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Kohlenstoffdioxid hat auch negative Auswirkungen auf Pflanzen

Eine sieben Jahre alte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Blattfläche von Pflanzen infolge des gestiegenen CO2-Gehalts in der Atmosphäre zugenommen hat. In sozialen Netzwerken wird die Analyse benutzt, um die klimaschädlichen Folgen des Treibhausgases kleinzureden. Dabei können Pflanzen lediglich einen Bruchteil der Kohlendioxidemissionen verstoffwechseln und leiden unter den Folgen des Klimawandels.

Tausende Nutzerinnen und Nutzer haben seit Mitte August einen Beitrag auf Facebook (hier, hier) geteilt, in dem behauptet wird, die Welt sei „durch CO2 deutlich grüner geworden“. Auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Sichert teilte den Beitrag, der von Hunderttausenden Usern auf Telegram gesehen wurde. Die Behauptung kursierte zudem auf Twitter.

Die Behauptung: Das Posting verweist auf eine angebliche „Nasa-Studie“, die ergeben habe, dass „die Welt durch CO2 deutlich grüner“ geworden sei. Demnach habe die Blattfläche „um bis zu 50 Prozent“ zugenommen. Daraus schlussfolgert der Urheber des Beitrags: „Je mehr CO2, desto mehr Pflanzenwachstum. Und je mehr Blattfläche, desto mehr Sauerstoff wird produziert und CO2 photosynthetisiert.“

Screenshot der Behauptung auf Facebook: 30.08.2022

Immer wieder stellen Nutzerinnen und Nutzer in sozialen Netzwerken die Existenz des menschengemachten Klimawandels infrage. AFP prüfte in der Vergangenheit in diesem Zusammenhang bereits Behauptungen, wonach die Erderwärmung natürlich und nicht ungewöhnlich sei oder dass nicht der Mensch, sondern die Sonne oder Veränderungen in der Erdumlaufbahn für den Klimawandel verantwortlich seien. Faktenchecks zum Thema Klima sammelt AFP hier.

Studie beschreibt globalen Zuwachs von Blattfläche

Als Beleg für die Behauptung verweisen die aktuell geteilten Postings auf eine angebliche „Nasa-Studie“, die zusätzlich in den Beiträgen verlinkt ist. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine aktuelle Studie der US-amerikanischen Weltraumbehörde, sondern um einen am 26. April 2016 erschienenen Artikel über eine Studie.

Der Artikel berichtet über die Studie eines internationalen Teams von Forschenden, die am 25. April 2016 in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change“ veröffentlicht wurde. Die Studie untersucht mit Hilfe von Daten verschiedener Erdbeobachtungssatelliten die Entwicklung der globalen Vegetation zwischen 1982 und 2009. Das Ergebnis: Insgesamt hat die Blattfläche auf einem Großteil der mit Pflanzen bewachsenen Landflächen der Erde deutlich zugenommen.

Nach Erkenntnissen der Forschenden geht ein Großteil des beobachteten Trends, rund 70 Prozent, auf das zusätzlich verfügbare CO2 in der Atmosphäre aus menschlichen Emissionen zurück. Für den restlichen gemessenen Zuwachs sind der Studie zufolge Stickstoffablagerungen, die Auswirkungen der Klimawandels wie steigende Temperaturen in ehemals kalten Regionen und eine veränderte Oberflächennutzung verantwortlich.

Pflanzen nutzen CO2, auch Kohlenstoffdioxid genannt, um zusammen mit Wasser und Lichtenergie im Rahmen der Photosynthese Kohlenhydrate und Sauerstoff zu produzieren. Mit Hilfe der Photosynthese fixieren sie Kohlenstoff aus der Luft in ihren Blättern, Stängeln, Stämmen und Wurzeln und schaffen so natürliche Kohlenstoffsenken, in denen Kohlenstoff gespeichert wird.

CO2 steigert das Pflanzenwachstum

Wie in den aktuell geteilten Postings richtig beschrieben wird, kann ein erhöhter CO2-Gehalt in der Atmosphäre tatsächlich das Wachstum von Pflanzen stimulieren. Dieses Phänomen ist als CO2-Düngeeffekt bekannt: Je mehr Kohlenstoffdioxid verfügbar ist, desto stärker und schneller können Pflanzen wachsen. Der Effekt wurde in zahlreichen Experimenten nachgewiesen und wird teilweise im Gemüseanbau genutzt, indem Gewächshäuser zusätzlich mit Kohlenstoffdioxid begast werden, um die Erträge zu steigern.

