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Falsche Daten über Muslime in Großbritannien verbreitet

Nach dem Mord an drei Mädchen in Southport kam es in mehreren britischen Städten zu rassistischen Krawallen. In sozialen Netzwerken war die Falschmeldung verbreitet worden, der Täter sei muslimischer Migrant. In diesem Zusammenhang kursiert erneut eine Liste mit neun britischen Städten. Was sie angeblich alle gemeinsam haben: einen muslimischen Bürgermeister. Zudem werden Zahlen zu einem vermeintlich hohen Einfluss und Privilegien der muslimischen Bevölkerung in Großbritannien genannt. Stimmen die Daten?

Bewertung

Die Liste enthält größtenteils falsche Angaben. Mindestens vier der neun Bürgermeister auf der verbreiteten Liste sind keine Muslime. Die Zahlen zur muslimischen Bevölkerung in Großbritannien sind ebenfalls fehlerhaft und irreführend.

Fakten

Vier der neun genannten Städte – Leeds, Birmingham, Blackburn und Oxford – dementieren auf dpa-Anfrage durch ihre Sprecher, dass ihr Bürgermeister Muslim ist. Es lassen sich auch keine Belege finden, die auf das Gegenteil schließen ließen.

Der Bürgermeister von Oldham, Zahid Chauhan, erklärt auf dpa-Anfrage, dass er Muslim ist. Das deckt sich mit Medienberichten. Auch der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan spricht öffentlich über seinen muslimischen Glauben.

Die Stadt Luton berichtet der dpa, dass ihr keine Informationen darüber vorlägen. Die Behörden der Städte Sheffield und Rochdale reagieren bis zum 23. August 2024 nicht auf dpa-Anfragen.

Vier der neun aufgelisteten Stadtoberhäupter sind also gesichert keine Muslime.

In Großbritannien gibt es, anders als in Deutschland, verschiedene Arten von Bürgermeistern. Einige haben nur repräsentative Aufgaben, während andere echte politische Akteure sind. Londons Bürgermeister bestimmt beispielsweise die Politik seiner Stadt, seine Position ist am ehesten mit dem Amt in Deutschland zu vergleichen.

Daten zur muslimischen Bevölkerung nachvollziehbar

Es ist unklar, worauf sich die auf dem Sharepic verbreiteten Zahlen beziehen: auf Großbritannien (Regionen England, Schottland und Wales), auf das Vereinigte Königreich (England, Schottland, Wales und Nordirland) oder tatsächlich, wie in der Liste angegeben, nur auf die Region England? Oft wird von England gesprochen, obwohl eigentlich Großbritannien oder das Vereinigte Königreich gemeint sind.

Auf dem Sharepic heißt es, unter den 66 Millionen Einwohnern gäbe es 4 Millionen Muslime. Dem britischen Statistikamt zufolge betrug die Bevölkerungszahl für das Vereinigte Königreich im Jahr 2022 67,6 Millionen.

Die Zahl der Muslime wird nicht insgesamt erhoben, sondern ergibt sich aus den Zahlen der einzelnen Regionen: In England und Wales waren es im Jahr 2023 etwa 3,87 Millionen Muslime. In Nordirland gaben beim Zensus 2021 genau 10.870 Menschen an, einen muslimischen Glauben zu haben. Der Zensus in Schottland ergab 2022, dass von 5,4 Millionen Einwohnern 2,2 Prozent, also rund 120.000 Menschen, Muslime waren.

Insgesamt dürfte es also knapp 4 Millionen Muslime in Großbritannien und Nordirland geben. Bei den Volkszählungen ist die Frage nach der Religion jedoch freiwillig, so dass eine gewisse Unsicherheit bei den Zahlen besteht.

Anzahl der Moscheen weit geringer als angegeben

Weiter behauptet das Sharepic, es gäbe mehr als 3.000 Moscheen in England. Eine offizielle Zählung der Behörden gibt es zwar nicht, allerdings nennt das Forschungsinstitut Royal Geographical Society 1.500 Moscheen für das gesamte Vereinigte Königreich.

Ein Parlamentarier der damaligen konservativen Regierung antwortet im Jahr 2018 auf die Frage nach einer Anzahl, in England gebe es 1.500 Moscheen und Gebetshallen. Zum Vergleich: Es gibt allein in im Landesteil England 16.000 christliche Kirchen und 42 Kathedralen.

