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Fleisch, Molkereiprodukte und Privatautos bleiben nach 2030 erlaubt

Im Pariser Klimaschutzabkommen haben sich die Vereinten Nationen das 1,5-Grad-Ziel gesetzt, um der Klimaerwärmung zu begegnen. In sozialen Netzen wird fälschlicherweise behauptet, 100 Städte würden – unterstützt vom Weltwirtschaftsforum – den Konsum von Fleisch und Molkereiprodukten oder auch den Besitz von privaten Autos ab 2030 verbieten. Das dort geteilte Dokument ist jedoch eine unabhängige Klimaanalyse, die keine politischen Handlungsanweisungen gibt.

„100 Städte wollen bis 2030 Fleisch, Milchprodukte und private Autos verbieten“ lautet die Überschrift eines online geteilten Artikels. „Um das ‚Ziel‘ zu erreichen, haben sich die C40-Städte verpflichtet, dass ihre Einwohner die folgende Liste verbindlicher Regeln einhalten werden: 0 kg Fleischkonsum, 0 kg Milchprodukte, 3 neue Kleidungsstücke pro Person und Jahr, 0 private Fahrzeuge im Besitz, 1 Kurzstreckenflug (weniger als 1500 km) alle 3 Jahre pro Person“, wird in dem Beitrag aus dem Artikel zitiert, der über 200 Mal geteilt wurde.

Der Artikel stammt von dem Internetblog „tkp“, die Behauptung findet sich ebenfalls in Artikeln auf den Internetseiten von „Report24„, „Weltwoche„, „Tichys Einblick“ und „Reitschuster„. AFP prüfte in der Vergangenheit bereits Falschbehauptungen, die beispielsweise „tkp“ und „Report24“ verbreiteten (hier und hier).

Auch auf X (ehemals Twitter) finden sich hundertfach geteilte Beiträge mit der Behauptung, in Telegram-Kanälen wurden Nachrichten zu diesem Thema über einhunderttausend Mal angesehen. Ein Tiktok-Video, in dem ein Mann über die Behauptung spricht, wurde ebenfalls über eintausend Mal geteilt.

Nicht nur private Nutzerinnen und Nutzer verbreiten die Behauptung über das angebliche Vorhaben der Städte, auch die Querdenker-Partei Die Basis (Facebook-Beitrag hier archiviert), die AfD-Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel und Jörn König (Beiträge hier und hier archiviert) sowie die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (Beitrag hier archiviert) teilten sie auf Facebook.

Ähnliche Behauptungen kursieren darüber hinaus auf Englisch, Spanisch und Finnisch.

Facebook-Screenshot der Behauptung, aufgenommen am 28. August 2023

Die Behauptungen sind jedoch falsch. Die Beiträge und der darin geteilte Artikel berufen sich auf einen Bericht aus dem Jahr 2019 (Link hier archiviert), der unter dem Titel „The Future of Urban Consumption in a 1.5C World“ (zu Deutsch „Die Zukunft des städtischen Konsums in einer 1,5-Grad-Welt“) von dem Netzwerk der C40-Städte veröffentlicht wurde.

Bei diesem Netzwerk handelt es sich um eine Gruppe von weltweit rund 100 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern (Link hier archiviert), die sich zusammengetan haben, um gemeinsam gegen den Klimawandel vorzugehen, indem sie ihre Treibhausgasemissionen reduzieren wollen.

Einige der Posts sprechen nicht nur von 100, sondern von 1000 Städten, wie dieser viel geteilte Beitrag auf X:

X-Screenshot der Behauptung, aufgenommen am 28. August 2023

Das kommt daher, dass das C40-Netzwerk gemeinsam mit weiteren Partnern zur Kampagne „Race to Zero“ aufgerufen hat (Link hier archiviert). Dabei sollen 1000 Städte zusammenarbeiten, um ihre Unterstützung für integrative Klimaschutzmaßnahmen im Einklang mit den Zielen des Pariser Abkommens zu demonstrieren.

CO2-Emissionen durch Konsumverhalten

Im Bericht der C40-Städte aus dem Jahr 2019 heißt es zu Treibhausgasen, die durch Konsumverhalten entstehen: „Im Jahr 2017 machten die mit Lebensmitteln verbundenen Emissionen schätzungsweise 13 Prozent der gesamten verbrauchsbedingten Emissionen in den C40-Städten aus.“ Das Ziel des Berichts sei es, „praktische Maßnahmen anzuregen“.

„Etwa drei Viertel dieser Emissionen stammen aus dem Verzehr von tierischen Lebensmitteln, die restlichen 25 Prozent aus dem Verzehr von pflanzlichen Lebensmitteln“, heißt es.

Studie formuliert Ziele für CO2-Reduktion 

Für den Bericht arbeitete das Netzwerk der C40-Städte mit der Universität Leeds und der global tätigen Firma Arup, die auf nachhaltige Entwicklung spezialisiert ist, zusammen. Darin wurde modelliert, wie fünf verschiedene lebensmittelbezogene Maßnahmen das Fortschreiten der globalen Erwärmung beeinflussen würden. Der Bericht enthält sowohl „progressive“ als auch „ehrgeizige“ Ziele für 2030.

Die „ehrgeizigen“ Ziele gehen von einem Null-Kilogramm-Konsum von Fleisch und Milchprodukten, einer Obergrenze von 2500 Kalorien pro Tag und keinen Lebensmittelabfällen eines Haushalts aus.

