Im September 2024 kam es zu starken Überschwemmungen in Europa, die Forschende mit dem Klimawandel in Verbindung setzen. In sozialen Medien kursierte daraufhin eine Liste von extremen Hochwasserereignissen in Köln seit 1784 mit der Behauptung, deren Auftreten widerlege den Klimawandel. Doch die online verbreiteten Hochwasserdaten sind unvollständig und teilweise fehlerhaft. Hochwasser haben laut Fachleuten regional unterschiedliche Ursachen, doch der Klimawandel verstärke Extremwetterereignisse.
„Der menschengemachte ‚Klimaschwindel‘ ist die eigentliche Bedrohung!“, schrieb eine Facebook-Nutzerin am 18. September 2024. Dazu teilte sie ein Sharepic einer überfluteten Straßenansicht mit neun historischen Pegelständen, versehen mit der Aufschrift „Köln Hochwasser Scheiß Klimawandel 1784“. Der höchste Pegelstand der Reihe wird dabei für das Jahr 1784 mit 13,62 Metern angegeben, während der niedrigste Pegel für das Jahr 2024 mit 8,23 Metern aufgeführt wird.
Das identische Sharepic wurde auf Facebook über 5000 Mal geteilt. Die Kommentare unter dem Beitrag zeigen, dass einige Nutzerinnen und Nutzer den Klimawandel anzweifeln und die historischen Hochwasserereignisse des Rheins als Beleg dafür sehen. Ein Nutzer schrieb etwa: „Der Klimawandel ist und bleibt Lug und Trug.“ Ein anderer konterte: „Immer schön die Märchenstunde der Grünen anhören und Co2 Steuer zahlen. vielleicht hilft es ja.“
Auch auf Threads und Telegram wurde das identische Sharepic vielfach verbreitet, auf X teilten zudem polnischsprachige User das deutsch beschriftete Bild.
Immer wieder stellen Nutzerinnen und Nutzer in sozialen Medien die Existenz des menschengemachten Klimawandels infrage. Historische Ereignisse, wie Hochwasser oder besonders niedrige Wasserstände, wurden dabei oft als Argumente genutzt. AFP widerlegte bereits Behauptungen, dass niedrige Pegelstände in Dresden im Jahr 1904 den „Klimaschwindel“ beweisen würden, ebenso wie Trockenheit am Bodensee im Jahr 1540. Auch die aktuell verbreiteten Postings bezweifeln anhand einzelner Extremwetterereignisse die Rolle des Menschen bei der globalen Erderwärmung.
Der aktuelle Beitrag mit den irreführenden Pegelständen zirkulierte ab Mitte September 2024 in sozialen Medien. In den Tagen davor beherrschte die Berichterstattung über das Sturmtief „Anett“, das international „Boris“ genannt wird, die Nachrichten: In Polen, Österreich, Tschechien, Rumänien und anderen Ländern in Mittel- und Osteuropa hatte es mit sintflutartigen Regenfällen für verheerende Überschwemmungen gesorgt. In den Hochwassergebieten kamen mindestens 24 Menschen ums Leben. In Deutschland war die Lage vergleichsweise entspannt. Infolge starker Regenfälle stiegen jedoch auch die Pegel an deutschen Flüssen deutlich an, wie beispielsweise am Rhein in Köln.
Mehrere Nachrichtenorganisationen, darunter AFP, berichteten, die Ereignisse seien ein Beleg dafür, wie extreme Wetterereignisse durch die vom Menschen verursachte Erwärmung verstärkt werden – was wiederum die Kritik von Skeptikerinnen und Skeptikern anheizte. In der Vergangenheit hat AFP bereits mehrfach die Falschbehauptung widerlegt, der Klimawandel habe keinen Einfluss auf Extremwetterereignisse.
Authentisches Foto aus Köln
Eine umgekehrte Bildsuche ergab, dass das online geteilte Sharepic einen Ausschnitt eines authentischen historischen Fotos aus Köln zeigt. Das Originalbild wurde vom Deutschen Bundesarchiv auf Wikimedia veröffentlicht und ist online frei verfügbar. Laut Quellenangabe stammt das Foto vom November 1930.