Dem Sharepic zufolge soll es zudem angeblich 130 «muslimische Scharia-Gerichte» und 50 «muslimische Scharia-Räte» in England geben. Scharia-Räte, auch Gerichte genannt, sind lokale Religionsgelehrte, die bei der islamischen Eheschließung und Scheidung beraten.

Sie sind jedoch keine formellen Gerichte und haben «keinen Rechtsstatus und keine rechtsverbindliche Befugnis nach dem Zivilrecht», so ein Bericht des Innenministeriums. Diesem Papier zufolge gab es im Jahr 2018 zwischen 30 und 85 solcher Räte in England und Wales und keine einzigen in Schottland und Nordirland.

Erwerbsquote bei Muslimen deutlich höher als behauptet

Weiterhin wird behauptet, dass 78 Prozent der muslimischen Frauen und 63 Prozent der muslimischen Männer nicht arbeiteten, staatliche Unterstützung und eine kostenlose Unterbringung erhielten.

Im Juni 2022 waren in Großbritannien dem nationalen Statistikamt zufolge knapp 6 Prozent der Muslime über 16 Jahren arbeitslos und 38 Prozent nicht erwerbstätig («economically inactive»).

«Economically inactive» bedeutet, dass diese Menschen nicht erwerbstätig sind, in den letzten vier Wochen nicht nach Arbeit gesucht haben und in den nächsten zwei Wochen nicht in der Lage sind zu arbeiten. Dazu gehören beispielsweise Personen, die an einer Hochschule studieren, im Ruhestand sind oder sich um Familie oder Haushalt kümmern.

Für die Regionen England und Wales gibt es zudem Zahlen aus dem Jahr 2021: Demnach waren 48,6 Prozent der Muslime entweder arbeitslos (6,7 Prozent) oder «economically inactive» (41,9). Bei Frauen war der Anteil höher (60,4) als bei Männern (37,1). Zu bedenken ist: 2021 war in England und Wales jeder dritte «economically inactive» Muslim im Alter zwischen 16 und 64 Jahren Student oder Schüler.

Zusammengefasst bedeutet dies: Weniger als 50 Prozent der Menschen muslimischen Glaubens gehen aus unterschiedlichen Gründen keiner Erwerbstätigkeit nach. Eine deutlich geringere Zahl, als auf dem Sharepic angegeben. Unklar bleibt, welche Gruppe von Menschen dort gemeint ist, wenn von «gehen nicht arbeiten» die Rede ist. Sind es nur Erwerbsfähige? Rechnet man die Menschen heraus, die entweder in Rente sind oder studieren, ist die Zahl der Arbeitslosen viel niedriger.

Sozialer Wohnraum ist kein kostenloser Wohnraum

Nach dem Zensus von 2011 lebten in England und Wales etwa 27 Prozent der muslimischen Haushalte (bei denen die sogenannte Haushaltsvorstand muslimisch ist) in Sozialwohnungen, verglichen mit 18 Prozent aller Haushalte. Sozialer Wohnraum bedeutet aber nicht, dass dieser kostenlos ist, sondern nur, dass dieser vom Staat gefördert wird. Die Daten für England und Walex stehen exemplarisch dafür, dass die Zahlen aus dem Sharepic unrealistisch sind.

Auch für die Behauptung, der Staat würde muslimischen Familien mit durchschnittlich sechs bis acht Kindern eine kostenlose Unterkunft stellen, finden sich keine Belege.

Ähnlich wie in Deutschland können alle Menschen bei geringerem Einkommen finanzielle Unterstützung für ihre Miete beantragen. In bestimmten Fällen übernimmt auch der britische Staat die Kosten für die Wohnung. Allerdings ist dies nicht abhängig von der Anzahl der Kinder und Religion, sondern vor allem vom Einkommen und Erwerbsstatus.

Sharepic mit Falschbehauptungen seit Jahren im Netz

Das Sharepic kursiert bereits seit mehreren Jahren in sozialen Medien. Schon 2017 widerlegten britische Faktenprüfer die Angaben auf dem Bild. Auch im deutschsprachigen Raum wurde es im Jahr 2019 verbreitet.

(Stand: 22.8.2024)

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Migration, Politik, Gesellschaft

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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