Allerdings ist die Wirkung des CO2-Düngeeffekts wesentlich komplexer, als in den aktuell geteilten Postings behauptet wird. So erwähnen die Postings nicht, dass der Effekt limitiert ist. Mehr Kohlendioxid ist nicht zwangsläufig besser für die Pflanzen. Pflanzen können zusätzliches CO2 nur dann effektiv nutzen, wenn alle anderen Wachstumsfaktoren wie Wasser, Licht und mineralisches Nährstoffangebot ausreichend verfügbar sind, wie Eckhard George am 24. August 2022 gegenüber AFP erklärte.

George ist Professor für Ernährungsphysiologie der Nutzpflanzen an der Humboldt-Universität Berlin, wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) in Großbeeren und Experte für den Stoffwechsel von Pflanzen. Im Prinzip sei es richtig, dass die Blattfläche wachse, wenn sich das CO2-Angebot erhöhe, sagte er. „Das passiert aber nur dann, wenn das Wachstum nicht durch andere Faktoren begrenzt wird, zum Beispiel durch Trockenstress, Nährstoffmangel, Temperaturschwankungen, fehlende oder zu starke Sonneneinstrahlung oder Oberflächenversiegelung.“

Foto von AFP: Luftbild eines von Trockenheit betroffenen Walds mit früher Herbstfärbung über dem Dorf Roche in der Westschweiz Ende August 2022

Die Aussage aus den aktuell verbreiteten Postings seien daher selektiv, denn während hohe CO2-Konzentrationen in der Luft für Pflanzen unter bestimmten Umständen vorteilhaft sein können, ist das Gas gleichzeitig verantwortlich für den menschengemachten Klimawandel. Die Folgen des Klimawandels können wiederum negative Auswirkungen auf das Wachstum von Pflanzen haben.

Negative Klimabilanz

Der vom Menschen verursachte Treibhauseffekt führt zu steigenden Temperaturen auf der Erde. Das Bundesumweltamt erklärt den Treibhauseffekt so: Vom Menschen erzeugte Treibhausgase wie Kohlenstoffdioxid, sammeln sich in der Erdatmosphäre. Kohlenstoffdioxid entsteht etwa beim Verbrennen von Kohle, Erdgas oder Öl. Treibhausgase sind durchlässig für kurzwellige Sonnenstrahlung, absorbieren jedoch langwellige Wärmestrahlung. Durch den stetigen Anstieg der Treibhausgaskonzentration in der Erdatmosphäre seit der Industrialisierung verringert sich die ins All abgegebene Wärmestrahlung, wodurch sich das Erdsystem aufwärmt.

Das hat fatale Folgen für die Umwelt: Eine aktuelle Studie zum Einfluss des Klimawandels auf Extremwetterereignisse, die Ende Juni 2022 in der Fachzeitschrift „Environmental Research“ erschienen ist, kam zu dem Ergebnis, dass der Klimawandel zu einer Zunahme extremer Hitzewellen und Dürren sowie Starkregen und Überschwemmungen führt.

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Umwelt

Der Effekt, dass Pflanzen durch Photosynthese umso mehr CO2 speichern, desto mehr davon verfügbar sei, reiche nicht aus, um zu einem neuen Gleichgewicht in der CO2-Bilanz zu führen, erklärte Eckhard George von der Humboldt-Uni. „Pflanzen fixieren tatsächlich mehr CO2, wenn dessen Konzentration in der Atmosphäre steigt. Die Menge des zusätzlich von den Pflanzen fixierten CO2 reicht jedoch bei weitem nicht aus, dass dadurch die zusätzlichen, vom Menschen verursachten Emissionen ausgeglichen werden.“ Das Problem der zunehmenden Kohlenstoffdioxid-Konzentration in der Atmosphäre werde durch den CO2-Düngeeffekt also nicht gelöst, wie in den Postings suggeriert wird. „Die Bilanz stimmt nicht“, sagte George.

CO2-Düngeeffekt nimmt ab 

Das betonen auch die Autorinnen und Autoren der von den Postings zitierten Studie, was allerdings in den aktuell geteilten Postings nicht erwähnt wird. So erklärte Philippe Ciais, Co-Autor und stellvertretender Direktor des Labors für Klima- und Umweltwissenschaften (LSCE) im französischen Gif-suv-Yvette, die positiven Auswirkungen des Kohlendioxids auf die Pflanzen könnten begrenzt seien. „Studien haben gezeigt, dass sich Pflanzen an die steigende Kohlendioxidkonzentration akklimatisieren oder anpassen und der Düngeeffekt mit der Zeit nachlässt“, sagte er in dem Nasa-Beitrag von 2016.

Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass sich der CO2-Düngeeffekt deutlich verlangsamt, obwohl immer mehr CO2 in der Atmosphäre verfügbar ist. So kommt eine Studie, die 2020 im Fachjournal „Science“ veröffentlicht wurde, mit Hilfe satellitengestützter Daten zu dem Ergebnis, dass die Wirkung des CO2-Düngeeffekts zwischen 1982 und 2015 weltweit abgenommen hat, was etwa mit fehlenden Nährstoffen und abnehmender Verfügbarkeit von Bodenwasser erklärt wird. Auch eine Studie von 2021 aus „Biogeosciences“ stellt mit Hilfe von Satellitendaten fest, dass sich die Zunahme der weltweiten Blattfläche verlangsamt.

Daniel Goll ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am LSCE und forscht zum natürlichen Kohlenstoffkreislauf. Er war sowohl an der „Science“- als auch an der „Biogeosciences“-Studie beteiligt. Er sagte am 25. August 2022 im Gespräch mit AFP: „Wir gehen davon aus, dass der CO2-Düngeeffekt auf globaler Ebene weiter abnimmt, das heißt, dass die Erhöhung der CO2-Konzentration zu einem immer geringeren Anstieg der CO2-Aufnahme führen wird.“ Die weltweite Blattfläche nehme immer langsamer zu, da die negativen Effekte des Klimawandels auf die Pflanzen zunehmen und den positiven Effekt von steigendem CO2 kompensieren würden.

Natürliche Grenze der CO2-Aufnahme durch die Biosphäre

Zwar zeigten Studien, wie die in der in den Postings zitierten Untersuchung von 2016, dass die Blattfläche in einigen Weltregionen zunehme, daraus lasse sich jedoch nicht schlussfolgern, dass die Photosyntheseleistung linear dazu ansteige. Zum einen müssten auch die anderen Wachstumsfaktoren wie Wasser, Lichteinstrahlung und Nährstoffangebot in ausreichender Menge verfügbar sein. Zum anderen stoßen Pflanzen offenbar an eine natürliche Grenze der CO2-Aufnahme.

„Wir beobachten, dass sich zunehmend eine Sättigung einstellt, das heißt, dass Pflanzen gar nicht in der Lage sind, unbegrenzt von den erhöhten CO2-Levels zu profitieren“, sagte Goll. Nicht alle Ursachen seien bislang erforscht. Denkbar sei, dass das Wachstum genetisch begrenzt ist und Pflanzen nicht nur einfach deshalb stärker wachsen, weil mehr CO2 verfügbar ist.

Das bestätigte Wolfgang Obermeier, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Physische Geographie und Landnutzungssysteme der Ludwig-Maximilians-Universität München, am 23. August per E-Mail gegenüber AFP. „Die Photosynthese reagiert nicht linear auf eine höhere CO2-Konzentration, sondern ist ab einer gewissen Konzentration gesättigt, selbst wenn alle anderen Bedingungen optimal sind.“

Schnelles Wachstum laugt Böden und Wasservorräte aus

Zudem beanspruche das gesteigerte Wachstum die Böden und Wasserressourcen stärker, was zu einem verringerten Nährstoff- und Wasserangebot führe und sich letztlich wachstumshemmend auswirke, so Obermeier. Ebenso geben Pflanzen unter höheren CO2-Konzentrationen weniger Wasser ab, da ihre Spaltöffnungen an den Blattoberfächen kürzer geöffnet werden müssen, was zu erhöhtem Trockenstress führt.

„Studien zeigen, dass gerade unter zukünftig projizierten Witterungsbedingungen mit intensivierten und häufigeren Extremperioden ein reduzierter oder sogar negativer Effekt von CO2 auf das Pflanzenwachstum wahrscheinlich ist und zudem häufiger Mortalitäten auftreten“, schrieb Obermeier. „So zeigten gerade die vergangenen Jahre in Deutschland deutlich, dass Dürre und Hitze die Biomasseproduktion stärker negativ beeinträchtigen als eine erhöhte Produktion durch höhere CO2-Konzentrationen stattfinden könnte“

Fazit: Durch die steigende CO2-Konzentration ist die Erde tatsächlich grüner geworden. Neuere Studien stellen jedoch fest, dass sich dieser Trend in den letzten Jahren verlangsamt. Der Klimawandel, der vor allem durch die CO2-Emissionen verursacht wird, führt weltweit zu steigenden Temperaturen, Dürren und Extremwetterereignissen, die das Pflanzenwachstum wiederum negativ beeinflussen.

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Umwelt

Autor(en): Feliks TODTMANN, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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