Die Bildunterschrift des Originalfotos lautet: „Hochwasser vor der Kölner Altstadt. In der Bildmitte der Turm von Groß St. Martin.“ Die Nutzung ausgerechnet dieses Bildes zeigt jedoch bereits, dass die auf dem Sharepic aufgeführten Pegelstände unvollständig sind. Von einem Hochwasser im Jahr 1930 ist dort nichts zu lesen.
Unvollständige, fehlerhafte Daten
Laut offizieller Daten des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen hat der Rhein bei Köln einen gemittelten Pegelstand von 2,97 Metern (hier archiviert), wie auch die Nachrichtenagentur dpa berichtete. Ab einem Pegelstand von 4,5 Metern werden in Köln Hochwasserschutzmaßnahmen eingeleitet, welche die Stadtentwässerungsbetriebe Köln (StEB Köln) koordinieren. Auf ihrer Website veröffentlichen die StEB Köln eine umfassende Hochwassergeschichte der Stadt (hier archiviert). Seit dem Jahr 1784 wurden dort 52 starke Hochwasser aufgezeichnet, bei denen der Kölner Pegel mindestens 7,5 Meter betrug. Auf dem Sharepic werden für diesen Zeitraum jedoch nur neun Pegelstände angegeben.
Zudem sind zwei der in sozialen Medien verbreiteten Werte fehlerhaft: Für das Jahr 1784 nennen die StEB eine Pegelhöhe von 13,55 Metern, online verbreitet werden 13,63 Meter. Und während auf dem Sharepic für 1845 ein Hochwasserpegelstand von 10,34 Metern angegeben wird, verzeichnen die StEB Köln für dieses Jahr gar kein Hochwasser.
Außerdem erzeugt die online verbreitete Auswahl einen tendenziösen Eindruck: Mit Ausnahme des Wertes von 2024 werden nur extreme Hochwasserdaten mit Pegelständen von über zehn Metern aufgeführt. So entsteht der Eindruck, das Hochwasser aus dem Jahr 2024 sei besonders gering, der menschenverursachte Klimawandel könne also keine entscheidende Rolle spielen.
Doch die Hochwassergeschichte der StEB Köln zeigt, dass 46 der 52 Hochwasserereignisse seit dem 1784 tatsächlich Pegelstände unter zehn Metern verzeichneten. Das Hochwasser von 2024 mit 8,23 Metern ist somit keineswegs ein Ausreißer nach unten, sondern befindet sich im Mittelfeld.
Ursachen von extremen Hochwasserereignissen
Hochwasser sind in der Regel auf lokale Wetterphänomene zurückzuführen, etwa starke Niederschläge oder plötzliche Schneeschmelze, aber auch auf menschliche Eingriffe in Flussläufe. Das erklärte Dominik Rösch, Umweltwissenschaftler und Pressereferent bei der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG), auf AFP-Anfrage am 25. September 2024.
Das außergewöhnlich starke Rheinhochwasser von 1784 war laut Rösch „eine Verkettung verschiedener ungünstiger Faktoren“: Ein heftiger Vulkanausbruch auf Island im Jahr 1783 beeinflusste das Wetter der Nordhemisphäre stark und sorgte für extreme Niederschläge und niedrigere Temperaturen. Der Winter 1783/84 war besonders schneereich und kalt, sodass viele Flüsse zufroren und eine dicke Eisdecke ausbildeten. „Ein Warmlufteinbruch um den 23. Februar 1784 und großräumiger Regen bewirkten ein plötzliches Tauwetter“, erklärte Rösch. Die sehr wasserhaltigen Schneemassen schmolzen, konnten jedoch wegen der Eisdecke auf den Flüssen nur begrenzt abfließen.
Es kam zu einem sogenannten „Eisstau“ und einer damit einhergehenden Hochwasserkatastrophe, die auf vielfältige Weise dokumentiert wurde, etwa in diesem Kupferstich:
„Eishochwässer des Rheins sind heutzutage sehr unwahrscheinlich“, führte Rösch weiter aus. So fror der Rhein im Winter 1962/63 das letzte Mal zu. Grund dafür seien menschliche Eingriffe, wie Wärmeeinleitungen aus Industrieanlagen und „insbesondere die Zunahme der Lufttemperatur aufgrund des Klimawandels“.
