläche der Erde seien von Gletschern oder Eisschilden bedeckt, heißt es in dem Bericht des Weltklimarats. Im sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarats wird zudem erläutert, dass der Eisverlust an Gletschern 22 Prozent des Meeresspiegelanstiegs zwischen 1971 und 2018 ausmache. 20 Prozent gingen auf die Eisschilde zurück, 8 Prozent auf die Veränderungen an Wasserspeichern an Land. 50 Prozent ließen sich auf die thermische Ausdehnung zurückführen, also die Ausdehnung des Wasservolumens bei wärmeren Temperaturen. Im Zeitraum von 2006 bis 2018 hätten allerdings die Verluste an Gletschern und Eisschilden am meisten zum Anstieg beigetragen.
Die Auswirkungen auf den globalen Meeresspiegel hat AFP in folgender Grafik dargestellt:
Im sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarats heißt es weiter, der mittlere globale Meeresspiegel stieg im vergangenen Jahrhundert schneller als in jedem anderen Jahrhundert in den 3000 Jahren zuvor. Werde die Erderwärmung nicht auf 1,5 Grad Celsius begrenzt, steige das Risiko der Erosion von Küstenregion sowie der Überflutung von Küstenland, der Verlust von Lebensräumen und Ökosystem sowie die Versalzung von Grundwasser. Zu den Gefahren des Anstiegs des Meeresspiegels veröffentlichte der Weltklimarat zudem ein Infoblatt.
Die Auswirkungen sind auch in Deutschland zu beobachten. Das Deutsche Klimaportal berichtete, in Norddeutschland sei der Anstieg des mittleren Meeresspiegels eine der „deutlichsten bereits messbaren Folgen des Klimawandels“. Von 1921 bis 2020 sei der Meeresspiegel in Deutschland im Mittel um etwa 15 bis 20 Zentimeter gestiegen.
Der Anstieg in Deutschland lässt sich mit Hilfe des Meeresspiegel Monitors vom Helmholtz-Zentrum Hereon nachverfolgen. Dieser gibt beispielsweise für Warnemünde an der Ostsee einen Anstieg von 13 Zentimetern zwischen 1856 und 2022 an.
Geophysiker Johannes Fürst erklärte zum Anteil der einzelnen Faktoren am Meeresspiegelanstieg: „In den Zukunftsprognosen ist zu erwarten, dass der absolute Anteil der Eisschilde weiter zunimmt, wobei der absolute Gletscherbeitrag schon in diesem Jahrhundert abnehmen wird. Die thermische Expansion folgt dabei hauptsächlich dem Temperatursignal in der Atmosphäre.“ Zur Verbildlichung stellte Fürst auf eine Grafik der Friedrich-Alexander-Universität zur Verfügung.
Auch Renate Treffeisen beschreibt das Schmelzen von Gletschern und Eisschilden als Auslöser des Meeresspiegelanstiegs, ebenso wie die Erwärmung des Meerwassers und die Veränderung an Wasserspeichern auf den Kontinenten im Grundwasser oder an Talsperren.
Zudem weist sie darauf hin, dass Eisberge und Schelfeis, die ins Meer geschoben werden, natürlich den Meeresspiegel sofort gemäß ihrer Masse erhöhen. „Jedes Schiff, das beim Stapellauf ins Hafenbecken rutscht, erhöht im Prinzip den Meeresspiegel, aber der Effekt ist ebenso vernachlässigbar klein.“
Das erklärte auch Ted Scambos, Forscher am Cooperative Institute for Research in Environmental Sciences an der US-Universität Colorado Boulder, bereits 2019 gegenüber AFP: „Das Problem ist die Tatsache, dass viel mehr Eisberge entstehen, weil das Eis von Eisschilden wie Grönland oder der Antarktis abfließt. Denn wenn man Eis vom Land nimmt, wo ein großer Teil der Masse über dem Meeresspiegel liegt und dieses Eis in den Ozean bringt, steigt der Meeresspiegel an.“
Fazit: Beim Schmelzen von Eismassen muss ein unterschiedlicher Dichte-Effekt von Salz- und Süßwasser beachtet werden. Dieser wirkt sich auf den Wasserspiegel aus, ist für den Anstieg des Meeresspiegels aber nur von geringer Bedeutung. Vor allem das Schmelzen von Gletschern und Eisschilden in Grönland und der Antarktis sowie die Ausdehnung von erwärmten Wasser und Wasserspeicher an Land sind Treiber des belegten Meeresspiegelanstiegs. Grund dafür ist der voranschreitende Klimawandel.