Dutzende Facebook-User teilten Mitte August 2022 ein Video von einem Filmset in der Ukraine. Sie behaupteten, dass die Aufnahmen benutzt würden, um russische „Gräueltaten“ lediglich vorzutäuschen. Das Video wurde aus dem Kontext gerissen. Laut AFP-Recherchen drehte die Nationale Filmagentur der Ukraine dort Szenen für den Film „Region of Heroes“, der auf wahren Begebenheiten beruhen soll, aber nachgestellt wird.
Die Behauptung über den Filmdreh kursierte Mitte August 2022 dutzendfach auf Facebook und hundertfach auf Twitter. Auf Telegram erreichte die Behauptung Zehntausende.
Die Behauptung: User teilten ein Video in sozialen Netzwerken, in dem ein Filmteam rennende Menschen in einem zerstörten Wohngebiet filmt. Zu dem Video schreiben User: „‚Flucht’ vor den ‘Russen‘! Wenn es die Gräueltaten des russischen Militärs gegen Zivilisten nicht gibt, müssen sie wohl erfunden werden.“ Weiter heißt es zu den Aufnahmen: „Im Bild: Inszenierte Aufnahmen von Zivilisten, die vor der russischen ‘Aggression’ in Gostomel fliehen.“
Seit Kriegsbeginn in der Ukraine im Februar 2022 kursieren in sozialen Netzwerken immer wieder irreführende oder falsche Informationen über einzelne Kriegsereignisse. So wurde etwa im April 2022 fälschlich behauptet, ein Video mit einer Puppe belege, dass die Opfer in der Ukraine nur inszeniert seien. Auch soll ein anderes Video von Dreharbeiten eine inszenierte Massenpanik in der Ukraine belegen. AFP prüfte zahlreiche Behauptungen im Kontext des Ukrainekrieges und hat sie hier gesammelt.
Dokumentarfilm mit dem Titel „Region of Heroes“
AFP hat bei einer Bildrückwärtssuche mit Screenshots aus dem Video das Originalvideo auf TikTok gefunden. Ein User Namens „yarikfors“ hat es am 8. August 2022 mit dem Text „Der Film, den wir drehen, spiegelt die aktuelle Epoche wider! Hostomel, 2022. Endloser Februar“ veröffentlicht. Im Februar 2022 griff Russland die Ukraine an.
In den Kommentaren zu dem Video erklärt „yarikfors“, was das Video zeige. So schreibt er etwa: „Wir filmen eine Rekonstruktion der Ereignisse in Irpen, Butcha, Hostomel! In der Einstellung Hostomel, nach der Ankunft der Orks.“ Ukrainerinnen und Ukrainer bezeichnen russische Soldaten im Ukrainekrieg immer wieder als „Orks“. Es handele sich um einen „Dokumentarfilm“ mit dem Titel „Область Героїв“ oder „Region of Heroes“, zu Deutsch „Region der Helden“.
AFP hat „Yarikfors“ am 25. August 2022 für eine Bestätigung kontaktiert, aber bis zur Veröffentlichung keine Antwort erhalten. Jedoch berichtete die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) in einem eigenen Faktencheck der gleichen Behauptung, den User erreicht zu haben. AP schrieb, es sei das Konto von Yaroslav Forsik, dem Casting-Assistenten für den Film. Er habe bestätigt, das Video gepostet zu haben.
Filmarbeiten begannen im Juli 2022
Eine Suche nach „Region of Heroes“ führt zu der offiziellen Facebook-Seite des Filmes, der weitere Informationen zum Film gibt, wie etwa die Finanzierung durch die Nationale Filmagentur der Ukraine. Die staatliche Nationale Filmagentur ist dem Ministerkabinett unterstellt.
In einem Post vom 27. Juli 2022 heißt es, der Film werde die „heldenhaften Taten der Bewohner Kiews während der Besatzung“ darstellen. Die Dreharbeiten hätten in der Region Kiew begonnen. Laut Post zeige der Film die Geschichten von „Menschen, dank denen Zehntausende von ukrainischen Leben gerettet wurden“.