Angebliche „Beweise“ gegen die Existenz des menschenverursachten Klimawandels seien die historischen Hochwasser jedoch keineswegs: „Extreme Einzelereignisse – auch ohne Eiseinfluss – hat es immer gegeben und wird es immer geben“, fasste Rösch zusammen.
Einzelne Pegelstände sagen nichts über Klima aus
Einzelne Pegelstände eines Flusses sind aus mehreren Gründen keine geeignete Methode, um Klimaveränderungen zu dokumentieren, erklärte René Orth, Professor für die Modellierung Biogeochemischer Systeme an der Universität Freiburg, gegenüber AFP am 30. Juli 2024: Als historische Momentaufnahmen dokumentierten sie lediglich die Auswirkungen von Wetterereignissen zu einem bestimmten Zeitpunkt. „Der Klimawandel kann sich nur auf langfristige Trends von Flusswasserständen auswirken“, präzisierte Orth. Schließlich beschreibt „Klima“ per Definition des Deutschen Wetterdiensts (DWD) eine Zusammenfassung der Wettererscheinungen über einen langen Zeitraum. Der Wasserstand des Rheins wird laut Orth außerdem nicht nur durch das Wetter beeinflusst, sondern auch durch verschiedene menschliche Nutzungszwecke. Wasser wird beispielsweise zur Bewässerung, als Trinkwasser oder zur Kühlung von Industrieanlagen entnommen.
Dominik Rösch vom BfG erklärte: „Von einem systematischen Wandel spricht man in der Wissenschaft erst, wenn Hochwasserereignisse über einen vieljährigen Zeitraum belegbar gehäuft auftreten, länger dauern, intensiver werden oder sich neue Entstehungsmechanismen abzeichnen.“ In der Klimaforschung werden dafür Zeiträume von 30 Jahren genutzt.
Grundsätzlich sei es schwierig, Veränderungen im Auftreten extremer und seltener Ereignisse statistisch robust nachzuweisen. „Jedoch häufen sich die Hinweise, dass sich der Klimawandel auf das Hochwassergeschehen bereits auswirkt und die Effekte weiter zunehmen“, fügte Rösch hinzu.
Klimawandel beeinflusst die Wahrscheinlichkeit von Hochwasserereignissen
Ein Konsortium unabhängiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für den Weltklimarat (IPCC) hat Einschätzungen zur Wahrscheinlichkeit von Extremereignissen in einem sich verändernden Klima erstellt. Sie enthalten „handfeste Beweise“ für die Zunahme von Ausmaß und Intensität extremer Niederschläge in Europa seit den 1950er-Jahren.
Iris de Vries von der ETH Zürich erklärte am 18. September 2024 gegenüber AFP: „Es gibt klare, eindeutige Beweise dafür, dass der Klimawandel das Spektrum möglicher Niederschlagsereignisse verändern wird und bereits verändert hat“, da wärmere Luft mehr Wasser speichere. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass Starkregen in Mittel- und Osteuropa im Zeitraum 2071 bis 2100 im Vergleich zu 1971 bis 2000 um mehr als 35 Prozent zunehmen wird, was zu häufigeren und gefährlicheren Sturzfluten führen wird.
Auch eine aktuelle Studie der Forschungsinitiative World Weather Attribution vom September 2024 kam zu dem Schluss, dass die Niederschlagsereignisse, die zum Hochwasser in Mittel- und Osteuropa im September 2024 führten, ohne den Klimawandel nicht so gravierend ausgefallen wären.
AFP hat bereits mehrfach Behauptungen über extreme Überschwemmungen und deren Zusammenhang mit dem Klima überprüft. Auf der AFP-Website sind alle Faktenchecks zum Thema Klima gesammelt.
Fazit: Eine online kursierende Liste von historischen Pegelständen am Rhein in Köln widerlegt nicht den menschengemachten Klimawandel. Zum einen ist die Liste unvollständig und fehlerhaft. Zum anderen ergeben sich aus einzelnen historischen Momentaufnahmen keine wissenschaftlichen Aussagen darüber, wie sich das Klima langfristig verändert, erklärten Fachleute gegenüber AFP. Die globale Erderwärmung führe jedoch dazu, dass Extremwetterereignisse wie Starkregen zunehmen – auch am Rhein.