„Wenn die C40-Städte ihre Gewohnheiten des Lebensmittelkonsums im Einklang mit den festgelegten progressiven Zielen ändern, könnten die Emissionen dieser Kategorie zwischen 2017 und 2050 um 51 Prozent gesenkt werden“, heißt es in dem Bericht. „Die Verabschiedung ehrgeiziger Ziele würde eine weitere Reduzierung um neun Prozent ermöglichen.“

Screenshot der Tabelle zur Anpassung des Lebensmittelkonsums aus dem Bericht „The Future of Urban Consumption in a 1.5C World“ der C40-Städte, aufgenommen am 29. August 2023
Screenshot der Grafik zu den Effekten der Konsumanpassung im Lebensmittelbereich aus dem Bericht „The Future of Urban Consumption in a 1.5C World“, aufgenommen am 29. August 2023

Der Bericht enthält auch das ehrgeizige Ziel, den Neukauf von Kleidung pro Person und Jahr auf drei Kleidungsstücke zu reduzieren sowie die Reduktion auf keine Pkw im Privatbesitz ab dem Jahr 2030.

Keines dieser Ziele ist dabei eine politische Handlungsempfehlung. „In diesem Bericht wird nicht dafür plädiert, diese ehrgeizigeren Ziele in allen C40-Städten zu übernehmen. Vielmehr sollen sie eine Reihe von Bezugspunkten bieten, über die Städte und andere Akteure nachdenken können, wenn sie verschiedene Alternativen zur Emissionsreduzierung und langfristige städtische Visionen in Betracht ziehen“, heißt es in dem Dokument.

Das Netzwerk bestätigte, dass der Bericht „eine Analyse von auf Konsum basierenden Emissionen in den C40-Städten ist und es sich nicht um einen Plan für Städte handelt, den sie übernehmen sollen“, erklärte ein Sprecher in einer E-Mail vom 10. Juli 2023 gegenüber AFP. „Es ist an den Individuen, ihre eigenen Entscheidungen für ihren Lebensstil zu treffen, inklusive der Lebensmittel, die sie zu sich nehmen, und der Kleidung, die sie bevorzugen.“

WEF widerspricht Behauptungen

In den Artikeln und Beiträgen wird außerdem das Weltwirtschaftsforum (Englisch: World Economic Forum, WEF) genannt, das demnach mit dem Vorhaben der Städte in Verbindung stehen soll. Tatsächlich haben die C40-Städte eine Seite auf der Website des WEF (Link hier archiviert). Auf der Liste ihrer Partner und Geldgeber führen die C40-Städte das Forum nicht auf (Link hier archiviert), hingegen werden sie als Partner für das Äquivalent des WEF, die „Net Zero Carbon Cities“ aufgeführt (Link hier archiviert).

Das WEF, eine internationale Nichtregierungsorganisation, die jährlich in Davos (Schweiz) tagt, ist häufig Ziel von Desinformation. AFP hat in der Vergangenheit bereits Falschbehauptungen über das WEF widerlegt, zum Beispiel zu einer KI-generierten Bibel oder Klima-Lockdowns.

Auch das WEF widersprach den Gerüchten um Beschränkungen für Fleisch und Milchprodukten, erklärte WEF-Sprecher Yann Zopf gegenüber AFP in einer E-Mail am 7. Juli 2023, und bezeichnete die Behauptungen als „komplett falsch“. Darüber hinaus habe die Organisation keinerlei Einfluss auf Regierungen oder die Politik.

„Während das Weltwirtschaftsforum dazu beiträgt, darüber nachzudenken, wie eine wachsende Weltbevölkerung nachhaltig und nahrhaft ernährt werden kann, hat unsere Organisation nicht die Absicht, die Ernährung der Menschen einzuschränken“, erklärte Zopf.

Kein Bezug zu „Smart Cities“ 

Das WEF leitet die G20 Global Smart Cities Alliance on Technology Governance, eine Initiative, die eine verantwortungsvolle und ethische Nutzung von Smart-City-Technologien sicherstellen will (Link hier archiviert). In Smart Cities soll intelligente Informations- und Kommunikationstechnologie die Teilhabe und Lebensqualität erhöhen sowie die nachhaltige Entwicklung fördern. Auch bei diesem Projekt ist Arup Partner (Link hier archiviert).

In diesem vom WEF geleiteten Zusammenschluss setzen 36 Städte Pionierprojekte um und wollen so den Zugang zu Infrastruktur und Einrichtungen verbessern und künftige Technologien, wie autonome Fahrzeuge, planen. In dem Bericht der C40-Städte aus dem Jahr 2019 werden Smart Cities jedoch nicht erwähnt.

Im Zusammenhang mit der Falschbehauptung zu den Konsumeinschränkungen wird in den Beiträgen und Artikeln auch der „Great Reset“ genannt. Dabei handelt es sich um den Titel eines Buches von Klaus Schwab aus dem Jahr 2020 (Link hier archiviert) über die Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie um eine Initiative des WEF zur Umgestaltung der Wirtschaft, um globale Herausforderungen meistern zu können (Link hier archiviert). Die Initiative gerät immer wieder in den Fokus von Verschwörungstheorien, wie AFP beispielsweise hier beleuchtet hat.

Fazit: Behauptungen, wonach 100 bzw. 1000 Städte ab 2030 Fleisch, Molkereiprodukte und der Besitz privater Autos ab 2030 verboten sein soll, sind falsch. Sie beruhen auf dem Bericht des Netzwerks der C40-Städte, der Städten Denkanstöße zur Reduktion der Treibhausgasemissionen liefern soll. Auch ein Sprecher des Netzwerks sowie WEF-Sprecher Yann Zopf haben der Behauptung widersprochen.

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Klimawandel, Umwelt

Autor(en): Daniel FUNKE / Johanna LEHN / AFP USA

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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