In einer Presseerklärung der ukrainischen Nationalen Filmagentur vom 27. Juli 2022 heißt es, der Dokumentarfilm sei eine „groß angelegte filmische Rekonstruktion von fünf wahren Geschichten“.
Produzent des Dokumentarfilms ist der ukrainische Schauspieler und Regisseur Aleks Komarovski, der auf seiner Facebook-Seite als Gründer der Filmproduktionsfirma Ideafilms bezeichnet wird. Dort sind Beiträge über die Dokumentation zu sehen. Laut der ukrainischen Filmdatenbank DzygaMDB hat Komarovski mehrere ukrainische Filme und Serien gedreht und produziert.
Auf der Instagram-Seite von Ideafilms gibt es weitere Fotos, die als „Region of Heroes“ beschrieben werden, einschließlich des gleichen zerstörten Gebäudes, das in dem auf Facebook geteilten Video gezeigt wird.
Der Bildvergleich zeigt, dass es sich um dieselbe Produktion handelt:
Ähnliche Details sind in den beiden Screenshots oben rot eingekreist. So sind in beiden Bildern dasselbe zerstörte Gebäude sowie die ausgebrannten Autowracks zu sehen.
Der Regisseur des Films ist Artur Lerman. Auf seiner Instagram-Seite verweist auch er auf „Region of Heroes“.
Rekonstruktion wahrer Begebenheiten
AFP hat Lerman und Komarovski um einen Kommentar zu den Behauptungen gebeten. Lerman verwies AFP mit der Anfrage an das Presseteam von „Region of Heroes“. Dieses erklärte am 22. August, dass das Video von einem Beobachter der Dreharbeiten zu einem ukrainischen Dokumentarfilm über die Bewohner der Region Kiew während der russischen Besatzung stamme. Der Film basiere auf wahren Begebenheiten, „den Heldentaten ukrainischer Bewohnerinnen und Bewohner, die während der russischen Besatzung das Leben von Menschen und Tieren gerettet“ hätten. Der Film soll im Herbst 2022 erscheinen.
„Unser Dokumentarfilm ist eine Rekonstruktion der Geschichten von echten Menschen, die auf realen Ereignissen basieren. Diese echten Menschen spielen in allen Szenen des Films die Hauptrollen.“ Lediglich in einigen Episoden würden Schauspieler zur Nachstellung eingesetzt, hieß es.
Über den Dreh des Films wurde in ukrainischen Medien berichtet, darunter Elle Ukraine.
Krieg seit Februar 2022
Seit dem russischen Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 wurden zahlreiche Städte von russischen Truppen besetzt. Der russische Präsident nahm eine angebliche „Denazifizierung und Entmilitarisierung“ des Landes zum Vorwand für den Angriff. Nach der Befreiung von Städten wie etwa Butscha im Nordwesten Kiews wurden in der Stadt zahlreiche zum Teil gefesselte Leichen gefunden. Diese sollen bereits während der Besatzung dort gelegen haben, was auf mögliche russische Kriegsverbrechen hinweist.
Auch sind russische Raketenangriffe auf ein geöffnetes Einkaufszentrum in Krementschuk in der Ostukraine dokumentiert.
Seit Kriegsbeginn steigt die Zahl der Toten stetig. Laut UN-Angaben liegt die Zahl getöteter Zivilisten bei mindestens 5660. Mehr als 967.000 Menschen aus der Ukraine sind allein nach Deutschland geflüchtet.
Fazit: Die Behauptung, das auf Facebook geteilte Video zeige, wie russische Gräueltaten in der Ukraine inszeniert würden, ist irreführend. Bei den Dreharbeiten handelt es sich um einen Dokumentarfilm, der tatsächlich die russische Besetzung zum Thema hat und sich an wahren Begebenheiten orientiert. Für den Film werden auch Szenen nachgestellt. Der Film „Region of Heroes“ ist aber vom Filmteam öffentlich angekündigt. Auch ukrainische Medien berichteten darüber.